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Artilleriepark mit schönen gezogenen Kanonen stand in Bereitschaft, um zu neuem Kampfe vorzurücken, während unsere Blicke allenthalben den Spuren eines vorhergegangenen begegneten. Zahlreiche Leichen wurden auf Bahren vom Plaze getragen, große Blutlachen hinterlassend, welche der vom Regen ganz durchnäßte Boden nicht aufsaugen konnte. Die Felder waren zerstampft. Wir mußten uns buchstäblich durch Soldatenhaufen hindurchwinden, zumal an den Lippe Detmoldern vorbei, die nur harte Worte für uns hatten.

In Winkels angekommen, fanden wir den Ort fast nur von Soldaten bevölkert, - die Dorfbewohner hatten sich fast alle geflüchtet. Der verwundete bairische Hauptmann, den ich hier vorfand, war ein Baron v. Reißenstein. Er lag, auf ein hartes Strohlager hingestreckt, in Mitte einer lärmenden Menge Preußen. Jeder wollte zuerst verbunden sein. Der Arm des Hauptmanns war durch einen Schuß ins Schultergelenk zerschmettert, durch einen andern war die Leber derartig verlegt, daß keine Hoffnung vorhanden war, sein Leben zu retten. Er fühlte dies selbst und mit Resignation ertheilte er mir seine Aufträge an seine Familie, für die er bis zum letzten Hauche die rührendste Liebe an den Tag legte. Seinen Wunsch, ihn aus diesem Tumult fort nach der Stadt bringen zu lassen, konnten wir leider nicht sogleich erfüllen. Endlich fanden wir einen Wagen. Es gelang uns, den Todwunden, mit dem wir abermals ins Feuer kamen, glücklich nach Kissingen hineinzuschaffen; aber er starb bald darauf. Er hat seinem Wunsche gemäß, ein besonderes Grab erhalten.

Nachts war ich wieder auf unsrem Verbandplay (in der Nähe des Friedhofs). Bot derselbe schon Tags über einen Grausen erregenden Anblick, so wurde durch die spärliche Beleuchtung, vermittelst in leere Flaschen gesteckter Talglichter, deren Flämmchen im Luftzug sich flackernd hin und her bewegten, die Schauerlichkeit des Ortes unbeschreiblich gesteigert. Eine rabenschwarze Nacht warf ihre Schatten auf entferntere Punkte, aus denen ein Stöhnen und Aechzen zu unsren Ohren scholl. Zuweilen erinnerte uns auch ein Hülfe flehendes »Doctor, hier« daran, daß ein in Dunkelheit Begrabener noch sehnsüchtig auf unsren Beistand wartete. Hier murmelte ein schwer blessirter Pole, sein Amulet fest an die Brust drückend, in seiner Muttersprache Gebete, dort spendete der unermüdliche geistliche Rath einem Sterbenden die Tröstungen der Religion; da hörte man einen verwundeten Familienvater den heillosen Bruderkrieg verfluchen, der ihn gegen seinen Willen den Seinigen entrissen; dort Versöhnungsworte Zweier, die sich kurz vorher noch als Feinde gegenüber gestanden und sich nun, von gleichem Schicksale betroffen, als Freunde die Hände drückten. Einen unverlöschlichen Eindruck aber machte auf mich eine Nachtscene ganz eigenthümlicher Art. Ein Herzzerreißendes Weinen und Schluchzen eines an einer Schußverletzung

Es ist

Leidenden übte auf alle Anwesenden einen merkwürdigen Einfluß. unmöglich, diese Jammertöne zu beschreiben, ich war der Meinung, sie müßten das härteste Gemüth erweichen. Da rief plöglich ein andrer, entfernter Liegender um Hülfe. Ein Elender hatte sich beutesuchend herangeschlichen und versuchte dem armen Schwerverwundeten, den er für besinnungslos hielt, die Stiefel abzuziehen. Leider entkam er unter dem Schuße der Dunkelheit.

Als ich endlich erschöpft von der Anstrengung mein Lager aufgesucht hatte, ward ich bald wieder mit der Meldung aufgeschreckt, daß ein Soldat, der von einem vergifteten Brunnen getrunken, schleunigst ärztliche Hülfe bedürfe. Ein Vergiftungsfall ist in der Regel an sich schon ein casus fatalis für den Arzt; allein ich erwog auch noch die Gefahr, welche hier möglicher. weise für Unschuldige, ja für die ganze Stadt erwachsen könnte, wenn der Haß der feindlichen Soldaten dadurch aufgestachelt würde, und beflügelte deshalb meine Schritte nach dem mir bezeichneten Ort, wobei ich zugleich in meinem Gedächtniß alle erdenklichen Gegengifte Revue passiren ließ. An Ort und Stelle angekommen, fand ich den armen Teufel allerdings in einem üblen Zustand, allein durch gründliche Nachforschung wurde bald ermittelt, daß das vermeintliche Gift nichts andres war, als eine etwas excentrische Wirkung des »Rakoczy«. Der gute Mann hatte seinen ausgehungerten Magen nicht nur mit den verschiedenartigsten Speisen und Getränken vollgepfropft, sondern auch noch ein erkleckliches Quantum Rakoczy darauf gesezt. War es demnach ein Wunder, daß der durch die Beunruhigung seines Gebietes ergrimmte Quellengeist sich rächte?«

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geringe freilich im Hinblick darauf, daß zwölf Stunden lang an wenigstens eben so vielen Punkten gekämpft worden war. Die Baiern verloren:

todt: 9 Offiziere, 92 Mann,

verwundet: 37 Offiziere, 554 Mann,
gefangen: 6 Offiziere, 559 Mann,

in Summa also: 52 Offiziere und 1205 Mann.

Am härtesten war die 3. Division betroffen worden, die, bis gegen Mittag hin, auf der ganzen Linie von Hammelburg bis Hausen und Wald. aschach, allein im Feuer stand und auch wohl später noch an den Kämpfen um Winkels und den Sinnberg einen partiellen Antheil nahm. Ihr Führer, Generallieutenant v. Zoller (neben v. d. Tann der beste Offizier der Armee), war gefallen, Generalmajor Graf Pappenheim verwundet. Das 15. Infanterie, Regiment verlor 11 Offiziere: 4 todt, 4 verwundet, 3 vermißt.

Der preußische Gesammtverlust bezifferte sich niedriger als der bairische:
todt: 10 Offiziere, 133 Mann,

verwundet: 25 Offiziere, 671 Mann,
gefangen: 1 Offizier, 57 Mann,

in Summa also 36 Offiziere und 861 Mann. In Wahrheit aber, wenn wir von der größern Zahl bairischer Gefangenen absehen, hatten wir schwerere Einbußen erfahren, als der Gegner. Nicht zu verwundern! Aller Orten, mit Ausnahme des Gefechtes bei Nüdlingen, waren wir die Angreifenden gewesen und hatten den Gegner aus Positionen geworfen (oder diesen Positionen doch gegenüber gestanden), denen schwer beizukommen war. Wir erinnern nur an die Gradirwerke und an die Häuserreihe links und rechts neben der Brücke. Während des ganzen Feldzuges operirten die Baiern nach dieser Seite hin mit großem Geschick und brachten uns dadurch um die Vortheile, die, namentlich der östreichischen Kampfesweise gegenüber, unsre Bewaffnung uns unzweifelhaft gab.

Ueberblicken wir unsere Verluste am 10. Juli im Detail, so ergiebt sich, daß das 19. Regiment am schwersten litt (10 Offiziere, 288 Mann). Nächst ihm das 55.)

Das Füsilier-Bataillon lehtgenannten Regiments verlor 6 Offiziere (2 todt) und 101 Mann. Geringer waren die Verluste der übrigen Truppentheile.

Das 1. Bataillon 15. Regiments hatte 2 todte Offiziere, die Lieutenants Delius und Lindner.

Besonders beklagt wurde der Tod des Majors Rohdewald. Schon in der Nacht war seine Leiche vom Schlachtfelde aus nach der Stadt geschafft und im Kursaale niedergelegt worden. Am andern Morgen zwischen 10 und 11 Uhr fand seine Beerdigung statt. Ein Offizier vom Bataillon Lippe schreibt: Der Sarg wurde von Unteroffizieren getragen. Unter dumpfen Trommelschlägen und den Trauerklängen der Musik sezte sich der Leichenzug,

*) Das 1. Bataillon vom 55. Regiment verlor den Fähnrich v. Wasmer, den ersten Schleswig-Holsteiner, der für Preußen fiel. Mit Rücksicht hierauf geben wir Folgendes. v. Wasmer wurde im Kampf um die Nüdlinger Höhen (vergl. S. 121) verwundet, fiel in bairische Hände und kam in das Lazareth von Münnerstadt. Am 25. Juli wurde er bereits ausgewechselt und nach Kissingen ins preußische Lazareth transportirt, woselbst er leider am 15. August seinen Kopfwunden erlag. Er war, nachdem er in Rendsburg das AbiturientenExamen bestanden, in Minden beim 55. Infanterie-Regiment als Avantageur angenommen worden und hatte sich während des Kampfes als ein tapferer Soldat gezeigt. Seine Leiche wurde nach Holstein zurückgebracht und im Familienbegräbnisse der Familie v. Wasmer zu Sehestedt bei Rendsburg am 20. August beigesetzt, wozu der Generalmajor v. Kaphengst, nachdem er Kunde davon erhalten, eine Compagnie Landwehr commandirt hatte und wobei er selbst nebst vielen anderen Offizieren zugegen war. Das Begräbniß war ein tief ergreifendes; die Unteroffiziere, die den Sarg vom Leichenwagen in die Ruhestätte trugen, konnten ihre Thränen nicht zurückhalten und nahmen sich als Andenken an den Kameraden jeder ein Blatt von den auf demselben liegenden Kränzen. Der Generalmajor v. Kaphengst legte zuleht auf den Sarg einen mit weiß und schwarzen Bändern geschmückten Lorberkranz mit den Worten: „Als lezten Gruß von Deinen Kameraden überreiche ich Dir die wohlverdienten Lorbern." Dann folgten die Ehrensalven.

gefolgt von dem ganzen Bataillon, in Bewegung und zog durch die Hauptstraße dem Kirchhofe zu, auf welchem noch Haufen todter Preußen und Baiern mit klaffenden Wunden friedlich neben einander lagen und auf die Vollendung ihrer legten, gemeinsamen Ruhestätte warteten. Divisionsprediger Jordan sprach; dann »Präsentirt das Gewehr« und ein stilles Gebet. So nahmen wir Abschied von unsrem allverehrten Commandeur. Ernst und schweigend kehrte das Bataillon in die Stadt zurück. Eine große Anzahl Fremder, namentlich Engländer, hatte sich zu dieser Feierlichkeit eingefunden.

Etwa zu gleicher Stunde begrub auch das 19. Regiment seine 4 todten Offiziere auf dem Kissinger Kirchhofe. An ihre Gräber treten wir später (vergl. S. 148). Hier nur ein Wort über die schweren Verluste, die das Regiment überhaupt zu tragen hatte und deren General v. Goeben, übrigens unter mehrfacher Anerkennung der glänzenden Tapferkeit dieser Truppe, in seiner Relation über das Gefecht bei Kissingen in folgenden Worten Erwähnung thut: »Die schwersten Verluste hatte das 19. Regiment, welches zu der überraschenden Besehung des Sinnberges (durch den Feind) die Veranlassung gegeben und unter den Folgen davon zu leiden hatte.« E8 liegt ein Vorwurf in diesen Worten, der vielleicht um so tiefer trifft, je maßvoller er gehalten ist. Es ist aber bei blos angedeutetem Tadel über das Negiment und seine Führung am 10. Juli nicht geblieben und dieser lauter werdende, und wie wir gleich bemerken wollen, höchst ungerechte Tadel giebt uns Veranlassung, auf die Vorwürfe, die erhoben worden sind, näher einzugehn. Es sind namentlich drei:

1. Oberstlieutenant v. Henning hätte, nach den Nachmittagserfolgen am Sinnberge, also vor Eintreffen der Division Stephan, Nüdlingen besehen sollen.

2. Die seitens der Baiern glücklich ausgeführte Umgehung unsrer linken Flanke war nur in Folge einer Unachtsamkeit möglich.

3. Das Zurücknehmen des Gros des Regiments in dem allerkritischsten Moment umschloß eine allergrößte Gefahr und konnte den Erfolg des Tages in eine Niederlage verwandeln.

So die gemachten Ausstellungen. Wir wollen darauf antworten. Ad 1. Die Besetzung Nüdlingens, am Nachmittag, unterblieb auf ausdrücklichen Befehl des Generals v. Kummer, dem zu dieser Stunde des Tages das 19. Regiment unterstellt war. Der General ordnete ausdrücklich an: Die Stellung am Sinn und Schlegelsberge festzuhalten und Nüdlingen nicht anzugreifen.« Läge also hier ein Fehler vor, so würde er nicht die Führung des 19. Regiments treffen. Es liegt aber kein Fehler vor. Wir stimmen völlig den Worten des Oberstlieutenants v. Henning bei, der Folgendes

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