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Recuperatoren stets zu halten hatten, so mußte auf allgemeine Gesichtspunkte zurückgegangen werden. Da Rechtsschutzverträge zwischen verschiedenen nicht Römischen Staaten schwerlich herbeigezogen wurden und, wofern solche existirten, in Rom vor Gericht als Urkunden nicht leicht bewiesen werden konnten, so blieb dem praetor peregrinus für seine Judicatur kaum irgend eine andere Analogie als die Benußung einiger etwa brauchbarer Präjudicate der Recuperatorengerichte oder des seiner formalen Vorschriften entkleideten jus civile, neben welchem man sich vorstellen kann, daß mancherlei Rechtsgeschäfte auch unter Römischen Bürgern bona fide verabredet wurden und eine gleichsam provisorische Existenz gewannen, bis die strengen Formen des civilen Vertragsrechts nachgeholt werden konnten. Es ist namentlich kaum glaublich, daß die umständlichsten Proceduren der alten Eigenthumsübertragung auch bei geringfügigen Anlässen, z. B. im Marktverkehr, unter Römern angewendet worden sein sollten. Und auch im Felde mögen Beutestücke des einen Soldaten oft genug durch formlose Tradition auf andere Kameraden übergegangen sein.

Was in der Verkehrspraris des täglichen Verkehrs sich als zweckmäßig bewährt hatte, gelangte in die Aufstellung jener allgemein bindenden Entscheidungsnormen, die in den prätorischen Edicten enthalten waren, um nach und nach immer festere Gestalt zu gewinnen. Enthielt das Edict des praetor peregrinus die positiven Grundsätze für die wichtigsten oder häufigsten Rechtsgeschäfte der Peregrinen, so vertrat im Verlaufe der allgemeinen Rechtsentwicke lung das Edict des städtischen Prätors vorwiegend die negative Seite, ver möge welcher aus dem Rahmen der Gerichtspraxis alles dasjenige ausgeschieden wurde, was unter den Bestandtheilen des jus civile unbrauchbar oder untauglich geworden war. Das privatrechtliche jus gentium der Römer entstand somit aus dem Zusammenwirken und der Harmonie dieser beiden Kräfte, die in den Präturen sich wechselseitig ergänzten: einerseits aus der gleichsam centralen Bedeutung, die der bona fides im allgemeinen Verkehr, also auch unter Peregrinen und Bürgern beigemessen wurde, und andererseits aus dem Bedürfniß, schwerfällige Geschäftsformen, als sie entbehrlich geworden, auch aus dem jus civile zu entfernen. Das Endresultat dieses in der Rechtsgeschichte keiner Nation wiederkehrenden Bildungsprocesses besteht in dem ohne gewaltsame Erschütterung allmälig herbeigeführten Sieg des formfreien jus gentium über das formenstrenge jus civile der alten Zeit.

Erleichtert war dieser Entwickelungsgang wahrscheinlich gerade durch die Trennung der Functionen zwischen dem praetor urbanus und dem praetor peregrinus, in Verbindung mit dem gleichsam monarchischen Princip, in Ge mäßheit dessen die redigirende Thätigkeit jedes Prätors eine streng einheitliche war und durch Collegialitätsverhältnisse niemals gestört wurde.

Das Edict des praetor peregrinus mußte also in demselben Maße an Umfang und Bedeutung verlieren, wie seine Grundfäße in das Edict des

praetor urbanus recipirt werden konnten, 3) gleichzeitig aber auch mit fortschreitendem Siege seiner Principien Gelegenheit zur Bethätigung verlieren.

Als mit dem Untergange der Republik die civitas Romana ihren politischen Inhalt verringert sah, verminderte sich nothwendiger Weise damit das praktische Interesse an der Wahrnehmung civilrechtlicher Formalitäten, durch deren Vorführung in alter Zeit auch die Würdenstellung der Contrahenten gleichsam unwillkürlich beurkundet worden war. Und der praetor peregrinus war jedenfalls völlig entbehrlich geworden, nachdem der Dualismus von jus gentium und Peregrinen auf der einen Seite und jus civile und Bürgern auf der anderen Seite seinen praktischen Gehalt verloren. Damit hängt es zusammen, daß die Peregrinenprätur über den Anfang des dritten Jahrhunderts nach Chr. hinaus nicht mehr nachweisbar ist.4)

Da die Prätur der Römer keine neuen juristischen Theorien erdachte, noch weniger aber irgend welche doctrinären Constructionen begünstigte, vielmehr überall nur den deutlich erkennbaren Forderungen des Geschäftsverkehrs nachgab, sich also selbst mehr durch sachliche Bedürfnisse leiten ließ, als daß sie ihrerseits die Initiative zu Neugestaltungen ergriffen hätte, so liegt es nahe zu fragen, welcher Art die Anregungen gewesen seien, denen der PeregrinenPrätor bei der Aufstellung seines Edicts gefolgt ist.

Aus Cicero's Zeugnissen 5) geht hervor, daß das jus gentium von ihm als hergebrachter und geschichtlich längst eingewurzelter Bestandtheil der Römischen Rechtsordnung zu seiner Zeit angesehen wurde. Sicherlich war aber den Römern selbst der Unterschied zwischen den (älteren) völkerrechtlichen Säßen des jus gentium und seinem (späteren) internationalen Privatrechtsgehalt nicht klar zum Bewußtsein gekommen. Richtiger wäre es wohl schon damals gewesen, dies internationale Privatrecht der Peregrinen, soweit es unabhängig von Rechtsschutzverträgen geworden und allgemein unter die Jurisdictionsgewalt des praetor peregrinus gestellt worden war, als später entstandenes Recht im Verhältniß zu dem alten jus gentium der Staaten aufzufassen.

Natürlich mangelte es keineswegs an geschichtlichen oder ethisch-philosophischen Traditionen, an welche das Edict des Peregrinenprätors geknüpft werden konnte. Als ethisches Princip, das auch in der Entwickelung des jus gentium festgehalten werden mußte, bot sich im Altrömischen Recht die aequitas, die im Völkerverkehr zur Zeit der sacralen Epoche als Grundsatz der Gleichberechtigung im Kriege, als Gegenseitigkeitsregel, anerkannt worden war. Das Billigkeitsrecht (jus aequum) war zwar mit dem jus gentium deswegen nicht identisch, weil auch in den Rechtsangelegenheiten Römischer Bürger vor dem praetor urbanus Billigkeitsforderungen Berücksichtigung verdienen konnten. Immerhin stand die aequitas dem internationalen Privatrecht, innerlich genommen, weitaus näher als dem civilen Rechtssystem, dessen älteste, beglaubigte Darstellung die XII Tafeln liefern, von denen wir wissen, daß sie von Cicero in seiner Jugendzeit auswendig gelernt zu werden pflegten.

Bona fides und Mangel des dolus, auch den XII Tafeln begriffs= mäßig nicht fremd, waren nicht nur die wesentlichsten Merkmale aller practitischen aequitas, sondern auch die Mittelpunkte, um welche sich das Obligationenrecht bewegte. Und gerade das Obligationenrecht repräsentirt_denjenigen Theil des jus gentium, wo dieses gegenüber oder neben dem jus civile zuerst erstarkte.

Sodann wirkte auf das prätorische Peregrinenedict sicherlich auch jene geistige Macht, welche von Griechischer Philosophie nach Rom übertragen worden war. Wurzelte die aequitas vornehmlich in Altrömischen Begriffen, so entsprach ihr als philosophische Weltrechtsvorstellung der Griechen derjenige der naturalis ratio und menschlicher Freiheit (libertas), nachdem man dieselbe von der Zugehörigkeit zu bestimmten Staatsrechten getrennt oder ge= lehrt hatte, daß persönliche und sittliche Freiheit des Einzelnen am besten durch Zurückhaltung von öffentlichen Geschäften gewahrt werden könnten. 6)

Dieses natürliche Recht (jus naturale) der allgemein menschlichen Freiheit entbehrte für die rechtsprechenden Organe der Römer zwar der unmittel. baren Anwendbarkeit, mußte aber für die Fortbildung des Edicts Bedeutung erlangen. Denn aus ihm entfloß die wichtige Forderung, daß der übereinstimmende Willensgehalt freier Menschen ohne Rücksicht auf die Formen seiner Aeußerungen überall rechtlich geachtet und bei eintretenden Streitigkeiten im Privatrechtsverkehr nach den Maßstäben der Sittlichkeit (boni mores), der Ratio= nalität und der praktischen Geschäftserfahrung ermittelt werden sollte. In der Kaiserzeit besonderte sich dann wiederum das Naturrecht als rein philosophische Betrachtung der Vernunftordnung. Internationales Privatrecht

(jus gentium) und Naturrecht der Römer waren somit zwar nicht identisch, aber doch nahe verwandt und durch die Vorstellung der Freiheitsrechte des Menschen in Berührung gesezt. Verstand die Philosophie die menschliche Freiheit zunächst ethisch, so nahm die Rechtspraxis sie geschäftlich im grundfäßlichen Gegensatz gegen die Beengungen des Verkehrs durch zeitraubende Proceburen oder Formalitäten.

Weder die Rechtsgutachten und Aussprüche kaiserlicher Juristen, die fich immer nur auf den einzelnen Fall bezogen, noch die Gesetzgebungsacte der Comitien, noch kaiserliche Constitutionen hätten jemals das Werk der innerlichen Ausgleichung zwischen jus civile und jus gentium herbeiführen können. Nur der prätorischen Magistratur und ihren Edicten war diese Möglichkeit verliehen, mit deren Erfüllung dem Weltrechtsverkehr innerhalb der Privatsphäre der größte Dienst geleistet wurde.

Das Römische Civilrecht, wie es in den Pandecten Justinians erhalten ist, darf nicht als ein System von (privaten) Menschenrechten genommen werden, denn noch immer wird die Rechtsfähigkeit an die Zugehörigkeit der Rechtssubjecte zum Römischen Weltreich geknüpft, wenn es auch in dem Bereiche desselben keine Peregrinen im alten Sinne mehr giebt.

Demnach wohnt dem Römischen Privatrecht in allen denjenigen Bestandtheilen, die von den Culturformationen der Kirche, der Geistlichkeit und des religiösen Glaubens oder von der späteren Gestaltung der Grundbesißverhältnisse nicht nothwendiger Weise berührt werden mußten, die Eigenschaft inne, als Weltrecht für den vermögensrechtlichen Verkehr der Menschen, ohne Rückficht auf religiösen Glauben, Sprachgemeinschaft oder Nationalität, Stand oder Gesellschaftsklassen, zu dienen.

Mit dem Entwickelungsgange des jus gentium Schritt haltend, erwuchs aus dem Edicte der Prätoren und der Rechtspflege die Wissenschaft des practischen Civilrechts, deren Principien universale Bedeutung für alle Zeiten beanspruchen dürfen. Von diesem Anspruch kann auch dadurch nichts herabgemindert werden, daß der Inhalt einzelner, in den Thatsachen des antiken Lebens wurzelnder Rechtsfäße durch Umgestaltungen der gesellschaftlichen Zustände in der Folgezeit entwerthet worden ist. Das Wichtigste der Römischen Jurisprudenz bleibt, daß sie im Verlaufe der Kaiserzeit gelernt hatte, unabhängig von den Wandlungen der Politik, von Glaubensfaßungen und von philosophischen Speculationen, sowie von althergebrachten Wortformeln aus der fachlichen Natur der Rechtsgeschäfte den freien Rechtswillen des Menschen zu erkennen. 7)

1) Ueber die Prätur s. Mommsen, Staatsrecht II, 185 ff. Der erste praetor, qui inter cives jus dicit war 387 v. Chr. eingeseßt worden. Der sog. praetor peregrinus (eigentlich praetor, qui inter peregrinos jus dicit) war an den Aufenthalt in der Stadt nicht gebunden. Der Peregrinenprätor ward 605 Vorsißender der (ersten) ständigen Criminalcommission für repetundae, bei denen die Rechte der Peregrinen eine große Rolle spielten.

2) S. darüber Voigt (a. a. D.) II, 134.

3) Mommsen (Staatsverwaltung II, 212 n. 3) findet es merkwürdig und von den neueren Juristen nicht gehörig beachtet, daß aus unserer Literatur das edictum praetoris peregrini gänzlich verschwunden ist, denn der angebliche Commentar Labeo's dazu beruhe auf einem Mißverständniß (L. 9 § 4 Dig. 4, 3). Mir scheint umgekehrt, daß das Verschwinden des Peregrinen-Edicts in der Kaiserzeit so natürlich und allmälig vor sich ging, daß weder die alten noch die neueren Juristen etwas Auffallendes darin erblicken konnten.

4) Mommsen, Staatsrecht II, 217.

5) Vornehmlich de offic. III, 5, 23. 17, 67; de republ. 1, 2; Orat. Part. 37, 130. Vgl. darüber Voigt (a. a. D.) I, 65.

6) Ueber die naturrechtlichen Lehren der Griechischen Philosophie siehe Voigt (a. a. D.) I, 81 ff.

7) Ueber die durch das jus gentium geschaffene Interpretationsmarime fiehe Boigt (a. a. D.) IV, 49ff.

Viertes Kapitel.

Die chrißtliche Kirche im Mittelalter.

§ 65.

Die rechtliche Bedeutung der christlichen Idee.

Literatur: Köstlin, Das Wesen der Kirche. Stuttgart 1854.

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F. Ch. Baur, Das Christenthum und die chriftliche Kirche der ersten Jahrhunderte. 2. Aufl. Tübingen 1860. S. 175-304. Derselbe, Die christliche Kirche vom Anfang des vierten bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts in den Hauptmomenten ihrer Entwickelung. Tübingen 1859. S. 229-262. F. Laurent, Études sur l'histoire de l'humanité. T. IV. (Le christianisme). 1855. S. 19 ff.

Keine der großen monotheistischen Religionen trat unvorbereitet in den geistigen Zusammenhang mit der sichtbaren Welt. Am wenigsten aber war dies beim Christenthum der Fall. Seine historischen Grundlagen sind in der Hauptsache in dem bisherigen Gange der internationalen Entwickelungsprozesse bereits angedeutet und offenbaren sich in dreifacher Gestalt: In der streng nationalen religiösen Lebensauffassung des Judenthums, in der kosmopolitischen Anlage des hellenischen Geistes, der schließlich den Orient und den Occident einander genähert hatte, in der centralistisch rechtlichen Ordnung des Römerthumes. Durch die Vereinigung und Verschmelzung dieser Elementarbestandtheile erhob sich das Christenthum zur Weltreligion. Denn es zeigt sich, daß, von den Colonisationen später entdeckter Welttheile abgesehen, das Christenthum nicht viel weiter vorgedrungen ist, als bis zu den äußersten Gränzen derjenigen Gebiete, welche von den Einflüssen des Hebräischen, Griechischen und Römischen Geistes oder von der Macht Germanischer, von Rom beeinflußter Waffen berührt worden waren.

Aus dem Judenthum und seiner troß der Römischen Herrschaft nicht gebrochenen Nationalität entstammte die still aber mächtig wirkende Anziehungskraft der Messianität, die Verheißung einer die irdische Unvollkommenheit der Staatsgestaltungen überstrahlenden Herrlichkeit des Gottesreiches, der den Griechen und Römern völlig fremde Dualismus von Gott und Welt, das den Volksgeist der Israeliten tief durchdringende Gefühl menschlicher Sünde und menschlichen Erlösungsbedürfnisses, die asketische Richtung einer das Fleisch" abtödtenden oder unterjochenden Buße.

Daher die geschichtliche und Anfangs auch örtliche Gebundenheit des Christenthums an die Stätten des heiligen Landes, wo der Erlöser gewan=

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