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endgültig der Uebergang von der Altgermanischen Personalität der Rechtsanwendung zu dem System der Territorialität, das heißt zu dem Gedanken der örtlichen Gebundenheit des Rechtes und seiner Beschränkung auf ein bestimmt begränztes Gebiet, innerhalb dessen dann freilich die durch Lehn und Grundbesit oder Hofwesen, durch geistliches Amt, bürgerlichen Beruf oder bäuerische Abhängigkeit bedingten ständischen Gliederungen ihre personale Bedeutung behalten können. Die allmälig eintretende Unterordnung der personalen Rechtsstellungen unter den in der Erblichkeit des Lehns wurzelnden Gedanken der Territorialität bewährte sich aber gerade darin, daß man in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters personale Sonderrechte der höheren Stände als „Privilegien“ auffaßte, deren Bestätigung bei einem Regierungswechsel durch den Landesherrn erforderlich erachtet wurde.

Durch die in Recht und Pflicht des Vasallen eintretende Erblichkeit im Zusammenhange mit der überall geltend gewordenen Vorstellung einer dem Grundbesig innewohnenden politischen Qualität der Dienstbarkeiten, Amtsberechtigungen oder Beherrschungsverhältnisse scheidet sich dann endgültig die öffentlich rechtliche Ueberlieferung des Germanischen Rechtes von dem Römischen Recht, welches zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut keine grundfäßlich trennenden Unterscheidungsmerkmale gesetzt hatte.

An das Lehn anknüpfend, wird das ländliche oder agrare Immobiliar= recht des großen und größten Grundbesizes zur Basis eines höher entwickelten Staatsbegriffes, der, weil er an einheitlichen Vorstellungen großer Nationen nicht hängen konnte, an die Größe der Gebiete anknüpfte, deren Abtrennung aus dem Dominium eminens in den Händen eines,,Oberherrn" lag. Privatrechtlich gedachte Gebietsnußungen vermittelten den staatsrechtlichen Begriff wirksamer Gebietsherrschaft oder Regierungsordnung und beengten oder erweiterten je nach den Umständen auch die Vorstellungen von dem Inhalt der königlichen Gewalt: beengend durch ihren Zusammenhang mit den mittelalterlichen, ständischen Verfassungsbildungen, erweiternd durch ihre Verbindungen mit dem Wachsthum folcher gesellschaftlichen Bedürfnisse, die im kleinsten Rahmen örtlicher Machtbefugnisse des Vasallen nicht hinlänglich befriedigt werden konnten, sondern zu einer stärkeren Centralisation der Gewalt drängten.

Durch das Lehnrecht gelangte, siegreich gegenüber der in Frankreich und unter den Karolingern verderblich gewesenen Theilbarkeit der Reichsgebiete nach oben aufsteigend der Grundsaß der Untheilbarkeit des Landes aus den mehr privatrechtlichen Beziehungen in das öffentliche Recht der Thronfolge und des Staatsvermögens. Der rechtshistorische Entwickelungsgang des Germanenthums ist somit großentheils demjenigen des Römischen Staatswesens entgegengesett.

War bei den Römern das Jus privatum ein Sonderrecht, abgetrennt vom Jus sacrum und publicum der alten Volksgemeinde, so löst sich nach der Germanischen Eroberung überall das öffentliche Recht von den anfänglichen privatrechtlichen Vorstellungen des untheilbaren, erblichen Grundlehens ab, so

daß der Grund begriff persönlicher. von Hause aus nur durch freien Willen beschränkbarer Freiheit der einzelnen Rechtsgenossen als Fundament der öffentlichen Rechtsbeziehungen erschien.4) Nach allen Seiten hin entwickelungsfähig, beeinflußte das feudale System seit dem 11. Jahrhundert sämmtliche Insti tutionen der bürgerlichen und geistlichen Gesellschaft.

Was zunächst die Kirche anbelangt, so vermochte auch diese sich dem Einfluß der Vasallität nicht zu entziehen, obgleich ihr zur Versorgung der Geistlichkeit und zur Ausstattung ihrer Anstalten der Zehnte neben zahlreichen Zuwendungen von freien Gütern und Werthgegenständen zur Verfügung stand. Die Kirche empfing und vergab Lehen.

Aus jenem Dualismus geistlicher Exemtionen und Immunitäten auf der einen Seite und der weltlichen, im Lehn wurzelnden Berechtigungen und Verpflichtungen entsprang der Investiturstreit, eine der bemerkenswerthesten Phasen des Kampfes zwischen Staat und Kirche, dessen Inhalt unter vielfach veränderten Gestalten sich auch in späteren Jahrhunderten wiederholte. Zwischen dem Laienadel und dem hohen Clerus bildete somit das Lehen eine gesellschaftliche Uebergangsformation, vermöge welcher die Geistlichkeit in den Gang weltlicher Staatsgeschäfte, vornehmlich in den allgemeinen Entwickelungsproceß reichs- oder landständischer Corporationen, hineingezogen wurde.

Selbst die städtische Machtentfaltung vermochte sich in den Europäischen Staaten Germanischen Ursprungs dem Zusammenhange mit dem Lehnswesen nicht zu entziehen. Das Institut der Burg- und Marktlehen griff in den Zusammenhang der städtischen Interessen, je nach den thatsächlichen Verhält nissen, bald hemmend, bald fördernd ein. Und in der negativen Richtung der Befreiung gewisser Städte von feudalen Berechtigungen des umwohnenden Landadels oder der Fürsten lag vielfach der Ausgangspunkt einer neuen, an die städtischen Corporationen anknüpfenden Culturblüthe.

Solchergestalt war das Lehn geeignet, nach allen Seiten hin theils Verbindungen und Uebergänge, theils Gegensätze und Streitfragen zu schaffen. Dies zeigte sich insbesondere dann, wenn man den völlig verschiedenen Entwickelungsgang beobachtet, den zumeist seit dem Zeitalter der Kreuzzüge die monarchischen Staatsverfassungen in Europa genommen haben. In England 3) namentlich ward die strenge Durchführung und Handhabung der oberlehnsherrlichen Gewalt durch die Normannischen Könige das Mittel zur Herstellung einer frühzeitig vollendeten Staatseinheit und zur Ueberbrückung der gesellschaftlichen Gegensätze durch Parlamentsverfassung und Selbstverwaltung der Gemeinden, während umgekehrt auf dem Europäischen Continent die lehnsrechtlichen Institutionen als schwer zu überwindender antimonarchischer Machtorganismus das Fürstenthum zu jenen wechselvollen Bürgerkriegen nöthigte, in denen die städtischen Corporationen zwar eine hervorragende Rolle spielten, aber ihre Gemeindefreiheiten schließlich preisgeben mußten.

In internationaler Richtung und in den außerstaatlichen Beziehungen bes währte sich die universale Lebensmacht der mittelalterlich feudalen Anschauungen

auf ähnliche Weise. Da die Abhängigkeit des Vasallen vom Lehnsherrn nirgend eine persönliche Erniedrigung bedeutete, sondern der Grundgedanke des Lehnsvertrages auf der Anerkennung einer Wechselwirkung zwischen Treue und Huld beruhte, so war der Belehnungsact ein sehr oft erprobtes Mittel, Kriegführungen durch darauf bezügliche Stipulationen eines Friedensschlusses zu beendigen. Auch Vasallen konnten eine Königskrone tragen, national ge= sonderte oder abgelegene Gebiete, ohne eine Beeinträchtigung ihrer politischen Eigenart im lehnsrechtlichen Verhältniß zu mächtigeren Monarchen stehen. Die Kronen von Böhmen, Polen), Dänemark, England, Neapel und zahlreicher anderer Ländergebiete von geringerer Bedeutung standen theils vorübergehend, theils für längere Zeiträume im Vasallenverhältniß zum Deutschen Kaiser oder zum Papste.

Ohne die ideelle Grundlage einer bereits im Zeitalter der Ottonen vorgeschrittenen Einwirkung lehnrechtlicher Vorstellungen würde auch das Deutsche Kaiserthum und seine universalhistorische Stellung gegenüber dem Papstthum unbegreiflich bleiben. So weit der Papst über weltliche Besißthümer herrschte, konnte er vom Standpunkt des kaiserlichen Rechts als Vafall, soweit er mit der Römischen Kaiserwürde und Salbung eine höhere Weihe der weltlichen Gewalt ertheilte, als der Lehnsherr aufgefaßt werden. Auch hatte es nach Lehnrecht nichts Entwürdigendes, wenn Könige freiwillig oder als Besiegte ihre Kronen vom Kaiser als Lehn empfingen oder wenigstens, so lange das Nationalgefühl noch unentwickelt blieb, nach dem Princip der im Kaiserthum repräsentirten Weltmonarchie als höchste Vasallen des Imperiums und somit gleichzeitig als wesentliche Stüßen dieser denkbar höchsten Gewalt aufgefaßt wurden. 7)

Die politischen und international bleibenden Nachwirkungen des Lehnswesens erweisen sich als Recht bildende Macht vornehmlich in der territorialen Ordnung der Europäischen Völker und in der nachmaligen Ausbildung sowohl einheitlicher, an Eroberung und Lehnsherrlichkeit anschließender Gebiete als auch in der personalen Verbindung mehrerer Gebiete durch den bedeutsamen Vorgang der Unionen, deren ältestes Vorbild in der historischen Thatsache gegeben war, daß ein Vasall mit mehreren räumlich von einander getrennten Lehen ausgestattet sein konnte. Auch die Zweckbestimmungen des völkerrechtlichen Protectorats über schwächere, des Schußes bedürftige Staaten entstammen dem Ideenkreise des Lehnswesens.

1) Ueber die Beziehungen des Lehnswesens zur Kirche vgl J. Laurent, Histoire du droit des gens, vol. VII, La féodalité et l'Église.

2) Unter den Merovingern geschahen die Vergebungen des Kronguts zu vollem Eigenthum. Da auch Kirchengüter zu diesem Zwecke eingezogen wurden, kann man für die damalige Zeit von den ältesten Säcularisirungen sprechen. Unter den Karolingern begründeten die Beneficien nur ein beschränktes Nuzungsrecht, das mit

dem Tode des Beliehenen (Mannfall) oder des Verleihers (Herrenfall) erlosch. (S. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte in der Encyclopädie v. Holzendorff S. 213).

3) Nach Wait (Verfassungsgeschichte IV, 205) wäre das Wort Vasall Celtischen Ursprunges, übrigens auch ohne jeden sachlichen Zusammenhang mit der alten Gefolgschaft (comitatus), wovon Freeman (Compar. Politics 476 n. 13) dissentirt, indem er annimmt, Vasall bedeute dasselbe wie das Sächsische „Degen“.

4) Auf den privatrechtlichen Charakter der Königl. Gewalt bei den Germanen verweist auch Wait (Verfassungsgeschichte II, 2, 273.)

5) Das Hauptwerk über die Normannische Eroberung ist Freeman's History of the Norman Conquest.

Britannien ward im Mittelalter vielfach als außerhalb des orbis terrarum liegend erachtet Wilhelm der Rothe bestritt daher dem Römischen Papst alle Machtbefugnisse in seinen Landen. Die Eigenthümlichkeit der lehnrechtlichen Entwickelung leitet Freeman (Comparative Politics S. 352) vornehmlich von der geographischen Isolirung ab: »Our insular position has been one of the greatest facts of our history.« Dies ist insofern richtig, als Kriegsdienst der Vasallen gegen das Festland ohne gleichzeitiges Eingreifen einer (außerhalb des Lehnsnexus stehenden) Streitmacht zur See überhaupt nicht ausführbar war. Ueber die staatsmännische Befähigung des Normannischen Adels s. auch Nißsch, Geschichte des Deutschen Volkes II, S. 10.

6) Bereits 984 empfing der Regentschaftsprätendent (bezüglich Otto II.) Herzog Heinrich zu Quedlinburg die Huldigung der Herzöge von Polen und Böhmen.

7) Sehr beachtenswerth ist ein Citat bei Freeman (Comp. Politics, S. 462, Note 21) wonach der Angelsächsische König Alfred in seiner Darstellung der Odyssee Ulysses als König von Ithaka bezeichnet, in dem Heerführer der Könige vor Troja aber einen Kaiser erblickt und darum Agamemnon den Kaisertitel beilegt.

§ 73.

Waffenrecht und Landfriede.

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Wait,

Literatur: Brunner (in v. Holzendorff's Encyclopädie) S. 240 § 18. Deutsche Verfassungsgeschichte II, 2, 135-242. Unger, Der gerichtliche Zweikampf. 1847. Kluchohn, Geschichte des Gottesfriedens. 1857. Eggert, Studien zur Geschichte der Landfrieden. 1875. Pland, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter. 2 Bde. 1879 (insbesondere Bd. 11, S. 144ff.). Balzer, Zur Geschichte des Deutschen Kriegswesens in den Zeiten der letten Karolinger bis auf Friedrich II. 1877. Bouquié, De la Justice et de la discipline dans les armées à Rome et au moyen age. Bruxelles 1884. Nys, Las Siete Partidas et le droit de la guerre (Rev. D. J. XV, 478). Reeves, History of the English Law (ed. by Finlason. 1869) vol. I, 53ff., II, 268 ff., 373.

Dem Gange der Wehrverfassung, die durch das Lehn gleichsam zu einer Germanischen Militärrepräsentation der alten Volksgenossenschaft umgestaltet wird, parallel laufend erscheint die Gerichtsverfassung der Karolingischen Monarchie, in welcher die wirthschaftlich angestrengte Volksgemeinde durch das

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Institut der Schöffen entlastet werden sollte. Zwischen dem Rechtswesen und dem Waffengebrauch bestand im Germanischen Mittelalter ein enger, durch den Begriff des Friedens vermittelter Zusammenhang. Alle ältesten Rechtsvorstellungen wurzelten im Frieden“, den die Zugehörigkeit der Volksgenossen= schaft den einzelnen Angehörigen verbürgt und nachmals das königliche Amt zu schüßen berufen war. Und umgekehrt: Alles schwere Unrecht gegen die Volksgenossen war Friedensbruch: eine Anschauung, die sich in England am längsten auf dem Boden der Staatspraxis behauptet hat.

Wenn das Mittelalter im Vergleich zu antiken Staaten und modernen Verhältnissen so vielfach den Eindruck gewaltthätiger und verworrener Rechtsunsicherheit in dem seine Geschichte betrachtenden Forscher zu hinterlassen pflegt, so geschieht dies vornehmlich deswegen, weil jene Epoche so lange Zeit eines besonderen, vom Heerdienst und Waffenrecht verschiedenen, hinreichend starken Organs der öffentlichen Gewaltübung im Sinne der inneren Rechtsordnung entbehrte.

Die Behandlung des frie los gewordenen Volksgenossen oder des Rechtweigernden folgte, auch nachdem das Lehn allgemeine Aufnahme gefunden hatte, den uralten Ueberlieferungen der Privatkriegführung durch Fehde oder Privatrache im Anschluß an die Grundsäße des ältesten Prozeßverfahrens. Heerdienstpflicht des Vasallen im auswärtigen Kriege oder in Befolgung des königlichen Heerbannes und das gleichsam alltägliche Waffenrecht des freien Mannes zur Ergänzung der Rechtspflege waren also völlig verschiedene und von einander unabhängige Dinge.

Wie die Symbolik des Römischen Civilprozesses mit den uralten Formeln der Kriegserklärung an auswärtige Feinde zusammenhing, so erkennt man im alten Germanenthum die an die Idee des Gottesurtheils geknüpfte Verbindung zwischen Kriegführung und Rechtsverfahren.

Das Waffenrecht des Mittelalters erscheint somit gleichzeitig: als internationales Recht der Kriegführung nach Außen in Gemäßheit des von der obersten Gewalt der Könige oder Herzöge ausgehenden Heerbannes, sodann auch als Rachebefugniß und Selbsthülfe des freien Mannes gegen friedlos gewordene oder Prozeßgegner, endlich als Kampfbeweis im Rechtsverfahren: Erscheinungen, aus denen hervorgeht, wie eng die Vorstellungen vom Waffengebrauch und Kriege mit der Gesammtheit aller Rechtsideen ursprünglich verwachsen waren. Im Germanischen Mittelalter zeigte sich bis in die fpäteren Jahrhunderte die Unmöglichkeit, den völkerrechtlich aufzufassenden Krieg von der Privatselbsthülfe zu unterscheiden. Jeder Vasall beanspruchte, neben seiner Waffendienstpflicht, auch ein Waffenrecht gegen seines Gleichen, bedingungsweise sogar gegenüber seinen Lehnsherren geltend machen zu dürfen. Internationale, politisch-staatliche und private Beziehungen berühren sich somit in mannigfaltigster Weise gerade auf dem Gebiete des Waffenrechts. Seinem Einfluß vermochten sich in ihrer Eigenschaft als Lehnsträger auch Kirchenfürsten

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