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9) F. v. Martens (Völkerrecht I, § 43), welcher auch die Regeln der Etiquette als Rechtssitten aufgefaßt sehen will. S. darüber oben § 19. S 69. Daß zwischen der hösischen Etiquette und den Völkerrechtsgewohnheiten kein Unterschied im Festigkeitsgrade obwaltet, kann zugegeben werden. Es ist sogar möglich, daß die Vorschrift der Etiquette von Fürsten und Diplomaten mit peinlicher Sorgfalt auch dann geachtet wird, wenn sie vom Völkerrecht eine geringe Meinung haben.

§ 26.

Die Staatsverträge als Völkerrechtsquellen. Literatur: E. Meier, Der Abschluß von Staatsverträgen. Leipzig 1874. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge. Wien 1880. Ph. 3orn, Staatsrecht des Deutschen Reichs. Bd. II, S. 419. — Heffter, Völkerrecht §§ 81-99. Bluntschli, Völkerrecht. §§ 402-461.

Die von den Staaten als Völkerrechtssubjecten ausgehenden Vereinbarun= gen oder Vertragsschlüsse sind juristisch unter einem zwiefachen Gesichtspunkt zu würdigen.

Sie erscheinen einmal als internationales Rechtsgeschäft mit einseitiger oder wechselseitiger Verpflichtung und setzen dann zu ihrer Beurtheilung im einzelnen Fall und ihrer Geltendmachung die Entwickelung der auf die Staatensubjecte, ihre Handlungsfähigkeit und Willensbethätigung bezüg= lichen Lehren voraus, so daß erst an einer andern Stelle der materielle Inhalt und die Gültigkeit solcher Staatsverträge erörtert werden kann. Sodann haben aber auch die Staatsverträge außerdem noch die Eigenschaft Quelle des internationalen Rechtes zu sein. Insofern dies der Fall ist, muß von ihnen einleitend gehandelt werden, ehe die Erörterung der Rechtsverhältnisse im Einzelnen begonnen werden kann.

Die Gränzlinie zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen ist vom Standpunkt der Systematik nicht leicht zu ziehen. Man hat sich zuvor die Verschiedenheit zwischen den Grundsäßen des Privatrechts und denjenigen des öffentlichen Rechts zu vergegenwärtigen, gleichzeitig aber auch zu bedenken, daß nicht nur im Völkerrecht, sondern auch im Staatsrecht Verträge die Eigenschaft einer objectiv Recht sehenden Quelle haben. Denn aus den Bündnißverträgen, die zur Herstellung von unlösbar conföderirten Staatsrechtsgebilden zusammengesetter Art führen, ist nicht blos das jeweilige Rechtsverhält. niß der Contrahenten, sondern außerdem auch der objective Inhalt staatsrechtlicher Normen zu entwickeln. Das Eigenthümliche solcher unter den Quellen des Staatsrechts und Völkerrechts zu würdigenden Vertragsschlüsse liegt darin, daß die Contrahenten dabei nicht nur wie contrahirende Privatpersonen frei für sich selbst disponiren, sondern auch gleichzeitig Geseze geben und für ihre souveränen Willensäußerungen die Form des Vertrages wählen können.

Handbuch des Böllerrechts L.

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Vertragsschlüsse des öffentlichen Rechts können somit, abgesehen von der Selbstbeschränkung der Contrahenten durch Uebernahme bestimmter Verpflichtun gen, auch andere Personen (Unterthanen und Behörden) dauernd zu bestimm ten Handlungen oder Unterlassungen verpflichten.

Indem souveräne Staaten mit ihres Gleichen in der Absicht der Recht: sehung contrahiren, wollen sie eine Norm schaffen, die den nächsten Anlaß einzelner Rechtgeschäfte überdauert. Jeder Staat erzeugt alsdann in Beziehung auf sein eigenes Verhalten gegenüber dem Auslande eine bleibende Rechtspflicht, deren verbindliche Kraft den verfassungsrechtlich anerkannten Pflichten der nach Innen wirkenden Staatsgewalt grundsäßlich völlig gleichsteht. Andererseits wird auch der Mitcontrahent in Beziehung auf sich selbst unmittelbar einer identisch von ihm gewollten Rechtsnorm unterworfen. Beide Contrahenten gestehen sich wechselseitig die Anwendung derjenigen Mittel zu, welche den Rechtsbruch verhüten oder rückgängig machen können. Jeder der= artige Vertrag folgt daher neben seinem ausdrücklich erklärten Inhalt einer aus dem allgemein und folglich auch von den Contrahenten anerkannten, zur Zeit seiner Entstehung gegebenen Völkerrechtszustande zu entnehmenden Norm. Damit Staatsverträge die Bedeutung einer objectiv Recht erzeugen den Quelle haben können, ist zweierlei erforderlich1):

Vorauszusetzen ist: 1. daß die gewohnheitsrechtlichen Bestandtheile des auswärtigen Staatenverkehrs hinreichend erstarkt sind, um die Verpflichtung zur gewissenhaften Erfüllung vertragsmäßig übernommener Leistungen als regelmäßige und völlig selbstverständliche Rechtsfolge des gegebenen Verkehrszustandes überall annehmen und Vertragsschließungen mit den Mitteln gegenseitiger Täuschung als widerrechtlich verwerfen zu können; 2. daß die Contrahenten nicht darauf ausgehen, eine blos für den einzelnen, gerade vorliegenden Fall ausreichende, also vorübergehende Zweckmäßigkeitsmaßregel zu schaffen, sondern vielmehr darauf Bedacht nehmen, eine nach ihrer Auffassung dauernde, allgemeiner Anwendung fähige Norm des genossenschaftlichen Lebens der Nationen herzustellen.

Mit Rücksicht auf jene erste Bedingung wird anzuerkennen sein, daß sie zur Zeit nur innerhalb der Gemeinschaft Europäischer Culturvölker besteht. Denn wenn auch bei barbarischen Nationen eine gewisse Scheu vor Vertragsverlegungen vorzukommen pflegt, so bezieht sich die Achtung der Verträge im Allgemeinen doch nicht auf international feindliche Verhältnisse. The daher mit solchen barbarischen Nationen in wirksamer Weise durch Rechtsgeschäfte irgend etwas stipulirt werden kann, scheint es zweckmäßig oder sogar nothwendig, einen Freundschaftsvertrag vorangehen zu lassen, um zu beurkunden, daß Fremde einer bestimmten Art oder niedergelassene Fremde ohne Staatsangehörigkeit nicht als Feinde angesehen werden sollen, damit der bei Barbaren oder halbcivilisirten Völkern verbreitete Wahn abgeschnitten werde, als sei man bei ausbrechenden Mißhelligkeiten nicht gehalten Ausländern Treue und Glauben zu bewähren.

Mit Rücksicht auf Absicht und Wirkung Völkerrecht erzeugender Verträge sind weiterhin zwei Möglichkeiten zu sehen. Entweder besteht die beabsichtigt gewesene Wirkung darin, daß eine im Verlaufe der Zeit schwankend oder unsicher gewordene Gewohnheit befestigt und sicher gestellt wird, in welchem Falle Staatsverträge als eine Form unwiderruflicher Anerkennung aufgefaßt werden können und von ihrem Anschluß an vorangegangene ältere Rechtszustände nicht losgelöst werden dürfen. Oder die Absicht der Contrahenten geht dahin, eine Beispiel gebende Macht für die Anwendbarkeit einer vom modernen Verkehr geforderten neuen Rechtsregel zu constituiren und eine veraltete Staatspraxis zu beseitigen (Abschaffung des Sclavenhandels, der Kaperei, der Wegnahme neutralen Eigenthums im Seekriege).

Bedingt die Verwirklichung solcher auf das allgemeine Verkehrsleben der Nationen gerichteten Absichten eine von den Contrahenten stipu= lirte Beschränkung ihrer eigenen Unumschränktheit im Handeln, so kann darin gleichsam ein Präliminarvertrag zur Anbahnung eines Völkerrechtszustandes gefunden werden, in Beziehung auf dessen weitere Ausführung innerhalb der Völkerrechtsgenossenschaft sich die Contrahenten des Widerspruchs im Voraus begeben haben.

Allen (internationalen) Staatsverträgen gemeinsam ist das Erforderniß einer bei den Contrahenten obwaltenden Absicht, sich rechtlich dem Auslande gegenüber zu binden. Darauf ist deswegen zu achten, weil nicht jede Verabredung eines gemeinschaftlichen Handelns als Staatsvertrag angesehen werden kann. Verständigungen in Beziehung auf die Festsetzungen von Eisenbahnfahrplänen, oder von Truppendislocationen im Innern eines Staates können unter Umständen als administrative Maßnahmen angesehen werden, bei denen nichts anderes beabsichtigt zu sein braucht, als thunlichste Berücksich. tigung ausländischer Interessen unter dem Vorbehalt völlig freien Handelns für jede Partei.

Auch die Vorverhandlungen der Contrahenten dürfen daher nicht zu den Rechtsquellen gezählt werden. 2)

1) Daß den Staatsverträgen die Eigenschaft einer Rechtsquelle bestritten wurde, hängt mit der Leugnung der Positivität des Völkerrechts zusammen.

Ph. Zorn, a. a. D. S. 422: „Der Staatsvertrag als solcher reicht somit nicht bis in die Sphäre des Rechts hinein, sondern ist nur ein Bestandtheil des Moralgebietes und führt zu Unrecht die juristische Bezeichnung Vertrag."

Andererseits sagt aber derselbe Autor (S. 419): „Für das äußere Staatsrecht, das ist die Lehre von den internationalen Rechtsverhältnissen des Staates, bilden die hauptsächlichste Quelle die Staatsverträge." Da ein Gesetzgebungsact wiederum nur Erzwingbarkeit gegenüber den Unterthanen der stipulirenden Staaten zu schaffen vermag, nicht gegenüber den stipulirenden Staatsgewalten und deren Mitcontrahenten, so würde es ja auch keine internationalen Rechtsverhältnisse geben können.

2) Theils zu eng, theils zu weit gefaßt ist die Vertragsdefinition von Martens (Völkerrecht § 43): „Jede Art mehrseitiger durch die Staaten eingegangener Verpflichtungen, sei es, daß sie in der Form von Traktaten, sei es, daß sie als Noten, Deklarationen u s. w. erscheinen.“

§ 27.

Formen und Arten der Staatsverträge.

Literatur: Grotius, De J. B. ac P. II, 15, 5.
II, 2, § 153.

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Heffter, Völkerrecht § 89.

Bluntschli, Völkerrecht

§ 442. Martens (Bergbohm) Völkerrecht I, § 113. v. Neumann, Grundriß des heutigen Europäischen Völkerrechts (3. Aufl.). 1885. S. 30 ff. Wharton, Commentaries on Law § 157.

Da das Völkerrecht keinerlei objectiv festgestellte, nothwendige Formvorschriften kennt, von denen die Gültigkeit der Staatsverträge abhängig zu machen ist und für jeden einzelnen Fall von den Contrahenten diejenigen Formvorschriften erst zu vereinbaren sind, deren man sich aus Zweckmäßigkeitsgründen zu bedienen gedenkt, so besteht kein Bedürfniß auf die Analogie des Civilrechts bei der Aufstellung bestimmter Vertragskategorien zurückzugehen, oder gar Formalcontracte von Consensualcontrakten zu unterscheiden. In allen Rechtsgeschäften des internationalen Staatenverkehrs wird der Consensus vertragschließender Parteien auch hinsichtlich der Form immer den Ausschlag geben.

Hält man dagegen daran fest, daß Staatsverträge je nach der Natur der Verhältnisse, sowohl als Rechtsgeschäfte, wie auch als international wirkende Rechtsquellen angesehen werden können, so werden sich daraus immerhin auch gewisse Schlußfolgerungen in Beziehung auf Formen, Wirkungen und Arten des Vertragsschlusses gewinnen lassen.

Verträge, welche nach der Absicht der Vertragschließenden die Eigenschaft einer Rechtsquelle haben sollen, können begriffsmäßig nicht heimlich abge= schlossen werden. Heimlichkeit ist eine für objective dauernde Normen des Handelns undenkbare Vorstellung. Die dem Vertragsschluß vorausgehenden Verhandlungen mögen bis zu ihrer Verhandlung geheim gehalten werden. Die Stipulation, daß ein fertiger Vertrag geheim bleibe, wäre dagegen der sicherste Beweis, daß es zwischen den Contrahenten sich um nichts anderes gehandelt haben könne, als um ein in zeitlicher, räumlicher oder modaler Hinsicht beschränktes Rechtsgeschäft, niemals um eine dauernde, bleibende, allgemeine Rechtsnorm. Aus denselben Erwägungen würde sich auch ergeben, daß jeder in der Form und im Inhalt durch zukünftige Umstände bedingte Vertrag niemals als Rechtsquelle aufgefaßt werden kann. Denn objectives Recht kann nur in seiner speziellen Anwendbarkeit auf einzelne Fälle durch das Vorhan

densein irgend eines bestimmten Thatbestandes, dagegen niemals hinsichtlich seiner Geltung überhaupt an Bedingungen geknüpft sein.

Daß mündliche Verträge im auswärtigen Verkehr verbindliche Kraft haben können, ist nirgends bestritten worden. Dagegen erscheint es durchaus angemessen, ihnen die Kraft einer Völkerrechtsquelle abzusprechen. Das für Staatenbeziehungen normative und dauernde Recht, das dem Zwecke der allgemeinen Erkennbarkeit genügen soll, kann niemals auf das Zeugniß und die Aussagen einiger Personen von beschränkter Lebensdauer gestellt sein.

Somit ist der Grundsatz anzuerkennen, daß geheimen, bedingten oder mündlichen Verträgen die Eigenschaft einer Völkerrechtsquelle durchaus abgesprochen werden muß.

Was dagegen die ohne solche Clauseln der Heimlichkeit und Bedingtheit abgeschlossenen, schriftlich beurkundeten Verträge anbelangt, so zeigen die älteren Eintheilungsweisen in der Lehre des Staatsvertragsrechts, daß man das Bedürfniß der Unterscheidung in Rücksicht größerer oder geringerer Wichtigkeit der Vertragsarten zwar fühlte, den Gesichtspunkt der Sonderung von Rechtsquellen und Rechtsgeschäften dagegen nicht klar ins Auge gefaßt hatte.

Die älteren Eintheilungen stüßen sich auf verschiedene Erwägungen. Zu unterscheiden sind:

I. Eintheilungen mit Rücksicht auf den Inhalt der Vertragsstipulationen und des Vertragsinstruments.

Grotius wollte beachtet wissen, ob natürliches (grundsäßlich bereits an= erkanntes) Recht durch die Contrahenten declarirt oder ein positiv neues neben den naturrechtlichen Staatenbeziehungen geschaffen werde. Dieser Zweitheilung näherte sich Heffter insofern, als er jene erste Rubrik in der Hauptsache durch seine Aufstellung von regulatorischen Verträgen ", die zweite durch constitutive Verträge" wiedergiebt und dann, in logisch nicht befriedigender Weise, eine dritte Abtheilung, diejenige der Gesellschaftsver= träge", hinzufügt.

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Diesen Gesellschaftsverträgen", wodurch gemeinsame Ordnung rechtlicher oder wirthschaftlicher Interessen bezweckt wird, giebt F. v. Martens die Titulatur als sociale Staatsverträge", um ihnen dann sog. politische (z. B. Gränzverträge) gegenüberzustellen, obwohl gerade in neue= ster Zeit wiederum die Sozialpolitik" auf einen unlöslichen Zusammenhang solcher Zwedbestimmungen hindeutet.

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Für die juristische Behandlung lassen sich auf diesem Wege schwerlich brauchbare Nuzanwendungen ziehen.

II. Eintheilungen mit Rücksicht auf die staatsrechtliche Stellung der Contrahenten.

In dieser Richtung empfiehlt Bluntschli, übrigens ohne innere sachliche Nöthigung, zwischen Verträgen zu unterscheiden, welche entweder direct zwischen mehreren Staaten oder zwischen untergeordneten Staatsgliedern und Aemtern abgeschlossen wurden. Da alle bei internationalen Vertragsabschlüssen

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