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Subjecte des Völkerrechts sind, nach Fichte, nicht die Völker oder Staaten, sondern die einzelnen Staatsbürger. Die Unabhängigkeit der Staaten, deren Nothwendigkeit er hervorhebt, die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung, das gegenseitige Aufsichtsrecht, gründet er auf Vertrag. Das Weltbürgerrecht hat zum Gegenstand das Recht des zu keinem der vertragsmäßig verbundenen Staaten gehörenden Bürgers.

Fichte hatte im Völkerrechte wenig Anhänger. Seiner Lehre mehr als der Lehre Kant's scheint sich indessen angeschlossen zu haben der bereits bei Vattel und bei Martens genannte Silvester Pinheiro Ferreira, der in Portugal Minister war, hernach lange in Paris privatisirte. Dessen philosophisches Völkerrecht ist enthalten im » Cours de droit public interne et externe«, Bd. I, Paris 1830, wie es auch in seinen Noten zu Vattel und Martens erkennbar ist.1)

1) Ueber Pinheiro Ferreira: Kaltenborn, S. 130. Mohl, S. 390. Oben § 99 und § 104, Note 7.

§ 107. Hegel

Literatur: Kahle, Darstellung und Kritik der Hegel'schen Rechtsphilosophie. Berlin 1845. Analyse der Hegel'schen Lehre vom Völkerrecht.

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Kaltenborn, Kritik,

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Die Hegel'sche Lehre vom Völkerrechte ist enthalten in den Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriß", 1817 zuerst kurz in der „Encyclopädie der Staatswissenschaften“, dann ausgeführt und erweitert 1821, 1833, 1840. Seit 1818 war Hegel Professor in Berlin, und noch lange nach seinem 1831 erfolgten Tode war sein Einfluß groß auch in den juristischen und Verwaltungskreisen Preußens. Gans, der die Ausgabe von 1833 besorgte, hat den Hegelianismus auf die Rechtsgeschichte angewendet; Oppenheim auf das Völkerrecht. Doch ist gerade das Völkerrecht eine schwache Seite der Hegel'schen Rechtsauffassung.

Das Völkerrecht ist,, äußeres Staatsrecht" und wird in Hegel's Rechtssystem neben dem innneren Staatsrechte und der Weltgeschichte (die Weltgericht ist) eingereiht. Oberster Grundsaß des Völkerrechts ist Selbständigkeit der einzelnen Staaten und deren gegenseitige Anerkennung. Der Kant'sche Völkerstaat wird verworfen; jedem Staat ist das eigene Wohl im Verhältniß zu den Anderen höchstes Gesetz, die internationale Gemeinschaft ist etwas Willkürliches. Die Grundsäße des Völkerrechts sind blos Sollgesete.

Als Hegelianer, welche für das Natur- und Völkerrecht von einiger Bedeutung sind, werden, neben Oppenheim (unten § 115), Biher, Kahle und

Besser genannt. Heute scheint sowohl des Ersteren,,System des natürlichen Rechts" (1845) als des Lehteren,,System des Naturrechts“ (1830) in Vergessenheit gerathen zu sein. In Kahle's,,Speculativer Staatslehre oder Philosophie des Rechts" (1846) wird das Verhältniß der einzelnen Staaten zu einander" erörtert und der Staatenbund empfohlen. 1)

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1) Ueber Friedrich Bißer, Bulmerincq, S. 113. Ueber Kahle, Bulmerincq, S. 115 - Auch bei Heffter ist Hegel's Einfluß wahrnehmbar. Ahrens sagt, daß Heffter den besseren, die objectiven Verhältnisse umfassenden Geist der Hegel'schen Philosophie in sich aufgenommen hat.

§ 108.

Andere Deutsche Philosophen. Ahrens.

Herbart (1776-1841) hat sich in seiner „Analytischen Beleuchtung des Naturrechts und der Moral" (1836), nur andeutungsweise und fragmentarisch über das Völkerrecht ausgesprochen.

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Es genüge hier hervorzuheben, daß nach ihm das Rechtsgeseß dem Sittengefeße in seiner Anwendung auf das Aeußere gleich ist, daß die Liebe zum Einzelnen zum allgemeinen Wohlwollen erhöht werden soll, und hiermit eine solche Gemeinschaft gestiftet werden, daß sie dem Auge des Allgütigen gefallen könne; daß Billigkeit und Wohlwollen an Stelle des Rechts als Principien für Völkerrechtsconceffionen gefordert werden."1)

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Von Krause (1781-1832) sind auf das Völkerrecht bezüglich die Vorschläge zu einem Europäischen Staatenbunde,,,als Grundlage des allgemeinen Friedens..", welche er in den Deutschen Blättern" 1814 veröffentlichte; früher hatte er einen ,,Menschheitbund" anbahnen wollen, der sich sogar auf die Planeten erstrecken sollte. Von seinem,,Abriß des Systems der Rechtsphilosophie" (1826), wie von seines Schülers Röder (1806 1880),,Grundzügen des Naturrechts" (1846), ist in Beziehung auf Völkerrecht wenig zu sagen.

Wichtig dagegen ist Heinrich Ahrens, 2) geboren 1808, gestorben 1874, Professor in Brüssel, Grah, Leipzig, Krause's bedeutendster Schüler. Er gab 1839 sein,,Naturrecht", »Cours de droit naturel« heraus, welches in verschiedenen Sprachen zahlreiche Ausgaben hatte, 3) und worin im Buche III ein Ueberblick über das Völkerrecht gegeben wird. Auch in der Juristischen Encyklopädie oder organischen Darstellung der Rechts- und Staatswissenschaft auf Grundlage einer ethischen Rechtsphilosophie" (1855 1857; übersetzt in's Spanische, Italienische, Französische, Russische, Polnische) wird ziemlich eingehend und sinnreich vom Völkerrechte gehandelt. Das öffentliche Völkerrecht" wird bezeichnet als der Inbegriff der Normen für den von jedem Volk in seinen Gesammtverhältnissen zu erstrebenden Gesammtzweck, das,,Privat-Völkerrecht" als der Inbegriff der Normen für die von den Einzelnen verschie

dener Staaten in ihren Beziehungen unter einander zu verfolgenden Sonderzwecke. Oberstes Princip ist das Princip des Rechts. Das positive Völkerrecht schließt sich an das philosophische an. Die völkerrechtlichen Verhältnisse werden bestimmt von den natürlichen, religiösen, geistigen, sittlichen, wirth schaftlichen Verhältnissen. Auch mit der Systematik beschäftigt sich Ahrens, welcher wohl bezeichnet werden kann als der für das Völkerrecht wichtigste Rechtsphilosoph der neueren Zeit.

Friedrich Adolf Schilling (1792-1865), Professor in Halle, Breslau, Leipzig, auch als Civilist bekannt, hat eine Skizze des Völkerrechts gegeben im,,Lehrbuch des Naturrechts oder der philosophischen Rechtswissenschaft." Leipzig 1859-1863.4)

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Als Eklektiker mögen noch genannt werden: Leopold August Warnkönig (1794-1866), Professor in Lüttich, Löwen, Gent, Freiburg, Tübingen, welcher in seiner 1839 erschienenen,,Rechtsphilosophie oder Naturlehre des Rechts", S. 434f., das Verhältniß gegenseitig sich anerkennender Völker als ein juristisches auffaßt 5); Immanuel Hermann von Fichte (17971879), Professor in Bonn und Tübingen, welcher im System der Ethik" (Thl. II, Abth. 2) 1850 1853, das Herbart'sche Princip des Wohlwollens und der Billigkeit mit dem Ahrens'schen Rechtsprincipe verknüpft;6) endlich Adolf Trendelenburg (1802–1872), Professor in Berlin seit 1833, welcher am Schluß des zweiten Theils seines,, Naturrechts auf dem Gebiete der Ethik" (Leipzig 1860, 1868), §§ 218-235, unter dem Titel „, Völker und Staaten" das Völkerrecht behandelt. Im Jahre seines Todes hat auch Trendelenburg, an Kant's Ewigen Frieden" anschließend, eine geistreiche Schrift:,,Lücken im Völkerrechte" veröffentlicht.

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Stahl hat das Völkerrecht unerörtert gelassen.

1) Bulmerincq, S. 117.

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2) Ueber Ahrens: von Holzendorff, in der Revue de droit international, Bd. VII, S. 125. Ahrens wurde gleich bei der Stiftung des Instituts für Völkerrecht zum Mitgliede desselben ernannt Mit Recht sagt von ihm Holzendorff: »La philosophie du droit des gens... se souviendra toujours d'Ahrens comme d'un de ses plus habiles interprètes. La profondeur philosophique du génie allemand alliée à l'heureuse lucidité de l'esprit français forme le caractère distinctif et le principal mérite de notre regretté collègue. . . . Il a contribué pour une large part à l'étude des rapports scientifiques du droit positif avec les idées universelles de la justice«.

3) Mir liegt die (7.) Französische Ausgabe, Leipzig 1875, vor. Ueberdem find viele Ueberseßungen in Italienischer, Spanischer, Portugiesischer, Polnischer, Ungarischer Sprache.

4) S. unten § 121 (Ungarn).

5) Bulmerincq, S. 123.

6) Bulmerincq, S. 126.

$ 109.

Englische und Schottische Philosophen.

Nur von dreien soll hier die Rede sein, welche außer der Sprache fast nichts gemein haben, übrigens in Beziehung auf das Völkerrecht von ganz ungleicher Bedeutung sind. Der Eine, ein theilweise auf dem Festlande gebildeter Schottischer Denker und Lehrer, hat das Studium des Natur- und Völkerrechts zur Hauptaufgabe seines Lebens gemacht, während die Anderen sich mehr als Dilettanten in geistreicher Weise über das Völkerrecht ausge= sprochen haben, und bei Manchen auch gar nicht als Völkerrechtsphilosophen gelten. Diese beiden sind unter sich wieder ungleich; Bentham steht höher als Mackintosh.

,,Es ist zu bedauern", sagt Mohl,1),,daß Bentham dem Völkerrechte keine gründlicheren und ausführlicheren Erörterungen gewidmet hat. Gerade hier wäre seine scharfe Logik und seine das allgemeine Glück der Menschen bezweckende Richtung vorzugsweise an der Stelle gewesen, und bei der noch so geringen Durchbildung der letzten Zwecke und des Systems hätte er große Dienste leisten können." Als er die » Principles of International Law << zwischen 1786 und 1789 schrieb, stand Jeremy Bentham (geboren 1748, gestorben 1832) auf dem Höhepunkte seines Talents. Er hatte bereits wichtige Schriften veröffentlicht, das » Fragment on Government «, die,,Apologie des Wuchers". Die Principles wurden aber erst nach seinem Tode gedruckt, in der unter Bowring's Leitung veranstalteten Gesammtausgabe seiner Schriften (1843, Band II, S. 535). Ohne deren Werth zn überschäßen, fällt Mohl folgendes Urtheil:,,Es ist nicht möglich, ein bezeichnenderes Muster von der staunenswerthen analytischen Kraft, der enge geschlossenen Logik, der völligen Furchtlosigkeit selbst vor einer Absurdität der Folgefäße, der Gedrängtheit der Worte und Gedanken Benthams aufzuweisen, als diese kleine Arbeit... Wer den Mann etwa noch nicht kennen sollte, der kann ihn hier in seiner ganzen Eigenthümlichkeit vor sich sehen. Auch sein Nüglichkeitsprincip zeigt sich in völliger Starrheit und Unzureichenheit." Bentham will übrigens kein System geben, sondern nur die materiellen Grundlagen des Völkerrechts, wie er sich dasselbe denkt, formuliren, als: Objecte des Völkerrechts, Subjecte, Ursachen und Wirkungen des Krieges, und die Mittel zum ewigen Frieden. Objecte sind ihm,,Erstrebung des allgemeinen Nußens im Verkehre unabhängiger Staaten, und, im Falle eines Krieges Herbeiführung des möglichst geringen Unglückes."

Angehängt haben die Herausgeber, unter dem Titel »Junctiana Proposals«<, den, wie es scheint 1822 (oder 1825) geschriebenen Vorschlag einer Durchstechung des Isthmus von Panama durch eine Actiengesellschaft,,Junctiana“, infolge allgemeinen Vertrags, als Anwendung der Principien.

In seinem hohen Greisenalter (1827-1830) hat sich Bentham abermals

mit Fragen des Völkerrechts beschäftigt, wie zu ersehen ist aus gewissen bisher unedirten Aufzeichnungen, die er Jabez Henry, dem Autor einer guten Schrift über internationales Privatrecht, anvertraute. Einzelne von diesen Aufzeichnungen hat Nys bekannt gemacht; sie bilden den Präliminartitel des vom geistreichen Rechts- und Staatsphilosophen geplanten Völkergefeßbuches. Die Gleichheit der Staaten wird als Dogma vorangestellt (Art. 1, Art. 2: The equality of all is hereby recognised by all).2)

Wesentlich ist die Einführung des Wortes »International Law«, die von Zouch, wie oben (§ 90) gesagt worden ist, angebahnt, von Bentham aber glücklich zu Stande gebracht worden ist.

Eine 1797 gehaltene Antrittsrede zu Vorlesungen des berühmten, auf verschiedenen Gebieten tüchtigen Sir James Mackintosh (1765-1832) ist in merkwürdiger Weise überschäßt worden. Man hat dieselbe ins Französische übersetzt und verschiedenen Auflagen Vattels beigegeben. Sie enthält geist= reiche Aperçus, ist aber im Ganzen für die Wissenschaft des Völkerrechts werthlos.3)

Für den gelehrten, theilweise in Genf, Berlin, Bonn gebildeten, doch bei weitem Blicke ächt nationalen Schotten, James Lorimer, geboren 1818, seit 1862 Professor des Staatsrechts und des Natur- und Völkerrechts in Edinburgh, ist » the Law of Nations the Law of Nature, realised in the relations of separate political communities«. Dieses Princip entwickelt er hauptsächlich in seinem zweibändigen Werke: »Institutes of the Law of Nations, a treatise of the jural relations of separate political communities« (Edinburgh und London, 1883-1884), welches von Ernst Nys, Professor und Richter in Brüssel, geboren 1851, mit großem Geschicke in französischer Sprache resumirt worden ist, unter dem Titel: »Principes de droit international«,' Brüssel 1884.4)

Lorimer steht in völligem Gegensaße zu Bentham. Er ist ein Vertreter der Schottischen Common Sense Schule und hat seine Ansichten, welche durch William Hamilton ihre vorzügliche Entwickelung erhalten, zuerst entwickelt in den » Institutes of Law, a treatise of the principles of jurisprudence as determined by Nature « (1872, 2. Aufl. 1880). Er geht aus vom kosmic character of existence, or in other words, its absolute rectitude.« ,,Die Naturgesetze, welche die menschlichen Beziehungen beherrschen, sind nothwendig, unvermeidlich; materiell können sie freilich verlegt werden, sie bleiben aber nichtsdestoweniger Geseze. Ihr Charakter ist unveränderlich; doch das Erfüllen oder Nichterfüllen ist menschliche Willenssache. Sie sind zwar nicht Muß-Geseße, wohl aber Soll-Gesetze."

Grundcharakter des Völkerrechts ist, daß dieses Recht die Verwirklichung der Freiheit der Völker ist durch die Bestätigung und Anerkennung ihrer wirk lichen gegenseitigen Macht. L'interdépendance, heißt es im Vorworte der französischen Ausgabe, S. XI, »non la dépendance, telle est la conception

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