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bung. In Anbetracht dieser Zustände hat sich Grotius bewogen gefunden, über diesen Stoff zu schreiben, in der Ueberzeugung, esse aliquod inter populos jus commune, quod et ad bella et in bellis valeret.« Die Ermei= terung aber seiner Aufgabe bekundet er schon in den ersten Worten der Prolegomenen, indem er dem »Jus civile, sive Romanum sive quod cuique patrium est«, welches von so Vielen in Commentaren und Compendien behandelt worden ist, das sehr vernachlässigte Völkerrecht gegenüberstellt: »Jus illud, quod inter populos plures aut populorum rectores intercedit, sive ab ipsa natura profectum, sive moribus et pacto tacito introductum, attigerunt pauci, universim ac certo ordine tractavit hactenus nemo.«3) Dieses Völkerrecht, welches Viele, sowohl Heiden als Christen, verkannt haben, ist aber wirklich als Recht vorhanden. Vorerst existirt das Naturrecht, entspringend aus dem dem Menschen von Natur innewohnenden Geselligkeitstrieb: >appetitus societatis, id est communitatis, non qualiscumque, sed tranquillae et pro sui intellectus modo ordinatae, cum his qui sui sunt generis«. Dieses menschliche Naturrecht stimmt mit den von Gott gegebenen Vorschriften genau überein, welche das göttliche Recht ausmachen. Beide, Natur- und göttliches Recht, liegen dem Jus civile zu Grunde, und nicht weniger auch dem Rechte, quod inter populos versatur. Das Völkerrecht ist aber mehr als blos natürliches Recht; wie das bürgerliche Recht entsteht es auch aus Nüglichkeitsrücksichten, durch Consens der Völker: »Sicut cujusque civitatis jura utilitatem suae civitatis respiciunt, ita inter civitates aut omnes aut plerasque ex consensu jura quaedam nasci potuerunt, et nata apparent, quae utilitatem respicerent, non coetuum singulorum, sed magnae illius universitatis, et hoc jus est quod gentium dicitur, quoties id nomen a jure naturali distinguimus«. Also willkürliches Völkerrecht neben dem natürlichen, und dieses willkürliche Völkerrecht wird auch in einem engeren Sinne Völkerrecht genannt.

Im Werke selbst giebt Grotius bei jedem Gegenstande zuerst die Grundfäße des natürlichen Völkerrechtes, dann diejenigen des willkürlichen, positiven, welches auf dem Völkerconsense, also hauptsächlich auf dem Herkommen beruht.

Zu Grunde gelegt wird stets das natürliche Recht. Der zweite Theil des Titels, Jus naturae et gentium«, ist somit wohl geeignet.

Ueberhaupt ist nicht zu verkennen, daß Grotius hauptsächlich natürliches Völkerrecht darstellt. Nur dieses, das philosophische Recht, scheint ihm einer wissenschaftlichen Gestaltung fähig. »Artis formam ei (jurisprudentiae) imponere multi antehac destinarunt: perfecit nemo, neque verò fieri potest nisi, quod non satis curatum est hactenus, ea quae ex constituto veniunt a naturalibus recte separentur. Nam naturalia cum semper eadem sint, facile possunt in artem colligi: illae autem, quae ex constituto veniunt, cum et mutentur saepe et alibi alia sint, extra artem posita sunt, ut aliae rerum singularium perceptiones.<<

Das willkürliche, positive Recht kommt mehr oder minder als Anhängsel nach dem natürlichen.

Die in der Einleitung aufgestellten Begriffe des natürlichen, göttlichen, bürgerlichen und Völkerrechts werden im Buche I, Kap. I, ausführlicher gekennzeichnet. Im § 14 wird im Gebiete des menschlichen willkürlichen Rechtes das Völkerrecht dem civilen Rechte entgegengestellt: Das Jus voluntarium humanum ist »vel civile, vel latius patens. Civile est quod a potestate civili proficiscitur. Potestas civilis est quae civitati praeest. Est autem civitas coetus perfectus liberorum hominum, juris fruendi et communis utilitatis causa sociatus. . . Latius autem patens est jus gentium, id est quod gentium omnium aut multarum voluntate vim obligandi accepit. Multarum addidi, quia vix ullum jus reperitur extra jus naturale, quod ipsum quoque gentium dici solet, omnibus gentibus commune. Imo saepe in una parte orbis terrarum est jus gentium quod alibi non est, ut de captivitate et postliminio suo loco dicemus. Probatur autem hoc jus gentium pari modo quo jus non scriptum civile, usu continuo et testimonio peritorum. Est enim hoc jus, ut recte notat Dio Chrysostomus, svpqua Bíov xai xpóvov... Mag auch hier der Sinn εὕρημα βίου χρόνου.. des Ausdrucks jus gentium mehr oder minder unklar sein, so viel steht fest, daß das Völkerrecht darin einbegriffen und die Existenz eines willkürlichen, positiven Völkerrechts, auf usus continuus basirend, hiermit anerkannt und ausgesprochen ist. Die Gegner des positiven Völkerrechts haben diese Stelle auch richtig aufgefaßt, wie weiter unten ersichtlich sein wird.

In den Prolegomenen theilt noch Grotius den Plan des Werkes mit, dann berichtet er über die Quellen und Hülfsmittel die ihm zu Gebote gestanden: als Leitfaden hat ihm das Naturrecht gedient, dann hat er die Zeugnisse der Philosophen, Geschichtschreiber, Dichter und Redner benutzt, die Heilige Schrift, die Werke der Rechtsgelehrten. Die geschichtlichen Thatsachen hat er vorwiegend aus dem classischen Alterthume geschöpft, zeitgenössische Begebenheiten hat er durchaus unberücksichtigt lassen wollen, Politik hat er sorgfältig vom Rechte unterschieden und meistens gemieden.*)

Damit gewann das Buch jenen wohlthuenden Charakter hoher Würde, heiterer Unparteilichkeit, strenger Wissenschaftlichkeit, der ohne Zweifel zu seinem erstaunlichen Erfolge nicht unwesentlich beigetragen hat. Die Schwäche aber, die davon unzertrennlich ist, leuchtet ein: Gentilis, welcher die Ereignisse seiner Zeit stets berücksichtigt und bespricht, ist in dieser Beziehung für unsere heutige Anschauung werthvoller als Grotius, und ebenso Zouch, von dem in § 90 die Rede sein wird.

Die Sprache des Grotius ist durchweg elegant, die Darstellung geistreich, fesselnd. Man erkennt überall den Meister; aber ermüdend ist für uns die Unmasse von Citaten aus Lateinischen und Griechischen Autoren, wodurch indessen die unendliche Belesenheit und das wunderbare Gedächtniß des Grotius bezeugt wird.

Es kann auffallen, daß Grotius von seinen Vorgängern auf dem Gebiete des Völkerrechts nur sehr wenig und etwas geringschäßig spricht. 5)

Manches Andere, Wichtigere, ist an dem Werke auszusehen: einige Unsicherheit in mehreren Begriffsbestimmungen und in der Terminologie; noch weit mehr eine von unserem Standpunkte aus mangelhafte Systematik. 6) Die weitläufigen Abschweifungen auf die Gebiete des Naturrechts und des allgemeinen Staatsrechts wird man Grotius nicht vorwerfen, wenn man beachtet, daß der Titel diese Gebiete umfaßt: »in quibus jus naturae et gentium, item juris publici praecipua explicantur.

Der Plan des Werkes ist im Kurzen folgender 7):

Im ersten Theile wird geprüft, Quid bellum, quid jus und an bellare unquam justum sit. Der Privatkrieg wird vom öffentlichen unterschieden, welchen eigentlich nur die höchste Staatsgewalt führt: hier werden staatsrechtliche Fragen von summum imperium und von Kriegen der Unterthanen gegen die Regierung erörtert; zuletzt wird die Frage beantwortet, quis bellum licite gerat.

Der zweite Theil handelt von den Veranlassungen oder Gründen des Krieges. Erster gerechter Grund ist Vertheidigung, defensio sui et rerum.

Ein fernerer Grund ist injuria facta, et primum adversus id quod nostrum est. Daher eingehende Untersuchungen über Eigenthum und Verträge, welche in das Privatrecht und in das allgemeine Staatsrecht, zum geringeren Theile in das Völkerrecht gehören. Doch wird hier das Recht der öffentlichen Verträge und das Gesandtschaftsrecht behandelt.

Den dritten Theil bildet das eigentliche Kriegsrecht. Es wird darin,im Allgemeinen gelehrt, was im Kriege erlaubt sei, sodann insbesondere von Repressalien, von der Kriegsankündigung, vom Rechte den Feind zu tödten, von Kriegsverheerung, vom Kriegserwerbe, von Kriegsgefangenen, von Ueberwundenen, vom Postliminium, von der Neutralität, von Privatexpeditionen, von Treue und Glauben zwischen den Feinden und deren Verträgen, von solchen Kriegsverträgen, wodurch der Krieg geendiget wird, als Friedensschlüsse, Loos, Zweikampf, Compromiß, freiwillige Ergebung, ferner von Befestigung folcher Verträge durch Geiseln und Unterpfand, von Kriegsverträgen im Kriege selbst, also Waffenstillständen, Passeports, Auslösung der Gefangenen, von Verträgen der Kriegsfeldherrn und Sponsionen, von Versprechungen der Privatpersonen im Kriege, von stillschweigenden Kriegsverträgen gehandelt, und endlich mit Ermahnungen zum Frieden geschlossen."8)

,,Aus diesem allen erhellet nun hinlänglich", fügt Ompteda mit Recht hinzu,,,daß Grotius zwar im Grunde nur das Recht des Krieges ab= handle, jedoch dabei nicht leicht einen Gegenstand des Völkerrechts überhaupt unberühret lasse; so daß sein Werk allerdings als ein Lehrbuch des gesammten Völkerrechts anzusehen ist, und man ihm das Verdienst, ein solches zuerst geliefert zu haben, nicht wohl absprechen kann“.

1) Dies betont Ompteda mit Recht (a. a. D.), wo auch S. 184 einige Belege aus den Briefen des Grotius abgedruckt sind. Das Schreiben vom 11. Januar 1623 an Peiresc ist oben, § 86, n. 1, citirt. Am 16. Juni desselben Jahres schrieb Grotius: »Do operam commentationi de jure belli, sed lente satis procedo a Am 7. August: »Versor in examinandis controversiis praecipuis, quae ad jus gentium pertinent «

2) Nach Kirchmann's Ueberseßung. Die Prolegomenen find in sorgfältigster Weise excerpirt von Ompteda, S. 185.

3) So die Wechelsche Ausgabe 1626. Zusaß zwischen den beiden sive. .: Daut divinis constitutum legibus.<<

4) Temperavi me ab his quae alterius sunt tractationis, ut quae docent quid ex usu sit facere: quia ista suam habent artem specialem politicam, quam recte ita solam tractat Aristoteles ut alieni nihil admisceat, contra quam fecit Bodinus, apud quem haec ars cum juris nostri arte confunditur. Nonnullis tamen locis ejus quod utile est feci mentionem, sed obiter, et ut id ipsum a justi quaestione apertius distinguerem. Injuriam mihi faciet si quis me ad ullas nostri saeculi controversias, aut natas, aut quae nasciturae praevideri possunt, respexisse arbitratur. Vere enim profiteor, sicut mathematici figuras a corporibus semotas considerant, ita me in jure tractando ab omni singulari facto abduxisse animum.«<

5) Er nennt in seinen Prolegomenen Franciscus Victoria, Heinrich v Gorcum, Wilhelm Matthäi als Theologen, als Juristen Johannes Lupus, Franciscus Arias, Joannes de Lignano, Martinus Laudensis; ferner Petrus Faber, Gentilis und Ayala; endlich als Romanisten Covarruvias und Vasquez, und als Franzosen, die die Pflege der Geschichte mit der des Rechtes verbinden, Bodin und Hotomannus. 6) Eingehende Kritik der Grotianischen Systematik, bei Bulmerincq, Syste matit, S. 19-27.

7) Sorgfältig ist der Inhalt des Werkes excerpirt von Ompteda, S. 194–248. Die Ueberschriften der Kapitel mögen hier folgen : Erstes Buch: Quid bellum, quid jus. An bellare unquam justum sit. Belli partitio in publicum et privatum. Summi imperii explicatio. De bello subditorum in superiores. Quis bellum licite gerat.

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Zweites Buch: De belli causis, et primum de defensione sui et rerum. De his quae hominibus communiter competunt. De acquisitione originaria rerum, ubi de mari et fluminibus. De derelictione praesumta et eam secuta occupatione, et quid ab usucapione et praescriptione differat. De acquisitione originaria juris in personas; ubi de jure parentum, de matrimoniis, de collegiis, de jure in subditos, servos. De acquisitione derivativa facto hominis, ubi de alienatione imperii et rerum imperii. De acquisitione derivativa quae fit per legem, ubi de successionibus ab intestato. De acquisi tionibus quae vulgo dicuntur juris gentium. Quando imperia vel dominia desinant. De obligatione quae ex dominio oritur. De promissis. — De contractibus. De eorum, qui summum imperium habent, promissis et contractibus et juramentis. De foederibus ac sponsionibus. — De interpretatione. De damno per injuriam dato, et obligatione quae inde oritur. De legationum jure. De jure sepulturae. poenarum communicatione.

De jurejurando.

-

De poenis.

De causis injustis. De rebus dubiis.

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De

Mo

nita de non temere etiam ex justis causis suscipiendo bello. De causis belli pro aliis suscipiendi. De causis justis, ut bellum geratur ab his qui sub

alieno imperio sunt.

Drittes Buch: Quantum in bello liceat, regulae generales ex jure naturae; ubi et de dolis et mendacio. Quomodo jure gentium bona subditorum pro debito imperantium obligentur; ubi de repressaliis De bello justo sive solemni jure gentium; ubi de indictione. De jure interficiendi hostes in bello solenni et alia vi in corpus. De rebus vastandis eripiendisque. De jure acquirendi bello capta. De jure in captivos. De imperio in victos. De postliminio. Monita de his quae fiunt in bello injusto. Temperamentum circa ius interficiendi in bello justo. Temperamentum circa vastationem et similia. Temperamentum circa res captas Temperamentum circa captos. Temperamentum circa acquisitionem imperii. circa ea quae jure gentium postliminio carent

sunt.

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Temperamentum

De his qui in bello medii

De his quae in bello publico privatim fiunt. De fide inter hostes. - De fide publica qua bellum finitur; ubi de pacis pactione, de sorte, de certamine condicto, de arbitrio, deditione, obsidibus, pignoribus. nente bello; ubi de induciis, commeatu, captivorum redemptione. minorum potestatum in bello.

De fide ma

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De fide

De fide privata in bello. De fide tacita.

Conclusio cum monitis ad fidem et pacem. 8) Ompteda, S. 246.

§ 88.

Ausgaben, Ueberseßungen des » Jus Belli ac Pacis «<,

Commentare u. s. w.

Literatur: Ompteda, S. 390. - Kampk, S. 46.
Lehmann, Manes, S. 610.

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,,So oft ein Hauptgelehrter auf das Theatrum tritt", bemerkt Glafey sehr richtig, fänget sich mit demselben eine neue Scene an, das ist, der ganze Schwarm der Uebrigen hänget sich an seine Lehren, und verwendet solche in seinen eigenen Nußen. Da werden compendia daraus gemacht, commentarii darüber geschrieben, und die meisten Disputationes aus demselben zusammengetragen, welches Regiment ein solcher großer Gelehrter oft ein halbes seculum führt, bis wieder ein Anderer auf die Bühne tritt... Eben also fing sich mit Grotio ein neuer periodus an, in welchem die Gelehrten im studio juris Naturae weiter Nichts thaten, als daß sie über dessen Jus B. et P. disputirten, commentirten, selbiges in compendia und Tabellen brachten, und endlich gar in andere Sprachen übersetzten. Dieses dauerte so lange, bis Pufendorf auftrat. . . . .“

Die wichtigsten dieser Commentatoren, Annotatoren u. s. w. des Grotius sollen hier genannt werden. Ihre Thätigkeit erstreckt sich weit über Pufendorf, bis in die Jehtzeit. Das Jus belli ac pacis ist im Ganzen noch nicht

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