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sehen waren, oder mit Nothwendigkeit im Wege der Schlußfolgerung daraus abgeleitet werden müssen.

Durch Anerkennung geschaffen sind somit alle diejenigen Normen, deren Vorhandensein sich in der Unzulässigkeit einer sie negirenden Zuwiderhandlung dem allgemeinen Rechtsbewußtsein der Nationen einprägt.

Jeder Staat, der andere Staaten neben sich als berechtigte Mitglieder innerhalb auswärtiger Verkehrsgemeinschaft anerkennt oder behandelt und rechtlich auch seinerseits anerkannt oder behandelt sein will, setzt sich damit auch alle jene dauernden und unabänderlichen Regeln als Richtschnur seines Handelns, ohne deren Innehaltung ein rechtlicher Bestand der Staatengenossenschaft unmöglich sein würde. Wie vielen und welchen Staaten gegenüber das Anerkenntniß solcher für den Verkehr normgebender Vorschriften ursprünglich abgegeben wurde, ist an sich völlig gleichgiltig.

Einmal bethätigt, wirkt ein solches Anerkenntniß in Beziehung auf alle nothwendig daraus herzuleitenden Consequenzen so lange fort, als der Staat selber forts besteht. Er fönnte sich von den im Verlaufe der Geschichte unabänderlich eintretenden Consequenzen desselben nur dann freimachen, wenn er im Stande und gewillt wäre, aus der Verkehrsgemeinschaft wiederum auszuscheiden oder sich von anderen zu isoliren.

Denkbar ist freilich, daß einzelne bestimmte Regeln des Allgemeinen Völkerrechts ausnahmsweise deswegen in gewissen Staaten nicht wirksam werden, weil die vorausgesetzten Verkehrsverhältnisse zwingender Art in ihnen nicht eintreten. Binnenstaaten, die wie die Schweiz oder Serbien vom Meere abgeschlossen sind, brauchen die Regeln des Seerechts nicht in den Bereich ihrer eigenen Rechtsordnung aufzunehmen. Man kann ihnen die Absicht beimessen, diese ihnen räumlich unzugänglichen oder fernliegenden Angelegenheiten, als außerhalb ihres rechtlichen Wollens gelegen, völlig unbeachtet zu lassen. Troßdem würde die Gesammtheit der von den feefahrenden Nationen anerkannten Regeln als ein Theil des allgemeinen Völkerrechts anzusehen sein.

Somit ist es richtig, wenn man gesagt hat, Einstimmigkeit in der Zustimmung der Nationen sei nicht erforderlich, um einer Völkerrechtsregel den Charakter der Allgemeinheit zu verschaffen.

Stellt man sich dagegen vor, daß ein solcher vom Meere lange Zeit hindurch abgeschlossen gewesener Binnenstaat durch Eroberung oder Länderzuwachs oder natürliche Veränderungen auf der Erdoberfläche an die Küste vorrückt, so würde, internationale Anerkennung des territorialen Zuwachses vorausge fest, auch ohne weitere Zustimmungserklärung des Erobernden das durch den Gang der Jahrhunderte entwickelte Seeverkehrsrecht als ein auch ihn bindendes erachtet werden müssen, sobald dieser ehemals auf den Binnenverkehr beschränkt gewesene Staat in den Seeverkehr thatsächlich eintritt und sich um die Anerkennung seiner räumlich veränderten Rechtspersönlichkeit bewarb.

Das Prinzip, wodurch der thatsächlichen Macht weltgeschichtlich befestigter Gemeinschaftszustände der Nationen die Anerkennung jedes einzelnen Staates noth

wendig erwirkt wird, ist kein anderes, als die unbestreitbar vorhandene Einsicht aller Culturstaaten, daß ihre eigene Macht durchaus unzulänglich sein würde, um sich im Zustande willkürlicher Isolirung oder mit den Mitteln rein moralischer Ideengemeinschaft selbständig zu behaupten.

Fragt man also: Aus welchen Thatsachen die Anerkennung irgend welcher völkerrechtlicher Verkehrsnorm als einer aus dem Genossenschaftsverhältniß der Staaten abzuleitenden, jeden einzelnen Staat verpflichtenden Rechtsregel gefolgert werden müsse, so könnte darauf zunächst erwidert werden: Keines theoretisch geführten Nachweises bedarf dasjenige, was von Niemandem in der Rechtspraxis bestritten wird.

Der Beweis für das grundsäßliche Vorhandensein völkerrechtlicher Normen ist von keiner Staatsregierung versucht worden, weil er nirgends verlangt wird und es nicht Sache der Praxis sein kann, philosophische Vorfragen des menschlichen Erkenntnißvermögens zum Gegenstande internationaler Erörterung zu machen.

Nur von der abstracten Speculation und von Seiten solcher, deren Rechtsbegriffe sich durchaus nach dem Vorbilde der Privatrechtsgesetzgebung formirt haben, kann die in der lebendigen Praxis civilisirter Staaten wurzelnde Anerkennung eines sie verpflichtenden, und sie rechtlich beherrschenden, weil nothwendigen Gemeinschaftszustandes bezweifelt werden.

Anerkennung als Quelle des Völkerrechts darf also nicht so aufgefaßt werden, als sollten etwa darin sämmtliche aus ihr hervorgehende Schlußfolge= rungen für den einzelnen Fall in bewußter Weise vorher inbegriffen sein. Anerkennende Staaten brauchen bei Bemessung ihrer Rechte und Pflichten nicht weiter zu gehen, als moderne Gesetzgeber, die, auf casuistische Vollständigkeit ihrer Bestimmung verzichtend, sich darauf beschränken, den Rechtsgrundfaz festzustellen, dessen logisch nothwendige und der allgemeinen Absicht des Gesetzgebers entsprechende Consequenzen unausgesprochen bleiben, aber überall vom Gesetzgeber selbst so lange mitgewollt werden, als nicht Ausnahmebestim= mungen gleichzeitig oder nachträglich getroffen werden.

Der historische Beweis für die Völkerrecht erzeugende Macht der Anerkennung liegt bereits in den Fundamenten der internationalen Privatrechtspraxis gegeben. Indem die Gerichtsgewalten jedes civilifirten Staates einerseits die Selbständigkeit ihrer eigenen Competenz dem Auslande gegen= über wahren, andrerseits aber auch das persönliche und besondere Recht des Fremden würdigen, indem sie die civile oder Strafe drohende Rechtsordnung des Auslandes innerhalb bestimmter gegenständlicher und räumlicher Gränzen wechselseitig anerkennen, vollzieht sich auch das Anerkenntniß eines über die Gebietsschranken des einzelnen Staates hinausreichenden allgemein menschlichen Rechtszweckes und der zu seiner Verwirklichung nothwendigen Selbständigkeit in der Verpflichtung und Berechtigung jedes einzelnen Staates, mit welchen beiden Bedingungen die Recht seßende Macht der internationalen Gemeinschaftszustände gegeben ist. Jede der modernen Strafgefeßgebungen er

kennt die Rechtspersönlichkeit anderer Staaten und die Strafbarkeit gewisser gegen das Prinzip des internationalen Rechtverkehrs verstoßender Angriffe an. Auch hierdurch wird die Behauptung, daß die internationalen Beziehungen der Staaten nur auf sittlicher Vorschrift beruhen, vollkommen widerlegt.

Auf die Beweggründe der einzelnen Staaten, die zur Anerkennung der Recht seßenden Gemeinschaftszustände hinleiten, kann nichts ankommen. Nothwendigkeit, Nüglichkeit, politische Berechnung, religiöser Glaube, Irrthum oder Furcht stehen als Motive einander hinsichtlich des von ihnen bewirkten Resultates völlig gleich. Wie die Völker in ihrem inneren Staatsleben nur dasjenige als dauernd anerkennen, was ihnen nothwendig erscheint oder was sie als zuständlich unabänderlich vorfinden und sich dem wirklich oder vermeintlich Nothwendigen fügen, so bewirkt auch die Anerkennung einer als rechtskräftige Thatsache der Geschichte genommenen Gemeinschaft einen völkerpsychologisch erkennbaren Zustand des Unterworfenseins für jede Nation, der durch gelegentliche oder vorübergehende Störungen in Kriegsfällen ebenso wenig beseitigt wird, wie der Prozeß des Lebens durch vorübergehende Störungen der Ernährung oder Athmung im menschlichen Leibe aufgehoben wird.

Ihrer Form nach kann die Rechtsquelle der Anerkennung stillschweigend in den Thatsachen des auswärtigen Verkehrs sich offenbaren, oder auch in ausdrücklichen Erklärungen, wie denjenigen des Aachener Congresses vom Jahre 18182) und des Berliner Traktates von 18783) bestätigt werden. Jeder Anspruch eines Staates, von seines Gleichen als Rechtswesen geachtet zu werden, sezt bereits eine darin nur wiederholte Anerkennung einer Norm geben= den Gemeinschaftsmacht deswegen voraus, weil jeder Staat sich außer Stande weiß, von seiner Seite die auswärtigen Beziehungen einseitig und ausschließlich zu regeln.

Was von uns als Anerkenntniß einer den Völkerverkehr beherrschenden, thatsächlich bestehenden und Recht erzeugenden Macht der Gemeinschaft aufgefaßt wird, führt vielfach auch die Bezeichnung als communis consensus) oder auch , übereinstimmendes Rechtsbewußtsein". Gegen diesen Ausdruck ist, wenn er überall richtig verstanden wird, nichts einzuwenden. Aber er kann leicht den Irrthum veranlassen, als handelte es sich bei dem consensus um ein stillschweigend unter den Nationen vereinbartes Vertragsverhältniß oder um eine Vertragstheorie, ähnlich derjenigen, mit welcher man ehemals die Staatsgewalt auf präsumirten Consensus der einzelnen Bürger zu stüßen suchte. Dieser Irrthum könnte in Beziehung auf einzelne Rechtsfäße, wenn sie streitig werden, zu völlig fehlerhaften Schlußfolgerungen führen. Es war nicht der Consensus der Nationen, der den internationalen Machtzustand der Gemeinschaft geschaffen hat.

Vielmehr schließt schon der erste Act des Eintretens in einen als beherrschend anerkannten Zustand des Verkehrs für neu eintretende Staaten auch die Unterwerfung unte: alle nothwendig daraus abzuleitenden Folgen in sich, ohne daß nach einem vermutheten Consensus im einzelnen Falle zu fragen wäre.

Es verhält sich mit dem Zustande der Völkerrechtsgemeinschaft ähnlich wie mit dem altrömischen, von der Rechtssitte anerkannten, durch Zusammenleben der Gatten, ohne Hinzutreten äußerlicher Formalitäten geschaffenen Ehebündniß, womit bestimmte, im Wesen der Ehe liegende Verpflichtungen der Ehegatten gegen einander verbunden sein mußten, ohne daß ein besonderer Consensus in Beziehung auf Einzelheiten erforderlich gewesen wäre.

Es ist nicht ein erst zu begründender, sondern ein bereits thatsächlich gegebener Zustand in den Verkehrsbeziehungen der Nationen, auf welchen sich die nachträgliche Anerkennung als einen Recht und Pflicht erzeu= genden und bedingenden richtet. Aus diesem Grunde verdient das Wort An= erkennung den Vorzug vor anderen Bezeichnungen.

1) Bierling (a. a. D.) S. 83 ist der Ansicht, daß die Norm, die ich als Behauptung, Fortseßung und Erhaltung einer thatsächlich bereits bestehenden Gemeinschaft auffafse, als das primäre, also Schaffende anzusehen sei. Er sagt: „Nicht die Lebensgemeinschaft ist das ursprünglich Gegebene, aus deren Anschauung und nach deren Charakter sich dann die Normen des gemeinschaftlichen Lebens entwickeln, sons dern die Normen sind es, die jeder Lebensgemeinschaft, gleichwie sie deren Existenz bedingen, so ihr auch den speziellen Charakter geben u s. w. —“

Im übrigen würde diese Streitfrage ungefähr so viel bedeuten, wie die Disputation darüber, ob die Eichel oder der Eichbaum früher erschaffen wurde. Die Römer nahmen ihrerseits das Vorhandensein eines Thatbestandes in der Gesellschaft als das primäre an, worauf sich dann hinterher die Anerkennung richtete.

S. 1. 51 de extraord cogn. 50, 13: dignitatis illaesae status, legibus ac moribus comprobatus.

Auch der Völkerrechtszustand ist ein status communionis inter gentes, moribus vel pactis ac legibus comprobatus.

Andererseits sagt Bierling (a. a. D. I, S. 8):

,,Anerkennung ist nur ein stätiges, ununterbrochenes, habituelles Respektiren, fich gebunden oder unterworfen Fühlen in Beziehung auf einen gewissen Gegenstand, insbesondere auf gewisse Grundsäße. Speziell rechtliche Anerkennung aber oder Anerkennung als Recht ist nur das dauernde Anerkennen von Grundsäßen (ich würde sagen:,,Anerkennen von Grundsäßen als dauernder“) innerhalb eines gewissen Kreises, einer gewiffen Mehrheit zusammenlebender Personen als Norm und Regel dieses Zus sammenlebens.

Aehnlich übrigens auch Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts (1847), S. 310. 2) Aachener Protocoll vom 15. November 1818: Les souverains en formant cette union auguste, ont regardé comme la base fondamentale, leur invariable résolution de ne jamais s'écarter, ni entre eux ni dans leurs relations avec d'autres états, de l'observation la plus stricte des principes du droit des gens, principes qui dans leur application à un état de paix permanent, peuvent seulement garantir efficacement l'indépendance de chaque gouvernement et la stabilité de l'association générale.

Aehnlich das Londoner Protocoll von 1871 bezüglich der Pontusfrage und, was England anbelangt, die Territorial Waters Jurisdiction Act von 1878.

3) Art. 40: Jusqu'à la conclusion d'un traité entre la Turquie et la Serbie les sujets Serbes voyageant ou séjournant dans l'Empire Ottoman seront traités suivant les principes généraux du droit international. 4) Common consent: Wharton, Comm: § 122.

§ 25.

Gewohnheitsrecht.

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Bierling, 3ur Kritik der ju

- R. v. Jhering, Der Zwed Ch. Brocher, Les révoluVanni, Della Con

Literatur: De Senckenberg, De jure observantiae ac consuetudine in causis publicis privatisve. 1743. Puchta, Das Gewohnheitsrecht. Erlangen 1828. Bd. I, S. 125. 131. II, 227. Savigny, Systeme des heutigen Römischen Rechts I S. 34 ff., 76 ff., 413 ff. ristischen Grundbegriffe I. Th. S. 17 ff. 139 ff. im Rechte Bd. II (1883) S. 57 ff., S. 239. tions du droit. (Genève 1882.) Bd. 1, S. 217 ff. suetudine nei suoi rapporti col diritto e colla legislazione. Perugia 1877. - M. Mountague Bernard, The growth of laws and usages of war. London 1856. Sir Robert Phillimore, Commentaries I, § 42. Sir E. Creasy, First Platform of Internat. Law. London 1876. S. 77 ff. J. D. Lawson, The Law of Usages and Customs with illustrative cases. St. Louis 1881. F. Pollock, Essays. London 1882. pag. 54. - Sir Henry Maine, Early Law and Custom. London 1883. Francis Wharton, Commentaries on Law. Philad. 1884. §§ 14-16, 22, 122.

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Der Begriff der Gewohnheit als einer Rechtsquelle innerhalb der internationalen Beziehungen steht demjenigen der Anerkennung so nahe, daß in Frage kommen könnte, ob theoretisch für die Behandlung des Völkerrechts ein Bedürfniß bestehe, zwischen beiden zu unterscheiden. In der Staatspraxis und der bisherigen Rechtsliteratur spielt jedoch die Bezugnahme aus Gewohnheiten eine erhebliche Rolle. Es empfiehlt sich auf diesem Grunde, ihr besondere Berücksichtigung angedeihen zu lassen.

Gewohnheit ist die meistens unbewußte, möglicherweise aber auch bewußte Wiederholung und Continuität menschlicher Thätigkeiten bis zu dem Maße, daß dadurch der Wille in ein constantes Unterwerfungsverhältniß während ihrer Dauer versett wird. Ge= wohnheiten sind eine Macht im Leben des einzelnen Menschen, der gesellschaftlichen Verbände der Völker und der Staaten: theils eine natürliche, insofern dem physischen Leben und seinen Bedürfnissen genügt wird (Wohnung, Kleidung, Ernährung) theils eine sittliche, insofern Befestigung der Moral bewirkt wird, theils eine rechtliche Macht, insofern durch bewußte Sazung einer Nöthigung gegen Zuwiderhandelnde die öffentliche Ordnung des Zusammenlebens gestüßt werden soll.

Rechtsgewohnheiten können also zwar in ihren historischen Anfängen ursprünglich als unbewußte Vorzüge des Völkerlebens, in der Vollendung ihres Daseins und nach ihrer Wirkung dagegen niemals ohne ein mehr oder minder geklärtes Zweckbewußtsein vorgestellt werden.

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