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Deutscher Frühling.

Scherr, Blücher. III.

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Frühlingsglaube.

Das majestätische Rauschen des Stromes der Weltgeschichte ist von Stund' an, wo im Bewußtsein des Menschen die ungeheure Kluft zwischen seinem Wollen und Können zuerst sich aufthat, von der zweifelnden, zagenden, klagenden Frage begleitet worden: Warum und wozu das Alles? Durch die Jahrhunderte, durch die Jahrtausende herab tönt heiserstimmig diese Elegie, bald herzzerreißend schmerzlich, bald weltekelvoll refignirt. Alle Zeiten und alle Völker haben daran gedichtet; jede in ihrer, jedes in seiner Art. Klagte der indische Brahman: „Leben ist Leiden!" so spißte der Jünger Buddha's diesen Schmerzenslaut der Kreatur zu dem Kredo seiner Nirvana-Lehre zu: „Alles war Nichts, ist Nichts, wird Nichts!" und drückte der hebräische Koheleth diesem Glaubensbekenntniß das bleiern-hoffnungslose Siegel seines, Alles ist eitel!" auf. Auf die gramschwere Frage des persischen Heldenfängers: „Ist das Welträthsel, wie ungelöst, so auch unlösbar?" wußte ein weisester Sufi nur die Antwort zu geben: Geh' vorüber an der Welt; sie ist Nichts!" Der trostlose Klang, vor Uralters schon im Orient laut geworden, hat allzeit im Occident Widerhall gefunden. Das buddhistische Thema: „Die Welt ist nur eine Schaumblase" — fand seine Variation durch den großen britischen Seher („Der Erd

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ball selbst wird untergeh'n und wie ein leeres Schaugepränge spurlos verschwinden!"), wie nicht minder durch den großen kastilischen („Das Leben ein Traum!") und den großen deutschen (Rauch ist alles irdische Wesen!"). Des griechischen Weisen: Schein und Täuschung ist all unser Dasein!“ übersezte der Römer, ins eigene Schwert sich stürzend, in das echtrömische:,, Virtus, auch du bist nur ein Wahn!" und wie im 5. Jahrhundert vor Christus der hellenische Tragiker seinen Chor anstimmen ließ: „Nicht gezeugt zu sein, ist der Wünsche höchster!" so hat in unseren Tagen der lezte große deutsche Lyriker aus röchelnder Brust den Verzweiflungsseufzer heraufgeholt: „Gut ist Schlaf, besser ist Tod; das Beste wäre, nie geboren sein."

Ein Volk gab es, welches, unter Joniens blauem Himmel und auf Attika's sonnigen Gestaden angesiedelt, den Versuch gemacht hat, eine Religion des Lebens, einen Kultus der Schönheit und Freude zu schaffen. Aber schon nach einer Spanne Zeit denn was Anderes wäre ein halbes oder ganzes Dußend von Jahrhunderten an der Ewigkeitsuhr? — war den schönen Göttergestalten von Hellas des Zweifels Blässe angekränkelt, weil denkenden Griechen jenes furchtbare, rastlos wiederfehrende Warum und Wozu? in die Seele sich bohrte. Ausbarst dann die antike Welt, satt ihrer Götter und ihrer selbst, in eine Verzweiflungsorgie, bis der uralte Weltschmerz in Gestalt des Christenthums über das wüste Gewühle sein Bahrtuch der Weltverleugnung warf. Im Schweiße ihres Angesichts ringt seitdem die Menschheit, sich wieder darunter hervorzuarbeiten, aber das ewige Warum und Wozu? läßt sie nicht dazu kommen. Glücklich die gedankenlose Menge, welche, über die Oberfläche des Daseins hinstreichend, von den Thieren nur dadurch sich unterscheidet, daß sie es auf zwei statt auf vier Beinen thut. Glücklich auch die Menschen mit leichten Korffeelen, welche die an ihrem Wege blühenden Blumen pflücken, ohne je

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