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Fünftes Kapitel.

Frankfurt.

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Unter dem überflüssigen Gepäck überlieferter, Erbweisheit“, d. h. Erzdummheit, womit die Menschheit sich schleppt, befindet sich auch ein Bündel nichtsnußiger Sprüchwörter und unter diesen das berühmte von der goldenen Brücke, welche man einem geschlagenen Feinde bauen müsse. Pietätslose Menschen, welche ältesten Unsinn für gerade so unsinnig halten wie jüngsten, können in diesem berühmten Sprüchwort nur den Sinn finden: Schlage den Feind; aber dann lasse den Geschlagenen entrinnen, damit du genöthigt seiest, jenseits der goldenen Brücke" dich abermals mit ihm zu schlagen. Der Empereur founte froh sein, daß man nach seiner leipziger Niederlage dieses Stück Erbweisheit zu seinen Gunsten praktizirte. Daß es von östreichischer Seite von vornherein absichtlich geschehen, ist unerwiesen und jedenfalls darf dem Generaliffimus Schwarzenberg keine weitere Schuld beigemessen werden als diese, daß er im ersten Siegesjubel nicht Geistesgegenwart genug besaß, um sofort und mit aller Macht die Verfolgung des geschlagenen Feindes betreiben zu lassen und daß er den notorisch unfähigen und schwachmattischen Gyulai damit betraut hatte, den fliehenden Franzosen bei Naumburg zuvorzukommen und mittelst Besegung des Passes von Kösen ihnen den Rückzug abzuschneiden. Natürlich famaschirte der

Herr General in Pegau und anderwärts gemächlich herum, so daß Bertrand mit seinem Korps glücklich vor ihm an der Saale eintraf und den Paß ungefährdet passirte. Aber auch York, welchen Blücher, wie wir sahen, schon am Abend des 18. Okto bers auf die Rückzugslinie des Feindes entsandt hatte, vermochte beim besten Willen doch nur seinen Vortrab, nicht aber seinen Gewalthaufen zeitig genug an den Rand des Unstrutkessels bei Freiburg zu bringen und mit dieser Streitmacht war er nicht im Stande, dem Empereur daselbst den Weg zu verlegen.

Der Hauptfehler war übrigens von Seiten des großen Hauptquartiers der Verbündeten schon am 18. gemacht worden und zwar dadurch, daß nicht eine ausreichende Streitmacht auf die Westseite von Leipzig gebracht wurde, sobald kein Zweifel mehr sein konnte, daß Napoleon den Rückzug antreten müßte und würde. Freilich mußte man sich, so man dem Empereur den Rückweg schlechterdings sperren wollte, über das Bedenken wegsehen, die Stadt der Zerstörung preiszugeben: denn selbstverständlich würde der Feind, falls ihm der Abzug verwehrt gewesen, in Leipzig sich zu halten versucht haben, so lange noch ein Haus stand 85). Es mag daher in Liebe angenommen werden, daß zunächst Menschlichkeit die mehrerwähnte goldene Brücke bauen ließ øder bauen half. Nachdem der erste Siegesjubel vorbei, kamen dann allerdings noch andere Motive hinzu, — metternichige. Denn die östreichische Politik war mit dem blücher-gneisenaustein'schen Programm, mit der deutschpatriotischen Losung: Vorwärts nach Paris und nieder mit dem Napoleon und mit dem Napoleonismus! keineswegs einverstanden und es lassen sich Einwirkungen dieser Politik schon aus den Anordnungen zum Verfolgungsmarsch der verbündeten Streitkräfte aus Sachsen bis zum Rhein deutlich genug herausfühlen. Wurden doch diese Marschordnung und folgerichtig auch die Wirkungen derselben außerdem durch ganz läppische zwischen den, erhabenen " Monarchen und ihren Umgebungen im Schwange gehende EifersüchScherr, Blücher. III.

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teleien und Nörgeleien gestört, wie z. B. durch den kindischen Wetteifer zwischen dem Czaren und dem Kaiser Franz, welcher von Beiden zuerst in Frankfurt einziehen könnte, was der Erstere dann am 5. November glücklich zuwegebrachte.

Am 19. Oktober war in Leipzig die allgemeine Bestimmung getroffen worden, daß die blücher'sche Armee rechts, die schwarzenbergische links abmarschiren und die bernadotte'sche durch die Stadt gehen sollte, um den Feind zu verfolgen. Hätte die erste Verwirrung desselben benügt werden können, er würde einer vollständigen Vernichtung kaum entgangen sein. Der Rückzug war anfänglich eine ganz ordnungslose Flucht. Nur die Kaisergarde bewährte ihre Haltung, während von den übrigen Truppen alle Waffengattungen in buntem Gemische sich fortschleppten, rechts und links Spuren eines Rückzugs hinterlassend, welcher vielfach dem vorjährigen aus Rußland glich. Blieben ja, von Hunger und Strapazen bis zum Tode erschöpft, Hunderte von Elenden beim Abmarsch ihrer noch marschfähigen Kameraden in den Bivouafs zurück und schleppten sich beim Anzuge der Verbündeten an die Landstraßen, um knieend zu flehen: „Pour l'amour de dieu faites nous prisonniers!" weil sie hofften, als Gefangene ein Stück Brot zu erhalten. Der Empereur, welcher in Markranstädt übernachtet hatte, überschritt am 20. Oktober zu Fuße, stumm und nachdenkend" das Schlachtfeld von Lüzen. Die Herren seines Generalstabs und Hofstaats folgten ihm niedergeschlagen, ihre Pferde am Zügel führend, und Einer brach seufzend in die Worte aus:,,Voyez cet homme! Voilà de la même manière qu'il est sorti de la Russie." Am Nachmittag war er zu Weißenfels und verbrachte die Zeit bis zum folgenden Morgen in einem Weinberghäuschen auf den Höhen hinter der Stadt. Von dort herab sah er die Scharen seiner ermatteten Soldaten in möglichster Eile regellos vorüberziehen, während von Mücheln und Kösen herüberdröhnender Geschüßdonner verrieth, daß die Verfolger sich aufgemacht hätten.

Er

war an diesem Tage, ganz vorzüglich herabgestimmt“ und blickte schweigsam in das Fluchtgewühl. Als jedoch ein noch leidlich zusammenhaltendes Bataillon mit einem,,Vive l'empereur!" an ihm vorüberzog, richtete er den Kopf auf und sagte laut zu seiner Umgebung:,,Nous ne sommes pas encore à bout, nous reviendrons" 86),

Vorderhand handelte es sich nicht um's Wiederkommen, sondern um's Entkommen. Blücher that das Möglichste, dem Feind auf den Fersen zu bleiben. Am 20. Oktober war der Alte Abends in Lügen und brach am folgenden Morgen gen Weißenfels auf. Auf dem Marsche dahin holte ihn der Prinz Wilhelm von Preußen ein und überbrachte ihm ein Handschreiben Friedrich Wilhelms, kraft dessen der General zum Feldmarschall ernannt wurde. Sehr anerkennend schrieb der König: „Durch wiederholteSiege mehren Sie JhreVerdienste um den Staat schneller, als ich mit den Beweisen meiner Dankbarkeit Ihnen zu folgen vermag." Von Seiten des östreichischen Kaisers fam für den neuen Feldmarschall in diesen Tagen das Maria-Theresia-Großfreuz, vom Czaren, weil der Alte die höchsten russischen Orden schon hatte, ein kostbarer Ehrendegen. Doch ist es wohl kaum ziemlich bei einem Mann, wie der Blücher war, von derartigem Kram und Trödel zu reden. Eine höhere und höchste Ehre dagegen war es für ihn, daß ihn die „alten Moskowiter" unter seinem Kommando mit Suworow verglichen, als mit ihrem Feldherrnideal, und ihm den Titel „ Marschall Pascholl" beilegten. In der That, der weltgeschichtliche Blüchername „ Vorwärts “ ist ein Produkt russisch - soldatischer Bewunderung und dieses moskowitische Geschenk konnte sich Deutschland schon gefallen lassen. Die Kosaken mythologisirten den deutschen Helden in ihrer Weise. Er ist, sagten sie, eigentlich ein Kosak und am Don geboren, aber durch absonderliche Fügungen jung aus seinem Heimatlande nach Preußen versezt worden 87).

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Die fliehenden Franzosen brannten die Saale- und Unstrut

brücken hinter sich ab und hielten dadurch die Verfolgung etwas auf. Im Morgengrauen des 23. Oktobers gelangte Napoleon nach Erfurt, in und bei welcher Stadt er wieder Sammlung und Haltung in seine Heertrümmer bringen wollte. Es gelang ihm dies freilich mit so wenigen Korps, daß er ingrimmig ausrief: Aber das sind ja lauter Kanaillen! Sie laufen zum Teufel. Auf diese Weise verlier' ich bis zum Rhein 80,000 Mann." Doch suchte er sich selbst und Andere sofort mit den Worten zu trösten: „Bis zum Monat Mai des nächsten Jahres werde ich eine Streitmacht von 250,000 Mann am Rhein beisammen haben "88). Er war demnach zu Erfurt überzeugt, daß man ihn den Winter über unbehelligt seine Vorberei tungen treffen lassen würde, um dann im Frühjahr das alte Spiel auf's Neue beginnen zu können. Die nächste Zeit schien wirklich diese Ueberzeugung des Unverbesserlichen rechtfertigen zu wollen. Denn es begann in dem großen Hauptquartier der Verbündeten bedenklich zu metternichen und die Verfolgung fing also zu stocken an, daß die Napoleonhasser nothwendig argwöhnen mußten, man wolle den Zwingherrn keineswegs stürzen und vernichten, sondern sei bereit, einen faulen Frieden mit ihm einzugehen. Dieser Argwohn sollte sich sehr bald völlig erwahren. Einstweilen sammelte Schwarzenberg am 25. Oktober die Hauptarmee bei Weimar — wo es hoch herging mit Festen in der Meinung, Napoleon werde bei Erfurt noch eine Schlacht versuchen. Allein der Empereur brach an demselben Tage von Erfurt eilends nach dem Rhein auf und nun erhielt Blücher, welcher der rastloseste Verfolger gewesen war und weiterhin gewesen sein würde er stand am 25. in Langensalza — die wunderliche Weisung, von dem Feind abzulassen, welchem er auf dem Nacken saß, und nach Gießen und Wezlar zu marschiren, maßen man in Erfahrung gebracht habe, Napoleon werde statt auf Hanau und Frankfurt nach der Wetterau gehen. So kam es, daß das blücher’sche Heer so zu sagen nebenaus gescho

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