Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

schreibt: »Ich spreche hiermit meine bestimmte Ansicht aus, daß Nüdlingen in seiner eigenthümlichen tiefen Lage und durch seine topographische Form in der beregten Kriegssituation sich weder zur Beobachtung noch zur Vertheidigung eignete. Seine Wegnahme war durch die Kriegsraison nicht geboten.«

Ad 2. Die Umgehung des linken Flügels, die so verhängnißvoll zu werden drohte, wurde durch drei Dinge möglich gemacht:

einmal durch den Wald am Sinnberg, der den Blick nach während alles übrige eingesehn werden konnte

Norden

sperrte ¡

zu kleinerem Theil durch einen weißen Höhenrauch, der über der Landschaft lagerte

und drittens und vornehmlich dadurch, daß die bis zur Hainmühle vorgeschobene 10. Compagnie diese wichtige Stellung am äußersten linken Flügel freiwillig und ohne entsprechende Meldung aufgab und dadurch den linken Flügel nicht nur entblößte, sondern auch unbeobachtet ließ.

Dies war ein Fehler seitens der 10. Compagnie, wiewohl Mannig faches zu ihrer Entschuldigung spricht; jedenfalls ist der Führung des Regiments kein Vorwurf daraus zu machen; im Gegentheil, seitens desselben geschah alles, um das Unheil abzuwenden. Es operirte dabei mit bemerkens. werther Umsicht und Kaltblütigkeit. Dies führt uns auf den dritten Punkt.

Ad 3. Die Zurücknahme des Gros, also der 2., 3., 4., 9. und 12. Compagnie, ist der Führung des Regiments als ein Fehler angerechnet worden. Schwerlich mit Recht. Wir möchten umgekehrt annehmen, daß darin die Rettung lag. Jedenfalls war es das einzig Correcte. Die ver einzelten, überraschten und übergerittenen Compagnieen waren momentan widerstandsunfähig; sie bedurften der Ralliirung, um einer Kraftentwick lung zu einem energischen Gegenstoß überhaupt noch wieder fähig zu werden. Oberst v. Henning hat sich selbst darüber ausgesprochen: »Den Befehl zum Zurückgehn zu geben, wurde mir als Soldat sehr schwer. Indessen in dem Thalkessel rings umfaßt, ohne Uebersicht, gekannten und überlegenen Kräften gegenüber, erschien es mir bei der taktischen Form, die das Gefecht nun einmal angenommen hatte, unerläßlich, die Rückwärts. bewegung anzuordnen, da ein längeres Ausharren nichts andres bedeutet hätte, als den Erfolg dem Zufall, ja mehr als dem Zufall anheimzugeben.« Dies scheint uns richtig. Der glänzende Schlußakt des Dramas war nur möglich nach vorhergegangener Nalliirung aller vorhandenen Kräfte.

Wenn der Ausgang des Tages schließlich doch ein Mißerfolg gewesen wäre, wenn die Vaiern den Sinnberg behauptet und uns zu einem Zurück.

gehen auf Winkels und vielleicht selbst auf Kissingen gezwungen hätten, dieser Echec (und er drohte nahe genug) würde seinen eigentlichsten Grund in etwas ganz Anderem gehabt haben, als in der Haltung des 19. Regiments. General v. Goeben glaubte das Spiel früher zu Ende, als es zu Ende war. Er glaubte bei so spät vorgerückter Tagesstunde an keinen neuen Angriff des Gegners und gab im Vertrauen darauf der Position am Sinn und Schlegelsberge nicht die Vertheidigungskraft, deren dieselbe bedurfte. General v. Goeben selbst, in seiner mehrgenannten Brochüre, berührt diesen Punkt in folgenden Worten: »... Es war Spätnachmittag, als General v. Wrangel einen Adjutanten an den Divisions Commandeur (Goeben) entsandte, mit dem Ersuchen um Unterstüßung. Der Adjutant wurde indessen mit dem Bescheid zurückgeschickt, daß der General (Wrangel) mit 8 Bataillonen und zwei Batterieen in so starker Stellung einem jeden so spät am Tage erfolgenden Angriff vollständig gewachsen sei. . . In dem Augenblick aber, als dieser Bescheid am Sinnberge beim General v. Wrangel eintraf, war die starke Stellung schon nicht mehr im Besiz des Generals. «<

So etwa General v. Goeben selbst, der sich in diesen Worten freimüthig zu der Ansicht bekennt, daß er die Sinnberg - Stellung für ausreichend besezt hielt. War sie es wirklich? Es will uns fraglich erscheinen. Wir wollen nicht geradezu in Abrede stellen, daß es bei mehr Glück und unter Wegfall gewisser Zwischenfälle unseren 51⁄2 Bataillonen (mehr war zunächst nicht da) vielleicht möglich gewesen wäre, den Angriff der 5 oder 6 frisch anrückenden bairischen Bataillone, der zu Anfang völlig reussirte, aus eigner Kraft zurückzuschlagen; aber auf ein solches Zahlenverhältniß durfte man sich denn doch nicht unbedingt Rechnung machen. Hinter Nüdlingen standen die zurückgegangenen Bataillone der 3. und 2. Division, zum Theil hart mitgenommen, aber doch nicht so en deroute, daß es nicht möglich gewesen wäre, ihrer Gesammtheit noch 4 brauchbare Bataillone zu entnehmen. Daß dies unterblieb, war ein Glück für uns, aber doch immerhin ein Glück, auf das es mißlich war, sich von vornherein zu verlassen.

Soviel in Vertheidigung des 19. Regiments, dem, um das Maß voll zu machen, schließlich auch nachgesagt worden ist, daß es, »seiner polackischen Natur nachgebend, sich in Kissingen zu gröblichen Keller-Excessen habe hinreißen lassen«.

Auch darauf antwortet der damalige Commandeur, und noch einmal führen wir ihn mit seinen eigenen Worten ein: »Ob in Kissingen FlaschenExcesse begangen worden sind, weiß ich nicht. Ob es aber dem 19. Regiment möglich war, solche zu begehen, mag der Leser danach beurtheilen, daß das 19. Regiment am 10. Juli Nachmittags 2 Uhr im Laufschritt durch Kissingen zum Gefecht von Winkels vorging, zwei Gefechte schlug, über 200 seiner

Verwundeten zwar nach Kissingen sandte, selbst aber Stunden von Kissingen entfernt, am Hang des Sinnbergs, an den Weinbergen ohne Keller bivouakirte, am 11. Juli früh die Vorposten bei Nüdlingen bezog und am 11. Nachmittags 2 Uhr, seine Todten zu ehren, mit klingendem Spiel, unterm Ruf: »Es lebe der König Kissingen von Neuem passirte. «

200 Verwundete hatte allein das 19. Regiment nach Kissingen hin abgeliefert; das mag uns veranlassen, noch am 11. einen Blick auf die Stadt zu werfen. Am 11. war ganz Kissingen (wie auch Winkels und Nüdlingen) ein großes Lazareth. Die Einheimischen wie die Fremden waren gleich willfährig in Darbringung von Gaben und Opfern. Die Kurgäste aller Nationen, vor allem die Damen, wetteiferten, den Unglücklichen ihre Leiden nach Kräften zu erleichtern und ihnen Erquickung und Trost zu bringen. Vom frühen Morgen an sah man Bediente und Dienstmägde mit Körben und ungeheuren Ballen von einem Hospital ins andre eilen, ganze Wagen voll Matraßen, Betten und Stroh wurden hinausgefahren, um denselben eine bessere Lagerstätte zu bereiten. Und das Bedürfniß war in der That groß. Weit über 1000 Verwundete lagen, meistens nur halb bekleidet, vielfach noch auf dem nackten Fußboden der Lazarethe umher, so wie sie dort niedergelegt waren. Im Conversationssaal, in den Colonnaden des Kurgartens befanden sich Hunderte von Verwundeten: andere Hunderte in den großen Hotels, namentlich im »bairischen Hof«. Ueber das in legtgenanntem Hotel hergerichtete Lazareth liegt uns, von bairischer Seite, eine aus jenen Tagen herrührende interessante Schilderung vor. Wir geben dar. aus Folgendes:

»Der Besuch Fremder war, laut an der Thüre angeschlagener Verfügung, verboten; allein der preußische Oberstabsarzt willfahrte meiner Bitte den Zutritt auf die bereitwilligste, liberalste Weise. In drei Stockwerken, in den schönen hohen Zimmern, in denen die reichsten Tapeten in Fehen von den Wänden hingen, die wiederum fast alle auf der den Fenstern gegenüber. liegenden Seite von Kugelspuren gezeichnet waren, lagen nun die armen Opfer jenes blutigen Sieges, welche noch nicht hatten weiter gebracht werden. können, weil ihre Verwundung eben nur die Aussicht baldigen Todes oder wenigstens sehr später, äußerst langsamer Heilung zuließ.

Man darf nur so ein preußisches Lazareth ansehen mit all seinen bis ins Einzeluste gehenden, namentlich in den Vorrichtungen, dem Kranken seine Lage leichter und erträglicher zu machen, erfinderischen und praktischen Ordnung, um wieder Respect zu bekommen vor der bewundernswerthen

Organisation, die dort alle Heereseinrichtungen durchdringt und der der Feind am Wenigsten sein Auge verschließen darf.

Katholische und evangelische Krankenpflegerinnen versahen den Warte dienst, barmherzige Schwestern aus Düsseldorf und Diakonissen aus Troysa; mit großer Freundlichkeit geleiteten sie mich von Krankenbett zu Krankenbett, für jeden Leidenden ein tröstendes Wort bereit habend, mit jedem freundlich plaudernd, wie die Schwester mit dem Bruder redet, oder da und dort die kaum erbetene Hülfleistung reichend, wie die Mutter dem kranken Kinde dient, und aus mehr als einem Munde hörte ich das Zeugniß: »Wenn der liebe Gott und die Schwester nicht wäre, ich wäre längst vergangen in meinem Elende!«

So der Bericht. Groß und allgemein war die christliche Liebesthätigkeit, aber groß war auch die Noth, und nicht überall drang die Hülfe hin. Oder sie kam zu spät. Wie eifrig man auch die Felder, die Bergab. hänge, die Waldstrecken durchsucht hatte, doch geschah es, daß man am 14. Juli, inmitten eines Kornfeldes, einen an einen Baum gelehnten Verwundeten fand, der die heisere Frage that: »habt ihr Brod?« Er starb, ehe man die Stadt mit ihm erreichte.

Der Kissinger Friedhof.

Am 31. August 1867.

[graphic]
[ocr errors]

JELE Verwundete genasen; aber an an dern scheiterte die beste Pflege und man trug sie hinaus auf den

Friedhof, um den so heftig gekämpft worden war.

Hierher waren auch, mit weni. gen Ausnahmen, alle Offiziere geschafft worden, die hüben und drüben am Schlachttage selbst gefallen waren, und wenn in der Stadt selbst die legten Kampfesspuren längst verschwunden sein werden, wird doch auf viele Jahre hin der Kissinger Friedhof noch an den Tag von Kissingen gemahnen.

Die vielen an dieser Stelle in Marmor und Sandstein aufgerichteten Denksteine sind ein besonderer Schmuck dieses ohnehin malerischen Plazes geworden und zwischen seinen Gräbern wandeln, heißt die Geschichte des 10. Juli auf steinernen Tafeln lesen. Schicken wir uns dazu an. Es ist ein Jahr und drüber seit dem Tage des Gefechts vergangen.

« ZurückWeiter »