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ziehungen der fürstlichen Häuser hineingetragen hatte. Es war natürlich, daß wechselseitiges Mißtrauen, das wenigstens theilweise in confessionellen Motiven wurzelte, schwer zu entwaffnen war, daß ein Zug internationaler Sympathie und Abneigung bei auswärtigen Conflicten durch Gemeinschaft oder Gegensah des Glaubens, wenn nicht in den verstandesmäßigen Rechnungen der Staatsmänner, so doch in den breiten Massen der Völker Plaz griff und die Neigung zur Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten wuchs, sobald man hoffen durfte, bedrängten Glaubensgenossen Hülfe zu bringen. War doch namentlich auf protestantischer Seite, die gegen Ende des XVI. Jahrhunderts auf engere Linien der Vertheidigung zurückgedrängt wurde, mißtrauische Be forgniß sehr wohl gerechtfertigt, wenn man sich der älteren Kirchenmoral erinnerte, wonach Treue und Aufrichtigkeit gegenüber Keßern reprobirt worden waren. Je mehr die Bewegungen des reformatorischen Geistes nach dem Ablauf der ersten Sturmperiode auch in protestantischen Ländern von der persönlichen Haltung der Machthaber in jedem einzelnen Territorium abhängig wurden, desto wichtiger mußte es erscheinen, in dem ständigen Gesandtschaftswesen Beobachtungsstationen zu errichten, von denen aus präsente Machtmittel und geheime Motive der Regenten beurtheilt werden konnten. Unrichtig wäre es somit, in dem Uebergang zur Ständigkeit der Gesandtschaften ein Wachsthum internationaler Gemeinschaftsverhältnisse erblicken zu wollen. Ganz im Gegentheile wäre zu sagen, die Neugestaltung des gesandtschaftlichen Verkehrs habe zunächst im XVI. und XVII. Jahrhundert einer zunehmenden Entfremdung der Höfe und dem Auseinandergehen nationalstaatlicher Bestrebungen entsprochen, wodurch nicht ausgeschlossen wird, daß prachtliebende Monarchen ohne persönlichen Ehrgeiz in den Gesandtschaften auch eine ihnen willkommene Gelegenheit ergriffen, ihre Staatsmacht vor den Augen ausländischer Beschauer glänzend zu entfalten.

Unleugbar ist die Aufrichtung starker monarchischer Gewalten in Spanien, Frankreich, Desterreich, England und Schweden der Achtung des internatio nalen Repräsentationswesens und der Formenstrenge des Gesandtschaftswesens zu Statten gekommen. Mag man immerhin betonen, daß für die Vertreter der auswärtigen Staatsmacht, zumal im XVII. Jahrhundert, d. h. für die Diplomatie die Gefahr sich verstärkte, durch Ceremonialvorschriften aller Art, durch kleinlichste Anforderungen der Etiquette und durch Rangstreitigkeiten der Verflachung entgegengeführt zu werden unleugbar hat die mit der ständigen Gesandtschaft gangbar gewordene Vorstellung, daß Gesandte die Person des entfendenden Souveräns repräsentiren, sehr viel dazu beigetragen, ihnen die Privilegien der Exterritorialität, der Unverleßlichkeit und der eigenen Religionsübung mehr zu sichern, als dies bei rein fachlicher und gleichsam abstracter Würdigung ihrer Mission hätte geschehen können. Wie empfindlich Monarchen durch wirkliche oder vermeintliche Verlegung gesandtschaftlicher Vorrechte berührt wurden, wie sehr sie geneigt waren, solche Vorgänge aus dem Gesichtspunkt eigener persönlicher Ehrenkränkung zu würdigen, lehren nicht wenige

Beispiele aus dem älteren Gesandtschaftsrechte, vornehmlich aber die dem XVII. Jahrhundert angehörigen Differenzen zwischen der französischen Krone und den Päpsten. 2)

Mit der Ständigkeit der gesandtschaftlichen Missionen befestigten sich auch zunächst in Italien und Spanien die Geschäftsregeln des auswärtigen Staatsverkehrs. Von großer Bedeutung war dabei das Vorbild der Ve= nezianer.

Die hauptsächlichsten technischen Regeln dieser ältesten, aus dem Mittelalter (XIII. Jahrhundert) vererbten Venezianischen Diplomatie waren folgende: Der Gesandte wurde darauf vereidigt, nur für den Vortheil und die Ehre seiner Vaterstadt zu handeln und alle während seiner Abwesenheit empfangenen Geschenke abzuliefern (1268). Ausgeschlossen war seine Entsendung in solche Staaten, wo er selbst Grundbesih hatte (1271). Seinen Posten durfte er nicht verlassen (1285). Er verlor die Bezüge aus allen vor seiner Ernennung innegehabten Aemtern (1250). Ohne Specialvollmacht des Dogen oder Rathes, durfte er in Rom keinerlei Pfründe für bestimmte Privatpersonen erwirken. Bei seiner Rückkehr hatte er seine Kostenrechnung einzureichen und binnen fünfzehn Tagen einen Schlußbericht zu erstatten. Schon im fünfzehnten Jahrhundert (1434) ward allgemein untersagt, Anverwandte von Geistlichen zu Römischen Gesandtschaften zu ernennen. Alle Anverwandte des Papstes (papalisti) galten als im hohen Grade verdächtig. Geistliche waren in Venedig nachmals sogar schlechthin von allen Staatsämtern und allen Staatsberathungen ausgeschlossen.

Genau in seinen Einzelheiten, war auch das Berichterstattungswesen in Venedig geordnet worden, wobei die beiden Gesichtspunkte schleuniger Information und gründlicher kritischer Erläuterungen zu den durch,,Depeschen" (dispacci) gemeldeten Thatsachen zu ihrem vollen Rechte gelangten. Die ausführlichen Relationen" galten bereits während der späteren Jahrhunderte des Mittelalters als Zeugnisse politischer Weisheit, lange bevor die neuere Geschichtsschreibung auf Grundlage ihrer archivalischen Studien diesen Ruhmestitel bestätigte.3)

In ähnlicher Weise, wie der moderne Parlamentarismus bemüht war, die Unabhängigkeit der Volksvertretungen gegenüber den Staatsregierungen durch eventuelle Mandatsverluste gegen Bestechungen zu sichern, war im auswärtigen Verkehr die Republik Venedig, welche die persönlichen Beeinflussungen an fremden Fürstenhöfen sehr wohl zu würdigen verstand, darauf bedacht, sich eine wirksame Controle über ihre Missionen zu sichern. Zur Verstärkung dieser staats- und verwaltungsrechtlichen Seite des Gesandtschaftsrechtes dienten dann späterhin die völkerrechtlichen Marimen der Exterritorialität und Reciprocität in der Behandlung fremder Gesandtschaften. 4)

Bedeutsamer als die zuerst in Venedig hervorgetretene und in klaren Bestimmungen bekämpfte Gefahr gesandtschaftlicher Bestechung erscheint die Besorgniß der Einmischung geistlicher und kirchlicher Abhängigkeitsverhältnisse

in den Gang auswärtiger Staatsgeschäfte. Frühzeitig erkannte man die Schwierigkeit, den Gehorsam gegen den Papst mit der Pflicht zu vereinbaren, die staatlichen Interessen zu wahren. Gerade in der Nähe des heiligen Stuhles geschah dies eher, als anderwärts, wo weltliche Machtgelüste der Curie nicht durch Italienische Verhältnisse veranschaulicht waren.

Die Ueberlegenheit der von Geistlichen geleiteten Diplomatie und die Unentbehrlichkeit der Prälaten bei der Wahrnehmung auswärtiger Staatsgeschäfte war überdies durch das Aufkommen des Römischen Rechtsstudiums an den Universitäten eher bestätigt, als abgemindert worden. Denn die wunderbare Mischung des späteren Canonischen Rechts aus dogmatischen Lehrsägen und den höchsten päpstlichen Privilegien der auf kirchliche Zweckmäßigkeitserwägungen gestützten Dispensgewalt begünstigte in der Staatspraxis die Hervor bringung eines diplomatischen Systems durch die Ermöglichung eines freien Handelns gegenüber den Thatsachen des einzelnen Falles. Gerade das Papst= thum wahrte sich eine den Umständen entsprechende Wahl zwischen der Androhung geistlicher Strafgewalt gegen Widerstrebende und der Verheißung vortheilhafter Concessionen an Nachgiebige, während das Römische Recht eigentlich nichts enthielt, was für die Beilegung von Staatshändeln unter gleich. berechtigten Mächten politisch auszunußen gewesen wäre. Der politische Vorrang kirchlich geschulter Prälaten behauptete sich daher auch in dem Zeitraum zwischen dem Pontificat des Aeneas Sylvius, der als einer der weitsichtigs sten Staatsmänner des XV. Jahunderts mit Recht angesehen wurde, bis in die Mitte des XVII. Jahrhunderts, wo Richelieu und Mazarin die diplo matische Führerschaft in Europa erlangt hatten. 5)

Im Reformationszeitalter selbst hatte sich aber, der Renaissance der Wissenschaften und der Künste folgend, auch eine Wiedergeburt der politischen Erkenntniß vollzogen. Aus dem Studium der Klassiker, der Griechischen Philosophen und Römischen Geschichtsschreiber, insbesondere des Livius, aus der Erkenntniß der von den Päpsten unter geistlichem Firniß befolgten Praxis weltlicher Machtübung und aus den Eindrücken, die die nationalen Staatsbildungen der Spanier und Franzosen in den Gemüthern patriotischer Italiener hinterließen, entstand die Lehre des Macchiavelli, die in seinem Buche vom Fürsten entwickelt ist. 6) Nächster Zweck dieser Staatsmachtlehre war allerdings die Heilung trostlosester Gebietszersplitterung in Italien, dessen Kleinstaatenthümer abwechselnd zum Spielball Deutscher, Französischer, Spanischer oder päpstlicher Interessen geworden oder der Ausplünderung durch communale Dynastien verfallen waren. Ueber diesen nächsten Zweck ging aber die Bedeutung der von Macchiavelli gegebenen Machtvorschriften weit hinaus. In ganz Europa begriff man alsbald die Tragweite der Zweckmäßigkeitsgründe, die der Florentiner Staatsmann für die rücksichtslose Ausnutzung der höchsten Gewalt gegeben hatte, um so schneller als sie dem in der juristischen Definition der Souveränetät enthaltenen Keime der Absolutie durchaus entsprachen. Macchiavelli sah zuerst, daß große Nationalstaaten zu seiner Zeit nur durch

Einheit der monarchischen Gewalt entstehen konnten. Der (gleichviel ob mit Recht oder Unrecht) sogenannte „, Macchiavellismus“ enthielt also in Wirklichkeit die Maximen, die Jahrhunderte hindurch thatsächlich in den internatio= nalen Beziehungen der Italienischen Staaten zu einander und zur Curie gehandhabt worden waren, ohne daß man früher das Bedürfniß empfunden hatte, sie als ein aus historischen Thatsachen hergeleitetes Machtprogramm der Diplomatie öffentlich zu verkündigen. Die Förderung, die Macchiavelli als der im XVI. und XVII. Jahrhundert unübertroffen gebliebene Lehrmeister aller auswärtigen Politik den Fürsten und Staatsmännern ertheilte, beruht in der Herstellung einer von dogmatischen, päpstlichen oder kaiserlichen Idealen, von religiös-kirchlichen und juristischen Formeln durchaus unabhän= gigen realistischen Zweckmäßigkeitspraxis, aus welcher die Anwendbarkeit religiöser Gewissenspflichten oder privatmoralischer Sittlichkeitsgebote ausgeschieden wird. Mochte diese Auffassungsweise, wenigstens in der ihr gegebenen Schroffheit, auch vom Standpunkte der philosophischen Staatslehre ebenso unzulänglich erscheinen, wie von demjenigen der Moral, jedenfalls erlangte sie weitreichende Bedeutung für sämmtliche Europäischen Staaten. Mit Ausnahme der von Spanien abgefallenen Niederlande und Englands, wo das Parlament seine Rechte zu behaupten wußte, folgte die Staatskunst der großen Monarchien den politischen Grundsätzen Macchiavelli's, die gleichsam zum Glaubensbekenntniß der Gewalthaber geworden waren. Die kirchliche Indifferenz dieser Anschauungen bewährte sich darin, daß man den staatlichen Gleichgewichtsinteressen an Stelle der mittelalterlichen Universalherrschaftsidee überall, wo es der Vortheil der Regierenden erheischte, unbedenklich auch durch Abschluß von Bündnissen mit den Osmanen huldigte, und die Mitwirkung Der Ungläubigen in den Kreis der Europäischen Combinationen aufnahm. In demselben Maße, wie man unter Berufung auf Macchiavelli den Vertragsbruch beschönigte, steigerte sich indirect die Vorsicht, die ihm durch reale Garantien in den internationalen Beziehungen zu begegnen suchte. Macchia. velli hat somit indirect zur Festigung des Völkerrechts beigetragen, indem er die Erkenntniß der richtigen Proportionen zwischen Machtzwecken und Machtmitteln verbreitete.

1) Nach der durch Flassan in Umlauf gebrachten Meinung wäre Ludwig XI. auch der Schöpfer des ständigen Gesandtschaftswesens. Die neuesten Forschungen von Krauske (a. a. D) S. 147 ergeben indessen Folgendes:,,1. Die ständigen Gesandtschaften stammen aus den Italienischen Staaten, vorzüglich aus Venedig, wo fich die neue Praxis im XV. Jahrhundert vollständig entwickelt hat. 2. Dieselbe ist in dem Zeitalter Ferdinands des Katholischen von Italien aus auch bei den größeren Mächten von West- und Mittel- Europa eingebürgert worden. 3 Gegen Ende des XVI. Jahrhunderts ist dann die moderne Form des diplomatischen Verkehrs zu den nördlichen Reichen vorgedrungen, in denen sie im XVII. Jahrhundert allgemein üblich wurde."

Handbuch des Völkerrechts 1.

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2) Ueber den Conflict zwischen Ludwig XIV. und Innocenz XI. (1657) und den dogmengeschichtlichen Stand der damaligen Auffassungen f. Bernard, Traité théorique et pratique de l'extradition (1883) I, 295 ff.

3) Thomas (a. a. D.) S. 143 ff. Baschet (a a. O) S. 11ff., 17 ff. Als Gegenstand der Berichterstattung erwähnt leßterer: un travail destiné à s'étendre sur le compte d'une nation étrangère, sur la nature et l'état de son commerce, sur le genre et la variété de ses ressources, sur l'emploi de ses finances, sur le nombre et la tenue de ses armées, sur la sagesse ou la nécessité de ses lois, sur le mérite et les intentions de ses ministres, sur le caractère enfin l'esprit et les habitudes et la personne de ses princes (p. 24) Ueber die Schlußberichte s. auch Krauske (a. a. D.) S. 242.

4) Die Türkei macht insofern eine Ausnahme, als, wie Wiequefort für sein Zeitalter bezeugt, in Conftantinopel ständige Gesandtschaften der Mächte empfangen wurden, die Pforte selbst aber damals nur Gelegenheitsmissionen abzuordnen pflegte, was man ihr als Hochmuth anrechnete.

5) Der technische Begriff der „Diplomatie" blieb dem XVI. Jahrhundert allerdings noch fremd. Flassan (in der Histoire de la diplomatie Française, die zuerst 1809 erschien) bezeugt, daß das Wort „Diplomatie“ depuis un certain nombre d'années in Gebrauch sei. Auch Pöliß versichert, daß es erst seit Anfang des XIX. Jahrhunderts allgemein üblich wurde. S. Kaltenborn, in Bluntschli's Staatswörterbuch III S. 115.

6) Ueber das noch immer streitige Problem des principe s. die ältere Literatur bei R. v. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften II, 521 ff., sowie einige Nachträge in v. Holzendorff's Principien der Politik, Anhang Note 341. Ferner: Mancini, Diritto Internazionale con un saggio sul Macchiavelli. Napoli 1873. Tommasini, La Vita e gli scritti di Macchiavelli (Torino 1883, Die beiden leßten Autoren vol. I) und Villari, N. Macchiavelli e i suoi tempi. schrieben ihre Werke aus Veranlassung des vierhundertjährigen Gedenkfestes (1869).

§ 84.

Der dreißigjährige Krieg und der Westphälische Friede. Literatur: 3. G. v. Meyern, Acta pacis publica oder Westphälische Friedensverhandlungen und Geschichte. 6 Thle. Göttingen 1734-36. - Pütter, Geist Woltmann, Geschichte des des Westphälischen Friedens. Göttingen 1795. Westphälischen Friedens. 2 Bde. 1808. Bd. I-IV. des dreißigjährigen Krieges. 1882.

Gindely, Geschichte 2. v. Ranke, Zur Deutschen Geschichte

Hanser,

vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg (1868).
Deutschland nach dem dreißigjährigen Kriege u. s. w. mit Rücksicht auf die Ent-
wickelung des Europäischen Staatensystems seit der Reformation. 1882. S. 26ff.,
53-89. Seehausen, Schweizerische Politik während des dreißigjährigen

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Comte de Garden,
J. Van Praet, Essais

Le Prince

Krieges (in den Halleschen Abhandlungen 1882).
Histoire générale des traités de paix etc. (1848).
sur l'histoire politique des derniers siècles. Bruxelles 1884.
Ouroussow, Resumé historique des principaux traités conclus entre les
Puissances Européennes. Paris 1885. S. 1-13.
du droit des gens (3. éd. Leipzig 1853) I, 100 ff.

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Wheaton, Histoire

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