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päischen Staaten überhaupt; Arten der Erwerbung positiver Rechte unter den Völkern; Rechte und Verbindlichkeiten der Völker unter einander in Rücksicht auf die innere Staatsverfassung des Landes; Rechte und Verbindlichkeiten der Völker in Rücksicht auf ihre auswärtigen Angelegenheiten; Persönliche und Familienrechte der Souveräne; Von der Art wie die Angelegenheiten der Völker schriftlich verhandelt werden; Gesandtschaftsrecht; Vertheidigung und Verfolgung der Rechte der Völker durch thätliche Mittel; Untergang erwor= bener Rechte der Völker gegen einander.

Darin will Bulmerincq allerdings keine wirkliche Systematik erblicken", giebt indessen zu, daß es gelingt, in diese Anordnung eine Systematik hinein zu interpretiren." Kaltenborn urtheilt günstiger. Wie dem auch sei, diese Anordnung oder Systematik hat den Vorzug, daß sie die Eintheilung in Friedensund Kriegsrecht, sowie die fremdartigen, civil- und naturrechtlichen Categorien verwirft, und dies ist ein entschiedener Fortschritt, welchem allerdings die meisten Neueren nicht gefolgt sind.")

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Martens ist kein Läugner des natürlichen Völkerrechts, er beruft sich auch manchmal, wenn auch selten, auf dasselbe, in Ermangelung positiver Sahungen. 3) Vor Allem ist er Positivist.) In ihm namentlich erhebt sich diese Schule unmittelbar aus der Fülle des positiven Lebens und sucht nicht weniger in den ausdrücklichen Erklärungen und Sahungen der Völker durch Verträge, Staatsschriften 2c., als in der üppigen, immerdar frischen Quelle der Gewohn heit die Fundamente für ihr System der Völkerrechtswissenschaft; dabei verarbeitet namentlich Martens den historischen Stoff auf das Gelungenste zu theoretischen Grundsäßen, die auf die klarste und planste Weise in einer gefälligen Form vorgetragen werden."5) Man darf sagen, daß er zuerst die Geschichte in die Völkerrechtswissenschaft wirklich eingeführt hat. Er nimmt die Existenz eines Europäischen, christlichen, positiven Völkerrechts an; solches ist ihm durch die Geschichte erwiesen. Dagegen die Utopie eines allgemeinen, die ganze Menschheit umfassenden Weltbürgerrechts bekämpft er ausdrücklich und sehr energisch. 6)

Seinen fortgesetten, heute noch andauernden Erfolg, der durch mehrere neuere Auflagen bekundet wird, hat Martens in vollstem Maaße verdient. Nur hat ihn das Mißgeschick getroffen, daß er vom Portugiesischen Philosophen und Staatsmann Pinheiro-Ferreira commentirt worden ist, der, selbst keineswegs ohne Verdienst, durchaus nicht befähigt war, die Martens'sche Richtung zu verstehen und zu respectiren.7) Der Pariser Advocat und Publicist Charles Vergé hat zuletzt das » Précis « mit Noten von Pinheiro - Ferreira und mit eigenen guten Anmerkungen 1864 neu herausgegeben.

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,,Martens Name", sagt Mohl, gehört zu den schönsten und reinsten in der Wissenschaft. "8)

1) Nach Berner, in Löning's (Bluntschli) Staatswörterbuch. Vgl. Pütter, Academische Gelehrtengeschichte II, S. 326.

2) Kaltenborn, S. 289, Bulmerincq, S. 69.

3) Kaltenborn, S. 111-113.

4) Einzelne von den Kritiken die bei diesem Anlaß Kaltenborn gegen Heffter ausübt, scheinen mir nicht ganz gerechtfertigt. Hier, wie auch anderswo, hat Heffter im Ganzen richtiger gesehen, als sein übrigens sehr achtungswerther Kritiker. 5) Kaltenborn, S. 110.

6) Kritik der Französischen Conventvorschläge (1793, 1795) in der Vorrede zur Deutschen Ausgabe (1796), in den späteren Ausgaben abgedruckt. Ueberhaupt find die Martens'schen Vorreden inhaltreich, geistvoll, vortrefflich.

7) Mohl sagt von den Noten Pinheiro Ferreira's: „Es ist diese Arbeit kläglich verunglückt. . . . Nicht nur ist der Ton des Commentators noch weit verleßender als der von ihm gegen Vattel gebrauchte; sondern es stellt sich derselbe auch auf einen ganz falschen Standpunkt der Beurtheilung und wird dadurch beständig materiell ungerecht. Während nämlich Martens ausgesprochener Maaßen positives Völkerrecht giebt, und natürlich nur für die Richtigkeit, nicht aber auch für die Sittlichkeit und Staatsweisheit der von ihm aufgefundenen Regeln einzustehen hat, wird er fortwährend von Pinheiro - Ferreira mit Einwendungen vom Standpunkte der leßten Lehren oder von dem des philosophischen Rechtes überhäuft, und hart wegen seiner Widersprüche gegen diese angelassen .... Es ist in der That unbegreiflich, wie ein scharfsinniger Mann so völlig die richtige Auffassung verfehlen und dadurch die von ihm geschleuderten Vorwürfe auf sich selbst zurückfallen lassen konnte... Gerne würde man das Verdienstliche der Arbeit anerkennen, soweit solches vorhanden ist, liefe nicht der eben erwähnte Grundfehler durch, und müßte man nicht die Mißhandlung eines höchst ehrenwerthen Mannes schwer mißbilligen.“ Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. 1, S. 392.

8) Mohl, Geschichte und Literatur, Bd. II, S. 472.

Sechstes Kapitel.

Die Rechtsphilosophen seit Kant.

§ 105. Kant.

Literatur: Zeller, Geschichte der Deutschen Philosophie seit Leibniz, 2. Aufl. 1875, S. 394. Kaltenborn, Kritik, S. 133. Bulmerincq, Systematik, S. 82.

Als Wolff sein »Jus gentium methodo scientifica pertractatum« heraus gab, stand Immanuel Kant (geboren 1724, gestorben 1804) in seinem fünfundzwanzigsten Jahre und hatte seine Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte“ bereits veröffentlicht; allein es sollte noch beinahe ein

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halbes Jahrhundert verstreichen, bis er in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" (1797, richtiger 1796) feine Doctrin des Völkerrechts auseinanderseßte; vom Ideal des ewigen Friedens hat er seit den achtziger Jahren geschrieben. In den „Metaphysischen Anfangsgründen“ ist nur eine Skizze des Völkerrechts enthalten, welche auch einzeln in französischer Uebersetzung herausgegeben worden ist. 1) Wie Grotius, geht Kant vom Kriege aus, welchen er aber als Naturzustand der Völker auffaßt, an dessen Stelle der Rechtszustand des Friedens treten soll. Dazu ist die Vereinigung der Menschheit zum Völkerstaat erwünscht und, wie der (ausdrücklich als unausführbar erklärte) ewige Friede, zwar nicht in vollem Maaße erreichbar, aber doch einer fortwährenden Annäherung fähig. Diese Annäherung bildet die Grundtendenz der völkerrechtlichen Auffassung Kant's.

Den Namen Völkerrecht will er durch,,Staatenrecht", jus publicum civitatum, ersetzen. Die Beziehungen des Völkerstaats zu den Völkern, die nicht dazu gehören, werden geregelt durch das ,,Weltbürgerrecht", jus cosmopoliticum, welches mit dem Staatsrecht und dem Staatenrecht das öffentliche Recht bildet, und eigentlich seinem Inhalte nach nur im (völkerrechtlichen) Rechte auf Verkehr besteht. Kant's Auffassung des Rechtes hat bekanntlich besonders bei den Juristen Anklang gefunden. „Die Rechtsauffaffung der meisten Practiker der Gegenwart", schrieb Kaltenborn 1847, „scheint noch kantianisch zu sein.“ Von den Schriftstellern über Naturrecht und natürliches Völkerrecht, welche als Kantianer gelten, nenne ich nur die Folgenden:

Der ausgezeichnete Civilist Gottlieb Hufeland (1760-1817), Profeffor in Jena, Würzburg, Landshut, Halle: „Lehrfäße des Naturrechts” (1790, 1795).2)

Joh. Heinrich Abicht, 1762-1816, Professor in Erlangen und Wilna: ,,Kurze Darstellung des Natur- und Völkerrechts", 1795.

Johann Christoph Hoffbauer, 1766-1827, Professor in Halle, veröffentlichte schon 1793 sein,,Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwidelt". 4. Aufl. 1824.

Karl Heinrich (von) Gros, 1765-1840, Professor in Erlangen und Halle, Würtembergischer Geheimrath und Präsident des obersten Gerichtshofes in Stuttgart, giebt in seinem,,Lehrbuche der philosophischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts" (1802, oft aufgelegt), einen kurzen, aber hübschen Abriß des,,natürlichen Völkerrechts" als dritten Haupttheil.

Leonhard Dresch, 1786-1836, Privatdocent in Heidelberg, gab 1810 eine,,Systematische Entwickelung der Grundbegriffe und Grundprinzipien des gesammten Privatrechts, der Staatslehre und des Völkerrechts". Darauf wurde er Professor in Tübingen; 1822 in Landshut, dann in München.

Daß Kant's Rechtsauffassung mehrere der in den nächsten Abschnitten behandelten Positivisten (Schmalz, Pölik, Klüber) beeinflußt hat, erhellt schon aus dem eben Gesagten. Hier soll nur von dem größten unter den Kantianer Rechtslehrern die Rede sein, dessen völkerrechtliches Werk als vollständig lan

tianisch bezeichnet werden darf, nämlich von Karl Salomon Zachariae. Bekanntlich war Zachariae, geboren 1769, gestorben 1843, Professor zuerst zu Wittenberg, dann von 1807 an in Heidelberg, als Civilist hervorragender denn als Staatsrechtslehrer; am wenigsten ist sein Völkerrecht zu loben. Dieses erschien 1830 in den,,Vierzig Büchern vom Staate“ (Bd. IV, Abthl. 1, Bd. V der zweiten Auflage 1841): „Von dem Rechte des Krieges und des Friedens oder von den Verhältnissen unter Völkern, welche im Stande der Natur leben; - Vereinigung der Völker zu einem Völkerstaate; Weltbürgerrecht." Nach Kaltenborn ist hier das Verdienst nur in der breiteren und zugleich geistreich interessanten Ausführung der Kant'schen Hauptsäße zu suchen“ . . - -,,wir sind nicht im Stande gewesen", fügt Kaltenborn hinzu,,,oberste Grundsäge zu entdecken, noch systematische Deductionen der Einzelnheiten zu verspüren". Das Verhältniß des (natürlichen) Völkerrechts zum Naturrecht wird von Zachariae so aufgefaßt:,,Beide sind nicht den Grundsäßen oder ihren Theilen nach, sondern nur den Subjecten nach, von deren Rechtsverhältnissen sie handeln, von einander verschieden.“ Im Ganzen läßt sich nach Kaltenborn,, diese Zachariae'sche Arbeit als eine geistreiche Verflachung der Kant'schen Rechtsansicht bezeichnen.“ Mohl urtheilt auch strenge, doch mit untermischtem Lob. Einzelne Kapitel hält er für höchst bedeutend, die reiche Frucht des Studiums eines ganzen Lebens, so z. B. das sogenannte Staatenrecht. Davon nicht zu reden, daß fast jede Seite irgend einen geistreichen Gedanken oder eine gelehrte Hinweisung giebt."'3)

Außerhalb Deutschlands mögen noch als Kantianer citirt sein: die Italiener P. Baroli, Professor der Philosophie in Pavia, und P. Tolomei in Padua, deren Schriften von Mohl erwähnt und gewürdigt werden, 4) und der Belgier Pierre Joseph Destriveaux, 1780-1853, Professor in Lüttich, dessen früher überschäßtes, jezt gänzlich verschollenes »Traité de droit public (Brüssel 1849) ein gewöhnliches Compendium des Völkerrechts auf Kant'scher Grundlage enthält. 5)

1) » Traité du droit des gens, dédié aux puissances alliées et à leurs ministres, extrait d'un ouvrage de Kant.« Paris 1814. Kant's Völkerrecht ist charakterisirt von Zeller; von Kaltenborn, S. 133; von Bulmerincq, S. 82. Eine kurze Charakteristik der Kant'schen Naturrechtslehre giebt Geyer in von Holzendorff's Encyklopädie, Bd. I, S. 23. — S. 32 wirft Geyer einen Blick auf die völkerrechtlichen Ausführungen der neueren Naturrechtslehrer. Die Metaphysischen Anfangsgründe“ finden sich im IX. Bande der Gesammtausgabe von Kant's Werken, von Rosenkranz und Schubert.

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2) Hufeland ist als Kantianer zu bezeichnen, troßdem seine „Lehrsäße“, wie das ,,Naturrecht“ von Hoffbauer und wie das „Recht der Natur“ von Schmalz, vor den ,,Metaphysischen Anfangsgründen“ erschienen sind. Als Kantianer nennt Kaltenborn (S. 137): Hufeland, Schaumann, Hoffbauer, Heydenreich (1764 —1801), Schmid (1761-1812), Jakob (1759-1827), Abicht, Mellin (1755 -1825), die bereits vor dem ersten Abdrucke der Kant'schen Rechtslehre schrieben;

sodann Tieftrunk (1759 1837), Stephani, Gros, Fries, Maaß (1766 1823), Schmalz, Gerlach, Bauer, Dresch, Krug (1770-1842),,,im Allgemeis nen auch von Droste-Hülshoff und Andere." Von ihnen Allen sagt er: „Sie erz heben sich fast gar nicht über Kant und begnügen sich, einen gewissen Zusammenhang unter den einzelnen Materien zu Stande zu bringen, das Ganze klarer und bestimmter zu faffen, oder auch eklektisch, dabei aber ganz willkürlich auszuschmücken.“ Bulmerincq handelt von Hufeland, als Systematiker S. 78, von Schmalz S. 79, von Gros S. 91, von Pöliß S. 93; Kaltenborn von Hufeland, Schmalz, Jacob, Hoffbauer, Gerlach, v. Droste-Hülshoff S 280 283; von Pöliz

S. 137.

Schmalz ist hauptsächlich als Positivist von Bedeutung und wird als solcher im § 111 besprochen werden. Desgleichen der weniger bedeutende Pöliz.

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Eine eigene Stellung hat der frühzeitig gestorbene, hochbegabte Hermesianer Clemens August, Freiherr v. Droste-Hülshoff (1793 — 1832), Profeffor in Bonn, in seinem „Lehrbuch des Naturrechts“ (1823, 1831) eingenommen. Er zieht darin, nach Kaltenborn's (S. 308) Ausdruck, „mit aller ihm eigenthümlichen Schärfe und Pikanterie gegen die Läugner des Völkerrechts fiegreich zu Felde."

Unbedeutend ist das gegen Kant opponirende, aphoristische, prätentiöse Werkchen von Wilhelm Kern (von 1806-1815 Privatdocent in Göttingen): „Theorie des (allgemeinen) Völkerrechts", Göttingen 1803.

Für Kern ist das sonderbarste aller Rechte“ unstreitig das Völkerrecht, „ein Zwitterrecht, ein Amphibienrecht, ein Halbrecht, ein Zweig oder vielmehr eine Anwendung des Naturrechts, das in seiner Anwendung formlos herumläuft u. s. w.

3) Mohl, Geschichte und Literatur, S. 389. Kaltenborn, S. 139. Bulmerincq, S. 99.

4) Nach Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, S. 388, ist das philosophische Völkerrecht in Bd. V und VI des »Diritto naturale privato e publico des Baroli (Cremona 1837) „,in seiner ganzen Art fast Deutsch"; während im »Corso elementare di diritto naturale e razionale« von Tolomei (Padua 1848) ein Abschnitt über Völkerrecht enthalten ist, wozu „Vattel den Stoff, Kant die Philosophie liefert", und in welchem übrigens nur die „allerelementarsten Begriffe“ zu finden find, „ohne gründliche Ausführung oder tiefere Auffassung.“

5) Ueber Deftriveaux, Mohl, S. 390, und Lütticher »Liber Memorialis<<, . 197.

§ 106. Fichte.

Literatur: Zeller, Geschichte der Deutschen Philosophie, S. 500. Ralten: born, Kritik. S. 142. Bulmerincq, Systematik, S. 86.

Johann Gottlieb Fichte, geboren 1762, gestorben 1814, gab in der ,,Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, oder angewandtes Naturrecht" (1796-1797), als zweiten Anhang des Naturrechts, einen Grundriß des Völker- und Weltbürgerrechts" heraus, worin das Völkerrecht eben nur als angewandtes Naturrecht erscheint, indessen vollständiger behandelt wird als von Kant.

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