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ten während des Mittelalters auf das Erheblichste und Nachhaltigste eingewirkt. Dies geschah entweder durch Parteinahme, Allianzverträge und Intervention zur Aufrechterhaltung geistlicher Interessen, oder in Folge geschehener Anrufung um einen schiedsrichterlichen Spruch. Da der Eid im Mittelalter als Bestärkungsmittel fürstlicher Verträge eines großen Ansehens genoß, ge= währte auch die päpstliche Dispensgewalt eine Gelegenheit, auf das Staatsvertragsrecht, durch Prüfung übernommener Verbindlichkeiten im Falle von Dispensgesuchen einzuwirken.

Somit war die Lehre von der universalen Oberherrlichkeit der Papstkirche in Gemäßheit der Decretalen das Fundament nicht nur der bürgerlichen und politischen, sondern auch der völkerrechtlichen Ordnung in der Christenheit geworden.

Waren die Fürsten und Staatsoberhäupter ohne jede Rücksicht auf irdische Machtstellung den Geboten der Kirche gleich jedem andern Christen unterworfen, so konnte keinerlei Grund vorliegen, die internationalen Beziehungen der Könige und Völker nach anderen Maßstäben zu beurtheilen, als die innerstaatlichen. Gleicherweise wie der Papst Ehebündnisse annulliren konnte, stand es ihm nach seiner Auffassung zu, den in Gestalt der Verfassungsgebung vereinbarten Frieden zwischen Fürsten und aufständischen Unterthanen ihrer Nichtigkeitserklärung zu unterwerfen, Staatsverträge aufzuheben oder den Krieg im Interesse der Kirche zu gebieten. Im Verlaufe der Jahrhunderte war somit in höchst allmäligen Entwickelungen, ohne jede plögliche Umwandlung aus der urchristlichen Idee des Menschheitsfriedens, durch welche das Irdische in den Dienst des kommenden Gottesreiches gestellt worden war, die mittelalterliche Kirchenidee hervorgegangen, wodurch das im geistlichen Schwerte symbolisirte Himmelsreich den irdischen Herrschaftsinteressen des geistlichen Amtes dienstbar gemacht wurde. Das Gottesreich offenbarte sich so in dem Stellvertreter Christi als ewiger Krieg gegen die weltlichen Mächte, in welchem die Concordate gleichsam als geistliche Waffenstillstandsverträge erschienen. Daß diese Entwickelung im christlichen Abendlande überhaupt möglich wurde, beruht auf zwei Grundthatsachen der Universalgeschichte: auf der intellectuellen Ueberlegenheit und Einheit nicht blos der priesterlichen, sondern der gesammten Geistesbildung, über welche die Kirche bis in das XII. Jahrhundert allein verfügte, und auf der eigenthümlichen Unfertigkeit der älteren Germanischen Staatsbildungen.

Die christliche Kirche hatte den antiken Staat, der in den Zustand der Senilität schon vor Constantin dem Großen gerathen war, begraben und beerbt. Mit den Mitteln dieser Erbschaft wirkte sie dann als Lehrmeisterin in der neuen durch das Germanenthum begründeten Staatenwelt bis zu der Zeit, wo nach dem XII. Jahrhundert der ehemaligen Alleinherrschaft kirchlicher Cultur, durch deren Uebermacht das gesammte rechtliche, sittliche, wirthschaftliche, künstlerische und wissenschaftliche Leben, die Architectur der Kirchenbauten, wie der Stil der Gedankenwelt beherrscht oder geleitet worden war, die An=

fänge einer selbständigen, neuen Denkweise gegenübertraten, als deren Ausgangspunkte das Ritterthum und die Universitäten anzusehen sind. Der Gipfel der kirchlichen Machtentfaltung unter den Päpsten des XII. und XIII. Jahrhunderts erscheint daher gleichzeitig auch als Wendung zum inneren Verfall der altkirchlichen Gesittung.

1) S. Martens (a. a. D.) S. 15 ff. In c. 10 X. de testamentis III, 26, werden sogar legtwillige Verfügungen als res spiritualis dem Canonischen Testament unterworfen.

2) Jeder Keßer unterliegt direct der päpstlichen Gewalt, s. die Decretalen Innocenz' III und c. 10 X. de haereticis V, 7.

3) Die Bulle ist dem Corpus Juris Canon. (und zwar den Extravag. comm.) einverleibt: c. 1 de Majoritate et obedientia 1, 8. Dieselbe schließt mit den Worten: Porro subesse Romano Pontifici omni humanae creaturae declaramus, dicimus, definimus et pronunciamus omnino esse de necessitate salutis. Bezüglich des Abschwächungsversuches durch das Breve Clemens' V. (Meruit) vom 1. Februar 1306 s. Martens (a. a. D.) S. 44.

4) S. c. 2 X. in VI to de sententia et re judicata: Omnes, qui ei juramento fidelitatis tenentur adstricti, a juramento hujusmodi perpetuo absolventes, auctoritate apostolica firmiter inhibendo, ne quis de cetero sibi tamquam imperatori vel regi pareat et intendat, decernendo, quoslibet, qui ei deinceps veluti imperatori vel regi consilium praestiterint seu favorem ipso facto excommunicationis sententiae subjacere. Illi autem ad quos in eodem imperio imperatoris spectat electio, eligant libero successorem.

5) S. c. 10 X. de const. 1, 2.

6) Ueber die principiell verschiedenen Würdigungen s. Bornagius, Die rechtliche Natur der Concordate. Leipzig 1870.

Fünftes Kapitel.

Das Germanenthum im Mittelalter.

$ 70.

Die Völkerwanderung und die Germanischen Staats

gründungen.

Literatur: S. die Verzeichnisse bei Brunner, Geschichte und Quellen des Deutschen Rechts in v. Holzendorff, Encyclopädie der Rechtswissenschaft 4. Aufl. 6. 194 ff. Insbesondere: v. Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter. 2. Aufl. 1834 ff. Bd. I-II. E. v. Wietersheim, Geschichte der Völkerwanderung. 1858. Gaupp, Germanische Ansiedlungen und Landtheilungen in den Provinzen des Römischen Weltreichs und ihren völkerrecht

lichen Eigenthümlichkeiten. 1844. Wait, Deutsche Verfassungsgeschichte I. Band, 3. Aufl. 1880. v. Bethmann Hollweg, Der Civilprozeß des gemeinen Rechts Bd. IV (1868). Thudichum, Der Altdeutsche Staat 1862. Arnold, Deutsche Urzeit, 1879. - Erhardt, Aelteste Germanische Staatenbildung. 1879. Kaufmann, Deutsche Geschichte Bd. I. 1880. - K. W. Nitsch, Geschichte des Deutschen Volks bis zum Ausgang der Ottonen. Leipzig 1883. Bd. I, S. 15-120. F. Dahn, Geschichte der Deutschen Urzeit. 1883. H. Rückert, Culturgeschichte des Deutschen Volkes in der Zeit des Ueberganges aus dem Heidenthum in das Christenthum. 2 Bde. 1853

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1854.

P. Viollet, Précis de l'histoire du Droit Français (Paris 1884) I, 78—113. Ciccaglione, Storia del diritto Italiano dalla caduta dell' Impero Romano etc. (Napoli 1884.) vol. I, 15 ff. 209.

Zu allen geschichtlich bekannten Zeiten bestanden bedeutsame, tief eingreifende Wechselbeziehungen gegenseitiger Anziehung zwischen höher civilisirten Staatswesen und solchen Völkerschaften, die sich entweder im Zustande völliger Uncultur oder doch der staatenlosen, in örtlicher Hinsicht noch nicht gebundenen Wanderschaft befanden. 1) Bei den fortgeschrittenen Staatswesen drückt sich das Bestreben, die außer ihrem Gebiete belegenen Rohstoffe der Gesittung auszunüßen, vornehmlich in den Erscheinungen der Eroberung oder Colonisation aus. Dies geschieht, wenn der vom friedlichen Handel zu erwar tende Gewinn der Begehrlichkeit des Mächtigeren nicht genügend erscheint. Noch größere Lockungen bietet aber der ungezähmten Raubsucht herumziehender Barbaren, der Anblick einer reichen und überlegenen Cultur ansässig gewordener Völker. Seit den ältesten Zeiten der Hyksos, die auf Aegyptischen und der Skythen, die auf Asiatischen Gebieten einbrachen, wiederholen sich historisch dieselben Processe wechselseitiger Befeindung zwischen Staatsgebiets völkern und Wandervölkern, wobei lettere am häufigsten als angreifende und schließlich unterliegende Partei erscheinen.

Meistentheils sind es nur vorübergehende Erfolge der Zerstörung, welche im Falle des Sieges wandernde Kriegsvölker gegen die höhere Gesittung staatlicher Organisation davon tragen. Die Keltischen Bewegungen, obschon die Schicksale Griechischer, Kleinasiatischer und Römischer Staatsentwickelung durch Verwüstungen mitbestimmend, verliefen ohne nachhaltigen Einfluß auf die internationalen Beziehungen. Alle in die antiken Staatsverhältnisse eingreifenden Wanderungen weitaus überragend, und an weltgeschichtlicher Bedeutung unvergleichlich, erweist sich jedoch das Eintreten der Germanen in die SüdEuropäischen Culturländer.

Da auch die der Folgezeit und dem Mittelalter angehörigen Incursionen der Araber, Hunnen, Seldschukken oder Mongolen nicht im Entferntesten an die Umgestaltungskraft reichen, die vom Germanenthum ausging, so rechtfertigt es sich vollkommen, wenn kurzweg und schlechthin Völkerwanderung" als Bezeichnung jenes auch die Völkerrechtsgeschichte theilenden Zeitabschnittes gebraucht wird, in dem das Germanenthum aus seinem staaten

losen Dasein endgiltig heraustretend3) und in unaufhörlichen Kämpfen endlich zur Ueberlegenheit über die Römischen Waffen erzogen, 3) die antike Staatsordnung in den Römischen Provinzen und schließlich auch das Weströmische Kaiserthum zertrümmert, den politischen Zusammenhang zwischen Ostrom und dem Europäischen Westen zerreißt, den Boden für die Selbständigkeit und Oberherrlichkeit der Abendländischen Kirche ebnet und auf dem Gebiet der Weströmischen Staatsmacht die Neubildung der Staatsgesellschaft einleitet.

Erscheint das Römerthum als höchste und lehte Zusammenfassung aller antiken Cultur zur rechtlichen und staatlichen Einheit einer Weltmacht, so ge= bührt dem Germanenthum und seinem in der Völkerwanderung siegreichen Vordringen das historische Anerkenntniß, daß in ihm die Fundamente einer neuen weltgeschichtlichen Staats- und Gesellschaftsordnung gelegt sind, deren ursprüngliche Anlage sich als diejenige der vergleichungsweise höheren persönlichmenschlichen und internationalen, im geringeren Grade daher national-politischen Lebensberechtigungen, folglich als eine in größerer gesellschaftlicher Mannigfaltigkeit bildungsfähige Ordnung im Zusammenleben der Nationen erwies. Ebenso wenig, wie der Baustil mittelalterlicher Kirchen dadurch bestimmt wurde, daß Säulen aus heidnischen Kaiserpalästen als profanes Baumaterial den heiligen Stätten eingefügt wurden, kann dieses Anerkenntniß grundlegender Bedeutung für das Germanenthum vermindert werden, wenn man zugiebt, daß auch das Germanenthum die Culturtrümmer der alten Römisch - Griechischen Welt in seine Evolution aufzunehmen genöthigt war. Die mittelalterliche Entwickelung setzte sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Hauptkräfte zusammen: Aus der Thatsache einer mit Ausnahme des Ostens und Südostens ganz Europa dauernd bewegenden, auf physisch überlegener Stärke beruhenden Machtäußerung zahlreicher auf der Wanderschaft begriffener, einander national verwandter Völkerstämme; aus der Thatsache intellectueller, politischer und numerischer Ueberlegenheit der überwundenen Bevölkerungen in den Provinzen des Römischen Reichs, das in den tiefsten sittlichen Verfall gerathen war1) und schließlich aus den Wirkungen kirchlich-religiöser Oberleitungen, denen sich das Germanenthum nach seiner Bekehrung zum Christenthum nirgends zu entziehen vermochte.

Aus den verschiedenen Mischungsverhältnissen dieser Grundkräfte, denen man in den einzelnen von der Germanischen Einwanderung ergriffenen Landestheilen Europas begegnet, ergab sich mit Nothwendigkeit die Eigenartigkeit der von den Ostgermanischen Völkergruppen (Gothen, Vandalen und Scandinaven) einerseits und von den Westgermanen andererseits eingeleiteten Neubildungen. Anders erscheinen diese Gestaltungen, wo, wie im Norden Europas, auf den Ländergebieten Schwedens, Norwegens und Dänemarks einheimische Culturanlagen nicht bestehen oder die Einwandernden mit der Urbarmachung des Bodens ihr Ansiedlungswerk zu beginnen hatten; wiederum anders, wo das Römerthum, wie in Italien, Nordafrica, Hispanien und Gallien, eine zwar gleichmäßig in hochentwickelten Municipien ausgeprägte, auf feste Rechtsord

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nungen gestüßte, aber militärisch wehrlos gewordene Gesittung hinterlassen hatte. Und in der Mitte zwischen solchen durch weite Culturabstände weit von einander geschiedenen Ländermassen lagen schließlich Gebiete, welche, wie das alte Germanien, gleichsam als Gränzbezirke Römischer Weltmacht von den Imperatoren durch ständige Lager Jahrhunderte hindurch, bevor sie der Uebermacht der andrängenden Germanen erlagen, im ununterbrochenen Belagerungszustand erhalten worden waren. Im Allgemeinen kann man als culturhistorisches Ergebniß der Völkerwanderung die Thatsache verzeichnen, daß nach eingetretener Vermischung der sog. Barbaren mit den alten seßhaften Völkern die zunächst gesteigerte Sittenverderbniß in den nachmals Romanischen Ländern schneller um sich griff, als in Gebieten, wo das Römerthum minder mächtig gewesen war.

Auf keinem dieser so verschieden gearteten Ländergebiete erschien das Germanenthum als eine einheitliche, von bestimmten politischen oder rechtlichen Ideen nach auswärts gelenkte Macht. Die Zufälligkeiten augenblicklich hereinbrechender, durch friedliche Arbeit oder staatsmännische Vorsorge auf Seiten der Angegriffenen nicht abzuwendenden Nothstände, die Bedrängniß durch andere nachrückende Völkerstämme derselben oder auch verschiedener Abkunft, die jeweilige Widerstandskraft bereits in derselben Richtung vorgedrungener Kriegsgenossenschaften leiteten oder schoben die wandernden Horden mit elementarer Gewalt so lange in verschiedenen Richtungen vorwärts oder seitwärts, bis sie auf irgend ein unübersteigliches Naturhinderniß stießen und dann entweder zu festen Sigen gelangten oder durch überlegene Nachfolger auf der Wanderung erdrückt wurden.

Daß von irgend welcher Weltherrschaftsidee unter dem wandernden Germanenthum nicht die Rede sein konnte, ergab sich aus der kriegerischen Unzulänglichkeit der Kräfte, über welche jeder einzelne Stamm im Verhältniß zu seines Gleichen verfügte, aus der oft bethätigten Bereitwilligkeit, sich wechselseitig im Solde Römischer Kaiser zu bekämpfen und aus der Unterordnung, in die angeworbene Germanenfürsten zu fremden Herrschern traten, so lange sie entsprechende Belohnung zu finden hofften oder einen ihrem Selbstgefühl schmeichelnden Staatstitel von Rom erhielten. 5)

Das in internationaler Hinsicht für das Mittelalter bedeutsamste Ergebniß der Völkerwanderung besteht daher in der Gleichzeitigkeit oder doch in der zeitlichen Nähe einer Reihe selbständiger, neben einander eintretender Eroberungen, verbunden mit dem Vorgange schließlicher Seßhaftwerdung von solchen Völkerstämmen, die die Elemente institutioneller, auf Ausbildung monarchischer Herrschaftsformen gerichteter Anlage und durchaus gleichartige, wirthschaftliche, vornehmlich agrare Bedürfnisse mit einander gemeinsam hatten, andererseits aber vom lebendigsten Selbständigkeitsgefühl in ihren genossenschaftlichen Organisationen beseelt waren.

Der internationale Charakter der ursprünglich vom Germanenthum in der Völkerwanderung ausgehenden Staatenbeziehungen offenbart sich daher von

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