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der Barbaren erwiesen wurde, erscheint es auffällig, daß Friedensschlüsse nur auf eine bestimmte Anzahl von Jahren abgeschlossen wurden. Vielleicht wurzelte diese Uebung in der Lebendigkeit des Hellenischen Freiheitsgefühls, dem es anstößig erscheinen mochte, entferntere Nachkommen mit Vertragsfesseln zu belasten. Zweierlei darf jedenfalls nicht übersehen werden. Bei kürzeren, etwa zehnjährigen Friedensfristen, war es sicherlich leichter, durch Vertröstung auf bessere Zeiten zweifelhaft gebliebene Kämpfe vorläufig zu Ende zu bringen. Und bei längeren Fristen traf meistentheils die Erwartung zu, daß alte Kriegsgründe und Kriegsursachen definitiv in Vergessenheit geriethen, nachdem der Racheðurst des Unterliegenden einmal zeitweise abgekühlt war.

Auch darf nicht übersehen werden, daß beschränkte Dauer der Friedensschlüsse eine Analogie in jener Bestimmung der Solonischen Verfassung fand, wonach deren Festsetzungen zunächst nur auf zehn Jahre bindend sein sollten. Denn auch verfassunggebende Acte können als innere Friedensschlüsse zwischen kämpfenden Parteien aufgefaßt werden. Thatsächlich mag daher ein Friedensschluß auf die Zeitdauer von hundert Jahren, wie er zuweilen vorkommt, als dauernder Frieden angesehen worden sein. Mit der Befristung der Friedens- und Bündnißverträge war natürlich in keiner Weise ausgeschlossen, daß nicht in der Zwischenzeit neu auftretende Streitursachen wiederum zu Friedensstörungen Anlaß boten. Der auf fünfzig Jahre (422) zwischen Athenern und Spartanern geschlossene Friede währte nur drei Jahre, der dreißigjährige Friede derselben Staaten von 445 nur vierzehn Jahre. Vereinbarungen, wonach später nach dem Friedensschluß auftauchende Streitigkeiten auf den Rechtsweg verwiesen werden sollten, wurden häufiger beschworen als erfüllt.11) Je mehr der Einfluß der Sophisten in Volksversammlungen und Gerichtsstätten eindrang, desto mehr wird es erklärlich, daß die auswärtige Politik der Demokratien im Alterthum nicht gewissenhafter verfuhr, als die Cabinetspolitik schrankenlos herrschender Fürsten im XVII. Jahrhundert. 12) Die alte Uebung, der gemäß Staatsverträge durch Opfer und Libationen bekräftigt und dann feierlich beschworen wurden, sank wenigstens in den Augen der Hellenischen Diplomaten zur bloßen Formalität herab. Wenigstens wird dies dann der Fall gewesen sein, wenn Gesandte zur Erledigung solcher Proceduren abgeordnet wurden und den Schwur leisteten, während es vielleicht ernster genommen worden sein mag, wenn ganze Volksversammlungen oder Bürgerschaften den Eid auf das Gewissen aller einzelnen Staatsgenossen legten. 13) Auch die Eidesleistungen konnten zu größerer Sicherheit von Zeit zu Zeit wiederholt werden. Wenn Thukydides dabei vierjähriger Fristen gedenkt, so mag dies wahrscheinlich mit den Olympiaden zusammenhängen. 14)

Jenes religiöse Moment, das sich in Opfern und Eiden offenbarte, be= thätigte sich übrigens auch in der Sitte, die gleichsam monumentalen und lapis daren Vertragsurkunden, auf Erztafeln oder in Säulen, in den nationalen Heiligthümern, oder gar an besonders geweihten Stätten, wie in den Tempeln zu Delphi und Olympia aufzustellen, im Hinblick auf welche man den Hellenen

den Anspruch zuerkennen darf, das älteste Völkerrechtsarchiv besessen zu haben. 15) Zu Zeiten des Demosthenes kam es vor, daß diejenigen Documente nachträglich entfernt wurden, deren Inhalt durch Vertragsverleßung hinfällig geworden war, und in ähnlicher Weise konnten spätere Veränderungen des Vertragsinhalts epigraphisch auf den bereits vorhandenen Denkmälern constatirt werden.

Selbstverständlich war auch das Institut der Geiseln unter den Hellenen vielfach gebräuchlich. Der Sitte, wonach entweder erwachsene Männer oder Haussöhne zu Geiseln bestellt zu werden pflegten, handelte späterhin ein Spartanischer König zuwider, als er sich nach einem Kriege in Großgriechenland Frauen und Jungfrauen ausliefern ließ.

Höchst beachtenswerth ist endlich, daß den Hellenen das Institut der Repressalien und dessen politische Eigenart völlig klar zum Verständniß gekommen war. Der Ursprung solcher Maßregeln mag in Zeiten zu suchen sein, in denen Raub einzelner Genossenschaften und legitimer Krieg durch Staatsorgane zu Lande und zur See noch nicht hinreichend scharf unterschieden werden konnte Aus staatlich gebilligter Gewaltthat Einzelner gegen fremde Bevölkerungen konnte überall ein Kriegsfall hervorgehen und umgekehrt aus staatlichen Beschwerden des Volkes die Autorisation zur Selbsthülfe, womit der Staat seinerseits Kriegführung zu vermeiden im Stande war. Das Motiv der Beutelust ward dann gleichsam im Staatsdienste verwerthet. In diesem Sinne sind die öffentlichen Aufforderungen zu verstehen, wodurch bewaffneter Einfall Einzelner in das Gebiet fremder Staaten für zulässig erklärt wurde. 16)

1) S. Curtius, Griechische Geschichte 1, 63 ff.

2) Herod. VII, 9, 2. Thufyd. I, 29. 131. VI, 50. VII, 3. Eine bestimmte Form war nicht erforderlich. Auch ein „Ultimatum" genügte.

3) Siehe die Fälle bei Schömann (a. a. D. II, S. 5) und die vornehmlich wich tige Stelle des Thukydides I, 28.

4) War dies geschehen, so sprach man von einem rólɛμos àxýpuxtos xai ἄσπονδος.

5) Herod. IX, 79.

6) Gewöhnlich bestand das rporalov aus Holz oder aus einem mit Waffen be hängten Baumstamme. (S. Diodor. XIII, 24.) Merkwürdig ist das Gesetz, das den Spartanern verbot, Feinde weit über das Schlachtfeld hinaus zu verfolgen. (S. Schömann, I, 296.) Vermuthlich sollte dasselbe disciplinwidriger Beutelust wehren. Darauf beziehe ich auch das bei Herodot IX, 80 - 81 erwähnte, nach der Schlacht bei Platää von Pausanias erlassene Verbot.

7) Es finden sich bei Griechischen Autoren als solche Lösungspreise ver: zeichnet: eine Mine für den Mann (Plutarch, quaest. graec. c. 17), zwei Minen (Herodot VI, 79), 1000 Drachmen (Hyperides bei Welty, rhet. graec. IX, p. 547). Auch Taratoren des Werthes kamen vor: tiμŋtai twv aixμalúτwv. Wurden Gefangene von ihrer Familie losgekauft, so wurden sie wiedererstattungspflichtig bis zum äußersten Grade der Schuldknechtschaft.

8) Schömann (a. a. D. II, S. 12).

9) Thukyd. IV, 97.

10) Dieses Institut der Befriedung hieß exeyeipia.

11) Chufyd. I, 78. 140. IV, 118. V, 18. 79. VII, 18.

12) Daher der Name onovdai, der in den Lateinischen sponsiones wiederkehrt. Andocides, de pac. p. 94 wollte oñovdai nur auf den Friedensschluß zwischen Siegern und Besiegten anwenden und ɛlpývŋ davon als der Friede zwischen Gleichen unterschieden wissen, während es viel einfacher wäre, Friedensvertrag und Friedenszustand zu unterscheiden.

13) Ein Rhodos betreffendes Beispiel citirt Schömann (a. a. D. II, 19) nach einer Publication von Lebas in der Revue de philologie 1, 3 p. 267.

14) Thutyd. V, 18. 47.

15) Daran kann auch durch das höhere Alter Aegyptischer und Affyrischer Monumente nichts geändert werden. Denn der Beurkundungsact bezweckt bei diesen Selbstverherrlichung, bei den Griechen Beweisführung für etwaige Streitfälle der Zukunft.

16) Die Bejeidnungen finδ: σῦλα pbet σύλας διδόναι, λάφυρον ἐπικηρύττειν, þúoia xaraɣyéder. Bei Demosthenes, Diodor und Plutarch finden sich für die Führer solcher Unternehmungen die wenig schmeichelhaften Bezeichnungen ȧprincipaτns und àpxixλwy, was darauf hindeutet, daß Stehlen und Rauben im Kriege während des Alterthums ebenso wenig als schimpflich galt, wie das Räuberhandwerk der Klephten gegenüber den Türken in neuerer Zeit. Eine Anwendung des Repreffalienbegriffs war auch die àvôpoingia. Es war den Blutrichtern nach verweigerter Auslieferung eines flüchtigen Mörders gestattet, auf eigene Faust Geiseln im Gebiete des Asylstaates zu ergreifen.

§ 53.

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Das Fremdenrecht der Hellenen.

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Literatur: Ullrich, De proxenia. Berl. 1822. Böch, Staatshaushalt der Athener. I. Bd. 2. Ausgabe 1851. K. F. Herrmann, Griechische Antiquitäten. Bd. I. (4. Aufl. 1855.) Schömann, Griechische Alterthümer. II, S. 20. G. Gilbert, Handbuch der Griechischen Staatsalterthümer. I, 169 ff. B. Büchsenschüß, Besiß und Erwerb im Griechischen Alterthum Müller-Jochmus, Geschichte des Völkerrechts im Alter

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(1869) S. 512 ff. thum, S. 107 ff.

Zwei Ausgangspunkte bieten sich dar, um zum richtigen Verständniß des Hellenischen Fremdenrechts zu gelangen.

Zunächst muß überall daran erinnert werden, daß der Umfang weitester politischer Berechtigungen des Staatsbürgers in kleinen Freistaaten dazu nöthigt, eine scharfe Gränzlinie zwischen Einheimischen und Fremden festzuhalten,') woran auch durch längeren Aufenthalt und Niederlassung auswärtiger Landesgenossen nichts geändert werden kann, während in großen Asiatischen Despotien von politischem Rechtsgenuß der Unterthanen überhaupt nicht geredet

werden konnte. Klare Gränzlinien hierbei zu ziehen, ist in Freistaaten außerdem immer deswegen schwieriger, weil politische Rücksichten auch die Auffassung anderer, in unfreien Staaten als nicht politisch erachteter Rechtsverhältnisse beeinflussen. Der allgemeine Sah, daß Fremde keiner staatsbürgerlich öffent= lichen Rechtsübung theilhaftig sind, läßt sich überall leicht formuliren. Seinen Geltungsgebiet im Einzelnen abzustecken, mußte aber gerade in Hellas besonders schwierig erscheinen.

Andererseits war das Volk der Hellenen überwiegend verkehrsfreundlich und dem Ausländer wohlgesinnt. Uraltes Gastrecht, beruhend auf religiöser Ueberlieferung, die auch Götter in Menschengestalt unter den Sterblichen zur Erkundung ihrer Gesinnung wandern ließ, gab diesen namentlich in der Odyssee ausgeprägten Vorstellungen ebensoviel Halt wie die Erkenntniß eigener Vortheile in handelspolitischer Beziehung. Gern rühmte sich der Hellene seiner gastlichen Gesinnungen. Seinem Selbstgefühl schmeichelte es, wenn der Vergleich mit anderen unwirthlichen Ländern zu seinen Gunsten ausfiel oder zahlreiche Fremde zu seinen Heiligthümern und Orakeln wallfahrteten. Wo aus politischer Nothwendigkeit dem Fremden gewisse Rechte versagt werden mußten, bestand doch immer die Neigung, ihm soviel Staats gunst wie mög lich zu gewähren. Liebte doch der Hellene auch für sich selbst die Freiheit der Bewegung in der Fremde. Wo er neue Meere auffand, war Unwirth lichkeit oder Gastlichkeit ein Merkmal der Unterscheidung, das er sofort ins Auge faßte. 2) Auch für ihn war es keineswegs schimpflich, abenteuernd in die Ferne zu ziehen. Wie hätte ein so hervorragend colonisirendes Volk anders denken können? Zahlreich waren in späteren Zeiten die Griechischen Miethsvölker, die fremden Fürsten Waffendienste leisteten. Plato spricht es somit als Grundsatz aus: Willkürliche Verlegungen unterliegen der Strafe der Götter, indem der Fremde, dem keine Freunde und Verwandten zur Seite stehen, um so mehr ein Gegenstand der Theilnahme für Götter und Menschen ist.3)

Austausch und Annahme von Gastgeschenken verwandelte solche allgemein sittliche Vorstellungen gleichsam in natürliche Verbindlichkeiten des Gastrechts und der Gastpflichtigkeit. Man tadelte die Spartaner, weil sie sich gegen Fremde mißtrauischer und weniger zuvorkommend verhielten, als andere Hellenische Gemeinwesen, während von Perikles Athen als Weltstadt gerühmt wurde, die Allen offen stand 4)

Auf höhere Entwickelung des Fremdenverkehrs weisen auch die alten An= stalten der gewerbsmäßigen Gewährung von Unterkunft und Nahrung, sowie die Einrichtung der Reisepässe und Legitimationspapiere für Reisende.")

Wie es mit der Rechtssicherheit des Fremden in jedem Staat damals bestellt war, ist freilich eine andere Frage. Im einzelnen Falle entschieden vielfach Privilegien und besonders ertheilte Auszeichnungen.

Dahin gehörte beispielsweise die ehrenhalber einzelnen Ausländern ertheilte Vergünstigung der Zollfreiheit (Atelie) und die Asylie, d. h. Sicherheit der Person und des Eigenthums für die Eventualität eines später unter den

betheiligten Staaten ausbrechenden Zwistes. 6) Dieser denkbar günstigsten und privilegirten Stellung einzelner Ausländer entsprach auf der Kehrseite die selbst= verständlich zulässige Austreibung der Fremden und Verkehrssperre zu Kriegszeiten. In solchen Fällen vorsichtig zu sein, hatten die Griechen um so mehr Anlaß, als es selbst zu Zeiten höchster nationaler Begeisterung, wie während der Perserkriege, nicht an Beispielen des Landesverrathes fehlte.

Am allgemeinsten üblich und am weitesten verbreitet scheint die Begüns ftigung der Fremden durch Proxenie gewesen zu sein, d. h. ein Staatspatronat für Ausländer, theils im Sinne der Erleichterung in der Vornahme von Rechtsgeschäften, theils im Sinne der politischen Verwendung und Fürsprache bei fremden Behörden.

Die Ernennung solcher Proxenoi geschah theils durch diejenige ausländische Regierung, deren Staatsangehörige geschützt werden sollten, theils durch solche Staaten, die sich selbst der in ihrem Gebiete weilenden Fremden annehmen wollten. Ob die Bemühungen der Progenie von Alters her durch Besoldung belohnt wurden, läßt sich mit Sicherheit nicht darthun. Nach der Mannigfaltigkeit der Lebensverhältnisse, die in den einzelnen Griechischen Staaten bestanden, spricht die Vermuthung gegen die Herrschaft einer überall anwendbaren einheitlichen Regel. Man darf annehmen, daß es an großen Handels. plätzen, wo ein lebhafter und ständiger Geschäftsverkehr zahlreiche Ausländer zusammenführte, anders gehalten wurde als in kleinen binnenländischen Gemeinwesen, wo der Gesichtspunkt eines nur selten zu übenden und wenig beschwerlichen Ehrenamtes überwiegend 7) blieb. Wahrscheinlich entstand das Institut der Prorenie zuerst in Gegenden, wo einerseits der Handel lebhaft, andererseits die sprachliche Verständigung erschwert war, so daß mit einer und derselben Einrichtung verschiedene Zweckbestimmungen verbunden gewesen sein können. Sicher ist, daß die Progenie nicht auf Hellenische Staatswesen beschränkt blieb, sondern sich auch in Aegypten vorfand. Jedenfalls ist sie sehr alten Ursprunges, da sie sich bereits bei Aeschylos und Pindar erwähnt findet. Auf die Frage, welche Privatberechtigungen dem Fremden zugestanden worden sind, läßt sich schwerlich eine annähernd zutreffende Antwort geben. Da Erwerb von Grundbesitz als eines der den auswärtigen Proxenoi zugestan= denen Privilegien erwähnt wird, darf als wahrscheinlich gelten, daß er im Allgemeinen nicht Jedermann freigestellt war.

Zahlreiche Specialverträge zwischen einzelnen Staaten sind als Rechtsschutzverträge oder Niederlassungsverträge zu bezeichnen. Sie waren sicherlich nicht blos das Werk gelegentlichen Zufalls, sondern fußten, wenigstens soweit Handelspolitik in Betracht kam, auf festen, politischen Traditionen. 8)

Den richtigsten Maßstab zur Bemessung der nach Hellenischer, im Besonderen Atheniensischer Auffassung, dem Ausländer auch in Ermangelung beson= derer Staatsverträge gebührenden Stellung liefert die Betrachtung des Sclavenrechts. Man hat zu erwägen, daß der freie Bürger eines fremden Staates sehr viel besser gestellt sein mußte als der Sclave, dessen Behandlung in

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