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Erfolge angelangt, beherrscht Alexander ein Reich, dessen Umfang die Gränzen der Persischen Monarchie überschreitet: von den Ufern der Donau und dem Adriatischen Meere bis an den Kaukasus und die Centralasiatischen Steppenflüsse, vom Hydaspes bis an die Syrte, unter gleichzeitiger Vereinigung aller Machtmittel zu Lande und zur See.

Die dem Eroberer gestellte und von ihm völlig begriffene Weltfrage war: ob innerhalb eines so ungeheuren Reiches die Möglichkeit seiner Erhaltung vermöge einer Verschmelzung Hellenischer und Altorientalischer Cultur gegeben sei? Daß in den Augen der Hellenen durch fürstliche Heirathen mit Frauen Asiatischer Königsgeschlechter Alexander sich keine höhere Weihe geben konnte, als ihm sein Schwert auf dem Schlachtfelde verliehen, lag auf der Hand.

Für Asiaten mochte diese politische Ausnußung polygamischer Verbindun= gen nicht ohne Bedeutung sein, wenn die Erbfolge in dem Reiche der Achämeniden gesichert werden sollte.

Weitaus bedeutender mußte es nach beiden Richtungen hin erscheinen, daß Alexander den Hellenischen Göttercultus mit dem Asiatischen Religionssystem auszugleichen und die inneren Gegenfäße der Völkerschaften durch eine Conföderation altnationaler, aber durch die Thatsache der Eroberung gleichfam provinzial gewordener Culte auszugleichen unternahm. Zum ersten Male in der Geschichte offenbart sich in einer Weltmonarchie der politische Gedanke einer Indifferenz der religiösen Gegensäße.

Dieser kosmopolitischen Auffassung entsprach es, daß Alexander es nicht verschmähte, dem Orakel des Ammon-Ra sein Opfer darzubringen, um dafür zum Sohne des Aegyptischen Sonnengottes erhoben zu werden: was in den Augen der Griechen nicht mehr sein konnte, als eine Hofceremonie zu Ehren des Zeus, nach der Betrachtungsweise der Aegypter indessen die Volksmei= nung erheblich zu beeinflussen vermochte. Aehnlich verhielt es sich mit dem zweiten, in Vorderasien weithin herrschenden Cultus des Bel, dem Alexander in Babylon sein Opfer darbrachte. Auf diese Weise wurden, Anfangs unmerklich, diejenigen Religionssysteme des Orients erschüttert und entwurzelt, deren politische Bedeutung in der Verknüpfung der Götterlehre mit national monarchischen Institutionen begründet gewesen war.

In Mitten großartiger Pläne und Unternehmungen endete Alexanders Laufbahn durch einen frühzeitigen Tod. An die Stelle gehoffter Einheit einer Hellenisch-Orientalischen Staatsschöpfung, deren Mittelpunkt für lange Zeiten die Person des Monarchen hätte sein müssen, trat die Herrschaft der Diadochen. Jeder von den überlebenden Generalen nahm sich denjenigen Theil der territorialen Hinterlassenschaft, den er behaupten und vertheidigen zu können vermeinte.

Trot unaufhörlicher Kriege und Zwistigkeiten trägt diese Epoche, deren Abschluß die Oberherrlichkeit der Römer herbeiführte, das deutliche Gepräge internationaler Cultur. Aus der allgemeinen Auflösung der Makedonischen Weltmacht tritt zunächst eine Restauration der uralten Machtcentren hervor:

Das Babylonisch-Persische Reich fällt dem Geschlechte der Seleuciden zu, Aegypten den Ptolemäern, Makedonien den Nachkommen des Antigonus. Aber diesen in sich selbständigen Staatsgebilden wohnt als leitender Geist die Macht Hellenischer Ueberlieferungen inne. Es ist der Zug weltbürgerlicher Vorstellungen, der sie am Leben erhält, und die äußeren Gegenfäße abschwächt. Am klarsten offenbart sich die späthellenische Culturaufgabe auf Aegyptischem Boden gerade in der Neustadt von Alexandrien, wo auch das Beharrungsver= mögen gegenüber den Römern sich am längsten zu behaupten wußte, während die alte Heimstätte des Makedonischen Staatswesens auf Europäischem Boden mehr in den Hintergrund trat. Mit diesem Anerkenntniß der den Ptolemäern zukommenden größeren politischen Bedeutung darf jedoch nicht die Vorstellung verbunden werden, als sei das geistige Leben an kleineren Mittelpunkten städtischer Cultur, wie Athen, Ephesus, Rhodus, Antiochien gering zu veranschlagen gewesen. Auch neben oder hinter Alexandrien, wo Handel und Wissenschaft den höchsten, jener Zeit nach erreichbaren Aufschwung nahmen, gab es eine ansehnliche Reihe von Plägen, die als Hauptstädte des geistigen Lebens gelten dürfen und den rein Hellenischen Typus ihres Wirkens nachdrücklicher festhielten, als Alexandrien, wo sich eine eigenthümliche Culturmischung unter dort an= fässigen Griechen, Juden, Syrern und Africanern vollzog, deren Dasein dem wissenschaftlichen Triebe der Sammlung, Erkenntniß und Vergleichung aller hervorragenden Producte der älteren Literatur mächtigen Vorschub leistete

Mit Recht nennt man daher die Periode der Makedonischen Diadochen das Zeitalter des Hellenismus. Der Hellenische Geist, losgelöst von seinen ursprünglichen freistaatlichen Heimstätten, waltet als eine gleichsam abstract ge= wordene Macht an nicht Griechischen Fürstenhöfen und bietet ein Gegenstück zu der Macht des religiösen Geistes, die nach der Zerstörung Jerusalems die zerstreuten Israeliten in ihrer Staatenlosigkeit beherrschte. Beide Erscheinungen erwiesen bereits im Alterthum auf das deutlichste, das kosmopolitische Ideen ein von ihren nationalen Ursprungsstätten unabhängiges Dasein in der Ge= schichte führen.

1) Schon am Hofe des Königs Archelaos (ermordet 399) haben Hellenische Dichter und Musiker Aufnahme gefunden. Ebenso erfreute sich der Makedonische Fürst Amyntas (+ 370) Griechischer Bildung.

2) Alerander selbst lebte als Jüngling längere Zeit zu Theben in einer dem Epaminondas befreundeten Familie. Nach Diodor (XVI, 3) war der Ausgangspunkt der Phalanx in dem Synaspismus der Hellenischen Helden zu erkennen. Gs heit von Thilipp: ἐπενόησε τὴν τῆς φάλαγγος πυκνότητα καὶ κατασκινήν, μιμησάμενος τὸν ἐν Τροίᾳ τῶν ἡρώων συνασπισμόν.

3) Philipp ward im Jahre 339 von den Amphiktyonen zum Autokrator und Strategen mit selbständiger, keinem verantwortlicher Macht anerkannt.

4) Alexander ward nach Philipps Ermordung vom Synedrium zu Korinth zum Strategen Griechenlands ernannt. Diodor XVII, 4.

5) Nach der Meinung Ranke's (1, 2, 166) bedingt auch der Zweck der Herrschaft über Griechenland den Kampf gegen Persien: „In dem Verhältniß der Griechen zu Makedonien, dessen Herrschaft sie ungern ertrugen, auf der einen, zu Persien auf deffen Rückhalt sie sich stüßten, auf der anderen Seite lag etwas, das einen Krieg Alexanders gegen Persien nothwendig machte."

6) Nach Ranke's Ansicht wäre Alexandria in Aegypten nach dem Piräeus von Athen die erste absichtlich für den Weltverkehr eingerichtete Hafenstadt Sie hatte rechtwinklig sich schneidende Straßen, von denen die vornehmsten doppelt so breit waren als die Nebenstraßen. Dinokrates stand dem König als technischer Baurath zur Seite. Vielleicht geschah diese Stadtgründung aber auch in Nachahmung der von Darius ausgegangenen Gründungen von Susa und Persepolis. Jedenfalls besaß Alexander der Große ein lebhaftes Interesse für Colonisation, was schon daraus zu schließen ist, daß er Aristoteles anregte, darüber zu schreiben (önwç dei ràs àñolxías metodai reɣpágŋxe). S. Oncken, Staatslehre des Aristoteles I, 46.

7) Der Ausgang der Schlacht war bedingt durch die Ueberlegenheit einheitlicher Taktik und Führung über ein vielsprachisches Conglomerat von Truppen, deren Kampfesweise eine völlig verschiedenartige war. Ueber die von Herodot und Xenophon beschriebene Gefechtsweise der Perser vgl. M. Dunder, Geschichte des Alterthums

IV,

569-571.

§ 55.

Kunst und Wissenschaft.

Literatur: Bezüglich der bildenden Künste: H. Brunn, Geschichte der
Griechischen Künstler, 2. Bd. (1853-1859)
Michaelis, Das Parthenon.

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- Welder, Alte Denkmäler Bd. III, 1851 Curtius, Griechische Geschichte 1, 125 f., 512f., II, 337, III, 282, 534. M. Dunder, Geschichte des Alter: thums V, 25 f., 562 f., VI, 307 f., 665 f. G. Grote, History of Greece IV, 31 139. Bezüglich der Dichter: Ranke, Weltgeschichte 1, 9—37. Dunder, Geschichte des Alterthums V, 311, VIII, S. 425 ff. Grote, History VIII, 437. Buger, Die Würde der Musik im Griechischen Alterthum 1839. Bezüglich der Rhetoren: Schömann, Griechische Staatsalterthümer I, 541. Meier und Schömann, Attischer Prozeß, 729. Grote, History V, 541.

Welche Bedeutung immer den Anregungen zugeschrieben werden mag, die künstlerisches Gestalten in den ältesten Zeiten aus Aegypten und dem Orient empfing, sicherlich war die Kunst der Orientalen nur eine Vorstufe im Vergleich zu jenem höchsten Gipfel der Vollendung, den nachmals Architectur und Sculptur bei den Hellenen erstieg. Die Bauten im Thale des Nil und ihr mannigfach gestalteter Schmuck durch Bildsäulen und Malereien entsprachen zwar durchaus der Empfindungsweise und dem Anschauungsvermögen des Volkes, aber dort sowohl als bei Babyloniern und Assyrern blieben die monumentalen Staatsbauten entweder im strengen Banne priesterlicher Aristokratie, die allen Gedanken eine Richtung auf das Rituelle oder Geheimnißvolle anwies, oder

im Bezirke königlicher Machtgebote, wo es darauf ankam, die Fülle der Alleinherrschaft in Prachtbauten zu feiern.

Diesen engeren Bannkreis durchbrach die Hellenische Kunst, ohne darum ihren ursprünglich in den religiösen Volksüberlieferungen gelegenen Boden je mals völlig zu verlassen. Die Mannigfaltigkeit ihrer Hervorbringungen verhält sich zu der großartigen Massenhaftigkeit und zur Einförmigkeit Orientalischer Bildungen wie die unerschöpfliche Fülle Griechischer Staatsformen zu der in die Höhe oder Breite strebenden Aufthürmung Orientalischer Monarchien. Nach der Empfindung des Orientalen stand die Heiligkeit der Götter und Fürsten höher als die ihnen gegebenen Sinnbilder der plastischen Kunst, der die lezten und tiefsten Geheimnisse der Gottheit unerreichbar blieben, woraus sich ergab, daß man entweder, wie die Israeliten und nachmals die Araber, in der Errichtung wirklicher Bilder des einheitlich vorgestellten Wesens einen ihren Begriff ver kleinernden Act erblickte oder, wie Assyrer, Phönicier und Aegypter, zu den Mißgestaltungen phantastischer Schöpfungen verleitet ward, in denen thierköpfige Ungeheuer, Mischungen und Mißgestaltungen verschiedener Organismen in Sphinggen und Minotauren der menschlichen Furcht vor den geheimnißvollen Mächten der Zerstörung zur sichtbaren Darstellung verhalfen.

Anders der Hellene. Ihm stand der Tempel und das in Erz oder Marmor geschaffene Abbild des Gottes wenn nicht höher, so doch innerlich weitaus näher als die Ergründung oder Symbolifirung unfaßbarer Vorstellungen. Seine Kunst bewegte sich ebenso frei auf den Bahnen menschlicher Einbildungskraft, wie seine Politik in der Richtung freier Zweckmäßigkeitsverhältnisse. So wurde ihm das Göttliche zur übermenschlichen Schönheit, deren Maßstab jedoch die Gefeße der künstlerischen Wahrheit niemals verleßen durfte. Die den Nationalgeist in seinen Tiefen bewegende Dichtung des Homer war diesen Kunstschöpfungen vorbereitend als Herold vorausgeeilt und hatte Göttliches und Menschliches einander angenähert. Indem die uralte Sage Menschen und Götter in der Ueberlieferung des Tantalus und Pelops zu einer wirklichen Verkehrsgemeinschaft verwoben und jenen Vorstellungskreis scheuer Gottesfurcht verlassen hatte, der nach der Denkweise der Israeliten den An blick und das finnliche Schauen Gottes tödtend wirken ließ, war jenes künftlerisch einzigartige Geschlecht der Heroen entstanden, in welchem auch die sichtbar gedachten Vorbilder derjenigen Gestalten entdeckt wurden, in welche die Gottheit sich gehüllt haben sollte, als sie noch unter solchen Menschen weilte, die ihres Umganges würdig gewesen waren.

Architectur und Sculptur der Griechen entsprangen indeffen keineswegs der Alleinherrschaft rein religiöser Vorstellungen. Wäre das religiöse Gefühl so mächtig gewesen, so hätten sie sich mit der Gottesverehrung in Hainen und auf den Bergeshöhen, an Quellen oder an Meeresufern begnügen können. Tempelbauten hatten schon deswegen eine weitere, über den Cultus hinausreichende Bedeutung, weil sie gleichzeitig an großen Festen zur Vereinigung des Volkes dienten. Die gleichzeitige nationale und politische Bedeutung reli

giöser Feste und der doppelte Zusammenhang der bildenden Künfte mit der Göttersage und den idealsten Zwecken des staatlichen Gesammtlebens der Hellenen offenbarte sich gerade in den Festspielen zu Olympia. Nicht unbeachtet ist außerdem die freistaatliche Forderung zu lassen, wonach zu gewissen Zeiten bauliche Einrichtungen verlangt werden, die der Versammlung des Volkes oder großer Rathskörper den erforderlichen Raum gewähren, außerdem aber auch das Andenken großer Männer auf öffentlichen Pläßen oder in den Vorhallen der Staatsgebäude durch den Demos geehrt werden soll.

Unter der nachhaltigen Zusammenwirkung solcher religiöser und politischer Beweggründe, mit einer nirgends in der Weltgeschichte übertroffenen Feinheit der Volksempfindung für das Schöne, entstanden jene Tempelbauten, die in ihrer edelsten Einfachheit die Colossalbauten und den Tempelschmuck Orienta lischer Könige weitaus übertrafen, jene Sculpturen Griechischer Hauptstädte, die bisher unerreichbar blieben und gewiß niemals übertroffen werden.

Seit dem fünften Jahrhundert lebte das wirkliche, oder aus Ruinen wieder erzeugte Bild des Parthenon in dem Vorstellungskreise der gesammten Menschheit, so weit sie zum Verständniß oder zur Empfindung des Schönen überhaupt befähigt war. Die aus Schutt und Trümmern zu Athen, Olympia, Pergamos oder in der Verbannung in Rom nachmals ausgegrabenen Bildwerke Griechischer Sculptur gelten als Kostbarkeiten, die der Menschheit gehören und in ihrem geistigen Leben dasselbe bedeuten, was die unvermuthete Auffindung neuer Goldfelder oder reicher Silberminen in den wirthschaftlichen Beziehungen der Nationen darstellt. Es ist kein vorwiegend antiquarisches Interesse, was sich diesen Schöpfungen zuwendet, sondern eine in der Nachwelt stets neue Kräfte der künstlerischen Begeisterung weckende Geisteskraft, der gegenüber sogar die das Heidenthum und den Irrglauben verfluchenden Kirchenfürsten in Rom sich ebenso unterwarfen wie die Imperatoren Römischer Legionen, indem sie für die Aufnahme solcher Schöpfungen hinwiederum eigene Kunstbauten in Paläften, Tempeln oder Museen herrichteten. Alle modernen Culturnationen setzen ihren Stolz und ihren Ehrgeiz darin, einige Ueberreste aus den Kunsttrümmern der Hellenischen Welt ihr eigen zu nennen.

Athen, obschon nicht Geburtsstätte der bildenden Künste auf Hellenischem Boden, erhob sich im Zeitalter des Perikles durch die Erbauung des Parthenon zur Hauptstadt antiker Kunst und ist vermöge der bereits angedeuteten, zunächst im Zeitalter des Hellenismus über Asien und Africa, sodann in der Römerzeit westwärts verbreiteten Nachwirkungen, Welthauptstadt geworden und auch nach seinen Zerstörungen geblieben. Denn jeder Versuch, das Wesen und den Gehalt dieser einzigen Kunstschöpfungen zu erfassen, nöthigt auch zur Ergründung ihrer historischen Zusammenhänge und stellt eben hiermit ein universalhistorisches Problem für die Menschheit auf ästhetischem Gebiete, in dessen Erkennung die Ehrfurcht vor den Aufgaben der Kunst wächst und kommende Geschlechter zur Bescheidenheit Angesichts eines der Vergangenheit angehörigen, unerreichbaren Ideals gemahnt werden.

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