Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Dieser Sprache war es vorbehalten, nicht nur den erhabensten Schöpfun gen der Dicht- und Redekunst, den tiefsten Speculationen der Philosophie, den feinsten Wendungen der Rhetorik und dem Spiele des Wißes oder der Dialektik zu dienen, sondern auch durch den Grund ihrer die spätere Welt des Alterthums beherrschenden Verbreitung die ältesten Bekenner des Christenthums zu nöthigen, aus dem engen Kreise von Jerusalem herauszutreten, die gangbarsten Gedanken der Griechischen Philosophie mit ihren Dogmen zu verschmelzen und endlich sogar der absterbenden lateinischen Rechtssprache als überlebendes Idiom in Byzanz Nachhülfe zu gewähren.

Ob die Griechische Sprache in der Gegenwart mit Recht eine todte, oder besser eine nur scheintodte zu nennen sein dürfte, erscheint sogar zweifelhaft. Eine ansehnliche Reihe moderner naturwissenschaftlicher Begriffe (wie z. B. Electricität und Magnetismus) gründen ihre Entwickelung auf Griechische Wörter, deren unerschöpfliche Bildungskraft sich darin bewährt, daß höchst wichtige Erfindungen des modernen Gewerbefleißes und neue Entdeckungen der Wissenschaft genöthigt sind, um sich Allgemeinverständlichkeit zu sichern, neue Griechische Wörter zu bilden: eine Thatsache von internationaler Bedeutung. Denn so berechtigt auch das Streben sein mag, jeder Sprache nationale Reinheit durch Ausscheidung entbehrlicher Fremdwörter zu sichern, ebenso sehr verdient es als Zeugniß für den Ruhm der Griechischen Sprache verwerthet zu werden, daß der größeste unter den Lateinischen Schriftstellern und Rednern sich außer Stande sah, den Begriffsinhalt Griechischer Bezeichnungen überall durch Neubildungen zu ersehen. In weit höherem Maße sind Griechische Bezeichnungen ein unentbehrlicher Bestandtheil in der Terminologie der neueren Wissenschaft, welche bei der Wahl ihrer Ausdrücke dem Werth kosmopolitischer Verständlichkeit und Klarheit den Vorzug geben muß vor der Rücksicht auf die Behauptung nationaler Redeformen.

1) Ueber die Landstraßen s. G. Curtius, Zur Geschichte des Wegebaues bei den Griechen (Berl. Akademie der Wissensch. 1854). — Büchsenschüß, Besik und Erwerb im Griechischen Alterthum. S. 444-451.

2) Beispiellos in der Weltgeschichte erscheint der Entschluß eines bereits zu hoher Blüthe gelangten Gemeinwesens wie Athen, als Staatswesen lieber auszuwandern und hinter hölzerne Mauern zu flüchten, als sich der anrückenden Persermacht zu unterwerfen.

3) Ueber Cultus und Religion der Griechen s. Hermann, Gottesdienstliche Alter: thümer der Griechen § 27. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker Bd. VI. Die Vorstellung, daß die Olympischen Götter nicht die höchste Macht ausüben, sondern mit den Urgöttern der Finsterniß, wie die Erinnyen im Streit leben, tritt namentlich bei Aeschylos hervor. Vgl. Ranke, I, 2, 15 ff.

4) Ranke (a. a. D.) I, 156.

§ 50.

Der staatliche Entwickelungsgang in Hellas.

Literatur: G. F. Schömann, Griechische Alterthümer. 3. Aufl. 1875. Bd. I. S. 96-108.

War in der ursprünglichen Begabung der Hellenen ein Zug des kosmopolitisch menschheitlichen, universalen Strebens mit der Mannigfaltigkeit eines ihnen auf fast allen Gebieten geistiger Thätigkeit innewohnenden Bildungstriebes auf wunderbare Art verschmolzen, so ergab sich daraus als ihr staatliches, freilich ungelöstes Problem: die Ausgleichung der ihrem Volksbewußtsein gemeinschaftlich gebliebenen Zweckbestimmungen mit der Sonderrichtung ihrer Stammestheilungen auf freistaatlicher Grundlage. Dennoch blieb der Sondergeist in den Griechischen Gemeinwesen überall mächtiger als das nationale Volksthum der Gesammtheit.

Im Ausgangspunkt Hellenischer Entwickelung, wo sich uralte Sage, vorhistorische Cultur, geschichtliche Ueberlieferung auf dem Boden homerischer Dichtung verklären, erscheint die monarchische Verfassung als allgemein herrschende Staatsform. Aber dieses Königthum war von jener priesterlichen Vormundschaft befreit, die im Orient seit den ältesten Zeiten abwechselnd die Ohnmacht und Apotheose der persönlichen Regierungsgewalten bewirkt hatte.

Schon in den Homerischen Gesängen leuchtet uns die Vorausverkündung späterer Volksfreiheiten. Die Hegemonie eines Führers über die kriegerische Unternehmung seiner königlichen Genossen beschränkt sich auf den Zweck der Ueberwindung von Ilion, in dessen Falle die Ueberlegenheit des Hellenischen Geistes über das Asiatenthum geweissagt wird. Der Priester, der von dem königlichen Oberführer zu Aulis das Menschenopfer seines Kindes begehrt, erweist sich grausamer, als die zur Milde und Versöhnung geneigte Gottheit von Lauris. Vergleicht man die Gefänge Homers mit der Sprache Aegyptischer Obelisken und Königsgräber oder Assyrischer Monumente, so entdeckt man in jenen nichts von jener Selbstverherrlichung und Ruhmsucht eines sich göttlich wähnenden Feldherrn, der die Sprache des Himmels redet und sich selbst als königliches Drakel der Gottheit fühlt.

Keiner der um Troja kämpfenden Fürsten besitzt den vollen Inbegriff aller menschlichen Vollkommenheiten. Jedem unter den hervorragenden Kriegern gehören einzelne Vorzüge der Schlauheit und List, der Weisheit und Erfahrung, der Redegabe und Darstellungskunst, der Frömmigkeit und Gerechtig= feitsliebe, der Schnellfüßigkeit und des Kampfesmuthes. War die Odyssee vorbedeutend für jenen colonisatorischen Wandergeist, der an entlegensten Gestaden herumirrt, aber selbst in der Gemeinschaft göttlicher Wesen die Versprechungen der Unsterblichkeit ablehnt, um zur Heimath der Volksgenossenschaft zurückzukehren, so enthält die Dichtung der Ilias in der Entzweiung und Eifer

sucht der Könige das sicherlich im Alterthum überall geahnte Vorbild der Schickfale, welche nachmals die um Hegemonie und Vorrang im inneren Zwist mit einander ringenden Freistaaten von Hellas erlebten. Jene beispiellose Macht, welche Homer oder die Homerischen Dichter über die Gedankenwelt des gesammten klassischen Alterthums ausübten, würde bei politisch hochbegabten Nationen, wie Griechen und Römer, durch'rein ästhetische Vorzüge jener Gesänge nicht erklärt werden können.,,Dichtung und Wahrheit" hatten sich in der Ilias und Odyssee unbewußt und auf natürlichste Weise mit der staatlichen Denkweise der Griechen verwoben. Es war unmöglich, daß die feine Symbolik des Empfindungsvermögens im Alterthum übersehen hätte, wie der Fall Ilions die Niederlage Persiens bedeutete, wie sich in den Meerfahrten des Odysseus die Irrungen, Leiden und Unternehmungen des Hellenischen Geistes wiederholten. Und selbst der. königliche Feldherr, der das Reich der Achämeniden zerstörte, bekannte sich persönlich zu dem kriegerischen Ideale des jugendlichen Fürsten, den die Dichtung noch höher gestellt hatte als Agamemnon® gebietende Gestalt.

Die Versammlung der Hellenischen Kriegsfürsten vor Zlion lieferte der lebensvollen Einbildungskraft aller Hellenen das Vorbild einer Versammlung aller in einzelnen Personen ausgestalteten Trefflichkeiten, die auch späterhin nirgends in einem Gewalthaber oder in einem Griechischen Gemeinwesen gleichzeitig nebeneinander angetroffen werden konnten.

In der berathenden Versammlung der Könige vor Zlion idealisirte sich die Versammlung des späteren Demos. Völlig nüchtern und prosaisch aufgefaßt, läßt sich der politische Kern der Homerischen Dichtung als großartigste, wenn auch absichtslos geschaffene Verherrlichung und poetische Verklärung der jeder Großmachtsbildung entschieden abgeneigten, föderalen und freistaatlichen Nationalkraft der Hellenen bezeichnen. Es bedurfte keines gelehrten Commen tators, um Spartanische Könige und Atheniensische Bürger darauf hinzuweisen, daß in dem von Homer beklagten Königszwiste des Agamemnon und Achilles der Gegensatz von Athen und Lakedämon als dichterische Weissagung vorausgeahnt zu sein schien und den kommenden Untergang beider Staatswesen wiederspiegeln konnte.

Sind die Homerischen Gesänge die weltgeschichtlich bedeutendste aller Dichtungen, weil aus dem Volke kommend und zum Herzen des Hellenischen Volkes in unaufhörlicher Bewegung zurüdfluthend, so darf auch ihr politischer und sittengeschichtlicher Inhalt nicht übersehen werden. Keiner der antiken Philosophen hat es verschmäht, seine Speculationen gelegentlich durch die Aussage des aus sich selbst in Homer dichtenden Volksgewissens zu stüßen, oder die Kleinheit nachhomerischer Volksführer und Demagogen an der dichterischen Erhabenheit alter Heroen zu messen.

Wären die kriegerischen Unternehmungen gegen Troja wirklich nur ein prähistorischer Vorgang oder gar ein reines Einbildungsproduct der Dichtung gewesen, so würde ihnen damit dennoch nicht ihre wirkliche und volle Bedeu

tung für die Entwickelung der internationalen Ideenrichtung im Alterthum selber abgesprochen werden können.

Denn nach der Auffassung der Hellenen und Römer gab die Dichtung Homers eine Wirklichkeit wieder, die als Schilderung eines goldenen Zeitalters idealer Kriegführung, oder eines Paradieses der Heroen dieselbe Macht über die Gemüther ausübte, wie die Erzählungen vom biblischen Paradiese auf religiöse Vorstellungen der christlichen Nationen.

In Homers Gesängen fehlt noch der schroffe Gegensatz zwischen Hellenen und Barbaren, dessen Hervorkehrung spätere Zeiten der freistaatlichen Formation auszeichnet. Bis zu einem gewissen Maße enthält die Ilias das fünstlerische und menschheitliche Ideal aller Kriegführung: persönlicher Rampf der Führer, in dem die Menge noch zurücktritt hinter den Heros und gleichsam nur wie der dramatische Chor neben den königlichen Gestalten der antiken Tragödie wirkt, also Entscheidung des Feldkampfes nach eigenster Kraft des Kämpfers, ehrfurchtsvolle Scheu vor dem Willen der Götter, der im Getümmel der Feldschlacht bald auf diese, bald auf jene Seite getheilt fallen kann, der Gedanke an allgemein menschliches Unrecht, das durch Krieg ge= sühnt werden kann, Achtung des Gastrechts auch unter Feinden, Mitleid mit dem Besiegten, Gnadenspenden an den Unterliegenden, das Bewußtsein der durch den Uebermuth des Siegers herbeigerufenen Nemesis. Wenn auch die Aufgabe künstlerischer Darstellung vom Dichter die Vorführung der allen diesen edleren Zügen widersprechenden Gegensäge verlangte, so kann doch schwerlich bezweifelt werden, daß in Homer zuerst die Idee der Menschheit und der menschlichen Gerechtigkeit über diejenige der nackten Gewalt emporragt, daß der Kriegsgrund der Hellenen gegen Ilion weder ein willkürlicher noch auch nur ein nationaler, sondern ein allgemein kosmopolitisch gerechtfer= tigter war und neben dem Untergange Ilions nach dem Grundsaße der Gesammtschuld auch von hochmüthigen Siegern wie Ajar die Buße vom Schicksal eingefordert wurde.

Vor allen anderen Dingen jedoch erschien es für die Folgezeit höchst wichtig, daß vor der Volksanschauung der Feind irgend eines einzelnen von ihm verlegten Fürsten, wie des Menelaos, nicht mehr im orientalischen Sinne als Gottesfeind angesehen wurde. Ganz im Gegentheil bewahrten kämpfende Völker vor Ilion ebenso sehr ihre Freiheit des Willens, wie jene Götter, die sterbliche Menschen zum Frevel angestiftet, also Krieg verursacht und verschuldet haben konnten. Und ebenso ist es ein bedeutungsvoller rein menschheitlicher Zug im Kriege, daß auf dem Schlachtfelde selbst die Erinnerung an das Gastrecht der Väter dem Feinde gegenüber die Oberhand gewinnen kann über die Leidenschaft des gährenden Kampfzornes.

Jenes Königthum, dessen kriegerische Bundesgenossenschaft Homer in der Ilias schildert und verherrlicht, verräth gleichzeitig seine eigene geschichtliche Schwäche in der Dichtung der Odyssee, deren Held nach langer Abwesenheit nicht nur die Erbrechte seines Sohnes, sondern auch seinen gesammten Haus

halt vor Vergewaltigung, Plünderung und Raub zu bewahren hat. Ein Königthum, das auf der Erinnerung oder Erwartung heroischer Thaten seines jeweiligen Trägers sich stüßen mußte, konnte sich unter Hellenen in kleineren Landund Stadtgebieten nicht behaupten, noch auch den Wechsel von Sieg und Niederlagen in beinahe unaufhörlichen Nachbarzwisten überdauern. Es scheiterte entweder an der religiösen Vorstellung der Nemesis, die in persönlichem Mißgeschick der Herrschenden den gerechten Schicksalsspruch über vorhandene offenbare oder geheime Schuld zu vernehmen meinte, oder an der Beweglichkeit des Volksgeistes, welcher den Anspruch eines Tageshelden stets höher stellte als das Recht einer durch Machtmittel unzulänglich geschüßten Ueberlieferung.

So bildete sich in dem Zwischenraum, der das Schwinden des alten Königthums seit dem 9. Jahrhundert von dem Makedonischen trennt, jene beinahe unabsehbare Reihe von Verfassungsformen, in denen alles erschöpft wird, was auf der Grundlage historischer Thatbestände überhaupt politisch möglich erschien und im Mittelalter vorbildlich genommen werden konnte. Alle denke baren Abstufungen zwischen dem alten, durch Sitte und Herkommen beschränkten Königthum, der auf Gewaltherrschaft beruhenden Tyrannis, der durch Grundbesitz oder Amt begründeten Aristokratie, der Oligarchie und Demokratie wurden im schnellen Wechsel und während kürzester Zeiträume überschritten. Erschien dem vornehmlichsten Staatsgebilde des Dorischen Stammes in Sparta1) nach den Gesetzen, die man Lykurg zuschrieb, aristokratische Organisation dér Regierungsgemalten als das beste Muster der Verfassung, so gipfelte in der Atheniensischen Demokratie die Staatsidee der Jonier.

Keine dieser verschiedenen Formationen war der Entfaltung Griechischer Cultur völlig zuwider. Athen und Sparta ergänzten sich troß ihres starken politischen Gegensatzes auf dem Boden Hellenischer Politik wechselseitig so sehr, daß die auf Vergleichung beider Staatswesen begründete Meinung über den Werth der besten Verfassungsform unter Philosophen und Staatsmännern getheilt blieb, bis beide Freistaaten der überlegenen Macht des Makedonischen Königthums unterlagen.

Den Glanzpunkt in der politischen Entwickelung, den bedeutsamsten Abschnitt in der Entfaltung des Hellenischen Geistes bezeichnet das Zeitalter der Perserkriege. Was vor diesem Zeitraum liegt, darf als Althellenische Geschichte bezeichnet werden, deren mannigfach sich kreuzende Bahnen theils auf den Gestaden Kleinasiens, theils auf den Inseln des Aegäischen Meeres, theils in Sicilien und Großgriechenland, theils im eigentlichen Hellas unter dem Vorwiegen des Dorischen Stammes zu jenem entscheidendsten Gegensaße führen, den die Griechen im Vollbewußtsein ihrer höheren Anlagen als Barbarenthum bezeichneten und vornehmlich an das Orientalische Königthum knüpften.

Nach dem Verlust eines großen Stückes jener Asiatischen Küstengegenden, wo es in älterer Zeit seine Autonomie und Selbständigkeit gegenüber Orientalischen Machthabern gewahrt hatte, vermag sich alsdann Griechenland in einer die Bewunderung der gesammten Nachwelt herausfordernden Energie

« ZurückWeiter »