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die der Aegyptische, durch Julius Cäsar auf uns gekommene Kalender ermöglicht, verdanken wir Aegypten. Eine feste und sichere, dem Zweifel enthobene Zeiteintheilung und Zeitberechnung ist die wesentlichste Grundlage aller praktischen Rechtsgeschäfte und nicht weniger Rechtsbegriffe.

Endlich hat die Wiederbelebung der Aegyptischen Studien in unserem Jahrhundert und die wissenschaftliche Begründung der Aegyptologie als eines sehr wesentlichen Zweiges der Geisteswissenschaften der Darstellung der ersten weltgeschichtlichen Anfänge und der ursprünglichsten Rechtsformationen einen Einheitspunkt gegeben, der zahlreiche und hervorragende Forscher innerhalb des Kreises leitender Nationen in unserem Zeitalter annähert.

1) Andere halten die Altägypter für einen hamitischen Bestandtheil der mittels ländischen Menschenraffen. S. Peschel, Völkerkunde (1874) S. 519ff. Brugsch rechnet die Aegypter zu der kuschitischen Familie, deren älteste Sprachmurzeln auf einen innigen Zusammenhang mit Indogermanischen und Semitischen Sprachen hins weisen.

2) Brugsch (a. a. D. S. 3) rechnet bis auf Ramses II. (1350) mindestens 76 ihm vorangegangene Herrscher:,,ebensoviel Menschengeschlechter, welche in einem Zeitraume lebten, der größer ist als die Gesammtzahl der von Ramses II. bis auf den heutigen Tag verfloffenen Jahre.“

§ 42.

Internationale Beziehungen der Aegypter.

Obwohl der Göttercultus der Aegypter in durchaus örtlichen Ueberlieferungen begründet war und mit der Verehrung des Nil in Zusammenhang stand, waren die auswärtigen Beziehungen der Königsgeschlechter keinesweges feindlicher oder ungaftlicher als in anderen Staaten, deren Religionssystem ein weniger territoriales war. Der Gedanke, daß auch die alten Nationalgötter an Aegypten gebunden seien und mit den Göttern anderer Völkerschaften sich so leicht nicht vermengen ließen, mag der Aegyptischen Cultur einige Grundzüge der Milde und Duldsamkeit eingeprägt haben. Und doch fiel schwerlich in irgend einem anderen Lande Privatverkehr und Staatsverkehr mit dem Auslande oder im Auslande so nahe zusammen, wie im alten Aegypten.

Die staatlich rechtlichen Beziehungen zur Fremde waren vorwiegend kriegerische. Schon im alten Reich und unter den ältesten Dynastien lieferten Kriege den Stoff zu monumentalen Darstellungen. Die hervorragendsten und ruhmreichsten Herrscher des mittleren Reiches aus den Thebanischen Königsgeschlechtern waren gleichzeitig Bauherren, Culturpfleger und Eroberer.

Dennoch erscheint, nach dem Maßstabe der Jahrtausende gemessen, das Aegyptische Staatswesen im Vergleich zu anderen orientalischen Gemeinwesen als vornehmlich ackerbauend und friedlich veranlagt. Nur langandauernde Friedenszeiten ermöglichten überhaupt die Frühreife Aegyptischer Gesittung. Das

Land war, abgesehen von seiner nordöstlich an Asien gränzenden Einbruchsstelle, leicht zu vertheidigen. Cultivirbares Land, das Aegyptische Eroberungssucht hätte reizen können, war in der Nähe Aegyptens nicht gelegen. Keinerlei Ausdehnungstrieb wohnte dem Volke selbst inne. Friedliche Neigungen der am Nil Ackerbau treibenden Bevölkerungen werden dadurch bezeugt, daß spätere Könige fremde Söldnerschaaren in ihren Dienst nahmen und sogar als Leibwache verwendeten. Minder grausam als bei manchen anderen orientalischen Völkern erscheint die Kriegspraxis. Oft genug wurden freilich auf Denkmälern die Zahlen abgehauener Feindeshände angegeben, oder die Ueberreichung solcher Hände an den König bildlich dargestellt.

Daraus ist aber nicht zu schließen, daß Verstümmelungen des lebenden Feindes durch Aegyptische Kriegssitte allgemein gut geheißen worden seien. Man darf die Ueblichkeit der Kampfestrophäen und des Triumphzuges heimkehrender Sieger mit zweckloser Barbarei gegen lebende Feinde um so weniger verwechseln, als den Aegyptern der wirthschaftliche Werth der Sclaverei in viel höherem Maße einleuchtete, als umwohnenden Nomadenstämmen. Zur Schonung des besiegten Feindes rieth vornehmlich das Bedürfniß fast ständiger, einen ungeheueren Aufwand von Arbeitskräften fordernder Staatsbauten.

Auf die vorwiegend friedlichen Anlagen des Volkscharakters deutet auch die Anerkennung der den Frauen eingeräumten Thronfolgerechte in ältester Zeit. Kriegerische Nationen verwerfen mit Vorliebe die Herrschaft der Frauen. Nicht selten sind dagegen in Aegypten die Fälle, wo Herrscherinnen aus eigenem Rechte oder als Mitregentinnen über das Land geboten: ein Verhältniß, das dem Charakter erobernder Stämme in alter Zeit wenig entsprach. Zwar findet sich dergleichen als Mythe oder als geschichtliche Thatsache in Folge ungewöhnlicher Umstände auch anderwärts, aber schwerlich als verfassungsrechtlich zulässige Erbordnung. Mehrfach geübtes connubium Aegyptischer Könige mit auswärts geborenen Frauen oder Fürstinnen darf gleichfalls als ein Zeichen aufgefaßt werden, das uns zu dem Schlusse berechtigt, die Geringschätzung des Fremden, den man in den Sold der Krone nahm und dessen Töchter man in die Königspaläste als vollberechtigte Gemahlinnen einführte, sei frei gewesen von stärkeren Zusäßen des Haffes und der Feindschaft. 1) Auffallend kann es jedoch nicht gefunden werden, wenn Aegyptens Bewohner im sicheren Gefühl ihrer Ueberlegenheit über die ihnen benachbarten Stämme ihre Gegner als Barbaren betrachteten, deren Bildungsabstand ihnen wohl ebenso groß erscheinen konnte, wie der Unterschied zwischen dem Wüstenzelte nomadisirender Hirtenstämme 2) und den Tempelbauten von Memphis oder Theben.

Vertragsschlüsse mit benachbarten Völkerstämmen können zumal in Zeiten, in denen schwächere Fürsten auf dem Throne der Pharaonen saßen, nicht selten gewesen sein. Mächtigere Sieger pflegten zu verlangen, daß der ,,Elende", der gegen sie gekämpft hatte, sich auf Gnade oder Ungnade ergebe.

Als wichtigstes Beispiel eines bereits von Champollion beachteten, von Lepsius und Brugsch mitgetheilten Staatsvertrags, den man als älteste Ur

kunde der Diplomatie bezeichnet hat, gilt der Friedensschluß zwischen Ramses II. (Sesostris) und dem Chetafürsten, wodurch der große syrische Krieg beendigt wurde, dessen Zwischenfälle ziemlich genau bekannt sind. Merkwürdig ist dieser Friedensvertrag in mehrfacher Hinsicht. Er stipulirt zwischen beiden Königen nicht nur ewigen Frieden unter dem Schuße beiderseitiger Staatsgottheiten, sondern auch ein Bündnißverhältniß gegenüber den Feinden jedes Contrahenten. Handel und Industrie beider Völker sollen gesichert werden. Verbrecher, die durch Flucht in das Nachbarland sich der Strafe entzogen haben, sollen in ihren Heimathsstaat zurückgeliefert werden. Das Gleiche gilt von folchen, die, ohne Missethaten verübt zu haben, ausgewandert sind, eine Bestimmung, die vielleicht darauf hindeutet, daß man darauf bedacht war, nationale Industriezweige gegen Uebersiedelung in fremde Länder zu sichern. Am meisten auffallend für jene Urzeiten bleibt das Humanitätsinteresse, das sich in dem wechselseitigen Verzicht auf harte Bestrafung der Zurückgelieferten kund giebt. Dem Ausgelieferten foll keine Strafe wiederfahren, insbesondere werden Verstümmelungen, Körperstrafen, die Vernichtung des Hauses, der Gattin und Kinder, die den orientalischen Sitten entsprach, ausdrücklich verboten3): Einschränkungen, die vermuthlich dadurch erklärt werden müssen, daß durch Auslieferungen zum Zwecke der Bestrafung die heilige Sitte des Gastrechts oder die religiöse Weihe des Asylrechts verlegt worden wäre. Dieser Friedensvertrag zwischen Ramses II. und dem Chetafürsten war auf silberner Tafel (ursprünglich in der Chetasprache) eingegraben.*)

Je geringer die Beweglichkeit des eingeborenen Aegypters, je stärker seine Vorliebe für den fruchtbaren Acker des Nilthals und den Tempel seiner Ortsgottheit, je größer die Anhänglichkeit an die Grabstätten seiner Todten, desto natürlicher erschien ihm auch, wo es seinen aus den Erzeugnissen des Inlandes nicht zu befriedigenden Bedürfnissen galt, die Zulassung handeltreibender Fremden. Kein Platz war für frühzeitige Entwickelung des Handels in höherem Maße geeignet, als das Nildelta, wo die Aegyptische Binnenschiffahrt ihren Endpunkt fand, die Handelsschiffe des mittelländischen Meeres sicher ankerten, der erste Stoß einbrechender Nomadenstämme durch leicht zu vertheidigende Binnenkanäle abgewehrt wurde und der Karawanenverkehr mit Vorderasien seinen Haltpunkt nahm. In den Deltastädten zu Janis, Bubastis, Saïs und anderen Ortschaften betrieben Phönicier ihren von den Aegyptischen Königen begünstigten Handel. Selbst in dem uralten Memphis war ihnen ein eigenes Handelsquartier eingeräumt.

Schon in den fern dämmernden Zeiten des vierten Königshauses waren einzelne Libyer in Aegypten eingewandert, um als Tänzer, Fechter und Springer Schaustellungen zu geben. 5)

Die Handelsbeziehungen Aegyptens zu auswärtigen Völkern können zu keiner Zeit unbedeutende gewesen sein. Als eine ihrer ältesten Erschei= nungsformen darf der Sclavenhandel vorausgesetzt werden. Die Bibel gedenkt desselben im dem Verkauf Josephs nach Aegypten. Das Bedürfniß

der Sclavenarbeit dürfte, abgesehen von selten unterbrochenen Staatsbauten, wahrscheinlich auch für reiche Grundbesißer ein großes gewesen sein. Nicht felten mag unzulängliche Zufuhr unfreier Arbeitskräfte zur Unternehmung gewaltsamer Hezjagden gegen die Wüstenstämme geführt haben.

Neben dem Sclavenhandel einher ging der Lurushandel, beruhend auf den Bedürfnissen glänzender Opferdienste, königlicher Prachtentfaltung und verfeinerten Lebenssitten hoher Staatsbeamten. Schmuckgegenstände, Edelsteine, Edelmetalle, Weihrauch, Duftstoffe, edle Hölzer, Elfenbein waren, wie monumentale Bildwerke ergeben, hoch geschäßt, stark begehrt und viel gebraucht. Daher die alten Verkehrsbeziehungen zu Arabien, Phönicien, Babylonien, Indien schon aus diesem Grunde erhebliche gewesen sind. Nach alter, noch gegen wärtig gepflegter Sitte orientalischer Höfe war der fürstliche Austausch von Kostbarkeiten sogar ein wichtiger Beweggrund gesandtschaftlichen Vertehrs.

Aegypten war um die Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus als ein in hohem Maße exportirendes Land auch darauf bedacht, seiner in den meisten Stücken überlegenen Kunstindustrie die Abseßwege nicht zu versperren, die der Unternehmungsgeist zuerst Phönicischer und nach ihnen Griechischer Seefahrer eröffnet hatte. Seit der 18. Dynastie standen Phönicier in lebhaften Handelsbeziehungen zu Unterägypten und den Häfen des Nildelta und unter Pfammetich bestanden zahlreiche Factoreien und Niederlassungen Griechischer Herkunft, in denen die Jonier zuerst erschienen waren. Nicht gering ist zu veranschlagen, daß durch die Cultur der Papyrusstaude im Nildelta das älteste Schreibmaterial in den menschlichen Verkehr gelangte, womit sicherlich die Verbreitung der Schriftzeichen zusammenhing, denn die Lapidarschrift der Hieroglyphen war unbeweglich und der Papyrushandel mag nicht wenig dazu beigetragen haben, daß die uranfängliche Bilderschrift in die leichteren Formen zuerst des hieratischen und dann des demotischen Systems überging.

Spätere Aegyptische Könige begünstigten handeltreibende Ausländer durch Privilegien. Amasis II. war nach dem Ausdruck Herodots ein Philhellene. Um die fremden, an den Nilmündungen zahlreichen Ausländer, unter denen Griechen und Phönicier am stärksten vertreten gewesen sein mögen, wirksamer gegen Anfechtungen und Störungen schüßen zu können, verpflanzte er einen Theil stromaufwärts nach Memphis. An der kanopischen Flußmündung ward Naukratis gegründet und den Griechen überlassen. Wie Europäische Ansiedler in orientalischen Häfen ausnahmsweise ertheilte Begünstigungen durch Exterritorialität gegenwärtig genießen, ebenso konnte man die Stellung der Griechen in Naukratis eine in internationaler Hinsicht privilegirte nennen. Eigene Behörden (Prostaten und Timarchen) regierten diese halbsouveräne Griechische Republik, deren Sitten, Gebräuche, Götterculte durchaus selbständig in Mitten ägyptischer Umgebung sich erhielten. Naukratis ward zu Gunsten der Griechen der einzige den Ausländern eröffnete Hafen und erhob sich nach kurzer Zeit zu einem der angesehensten Häfen des Alterthums. 6)

Solche Begünstigungen des Handels wirkten allmälig auch Freiheit der Religionsübung und der Niederlassung zum Zwecke des Gewerbebetriebs an anderen Stellen des Binnenlandés. Amasis erlaubte denen, die nicht nach Griechischem Rechte leben wollten, Factoreien an ihnen geeignet scheinenden Stellen einzurichten. Auf dem Boden Aegyptens entstanden Tempel des Zeus (von Aegineten begründet) der Hera (von Samos), des Apollon (von Milet) und das Hellenion Kleinasiatischer Griechen.

Es erscheint nicht unwahrscheinlich, daß manche Erzeugnisse Aegyptischen Kunstfleißes anderwärts nachgeahmt wurden. Unzweifelhaft aber waren solche viel begehrt. Wo irgendwie Phönicischer oder Griechischer Unternehmungsgeist Handel treibend thätig gewesen ist, hat man auch in allerneuester Zeit durch Ausgrabung Ueberreste Aegyptischer Industrie gefunden: auf Corsica, Sardinien und Sicilien in gleicher Weise wie auf Cypern, in Syrien und Mesopotamien. 7)

Mit vollem Rechte ist den Aegyptern ein erheblicher Antheil an der ersten Entfaltung des internationalen Culturbedürfnisses zuzusprechen.

1) Ramses III (XX. Dynastie) heirathete sogar eine ihm zur Geißel bestellte fremde Fürstentochter. S. Maspero (a. a. D.) S. 269.

2) Die östlich wohnenden Völker hießen amu (Rinderhirten), nach Brugsch ein Ausdruck der Verachtung. Diese Völkergruppe semitischen Charakters war übrigens in der Umgebung des Menzelehsees eine seßhafte.

3) Indirect bestätigt wird diese Milde durch den Gerichtspapyrus (papyrus judiciaris) von Turin. Nach einer gegen Ramses III. unternommenen Verschwörung wurden Hochverräther theils zum Tode, theils nur zur Gefängnißstrafe verurtheilt. 4) Der Wortlaut ist in den Uebersetzungen nicht überall gleichlautend. Siehe Brugsch, Monuments. Bd. I, Taf. 28. Maspero (a. a. D.) S. 222. 5) Brugsch (a. a. D.) S. 11.

6) Herodot I, 178-179.

7) S. Perrot und Chipiez, Geschichte der Kunst im Alterthum (Deutsch von Pietschmann, 1884), Bd. I, S. 780 -782.

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§ 43. Phönicier.

Literatur: Movers, Das Phönicische Alterthum. 2 Bde., 1840-1856. Der selbe, in Ersch und Gruber's Allgemeiner Encyclopädie, Sect. 3, Bd. 24. (1848). H. Pruz, Aus Phönicien. Geographische Skizzen und historische Studien. Leipzig 1875. Brandis, Münz, Maß- und Gewichtswesen in Borderaften. 1866. M. Dunder, Geschichte des Alterthums (5. Aufl.), Bd. II, S. 70 ff., IV, 360. V, 240. V1, 646. VII, 205. Ed. Meyer, Geschichte des Alterthums. I, 221–233, 336-346. Hebslob, Die Phi nicischen Handelswege nach dem Norden 1853. E. Rénan, Mission de Lenormant, Die Anfänge der Cultur.

Phénicie. Paris 1871

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1874.

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