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gleicher sei, ist nicht erforderlich. Es genügt für die Möglichkeit der Mitgliedschaft in einer rechtlich geordneten Genossenschaft der Staaten der Wille, den auswärtigen Verkehr an einen gemeinsam anerkannten Maßstab wechselseitiger Berechtigung und Verpflichtung zu binden.

So lange jene wesentlichen Unterscheidungen im Bewußtsein der Nationen fortbestehen, deren Merkmale durch Geschichtsforschung, Völkerpsychologie und Ethnographie als Barbarei, Halbcultur oder Civilisation nachgewiesen werden, kann es ein allgemeines, practisches die Menschheit umfassendes Völkerrecht nicht geben. Eine historische Beschränkung der Völkerrechtssubjecte wird vielmehr in der üblichen Terminologie des Europäischen Völkerrechts angedeutet. Seit dem Untergange der arabischen Culturblüthe in Spanien giebt es in Europa nur eine, aus denselben Grundlagen der klassischen Bildung und des Christenthums hervorgewachsene Cultur, als deren bedeutsamste Frucht das Europäische Völkerrecht anzusehen ist.

Ob diese moderne Europäische Cultur in allen Richtungen des menschlichen Lebens die höchste Stufe der sog. Civilisation im Vergleich zu älteren asiatisch-hellenischen Culturformen wirklich erreicht habe und darstelle, mag freilich zweifelhaft erscheinen und deswegen hier dahingestellt bleiben. Daß die Europäische Cultur jedoch im Vergleich zu derjenigen außerhalb ihrer stehen= den Nationen, innerhalb der auswärtigen staatlichen und rechtlichen Verkehrsgestaltung sich als die bisher sittlich und physisch gebietende, jeden Widerstand überwältigende Macht erwiesen hat, kann nicht geleugnet werden.

In diesem Sinne begriffen, ist die Vorstellung eines Europäischen Völkerrechts als einheitlicher Ausdruck für eine gegenwärtig bestehende Gesammt und Gemeincultur bestimmter Staaten zuzulassen.

An der Thatsache dieser Gemeinschaft wird auch durch den Bestand be sonderer Gesetzgebungen und verschieden abgestufter Bildungsgrade in den einzelnen Europäischen Staaten nichts geändert. Im Gegentheil seht das Völkerrecht gleichzeitig die Eigenart seiner Subjecte und ihre Selbständigkeit ebenso voraus, wie das moderne Staatsrecht die staatsbürgerlichen Grundrechte oder doch mindestens die Privatrechtssphäre der Individuen anerkennt und gewährleistet. An sich wäre es nicht unzulässig, von einem Asiatischen oder Amerikanischen Völkerrechte zu sprechen. Angemessen und den Verhältnissen entsprechend, wäre eine solche Bezeichnung aber erst dann, wenn sich auf Grundlage irgend einer eigenartigen Gemeincultur Asiatischer oder Amerikanischer Staaten ein von dem Europäischen verschiedenes System von Rechtsregeln für den Verkehr dieser Staaten herausgebildet hätte.

So lange dies nicht der Fall, findet das praktische Europäische Völkerrecht seinen Gegensatz nicht an irgend einem anderen System von Rechtsfäßen, sondern an den staatenlos lebenden Theilen der Menschheit oder an dem Rechtszustande solcher Staaten, die sich gegen die Rechtsgemeinschaft mit Europäischen Culturvölkern grundsäßlich ablehnend verhalten.

Das Europäische Völkerrecht ist somit in der Gegenwart das Völker

recht schlechthin, das gemeine Weltrecht der Culturstaaten, die rechtliche Verkehrsordnung der in geschichtlich gewordener Culturgemeinschaft lebenden Nationen.

In welchem Sinne man also immer die einer mannigfachen Auslegung fähigen Ausdrücke der,,Cultur" oder „Civilisation" nehmen mag, für den Zweck des Staatsmannes und Juristen reicht es aus, die Thatsache eines friedlichen Verkehrszustandes unter selbständigen Staaten, beruhend auf der Anerkennung gewisser sogar für körperliche Gewaltanwendung verbindlicher Rechtsregeln als entscheidendes Merkmal der politischen Cultur im völkerrechtlichen Sinne gelten zu lassen.

1) Lorimer, Institutes of Internat. Law (I, S. 161) unterscheidet wie Fallati drei Gruppen von Völkern, je nachdem diese zugehörig sind der civilised humanity (europäisches Völkerrecht), der barbarous humanity (asiatische Staaten) und der savage humanity (Wilde).

Es ist nicht Sache des Juristen, den Begriff eines civilisirten Staates und der Civilisation festzustellen, wohl aber darauf zu achten, daß dieser Begriff ohne Berücksichtigung der Rechtsvergleichung zwischen verschiedenen Epochen der Geschichte und verschiedener Nationen nicht gefunden werden kann. Das römische Civilrecht kann als älteste Erscheinung eines civilisirten (Privat-) Rechts gerade des: wegen genommen werden, weil innerhalb desselben die menschheitlichen Ideen zuerst realisirt wurden.

Im Uebrigen finden sich in jedem Staate Ueberrefte oder atavistische Erscheinungen der Barbarei. Keiner ist völlig civilisirt. Troß der Sclaverei, die man heute mit civilised humanity nicht vereinbar hält, waren Griechen und Römer hoch civilifirte Staaten.

§ 4.

Das geographische Gültigkeitsgebiet des Europäischen

Völkerrechts.

Die Terminologie des Europäischen Völkerrechts deckte sich niemals mit den Gränzen des Europäischen Festlandes und der zu ihm gehörigen Inseln. Vor dem Abschluß des Pariser Friedens im Jahre 1856 war das Europäische Gebiet der Türkei gleicherweise wie ihre außereuropäischen Besißungen der Herrschaft allgemeiner Europäischer Völkerrechtsordnung entzogen. Andererseits hatten schon seit Jahrhunderten Europäische Rechtsgrundsäße und Vertragsbestimmungen ihre Einwanderung in die neue transatlantische Welt angetreten. Sprach man dennoch schon vor 1856 von den Grundfäßen des Europäischen Völkerrechts, so lag darin nicht sowohl die Andeutung einer geographischen Herrschaftsgränze, als der Hinweis auf ein geschichtliches Ursprungsverhältniß, wofür eine Analogie in der Benennung gewisser in Deutschland, Frankreich und Italien geltender Rechtsregeln als gemeiner römisch-rechtlicher

gefunden werden mag. Da der Staat begriffsmäßig das Vorhandensein eines ihm eigenen, bestimmt begränzten Gebietes fordert, und das Völkerrecht eine Mehrheit selbständiger Staaten vorausseßt, so ist die Summe der Gebiete aller in Völkerrechtgemeinschaft stehender Staaten gleichzeitig auch der geographische Raum für die Anwendung der allgemein geltenden Völkerrechtsregeln.

Die Anwendung des sog. Europäischen Völkerrechts erstreckt sich somit auf folgende Staaten:

1. Auf diejenigen Staaten Europas, welche im Verlaufe ihrer geschichtlichen Entwickelung sich allmählig in die Rechtsgemeinschaft eines internationalen Verkehrs eingerichtet und eingelebt haben, was bei allen christlichen Nationen seit dem Mittelalter der Fall gewesen ist. 2. Gleichsam durch Fortpflanzung auf diejenigen Gebiete, welche in der neuen Welt von Europa aus colonisirt worden sind, ohne Rücksicht darauf, ob nach erfolgter Begründung selbige in ihrem Abhängigkeitsverhältnisse vom Mutterland erhalten blieben, oder sich als unabhängige Staaten losgelöst haben, ohne bei ihrer Losreißung die Absicht des Ausscheidens aus der Gemeinschaft Europäischer Rechtscultur kundge= geben zu haben.

3. Auf solche Staaten, welche zwar auf Gebieten außerhalb des Europäischen Culturverbandes oder im Gegensatz zu den Ueberlieferungen Europäischer Cultur entstanden sind, aber durch ausdrückliche Vereinbarung in die Rechtsgemeinschaft der Europäischen Staaten (sog. Europäisches Conzert) eingeführt worden sind.

Von der Geltung der ursprünglich in Europa entstandenen Völkerrechtsgrundsäße ist gegenwärtig kein einziger Welttheil völlig ausgeschlossen. Amerika und Australien fallen, von ihren noch staatenlosen Gebieten abgesehen, gänzlich, Asien zum Theil, Afrika mit einzelnen Landstrecken in den Wirkungskreis desselben Völkerrechts. Diesen geographischen Verhältnissen entspricht auch eine bestimmte Gruppirung der Nationen und Staaten.

Im Uebrigen ist die räumliche Ausdehnung des den völkerrechtlichen Normen unterliegenden Gebietes für den Begriff desselben gleichgültig. Jede neue Landerwerbung durch Europäische Staaten bewirkt so zu sagen stillschweigende Einverleibungen, jeder Rückfall einzelner Länder in die Barbarei einen Gebiete verlust.

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Gleichbedeutend mit dem Ausdrucke: „Europäisches Völkerrecht" wird die Bezeichnung: Völkerrecht civilisirter Staaten" genommen. Da der Begriff der,,Civilisation" indessen als höchste Gesittung auch vom altasiatischen Staatswesen für sich in Anspruch genommen wird, so darf die histo rische Bezugnahme auf Europa, als den Ursprungskontinent des modernen Völkerrechts, zum Zwecke der Gegenüberstellung zu den seiner Anwendung nicht unterliegenden Landgebieten auch noch gegenwärtig festgehalten werden. Mit Asiaten kann man sich leichter verständigen, wenn man jede

Streitfrage über das Wesen der Civilisation vermeidet und ihnen Grundsäße anempfiehlt, welche den Namen einer Völkermacht tragen, deren Ueberlegenheit sie anzuerkennen genöthigt sind.

§ 5.

Gegenwärtige Gruppirung der Staaten innerhalb der Völkerrechtsgesellschaft.

Literatur: Fallati, Die Genesis der Völkerrechtsgesellschaft. 1844. (In der Tübinger Zeitschrift für Staatswissenschaft. I, 160; 260; 558 ff) - Peschel, Völkerkunde. Leipzig 1874. S. 517–557. Derselbe, Abhandlungen zur Erd- und Völkerkunde. Leipzig 1879.

S. 3-42.

E. Kapp, Vergleichende allgemeine Erdkunde in wissenschaftlicher Darstellung. Braunschweig 1868. S. 609 -684. F. v. Martens (Bergbohm) Bd. I, § 41.

Innerhalb des über fünf Welttheile ganz oder theilweise sich erstreckenden Gesammtbereichs völkerrechtlicher Normen ist das Nebeneinanderbestehen verschiedener Staatsgruppen mit den Kennzeichen einer engeren oder loseren Verbindung möglich.1) Denn zum Wesen des Europäischen Völkerrechts gehört es nicht, daß sämmtliche Verkehrsregeln überall unterscheidungslos geübt und beobachtet werden, zumal auch der Begriff eines gemeinen Landesrechts durch die Geltung besonderer Ortsrechte in seiner Totalität nimmer aufgehoben wird.

Unter den Europäischen Nationen bestehen deutlich erkennbare, wenn schon zuweilen schwer abzugränzende Merkmale größerer oder geringerer Intensität des Völkerrechtsbewußtseins. Die Osteuropäischen Völker sind in bleibend organisirte Verkehrsbeziehungen mit dem Auslande später eingetreten, als die Romanischen und Germanischen Staatsbildungen. Je nach der geschichtlichen Dauer der Verkehrsüberlieferungen müssen auch die gewohnheitsmäßig erlangte Stärke und die Uebung der damit zusammenhängenden Rechtssatzungen einen dem Maßstab der zeitlichen Verhältnisse analogen Grad der Festigkeit erlangen. Von Erheblichkeit erscheint daher auch in dieser Beziehung die Unterscheidung der feefahrenden Nationen und der am Welthandel nur mittelbar betheiligten Binnenstaaten, insofern das Landgebiet die Territorialität der Verkehrswege, die offene See deren Internationalität bedingt. Die Grundsäße des Seeverkehrsrechts führen dann zur Ueberbrückung des Oceans durch die Gemeinschaft juristischer Regeln. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß die unabhängigen amerikanischen Staaten sowohl in Beziehung zu einander als auch im Vergleich zu den Europäischen Staaten wieder enger verbunden erscheinen, als folche Europäische Staaten, deren Geschichte in Krieg und Frieden mit demselben Schicksale verwoben würde. Der Amerikanische Kontinent fennt keine Gesammtvereinbarungen, die mit den Werken Europäischer Kongresse verglichen werden könnten. Freilich könnte es im Verlaufe der weiteren Entwickelung

sehr wohl geschehen, daß amerikanische Staaten noch früher zu einer inhaltreicheren und besser gesicherten Rechtsgemeinschaft geführt würden, als die Europäischen Länder, aus denen sie ihren Ursprung ableiten, wie andererseits auch das Gegentheil möglich bleibt und das auswärtige Verkehrsrecht der Europäischen Staaten auf eine höhere Entwickelungsstufe gelangen könnte, als dasjenige der gegenwärtigen amerikanischen Ländergebiete.

Noch loser erscheint der rechtliche Zusammenhang zwischen Europäischen und Amerikanischen Staaten einerseits und der Türkei andererseits, und zwar deswegen, weil sich das gemeinsame Cultur- und Rechtsbewußtsein christlicher Staaten in dem Gegensaße zu mohamedanischen Staaten seit dem Zeitalter der Kreuzzüge gesteigert hatte, und der Privatrechtsverkehr innerhalb der Türkei selbst sich zu dem Gedanken der Rechtsgleichheit aller Unterthanen noch nicht erhoben hatte, als die Türkei im Jahre 1856 in die Europäische Gemeinschaft eintrat, ein Vorgang, dessen Bedeutung in der Unabhängigkeitserklärung des praktischen Völkerrechts von der religiösen Glaubensgemeinschaft der Nationen liegt und seine geschichtliche Analogie im Westphälischen Frieden findet, durch welchen der Gegensatz verschiedener, bis dahin politisch verfeindeter christlicher Glaubensbekenntnisse völkerrechtlich ausgeglichen wurde.

Der unerweisbaren, aber oft wiederholten Behauptung, daß das Völkerrecht der Moslem und die religiöse Ausschließlichkeit derselben mit rückhaltsloser, unbedingter gegenseitiger Anwendung der Grundsäße des Europäischen Völkerrechts nicht anwendbar sei, darf keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.

Daß sämmtliche in den völkerrechtlichen Verkehr neu eintretenden Nationen fich alle aus einer bereits höher entwickelten Verkehrspraxis stammenden Grundsäge sofort aneignen, wird durch den Begriff des Völkerrechts nicht gefordert. Wenn christliche und nicht christliche Unterthanen in einem und demfelben Staatswesen durch den Grundsaß der Gleichberechtigung der Bekenntnisse mit einander zur Rechtsgemeinschaft verbunden sein können, so scheint auch die Völkerrechtsgemeinschaft durch Religionsverschiedenheit der Nationen nicht ausgeschlossen. Auch die Religionssysteme und Glaubensbekenntnisse haben ihre Geschichten. Sie sind nicht nur culturspendend, sondern auch der Reinigung und Veredlung fähig.

Die ältesten Stiftungsurkunden einer der Glaubens- und Verkehrsfreiheit der Menschen feindlichen Religion verhindern die davon beherrschten Völker nicht, zu einer späteren Zeit den überlieferten Glauben umzubilden und sich Duldung in dem Maße anzueignen, welches für den Verkehr mit dem Auslande unbedingt erforderlich ist. Zuweilen sind sogar Gegensaß und Spannung zwischen entfernteren Religionssystemen geringer, als zwischen einander näher verwandten Confessionen.

In historischer Hinsicht bildet das canonische Recht einen ausreichenden Präcedenzfall. Die Päpste, welche in Gemäßheit mittelalterlicher, rechtlich noch

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