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im Interesse ihrer Söhne zu solchen Grausamkeiten schreiten müssen, um sich gefürchtet zu machen, ist wenig werth, trifft aber keinesfalls die Zeiten, wo der Liebling des hebräischen Volkes auf dem Throne saß und seine Macht bis an die Ufer des Euphrat fühlbar werden ließ. Nach der Einnahme der Ammonitischen Stadt Rabba ließ David das besiegte Volk herausführen, legte die Leute unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte fie in Biegelöfen. 3)

Wie sich Gott wohlgefälliger Raub und Kriegsbeute vom Standpunkte der alten Israeliten nicht trennen lassen, ebenso wenig scheiden sich dem Ausländer und Feinde gegenüber verrätherischer Mord und ehrliche Tödtung. 4)

Plünderung besiegter Feinde erscheint als Gottesbeute", Niederbrennung eingenommener Städte gleichsam als Brandopfer.

Besser als viele andere Völker waren dagegen, wie die alttestamentarischen Darstellungen ergeben, die Juden in Kriegszeiten durch ein ausgebreitetes Kundschafterwesen bedient. Denn die großen jüdischen Volksfeste führten auch aus dem Auslande die dort niedergelassenen Glaubensgenossen an die einheitliche Stätte des Tempeldienstes.")

Nirgends findet sich eine Spur der Reue für die Schändlichkeiten, die das Volk Israel gegen andere schwächere Völker geübt hatte. Nur eigene Leiden erweckten in ihm die Neigung zur Buße oder die Einsicht, daß man mit Opfern und Sühnungen zu sparsam gewesen sei. Der Buhle der Bath- · seba, der Mörder des Uhria wurde das Prototyp des Messiah, der da kommen follte, Israel zu entfündigen."6) Die Wiederkunft eines Königs wie David war die Hoffnung der Volksmenge nach dem Untergang des alten Staatsrechtes.

Je mehr die Israeliten bei allen ihren Unternehmungen gegen andere Nationen und zur Rechtfertigung der von Eroberungen unzertrennlichen Grausamkeit sich auf ihr theokratisches Princip und göttliche Eingebungen beriefen, je mehr sie bemüht waren, bei allen Staatshandlungen den Schein der bloßen Willkür zu meiden, desto mehr verschärften sie den bleibenden Gegensatz ihres Volkswesens zu anderen benachbarten Stämmen oder Staaten. Auf einer Stele im Nordafrikanischen Küstenrande Numidiens bekannten sich asiatische Einwanderer als vertriebene Nachkommen derjenigen, die vor Josua geflohen waren: „Wir sind die, welche vor dem Angesichte des Räubers Jofua, des Sohnes des Nuna, flohen."7)

Zur Zeit ihrer staatlichen Organisation waren die Hebräer zu schwach, gestaltend und bildend auf den Charakter umwohnender Völkerschaften einzuwirken. Als Nomaden in das gelobte Land einziehend, wurden sie in den anbaufähigen Theilen desselben allmälig Ackerer und Handwerker. Phönicier, Babylonier, Aegypter, vielleicht auch Philister 8) waren ihnen in Hinsicht allgemeiner Gesittung überlegen, was am besten daraus erhellt, daß ihr nationaler Tempelbau ohne wesentliche Mitwirkung der Phönicier nicht herzustellen war.

Diese Ungleichheit der Cultur ist auch in der Folgezeit nicht überwunden worden. Sie lag in dem Wesen einer gegen alles Fremde mit Recht_miß

trauischen Priesterschaft tief begründet. Angesichts der schnellen Vermehrung der Israelitischen Bevölkerung, die durch zahlreiche Bibelstellen bezeugt ist, und der Vertheilung des Ackerlandes in kleine Hufen, erscheint es dagegen erklärlich, daß frühzeitig Juden als Gewerbetreibende, Händler und Makler zuerst in benachbarten Städten Phöniciens, sodann in entlegeneren Landes. theilen sich niederließen und sich allmälig eine Schicht hebräischer Herkunft in Städten bildete, innerhalb welcher der Stammesunterschied sich verwischen mußte, weil die Beziehungen zum Tempel in Jerusalem des durch die jüdi. schen Stammesländer wirkenden localen Gegengewichtes entbehrten.

Das einheitliche Königthum des Zwölfstämmereichs verfiel der Auflösung alsbald nach Salomo's Tode. An seine Stelle trat der Dualismus eines kleineren, um den Stamm Juda gruppirten Königthums, das sich auf die nationalen Heiligthümer von Jerusalem stüßte und eines größeren Herrschaftsgebietes als dessen älteste Hauptstadt Sichem, nachmals Samaria, zur Geltung kam. Dies größere Reich Israel war dem Andringen benachbarter Götterculte und den Schwankungen zwischen königlichem Hofpriesterthum und volksthümlicher, in den Propheten wirkender Theokratie in höherem Maße ausgeseßt, daher minder widerstandsfähig. Es erlag daher zuerst der Fremdherrschaft (723) der Assyrer, die einen großen Theil der besiegten Bevölkerung nach Ninive verpflanzten.

Dasselbe Schicksal ward dem Königreich Juda von Nebucadnezar bereitet. Seine Unabhängigkeit endete mit der Niederbrennung des Tempels (586), der schon früher von siegreichen Feinden ausgeplündert worden war, und dem Babylonischen Exil, aus welchem Kyros den Juden nach fünfzigjähriger Gefangenschaft unter Serubabel die Rückkehr an die alte Gottesstätte erlaubte.

Die weitere Geschichte der Juden entbehrt der nationalen Selbständigkeit. Sie ist gleichsam ein provinzialer Abschnitt innerhalb der politischen Gesammt= entwickelung des Orients, die von Persern, Macedoniern und Römern bis zu dem Augenblick beherrscht wird, da Titus die heilige Stadt zerstörte und das jüdische Volksthum völlig auseinandersprengte. Weitaus bedeutsamer aber als die ältere staatliche Geschichte des nationalen Königthums war nach seinem culturhistorischen Gehalt die Geschichte des jüdischen Volksthums in der Zwischenzeit zwischen der Wiedererrichtung des Tempels von Jerusalem und seiner endlichen Zerstörung durch Titus.

1) Gideon hatte vor ihm die Krone ausgeschlagen (gegen 1150 v. Chr., fiehe Richter, 8, 22) und Abimelech vergebens versucht, ein auf Städtebündniß begründetes Königreich zu schaffen. Als Anfangsjahr von Saul's Regierung sett Dunder (II, 89) das Jahr 1055. Bekanntlich sind die Berichte über Saul's Königswürde deswegen sehr widerspruchsvoll, weil drei Modalitäten neben einander erwähnt werden: Volkswille, Loos und Berufung durch Samuel.

2) 1. Samuelis 1, 15. 3) 2. Samuelis 12, 31. Handbuch des Bölkerrechts I.

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4) Siehe den Triumphgesang Deborah's (IV-V) worin der Meuchelmord am Feinde verherrlicht wird.

5) So läßt es sich erklären, warum David's Gesandte von dem Ammoniter: könig Hanum als Kundschafter angesehen und beschimpft wurden. (Maspero a. a. D. S. 315.)

6) Maspero (a a. D.) S. 317.

7) Siehe die Nachweisungen bei Movers, Phönicier; Bd. 11, Th. 2, S. 427. Maspero (a. a. D.) S. 293.

8) Bon Maspero werden die Philister für eingewanderte, von Kreta herüber, gekommene Pelasger gehalten, die nach ihrer Niederlassung Sprache und Sitten der einheimischen Semitischen Urbevölkerung angenommen hätten.

§ 48.

Das Israelitische Volksthum und das alte Testament. Literatur: Ewald, Die Propheten des alten Bundes. 2. Aufl. Bd. I. 1867. C. Twesten, Die religiösen, politischen und socialen Ideen der Asiatischen Culturvölker und der Aegypter. I. Bd. 1872. - F. Lenormant, Les origines de l'histoire d'après la bible et les traditions des peuples orientaux 2. vol. Paris 1884. Müller-Jochmus, Geschichte des Völkerrechts im Alterthum S. 58 ff.

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In demselben Maße, wie die politisch nationale Grundlage des jüdischen Staatswesens durch siegreiche Feinde erschüttert ward und zahlreiche Israeliten, freiwillig oder gezwungen, von Palästina aus, zunächst über Nordafrica, Syrien, Kleinasien und die Euphratländer, späterhin über Europa zerstreut wurden, wuchs die innere Macht der von den Propheten verkündeten messianischen Idee, die als Wiederherstellung einheitlicher königlicher Macht mit ihrem Mittelpunkte in Jerusalem aufgefaßt wurde. Unvermeidlich war dabei jedoch die gleichzeitige Abschwächung der alten Gottesvorstellungen, nachdem man im Exil und in der Diaspora wahrgenommen, daß monotheistische Ideen auch anderwärts, insbesondere unter dem Einfluß Griechischer Philosophie Bestand gewonnen hatten, zumal nach der Zerstörung des Tempels die Verehrung Jehovahs ihre ehemalige örtliche Basis verloren hatte. Gerade in zunehmender Berstreuung concentrirte sich das jüdische Volk religiös und gesellschaftlich. Der Gegensah, in den es gegen andere staatlich organisirte Nationen gerieth, hörte auf ein politisch- theokratischer zu sein. An seine Stelle trat ein gesellschaftlicher Gegensah, wurzelnd in der überall bewährten Anhänglichkeit an ein heilig gehaltenes Schriftthum, zu dessen eigenartiger, welthistorischer Bedeutung es gehörte, daß ein vermeintlich vorstaatlicher Gesetzgebungsact Mose's, nachdem er auf mannigfachste Weise während des Bestandes eines nationalen Staatswesens erschüttert und verlegt worden war, als nach staatliches Gesetz in der ihm schließlich gegen das Jahr 600 v. Chr. gewordenen endgültigen

Feststellung höhere Lebenskraft in dem individuellen Gewissen der Juden gewann, als zu einer Zeit, wo ihm die königliche Gewalt zur Seite stand.

Einzelne Propheten hatten bereits unter den Königen den Boden des alten Staatsthums wanken gefühlt. Zur Zeit des Usias, Jotham, Achas und Hiskias um die Mitte des achten Jahrhunderts weissagte Jesaias in tief bewegenden Worten die Erneuerung des altjüdischen Geseßes, die Unterwerfung der Heiden unter den reinen Glauben, der von Zion ausgehen sollte, ein geistiges Weltreich in der Menschheit und den ewigen Frieden. 1) Es war unvermeidlich, daß einsichtige Männer in den kriegerischen Beziehungen mit Aegypten, Assyrien und Babylonien die Unzulänglichkeit derjenigen äußeren Machtmittel einsahen und begriffen, über welche Israel und Juda verfügten.

Alle jene Todesdrohungen für Verlegungen der religiösen und rituellen Verbote, woran das alte mosaische Recht so reich gewesen war, mußten unter den in der Zerstreuung lebenden Juden, insbesondere nach dem endlichen Untergang 3ions, politisch genommen, unanwendbar werden. Um so bedeutungsvoller ist es für alle späteren Zeiten, daß das seiner strafrechtlich - wirkenden Organe und seines Zwangscharakters entkleidete Gesetz sich als Gewissens- und Glaubensregel um so viel wirksamer erwies. In dem Zustande der Volksunterdrückung und auf fremdem Boden erlangte es eine ideale Macht, die ihm gefehlt, so lange Könige und Hohepriester im gelobten Lande ihres Amtes gewaltet hatten.

Man kann daher für die Epoche nach der Austreibung der Juden aus Kanaan von ihnen sehr wohl sagen: sie seien in Gestalt gesellschaftlich fest= geschloffener Gemeindebildungen in einen internationalen oder intercommunalen Zustand gerathen, der uns über zahlreichen örtlich weit von einander getrennten und in ihrem wechselseitigen Verhältniß zu einander völlig selbständigen Volksgruppen eine herrschende, Gemeinschaft wirkende Idee erkennen läßt. Die formale Vorbildlichkeit für spätere Organisation des internationalen Rechts liegt eben darin, daß Recht und Gesetz, wo sie in ungetrenntem historischen Zusammenhange mit sittlich-religiösen Vorstellungen wohnen, als eine von territorialer Bedingtheit und politisch organisirten 3Zwangsmitteln durchaus un abhängige Macht wirksam werden können.

Dächte man sich als lebendiges und anerkanntes Oberhaupt der zahlreich über die Erdoberfläche zerstreuten Judengemeinden die Person eines HohenPriesters gebietend, so würde innerhalb des Judenthums die theokratische Weltherrschaft in demselben grundsäglichen Sinne verwirklicht gewesen sein, wie innerhalb des mittelalterlichen Papstthums.

Ohne folchen einheitlichen persönlichen Abschluß erscheint dagegen während des Mittelalters und in der Mehrzahl der Länder sogar bis in die neueste Zeit herab die Totalität aller jüdischen Gemeindewesen als eine international wirkende Potenz, vorwiegend in dem negativen Gemeinschaftszustand der politischen Unterdrückung, aber mit einer den Verfolgungen der Jahrtausende entgegengestemmten Gesammtkraft des gemeinsamen religiösen Duldens. So auf

gefaßt, ist das international durch Päpste und Könige innerhalb des Christens thums älterer Zeit geächtete jüdische Gemeindethum gleichsam das Gegenbild zu dem international als herrschend anerkannt gewesenen universalen Papftthum, das gleichfalls die weltliche Macht unter dem Banne des Glaubensgefeßes · practisch ebenso beugte, wie das jüdische Geseß nach der ihm gewordenen Auslegung und Interpretation bürgerlicher und gesellschaftlicher Beziehungen der Juden ohne directen Zwang zum Gehorsam nöthigen konnte, wo dem Abfall von ihrem Glauben jede mögliche Belohnung winkte.

Kein Volk der Erde hat in gleicher Weise gerade wegen seiner ureigenen Ausschließlichkeit so wenig Allgemeines von anderen Nationen seinem historirischen Dasein einverleibt und, wiederum troß derselben Ausschließlichkeit, so viel in den Lebensgang allgemein menschlicher Gesittung zu übertragen vermocht, obwohl es seine staatliche Existenz und die Sprache der heiligen Schrift in den Gräbern der Schriftgelehrten zu den todten Sprachen bestattet hatte. Diese ungeheure Nachwirkung des Israelitischen Volkswesens hat ihren Grund in der Thatsache, daß das Christenthum selbst seine Weltmission nicht anders beglaubigen und beurkunden konnte, als durch Verweisung auf die Ankündigungen und Verheißungen der alttestamentarischen nationalen Propheten. Während die Bekenner des alten mosaischen Glaubens von der mittelalterlichen Welt gerichtet wurden, entwickelt sich das priesterliche Ceremonialrecht mit seinem kirchlichen Ritual im strengsten Zusammenhang mit den Schriften des alten Testamentes.

Keine Urkunde und Schrift hat für die Herausbildung internationaler Gemeinschaftszustände bleibender oder rechtlicher Art im Wechsel der Zeiten und unter völlig verschiedenen Thatumständen so weitreichende Ergebnisse hervorgerufen, wie gerade die Gesammtheit der alttestamentarischen Saßungen. Wollte man nämlich davon absehen, daß der für das Mittelalter so wichtig gewordene Gegensaß des Priesterthums zum Laienthum, der Begriff der sichtbaren Kirche und ihrer Weihen, des Opfers und zahlreicher anderer kirchlicher Verhältnisse, einschließlich der Vorzugsrechte der Hierarchie in den alttestamentarischen Schriften wurzelt, so müßte man doch daran festhalten, daß die Zusammenhänge des kirchlichen, religiösen, politischen Gesammtlebens, wie solche sich in Europa nach und nach herausbildeten, ohne Kenntniß des alten Testaments gar nicht erfaßt und begriffen werden können.

Der Dekalog mit seinen lapidaren Geboten bildet die Verfassungsurkunde der gesitteten Welt, die universalste und volksthümlichste Pflichtenlehre der Menschheit, die Grundlage moralisch practischer Volkserziehung, großartig in ihrer einfachen, bedingungslosen Kürze. 2) Die ihn ergänzenden Strafdrohungen der Schrift haben die Criminalgesetzgebung der weltlichen und geistlichen Gewalten beherrscht. Nicht minder haben christliche Republikaner ebenso wie christliche. Monarchisten im alten Testament Rechtfertigungsgründe für ihre Lehren gesucht, jene indem sie auf die vorkönigliche Zeit der Juden, diese indem sie auf die Vorbilder der königlichen Theokratie zurückgriffen.

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