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London und Berlin.

Derweil die Völker ihre Todten begruben und ihre Wunden verbanden, fümmerlich aufathmend von des eben bestandenen Riesenkampfes Mühsal, hüllten sich die Wände der Fürstenpaläste in Festschmuck und widerhallten die Säle der Könige vom Siegesbankettjubel. Der Löwe oder, wie er im Restaurationsstyl hieß, der „Tiger“ aus Korsika, dessen diktatorisches Gebrülle vierzehn Jahre lang Europa in Furcht und Schrecken und Sorge erhalten hatte, war eingefäfigt auf Elba — schlecht genug freilich! und seine Besieger konnten und wollten sich's wohlsein lassen. Zur rothen Bellona, die sich den Staub und Schweiß und das Blut der Schlachten abwischte, sagte, in allen Farben der Diplomatik und Erotik chamäleontisch schillernd, Kupplerin Intrike: Du taugst nicht für die Bankett- und Ballsäle, für die Boudoirs und Schlafklosettes. Geh' baden und schlafen und ruhe dich aus, bis man deiner etwa wieder benöthigt ist; ich werde in Gemeinschaft mit Monsieur Plaisir inzwischen das Weltgeschäft schon besorgen... In Tagen aber, wo Monsieur Plaisir und Kupplerin Jntrike das Weltgeschäft besorgen, da gibt, wie die ausruhende Löwin von einer munter bellenden Wachtelhündin sich umspielen läßt, eine hochherschreitende und ernstblickende Seherin Historia gern ihrer neugierigen, plauder

süchtigen und „pikant“ schwagenden Zofe Anekdote freien Raum. Mag darum auch uns das Plappermäulchen ein Mosaik-Kapitelchen zusammenplauschen, da ja doch alle die großen" Sachen vorderhand so „lächerlich klein“ geendigt haben 72).

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Der Prinz-Regent und die Oligarchen von Großbritannien waren auf den Einfall gekommen, daß John Bull für die Aufbringung von mehr als 4000 Millionen Thalern, womit er für seinen Theil die Besiegung des Jakobinismus und Napoleonismus bezahlt hatte 73), doch auch etwelches Vergnügen haben müßte, ein Vergnügen der Gafflust, und so luden sie die verbündeten Monarchen sammt ihren Generalen und Ministern zu einem Besuch in England ein. Gentleman George hatte außer dem Staatsmotiv für eine solche Gastfreundschaftserweisung auch noch einen drängenden Privatgrund. Der Skandalkrieg, welchen er mit seiner Frau Karoline von Braunschweig führte, war dermalen nachgerade so skandalisch geworden, daß selbst ein „Tiberius von Brighton" zeitweilig das Bedürfniß fühlen mochte, die öffentliche Aufmerksamkeit einem andern. Schauspiel zugelenkt zu sehen. Und doch war die englische „Gesellschaft," obzwar heuchlerisch wie immer, zu dieser Zeit nicht gerade besonders prüde und tugendsteif. Im Gegentheil, Skandalien gehörten mit zum täglichen Brot der vornehmen Welt. Gerade im Sommer von 1814 wurde ein Mitglied der Aristofratie, Lord Cochrane, der Betheiligung an einem kolossalen Börsenspielschwindel angeklagt, schuldig befunden und zum Stehen am Schandpfahl verurtheilt, und wenn Lord Byron, mit Tagesanbruch von seinen Nachtschwärmereien heimgekehrt, seine Abenteuer den verschwiegenen Blättern seines Tagebuchs beichtete, so hatte er Veranlassung, zu notiren, daß in dem und dem Theater oder an diesem und jenem Vergnügungsort die Anzahl der vornehmen und freiwilligen Priesterinnen der Aphrodite Pandemos oder, wie der technische Ausdruck lautete, der „Ladies-Babylonierinnen" die der niedrigen und gewerbsmäßigen

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weit überboten habe. Was übrigens Gentleman George betrifft, so ist nicht zu verschweigen, daß seine Verworfenheit und Ruchlosigkeit durch sein persönlich - liebenswürdiges Gebaren häufig stark gemildert wurde. So hat er z. B. gegen WalterScott, dessen epochemachender Waverley" im Juli von 1814 erschien, echt, gentlemanlike" sich benommen und es war eine hübsche Szene, als sich der große Unbekannte," der berühmte Dichter der,,Lady of the lake" und des ,,Marmion" und der noch berühmtere der Waverley-Novellen, im März des folgenden Jahres in Carlton-House zu Gaste befand. Er erzählte bei dieser Gelegenheit die berühmte Schnurre von dem schottischen. Richter Lord Brayfield, der eines Tages gegen einen alten Bekannten, mit welchem er früher häufig Schach gespielt hatte, das Todesurtheil zu fällen im Falle war und dabei der schrecklichen Formel: Ihr werdet an eurem Halse aufgehangen werden, bis ihr todt seid" in vertraulich-jovialem Ton die Worte beifügte: „Na, Donald, mein Mann, ich denke, jezt hab' ich Euch mal gehörig schachmatt gesezt!“ Gegen Mitternacht forderte der Prinz seine Gäste auf, „mit allen gebührenden Ehren auf das Wohl des Verfassers von Waverley einen Humpen zu leeren," " und sah dabei Scott bedeutsam an. Allein der Dichter, seine Anonymität wahrend, lehnte die Ehre ab, worauf der Prinz, bevor sich die Gesellschaft wieder sehen konnte, rasch ausrief: „Nun denn, Gentlemen, ein Glas auf das Wohl des Verfassers von Marmion! Und nun, Walter, mein Mann, diesmal hab' ich Euch doch schachmatt gesegt" (and now, Walter, my man, J have checkmated you for once).

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Unter den nach England Geladenen befanden sich auch Blücher und York. Sie gingen auf dem Linienschiff Impregnable hinüber, welches den Czaren und den Preußenkönig Kaiser Franz wollte von dem „, freien Albion“ Nichts wissen und haben als möglichst viele Pfunde" mit einem mächtigen.

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Schweif von Prinzen und Prinzessinnen, Kriegsobersten und

Diplomaten am 6. Juni von Boulogne nach Dover brachte. Alexander ließ als Xenion den Franzosen das superlativische Kompliment zurück, daß er, als bei der Einschiffung im Hafen von Boulogne seine Adjutanten den überlästigen Zudrang der Neugierigen abwehren wollten, mit lauter Stimme sagte: „Laßt sie doch! Nie wird ein Franzose mir lästig sein.“ Nach etlichen Monaten hatte der Franzosentrunkene Gelegenheit, zu bemerken, daß es denn doch Franzosen gäbe, z. B. einen gewissen Schwefelfarbenen, welcher zu Wien czarische Pläne durchkreuzte, Franzosen, die es verständen, ihm hinlänglich lästig zu werden. Die Ankunft der festländischen Gäste in England rief einen Rausch, eine Epidemie, eine Wuth des Enthusiasmus hervor, welche Alles übertraf, was John Bull in diesem Fache jemals geleistet hatte. Rule Britannia, unbefümmert, ob zu den Milliarden, welche das eben glücklich beendigte Kriegsgeschäft gekostet hatte, noch etliche lumpige Millionen hinzufämen, ließ ihre Gastfreundschaft großbrozig sehen und der Prinz-Regent, von der Natur zu einem vortrefflichen Tapezierer und Tafeldecker bestimmt, hatte höchstselbst die Herstellung der Festapparate geleitet. Nur wollte er seine Frau Gemahlin nicht bei diesen Festen haben und wurde daher derselben die beschimpfende Weisung ertheilt, während des Aufenthalts der fremden Monarchen vom Hofe sich fernzuhalten. Die Prinzessin, welcher es nicht an Muth und, wie wir uns von früher erinnern, auch nicht an einem explosivischen Mundstück fehlte, that ihrem Herrn Gemahl den Schabernack an, im Theater und an allen öffentlichen Orten zu erscheinen, wohin er seine Gäste führte, und die Beifallsbezeugungen in Empfang zu nehmen, welche ihr das Publikum. reichlich spendete, während es den Gentleman George ausgrunzte und seinen Wagen gelegentlich mit Koth bewarf. Der Czar genoß des Triumphs, die Engländerinnen noch mehr zu bezaubern, als er die Französinnen bezaubert hatte. In Wahrheit, es steht stark zu vermuthen, daß etliche Dußende britischer Gänse

förmlich alexanderrappelig geworden, und Thatsache ist, daß Hunderte von Ladies und Misses mit Mylady Bury schwärmerisch dachten und sprachen: „,The emperor of Russia is my hero!"

Während aber die Alexander-Mode „ladylike“ in den parfümirten Regionen des „High Life" schwarmgeisterte, wüthete auf Straßen und Plägen die johnbullistische Blücher-Furiousneß. In der That, niemals und nirgends ist ein Mann in der Heimat oder Fremde mit einer solchen bis zur Wildheit, bis zum Fanatismus gehenden Begeisterung empfangen und mit solchen Huldigungen überschüttet, ja fast geradezu im wörtlichen Sinne des Wortes erdrückt worden, wie es der alte Vorwärts in England ward. Vom 6. Juni, wo er zu Dover landete, bis zum 12. Juli, wo er ebendaselbst die Heimfahrt antrat, grassirte ein wahres Blücherfieber im Lande, dessen Parorismen nicht selten ins Lächerliche gingen, aber dennoch stets nur den vom gesunden Volksinstinkt richtig erkannten Gedanken variirten, daß eben der alte,,Marshal Forwards" der eigentliche Antibonaparte, daß er der Besieger des Unbesieglichen und als solcher zu ehren sei. Es hatte etwas bullenköpfig Wildes, wenn die Volksmasse am 7. Juni, als der Prinz-Regent den Alten in Carlton-House empfing, Thore und Thüren des Palastes einstieß und Schildwachen und Thürhüter über den Haufen rannte, um zum Anblick des Marschalls Vorwärts zu gelangen. Es hatte etwas Widriges, wenn Blücher in London, Portsmouth und anderen Städten fast nur noch mit Menschen statt mit Pferden fuhr, weil, wo er erschien, ein süßer „Mob" es sich schlechterdings nicht nehmen ließ, die Pferde auszuspannen, während ein wogender, Hurrah brüllender, stark nach Ale und Gin duftender Menschenstrom seinen Wagen unausgesegt umflutete. Es hatte etwas Komisches, wenn der alte Recke vor einem Schwarm auf ihn eindringender Ladies und Misses, welche alle von ihm gefüßt sein und zum Andenken Locken von seinem Haar haben wollten, sich nur dadurch zu retten wußte, daß er

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