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LEHRBUCH

DER

DARSTELLENDEN GEOMETRIE.

VON

DR. CHRISTIAN WIENER,

GEH. HOFRAT UND PROFESSOR AN der Grossh. POLYTECHNISCHEN SCHULE ZU KARLSRUHE,

IN ZWEI BÄNDEN.

ERSTER BAND.

GESCHICHTE DER DARSTELLENDEN GEOMETRIE,
EBENFLÄCHIGE GEBILDE, KRUMME LINIEN (ERSTER TEIL),

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Bei der Ausarbeitung des vorliegenden Buches habe ich mir die Aufgabe gestellt, die darstellende Geometrie in ihrem ganzen wesentlichen Umfange zu behandeln und dabei so viel zu ihrer Weiterführung und Vervollkommnung beizutragen, als es mir unter Benutzung der Veröffentlichungen anderer Schriftsteller und meiner eigenen Untersuchungen, sowie der in meinen Vorlesungen über diesen Gegenstand gewonnenen Erfahrungen möglich war. Neben wissenschaftlicher Strenge richtete ich mein Streben besonders auf Vereinfachung und suchte ebensowohl die Herleitungen bündig, als die Konstruktionen kurz zu gestalten. Ein wichtiges Hilfsmittel bildet dabei die 'projektive Geometrie, die so vielfach einfachere Entwicklungen und Auflösungen von Aufgaben gewährt, daß sie ohne Nachteil in der darstellenden Geometrie nicht zu entbehren ist. Ich habe sie daher, da sie bei dem Studium der letzteren Wissenschaft nicht als bekannt vorausgesetzt werden kann, soweit ihre Anwendung reicht, mit in das Gebiet der Bearbeitung hereingezogen.

Das Werk soll in zwei Bänden erscheinen, wovon der erste hier vorliegende die Geschichte der darstellenden Geometrie, die ebenflächigen Gebilde, die krummen Linien (ersten Teil) und die projektive Geometrie, der zweite die krummen Linien (zweiten Teil) und die krummen Flächen behandelt.

An einer Geschichte der darstellenden Geometrie hat es bisher gefehlt, indem außer einer Geschichte der Perspektive von Poudra, einem Vortrage historischen Inhalts von de la Gournerie und zerstreuten Notizen nichts über diesen Gegenstand veröffentlicht wurde. Unter Benutzung dieser Quellen, hauptsächlich aber auf Grund des Studiums der wichtigsten der veröffentlichten Werke und Abhandlungen habe ich diese Lücke auszufüllen gesucht.

Die Behandlung des eigentlichen Gegenstandes beginnt mit der Auflösung der Aufgaben über Punkt, Gerade und Ebene und über ebenflächige Gebilde; und hierbei werden ebensowohl die zwei auf einander senkrechten Projektionsebenen mit und ohne Benutzung der Projektionsaxe, als auch die kotirten Projektionen angewendet.

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Außerdem habe ich eine neue Projektionsweise, nämlich diejenige mittelst zweier parallelen Spur- und Projektionsebenen eingeführt, welche sich bei ebenen und überhaupt bei geradlinigen Flächen als zweckmäßig erweist und welche bei vielen Aufgaben, z. B. bei denen über Durchschnitte von Vielflachen, erhebliche Vereinfachungen gewährt.

In dem folgenden Abschnitte werden die krummen Linien im allgemeinen und sodann die Kegelschnitte als Brennpunktskurven behandelt. Dabei wurde eine besondere Sorgfalt auf die Erörterung des Unendlichkleinen verwendet, welches ich, übereinstimmend mit Euler, gleich Null setze. Den Einwand, daß vom dem Verhältnisse zweier Größen, die Null sind, nicht gesprochen werden könne, glaube ich durch Unterscheidung von „,absolut Null" und "Grenznull" zu beseitigen. Während das Verhältnis zweier Größen, welche absolut Null sind, unbestimmt ist, wird unter dem Verhältnisse zweier Größen, welche Grenznull oder unendlichklein sind, der Grenzwert zweier sich der Null annähernden Größen verstanden. Derselbe wird durch eine neue Funktion ermittelt, welche mit der früheren, jenem Verhältnisse, für jeden endlichen Wert der abnehmenden Größen übereinstimmt, daher denselben Grenzwert besitzt, sich aber darin von ihr unterscheidet, daß sie für den Nullwert derselben nicht unbestimmt wird. Vermittelst dieser neuen Funktion ist dann dem Grenzwerte bestimmt die Null als entsprechender Wert der abnehmenden Größen zugewiesen. Durch diese Begriffe fallen die Schwierigkeiten weg, welche das Unendlichkleine bietet; und es wird nicht verlangt, sich unter der Tangente einer Kurve eine Gerade vorzustellen, welche mit der Kurve an der Berührungsstelle nur einen und zugleich zwei unendlich nahe, aber getrennte Punkte gemein hat. Sodann wurde zur Bestimmung der Tangente einer durch ihr Entstehungsgesetz gegebenen Kurve ein geometrisches Verfahren angegeben, das allgemein anwendbar ist, während das Robervalsche nur in besonderen Fällen benutzt werden kann. Auch die Krümmungshalbmesser wurden bei vielen Kurven bestimmt und zwar meist geometrisch. Durch diese Ermittlungen ist man häufig im stande, Kurven durch ihre ausgezeichneten Punkte und durch die Tangenten und Krümmungskreise in denselben rascher und zugleich genauer zu verzeichnen, als es durch eine beliebige Anzahl allgemeiner Punkte möglich ist.

Im folgenden Abschnitte werden die Elemente der projektiven Geometrie entwickelt. Ich zog es vor, dieselben in einem besonderen Abschnitte zu behandeln, statt sie mit der darstellenden Geometrie zu verschmelzen, weil dabei der Aufbau ihrer Lehrsätze nicht ver

deckt wird durch den Aufbau von Konstruktionsaufgaben, welcher den Charakter der darstellenden Geometrie bildet. Dem entsprechend verwende ich auch bei meinen Vorträgen von den mir zu Gebot stehenden vier Wochenstunden während des größeren Teiles des Studienjahres eine auf die projektive Geometrie, wodurch zugleich der Stoff für die konstruktiven Übungen gleichförmiger verteilt wird. In der projektiven Geometrie spielen naturgemäß die Kegelschnitte eine Hauptrolle. Da die Schaaren derselben bei der Darstellung der Krümmungslinien der Flächen zweiten Grades auftreten, so beschäftigte ich mich mit der Aufgabe ihrer leichten Verzeichnung und fand mehrere einfache Konstruktionen. Die erste vermittelst Hilfskegelschnitten ist besonders vorteilhaft, wenn durch dieselben die Axen der Kurven bestimmt werden. Die andere vermittelst eines Linien- oder Punktnetzes liefert eine beliebige Anzahl von Kegelschnitten einer Schaar oder eines Büschels auf einmal. Dieses Verfahren ist durch die Theorie der Zickzacke, welche im allgemeinen durch zwei Kurven der Schaar bestimmt werden, begründet, aber auch durch die Theorie der cyklisch-projektiven Punktreihen mit zwei reellen oder imaginären Grenzpunkten, welche sich auf eine einzige Kurve der Schaar stützen, die durch einen Kreis ersetzt werden kann.

Sodann wurde eine Imaginärprojektion der Kegelschnitte gegeben, durch welche ein reeller Kegelschnitt in einen imaginären und ein imaginärer in einen reellen projicirt wird. Dadurch ist es z. B. möglich, einen imaginären Kegelschnitt auf unendlich viele Weisen durch einen reellen darzustellen, vermittelst dessen die Konstruktion von Pol und Polare zu dem imaginären fast eben so einfach, wie zu dem reellen ausgeführt werden kann. Durch diese Imaginärprojektion vermag man ein Büschel oder eine Schaar von Kegelschnitten in ein anderes Büschel oder eine andere Schaar zu projiciren, wenn auch die Anzahlen der reellen und imaginären Grundelemente in beiden Fällen verschieden sind.

Der folgende Abschnitt enthält die Beleuchtungslehre und ihre Anwendung auf ebenflächige Körper. In derselben wurde bisher zur Bestimmung der Helligkeit meist das Lambertsche oder Cosinus-Gesetz angewendet, welches auch wirklich die beste erste Annäherung an die Wahrheit gewährt. Zur Herstellung einer sicheren physikalischen Grundlage habe ich zunächst die Ergebnisse der Untersuchungen von Lambert, Bouguer und Zöllner verarbeitet, und es wurde dadurch möglich, die Helligkeit, welche durch die Reflexe verschiedener Körperoberflächen hervorgebracht wird, mit derselben Sicherheit zu bestimmen, wie die durch direkte Beleuchtung erzeugte.

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