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es vielmehr, daß gerade im Mittelalter die zahlreichsten Uebergangsformationen in zeitlicher und örtlicher Hinsicht und die mannigfaltigsten Vermittelungen zwischen den organischen Erzeugnissen der kirchlichen, genossenschaftlich Germanisch feudalen und Romanischen Culturformen durch die historische Forschung in unerschöpflicher Fülle nachgewiesen sind. Nicht ohne Grund ist die gesellschaftliche Structur der mittelalterlichen Gesittung gleichsam als ornamentaler Reichthum des gothischen Kirchenbaues der antiken Einfachheit Hellenischer Tempelbauten gegenübergestellt worden.

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§ 69.

Kirche und Staat im Mittelalter.

Literatur: Riffel, Geschichtliche Darstellung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Mainz 1836. E. Friedberg, De finium inter ecclesiam et civitatem regundorum judicio quid medii aevi doctores censuerint. Lipsiae 1861. Döllinger, Kirchen und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat 1861. Niehues, Verhältniß zwischen Kaiserthum und Papstthum im Mittelalter. Münster 1863. Maaßen, Neun Kapitel über freie Kirche und Gewissensfreiheit. Graz 1876. E. Löning, Geschichte des Deutschen Kirchenrechts. Straßburg 1878. I, 20 ff. W. Martens, Die Beziehungen der Ueberordnung, Nebenordnung und Unterordnung zwischen Kirche und Staat. Stuttgart 1877. 6. 7-124.

Der altchristliche Gegensatz zwischen Gottesreich und Weltreich oder zwischen Geist und Fleisch verwandelte sich, nachdem die christliche Lehre über das Heidenthum gesiegt hatte, in den Dualismus geistlicher und weltlicher Herrschaft. Der Berührungspunkt beider Gewalten lag in der Forderung, daß das Recht weltlicher Herrschaft überall an die religiöse Ordnung gebunden, die Kirche ihrerseits der von ihr selbst nothwendig befundenen Herrschaftsmittel auch in der äußeren Sphäre ihrer Wirksamkeit nicht beraubt sein solle.

Schon im fünften Jahrhundert war vom Papst Gelasius der Grundsatz förmlich erklärt worden: zwei Mächte sind es, die nebeneinander zur Weltherrschaft berufen sind: das „heilige Amt“ der Priesterwürde und das Königthum.

Dieser ursprünglich nicht vom Staate, sondern von der Kirche gesezte Dualismus war übrigens, wie die Geschichte des Mittelalters lehrt, der verschiedensten, den vorherrschenden Zeitrichtungen angepaßten Formulirungen fähig. Erschien die Kirche zur Zeit ihrer erfolgreichsten Missionen als dienende Geistesmacht, die sich nur spiritueller Mittel bediente und ihre Unterthanenschaft vor der kaiserlichen Gewalt anerkannte, auch Strafen nur an solchen vollzog, die sich ihrem geistlichen Forum freiwillig unterwarfen, so zeigt sie sich bereits in den pseudoisidorischen Decretalen als streitende und kämpfende Organisation, die darnach strebte, sich neben den weltlichen Machthabern eine coordinirte Stellung zu erringen.

Endlich vertritt die Papstkirche auf dem Höhepunkt ihrer Kraftentfaltung den Anspruch auf Herrschaft über den Staat, mit welchem der unlösbare Widerspruch der beiden Gewalten für die Folgezeit in der Staatspraxis gesezt ift, der Bruch mit dem Grundsage nationaler Selbständigkeit eintritt und der innere Verfall des kirchlichen Lebens selber beginnt. Denn dieser von der Kirche auf weltliche Universalherrschaft erhobene Anspruch bedeutet gleichzeitig zweierlei: Mitherrschaft des Clerus in jedem einzelnen Gemeinwesen durch Uebung eigener Jurisdiction innerhalb ihrer temporellen Besißthümer und sodann auch Antheilnahme an den staatlich geseßgebenden oder berathenden Repräsentativ - Versammmlungen, also Ueberordnung des Papstthums über die Gesammtheit aller Staatsgewalten ungefähr nach dem Maßstabe, der in neuerer Zeit durch das Verhältniß der verfassunggebenden und richtenden zur executiven Gewalt angedeutet wird. Wie die verfassunggebende Gewalt nach modernem Staatsrecht befugt oder bestimmt erscheint, die Zuständigkeitsgränzen der nur ausführenden Behörden zu normiren, ebenso behauptet das Papstthum sein oberstes Recht, sowohl die Fürsten als Executivorgane für die Zwangs-Vollstreckung des geistlichen Rechts zu verwenden, als auch in jedem einzelnen Fall des Streites die Gränzen zwischen ihrem eigenen Gebiet und demjenigen des Staates zu ordnen. 1) Darnach wird die päpstliche Gewalt zu gleicher Zeit in allen nationalen und internationalen Rechtsverhältnissen ausgerüstet 1. mit dem Recht der Obergeseßgebung, insofern sie dem einzelnen Staat zur subordinirten Gesetzgebung dasjenige überläßt oder zuweist, was sie selbst ohne Nachtheil entbehren zu können vermeint; 2. mit dem Recht der obersten Gerichtsgewalt über die Fürsten, die Völker 2) und den Clerus; 3. mit der Oberbefehlshaberschaft in der Lenkung der den heiligen Kämpfen gegen Ungläubige und Kezer anzuweisenden Richtung; 4. mit der Befugniß rein weltlicher, diplomatischer Parteinahme hinsichtlich des kirchenstaatlichen patrimonium Petri. In diesem patrimonium, dem Grunderbe Petri, schließt sich somit der Kreis der Machtbefugnisse des Papstes. Er kann die weltliche Krieg= führung mit der Schneide des sichtbaren Schwertes und dem Erfolge der Austheilung des Lehns an fürstliche Vasallen, wie in Beziehung auf Neapel unter dem Hause Anjou geschah, im Interesse der Universalkirche handhaben; er kann gegentheilig die universale Herrschaft über das christliche Gewissen oder die Strafmittel des Bannes und Interdictes benußen, um seine italienischen Besißinteressen gegen Beeinträchtigungen zu wahren. So ist in diesem System Kirchenrecht, Staatsrecht und Völkerrecht völlig mit einander gemischt. Alles Einzelne kommt gleichzeitig als theoretische, scholastische Distinction und als praktisch politische Union der Gewalten zur Erscheinung: ein Bau, dessen ideales, ursprünglichstes Fundament die Gottesstaatslehre des heiligen Augustinus, deffen Kuppel das System des heiligen Thomas von Aquino darstellt, während die päpstlichen Decretalen gleichsam die Wölbungen lieferten und die Mystik des christlich mittelalterlichen Geistes, vereinigt mit imposanter Schärfe

kirchenpolitischer Logik, als allgemeines Constructionsgesetz psychischer Mechanik die Aufmauerung aller einzelnen Theile bedingte.

Unter den Meistern des kirchlichen Verfassungsbaues ragen nächst Gre gor VII. am meisten Innocenz III. (1198-1216), Gregor IX. (12271241) und Bonifacius VIII. (1294-1303) hervor. Durch ihre Geseze gewann die Römische Kirche jene unvergleichliche Stärke, die gegen Alles außer dem inneren Verfall gepanzert war, jeden Ausfall gegen fürstliche Feinde gestattete und jedem Angriff von Außen, mochte er auch mit den Mitteln des Schwertes gegen die Stadt Rom, oder mit den besten Waffen der Vernunft, der Philosophie, der Naturerkenntniß oder der Geschichtswissenschaft gegen die theoretische Doctrin unternommen sein, widerstand.

Ihren Gipfelpunkt erreicht die canonische Lehre von der geistlichen Obergewalt der Päpste in der 1302 von Bonifacius VIII. ausgegangenen Bulle Unam Sanctam, 3) welche zwar ein durch den Streit mit dem Könige von Frankreich hervorgerufenes Gelegenheitsgesetz darstellt, aber allgemeine Gültigkeit auch für die Folgezeit bewahrte.

Betrachtet man die Stellung des geistlichen Oberherrn der Christenheit zunächst hinsichtlich der Kriegführungsmittel gegen wirkliche oder vermeintliche Feinde der allein seligmachenden Kirche, so erkennt man, daß die allgewaltige Waffenschmiede der Geistlichkeit von denselben religiösen Potenzen erfüllt ist, welche auch die Kriegspflichtigkeit des Islam trugen. Die Abhängigkeit der Gewissen war sehr verschieden abgestuft in Ländern wie Spanien, England, Frankreich und Deutschland, zuweilen minder stark in freier entwickelten Städterepubliken Italiens oder Deutschlands, aber nirgends bedeutungslos. Sie überlieferte den Händen eines vom Papst abhängigen Clerus die durch religiöse Aufregung der Gewissen, durch Zukunftsverheißungen und Kirchenstrafen gegen fürstliche Kirchenfeinde leicht aufzuregenden Massen. Der Menge erschienen, zumal in dem Zeitalter der Kreuzzüge, Fürsten und Adel als bedrückende Landtyrannen, als Gegner der Armen und Bedürftigen, der Knechte und Hörigen, während die Kirche, obwohl als Gewalthaberin durch ihr Zehntrecht fühlbar, doch oft genug die Lasten des Landbauers durch ihre Festtage milderte, den Berfolgten durch ihr Asylrecht vor schweren Strafen schirmte, den Geldwucher hemmte und aus ihren Schäßen Almosen spendete.

Ueber den Heerbann der Maffen und den Gehorsam einer dem Familienleben, den nationalen Interessen nach und nach völlig entfremdeten Geistlichkeit, insbesondere auch über die im Mittelalter tief ins Volksleben eingreifende Macht der Bettelorden und ungeheuren Reichthümer in ihren Stiftungen verfügend, war die Kirche sehr wohl in den Stand gefeßt, ihr geistliches Kriegsrecht wirksam zu handhaben.

Schon Gregor VII. lehrte in seinem Streite mit Heinrich IV., daß der Papst, da das Spirituelle weit höher stehe als das Zeitliche, als geistlicher Richter über staatliche Dinge zu entscheiden habe und Fürsten, durch deren Hand die Hoheit der Kirche angetastet wird, ihrer Würde verlustig gehen sollen.

Dem Nachfolger der Sächsischen Kaiser, die zur Zeit der Ottonen in dem vorangegangenen Jahrhundert Päpste eingeseßt und abgesezt hatten, ward 1076 aus apostolischer Machtfülle vom Papste die Krone entzogen: ein Vorgang, der sich 1245 auf dem ersten Concil zu Lyon gegen Friedrich II. wiederholte. *) Da nach canonischem Rechte jede über spirituelle Angelegenheiten ergangene Verfügung oder Gefeßesbestimmung weltlicher Obrigkeiten an sich nichtig und nur durch Zulassung oder Genehmigung der Kirche Gültigkeit erlangen3) kann, so hat das curiale System seine Gegner im Voraus entwaffnet oder gelähmt. Denn der Papst vermag es, eine ihm schädlich gewordene Begränzung der zeitlichen Gewalt hinterher zu seinem Vortheil zu berichtigen. Die internationale Machtfrage zwischen Päpsten und Königen stellte sich daher während des Mittelalters immer so: ob es in schweren Streitfachen zwischen Kirche und Staat für Dienstmannen, Vasallen und Unterthanen eines Fürsten besser war, ihm Heeresfolge zu leisten und Treue zu bewahren oder nach erfolgtem Bannspruch den Geboten der Kirche Gehorsam zu leisten und die Drohung ewiger Verdammniß von ihrem Seelenheil abzuwenden.

Ueberblickt man die rechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat, wie sie sich nach den Decretalen der Päpste seit Innocenz III. gestellt haben, so sind dieselben entweder gefeßliche, durch allgemein geltende Normen des canonischen Rechtes geordnet, oder vertragsmäßige, beruhend auf beson= deren Vereinbarungen. Vom Hause kann nach ihrem eigensten Princip die Kirche hinsichtlich der Befolgung kirchenrechtlicher Pflichten oder deren Abminderung eben so wenig pactiren, wie der Staat in Form eines zweiseitigen Vertrages dem einer Missethat Schuldigen Gnade versprechen dürfte: eine Vorstellung, die sich formell noch lebendig erwies, als das sog. Wormser Concordat oder Calixtinum 1123 auf dem ersten Lateranensischen Concil zur Beilegung des deutschen Investiturstreites bestätigt ward, denn beide Theile, Calixtus II. und Kaiser Heinrich V., leisteten einander in gesonderten Urkunden nur einseitige Versprechen.

Erst als zu Zeiten eintretenden Verfalles die strenge Consequenz des kirchlichen Rechts durch das Uebergewicht politischer Interessen verringert und das Papstthum an der Wirksamkeit seiner ehemaligen Machtmittel zu zweifeln begonnen hatte, entstand ein besonderes vertragsmäßig vereinbartes Kirchenrecht in Gestalt jener förmlichen Friedensschlüffe, welche man als Concordate bezeichnet, ohne daß man jedoch Angesichts der grundsäßlich einander widerstreitenden Auffassungen jemals im Stande gewesen wäre, die Natur solcher Verträge in einer allgemein annehmbaren Rechtsformel zu definiren. Das erste, in einem Vertragsinstrument niedergelegte Concordat wurde in dem Jahre 1448 zwischen Kaiser Friedrich III. und Papst Nicolaus V. abgeschlossen.

Die Unlösbarkeit der Streitfrage, ob Concordate nach dem kirchenrechtlichen Princip päpstlicher Oberherrlichkeit und Gnadenfülle als Verleihung eines unter Umständen widerruflichen Privilegiums, oder nach dem staatsrechtlichen Princip gesetzgeberischer Rechtserzeugung als öffentlich rechtliche Gefeßesnorm,

oder nach dem völkerrechtlichen Princip international wirkender Staatsverträge zu beurtheilen sind, wurzelt in jener bereits hervorgehobenen Vermischung canonischer, civilistischer und publicistischer Grundsäße, die für das Wesen der Römischen Kirche charakteristisch war und die allgemeinste Unsicher heit der Weltverhältnisse so lange zur Folge haben muß, als außer dem Römischen Centralorgan der Kirche irgend welche selbständigen Lebensvorzüge in den Nationen sich regen.6)

Die Gesammtheit der Beziehungen zwischen der Kirche und ihren Angehörigen, läßt sich seit dem Mittelalter auf folgende Erscheinungsformen zurückführen:

1. Beziehungen zwischen der Römischen Curie, welche von ihr selbst und gleichzeitig von den höchsten weltlichen Obrigkeiten als innerkirchliche anerkannt sind und daher lediglich nach den Gesichtspunkten des Kirchenrechts vom Staate und von der Kirche zu beurtheilen sind. 2. Solche Beziehungen, welche vom Standpunkte der Kirche als innere, vom Staate dagegen als auswärtige angesehen und im Falle der Divergenz der Auffassungen nicht lediglich nach den Grundsäßen des Canonischen Rechts behandelt werden, sondern eine besondere Verständigung voraussehen, daher thatsächlich entweder in den Formen des Staatsrechts (Gesetzgebung) oder in der Form von Concordaten geordnet werden. Dahin gehört die Besetzung der Bischofssiße, die Verwaltung des Kirchenvermögens, die Publication neuer Kirchengefeße in den einzelnen Staaten, die kirchliche Jurisdiction und anderes mehr.

3. Beziehungen gemischter Natur, die aus kirchenrechtlicher Zweckbestimmung erwachsen, aber in völkerrechtlich anerkannten Formen behandelt werden. Dahin gehören das päpstliche Legatenwesen, das sich seit dem IX. Jahrhundert entwickelte. Den Gesandten des Papstes, die am Hofe des Oströmischen Kaiserreichs und bei den Frankenkönigen die Qualität der Ständigkeit erlangten, gebührte daher aus dem doppelten Grunde des Kirchenrechts und des Völkerrechts Unverleglichkeit: Kirchenrechtlich, soweit die Immunitäten des Clerus die Geistlichen überhaupt dem weltlichen Forum entzogen; völkerrechtlich, insoweit der Papst die anerkannte Eigenschaft eines Souveräns besaß.

4. Rein diplomatische, völkerrechtliche Beziehungen der Päpste entweder im Sinne weltlicher Interessen des Kirchenstaates oder im Verkehr mit solchen Fürsten, welche, wie die Osmanischen Herrscher oder Akatholiken der katholischen Kirchengewalt nicht unterworfen waren und das Canonische Recht überhaupt nicht anerkannten.

Aber auch außerhalb der directen Beziehungen der Kirche zu weltlichen Fürsten haben die Päpste auf die internationalen Verkehrsverhältnisse der Staa

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