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Theil interessanter literarischer Facten erwarten dürfen, man ist aber vollständig enttäuscht worden und Mr. Jerdan ist selbst bei seinen Freunden durchgefallen.

Aus dem Deutschen und Französischen wird rührig übersetzt und Reisebeschreibungen darunter nicht wenige aus dem speciellen Gesichtspunkte des Sportsman, laufen vom Himalaya wie vom Amazonenstrom und allen Weltgegenden ein. Besser berufen zu diesem Fache der Literatur ist natürlich kein Volk als die Engländer, nur nehmen sie zu oft mit ihrer Theebüchse auch ihre zähen angelsächsischen Anschauungen mit nach den fernen Zonen, und nicht alle verstehen sich so gut in das Wesen fremder Völker zu finden, wie Mr. Mansfield Parkyns in seinem eben erschienenen Life in Abyssinia, das wir Jedem empfehlen, der die schwarzen Nachkömmlinge des heiligen Meroe unter ihrer afrikanischen Sonnengluth kennen lernen will.

Ein anonymes Werk: The Right Hon. Benjamin Disraeli sucht diesen gefährlichsten parlamentarischen Kämpfer für die bevorstehende Session zu discreditiren; es ist eine unbarmherzige Kritik seiner charakterlosen politischen Laufbahn. Es wird Nichts helfen, Lord Palmerston wird doch eine Lanze mit ihm brechen müssen, denn der Kampf ist nicht mehr zu vermeiden, obgleich vor einigen Tagen eine Deputation der Friedensgesellschaft nach St. Petersburg abgegangen ist, um dem Kaiser die Friedenspfeife anzubieten.

New-York, den 10. Januar.

A happy new year! Spät kommt der Glückwunsch, doch der lange Weg entschuldige sein Säumen. Ganz weglassen durfte ich ihn nicht, ohne meinem eigenen amerikanischen Adam als Bootier zu erscheinen, denn die Neujahrsgratulationen sind hier 'Thaten der Nothwendigkeit.' Am 1., oder wie diesmal, wo Neujahr auf einen Sonntag fiel und sich's gefallen lassen musste, zu einem beweglichen Feste gemacht zu werden, am 2. Januar sind die Strassen vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit jungen und alten, reichen und armen Männern bedeckt, deren jeder sein Deputatquantum von 'calls' zu executiren hat. Damen sieht man wenig oder keine, denn diese sitzen pflichtschuldigst in ihren parlors spazieren und erdulden die Folterqualen der Gratulationsempfängniss mit einem Heldenmuthe, der mit gewissen deutschen Blättern zu reden eines bessern Gegenstandes würdig wäre. Was Küche und Keller leisten mag, ist auf einem schönen Büffet ausgespreizt und jeder Besucher muss nun ärgerlich Bescheid thun. Die Folgen der Libationen zeigen sich im Laufe des Nachmittags und Abends an den kometenartigen Bahnausschweifungen der Fussgänger auf den Trottoirs, den durchgehenden Pferden und zertrümmerten Gefährten, am deutlichsten aber an den vollen Polizeigefängnissen. Für diesmal wurden nahe an 400 Leute wegen Trunkenheit in der Nacht vom 2. zum 3. Januar beigesteckt, und es befanden sich darunter auch sehr elegante Exemplare des fashionabeln Young Amerika. Das Neujahrsfest ist eben ein 'freier Tag' und bei solchen Gelegenheiten kommt ja auch anderswo als bei uns die Bestialität zum Ausbruch. Vergessen darf man auch nicht, dass der Amerikaner seine ganze Lust und Gemüthlichkeit (wie er sie versteht) auf zwei Tage im Jahre concentriren muss, den 4. Juli u. 1. Januar. Ausser dieser Zeit hetzt und müdet er sich Woche aus, Woche ein in der Tretmühle der bussiness ab, ohne jemals einen andern Ruhepunkt zu finden, als die grässliche, Sinn und Geist abstumpfende Sabbathfeier. Sonstige Feste und Feiertage giebt es nicht! Kein Fastnacht, kein Ostern, kein Pfingsten und selbst Weihnachten wird nur theilweise als Kinderfest gefeiert. Auf der ganzen Bahn des Jahres keine Abtheilungen als die Sonntags - Meilensteine und das half-way-house des 4. Juli; wie eine unabsehbare königl. sächsische Pappelallee. Umfassendere Gruppirungen der Lebenslaufbahn, als die nach Arbeitswochen, kennen auch unter den reicheren Klassen nur wenige. Der Reichste hat noch sein 'Geschäft', worin es nun immer bestehen möge, in Handel, Papierspeculationen, Grundbesitzschwindel oder politischen Intriguen. Das otium cum dignitate ist ihm ein unbekannter Begriff; ein würdiger' Gegenstand ist dem Amerikaner die Musse unter keinen Umständen und die elegante 'flanerie' ebenso unbekannt, wie der gemüthliche germanische Bierbummel. Zwar wächst unter der Stockfisch-Aristokratie der grossen Hafenstädte eine junge Gene

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ration heran, welche die erstere auf amerikanischem Boden einzubürgern versucht, doch bringt sie es nur zu ridicülen Zerrbildern. In der That giebt es kaum ein bejammerungswürdigeres Wesen auf Gottes weitem Erdboden, als einen amerikanischen Elegant mit seinem mühsam cultivirten Schnurrbärtchen und seiner aus Baumwolle und Patentleder 'zusammengefixten' Figur. Diese Kerlchen, deren Ideale Bulwer's Pelham oder der trivialsten Pariser Feuilletonliteratur entnommen sind, trippeln während der fashionabeln Saison alltäglich zu bestimmten Zeiten die Thalerseite des Broadway auf und ab und spielen auf unbeschreiblich ergötzliche Weise 'lion'; haben sie die Parade abgetrabt, so schleichen sie sich still wieder hinter das Comptoir oder den grünen Tisch, von wo sie gekommen. Auch Weltschmerz wird hie und da zu cultiviren versucht; meistens reducirt sich die Qual der jungen Seelen aber auf das Leid über die republikanische Standesgleichheit und den Mangel an Adelstiteln, dem auch durch die allerprächtigsten Vornamen wie man sie hier mit Leidenschaft cultivirt nicht abgeholfen werden kann. Denn wie ärmlich klingen selbst Namen, wie Georg Washington Schmidt oder Cæsar Napoleon Schulze gegen: Graf von Posemunkel-Froschdorf oder Baron Ochs von Ochsenhausen? Diese Ritter von der Elle und von Redtape sind es, die allemal, wenn irgend ein gichtbrüchiger englischer Lord oder ein deutscher Prinz den amerikanischen Boden betritt, sich mit den linkischsten Kratzfüssen und Katzenbuckeln um ihn schaaren, ihn mit ihren Hochachtungsbetheuerungen fast erdrücken und Alles das um seine Visitenkarte auf dem Parlortische paradiren lassen zu können. Zum Todtlachen ist es, wie sie dabei manchmal mit langen Nasen abziehen müssen und zum durchbohrenden Gefühle ihres Nichts gebracht werden. So spielte ihnen im vorigen Jahre der Bruder des Herzogs von Nassau einen Streich, den sie sobald nicht vergessen werden. Er machte sich, nachdem eine grosse Fête angesetzt war, bei welcher sich die ganze fünfte Avenue (unser faubourg St. German) an den Sonnenstrahlen seines Prinzentitels erwärmen wollte, plötzlich im tiefsten Incognito aus dem Staube und liess sie ohne Gnade und Barmherzigkeit sitzen. Für den Spott brauchten sie nicht zu sorgen. Noch bei andern Gelegenheiten hat unsere Aristokratie herausgefunden, dass es gefährlich ist, mit Löwen und Löwinnen zu spielen. Das Werk von Frau Friederike Bremer, das unter dem Titel 'the homes of the New World' übersetzt worden ist, hat einen wahren Sturm von Entrüstung hervorgerufen. In ihrer gutmüthigen weibischen Schwatzhaftigkeit hat die liebe Dame eine Menge Einzelheiten aus dem häuslichen Leben in Amerika mitgetheilt, die eine pikante Enthüllung des selbstsüchtigen Humbugs sind, der mit ihr getrieben wurde. Sie selbst, die gute Seele, hat zwar nichts davon gemerkt; sie hat alle die Höflichkeit und Freundlichkeit, womit man ihr entgegenkam, für baare blanke Münze genommen und verwahrt sich mit kindlichem Ernste gegen die in hiesigen Blättern erhobene Beschuldigung der Indiscretion. Sie begreift jetzt noch nicht, dass der wahre Grund des diesseitigen Zornes über ihr Buch nicht eingestanden wird. Wenn Sie treffliche Genrebilder aus dem Leben und Treiben unserer gentry haben wollen, so lesen Sie die Potiphar papers, welche im Laufe des letzten Jahres in Putnams Monatsmagazin erschienen und jetzt in einem besonderen Bande abgedruckt sind.

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Doch genug von diesen Ab- und Ausartungen unseres republikanischen Lebens. nehmen schliesslich doch eine zu unbedeutende Stellung ein, als dass man sich nicht auf eine Constatirung ihrer Existenz beschränken könnte. Auch in Europa scheint man das zu begreifen; wenigstens ersehe ich, dass man dort nirgends geneigt gewesen ist, den Geldkotzen Vanderbilt, als er im vorigen Sommer auf seiner Dampfyacht spazieren fuhr, für einen Vertreter des Amerikanerthums gelten zu lassen. Als er damals von hier abfuhr mit der Absicht, auch St. Petersburg zu besuchen, da posaunte der 'Herald' mit vollen Backen in die Welt: 'Der Augenblick, wo der amerikanische Millionär und der Selbstherrscher aller Reussen einander gegenüberstehen, wird der grösste und wichtigste Moment in der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts sein. Es ist Schade für das Jahrhundert, dass es um diesen erhabenen Moment gekommen ist, denn der 'amerikanische Millionär' wurde in Petersburg complet ignorirt, während wenige Wochen darauf ein amerikanischer Staatsmann, Senator Douglass (vor 2 Jahren einer der demokratischen PräsidentschaftsCandidaten) beim Kaiser Nicolaus die herzlichste Aufnahme fand.

Die letzte Woche des vorigen und die erste des neuen Jahres brachten uns mehrere Ereignisse, denen sich wohl auch für überseeische Leser Interesse abgewinnen lässt! Wir hatten in Cincinnati einen Putsch, in Erie eine Revolution und hier zwei Feuersbrünste, bei welchen wiederum einige Millionen Doll. Capital vernichtet wurden. Der eine Brand zerstörte — heute vor 14 Tagen das im Hafen liegende Clipperschiff Great Republic, dessen ich in meinen Briefen mehr als einmal gedacht habe. Es war das grösste auf der Welt existirende Schiff (4500 Tonnen Gehalt) und eigens zu dem Zwecke gebaut, um zu beweisen, dass die Geschwindigkeit des Schiffes sich nach der Grösse seines Volumens richte. Der Erbauer, McKay in Boston hoffte zuversichtlich, dass es die Fahrt nach Irland in 15 Tagen zurücklegen werde. Es hatte bereits seine volle Ladung eingenommen und sollte in zwei Tagen unter Segel gehen, als es durch Funken, die von einer Brandstätte in der Nähe herbeiflogen, entzündet und bis auf den Wasserspiegel niedergebrannt wurde. Der dadurch erlittene pecuniäre Verlust beläuft sich fast auf eine Million, wovon kaum ein Viertel durch Versicherung gedeckt war. Allein nicht darüber bekümmert man sich am meisten, sondern darum, dass nunmehr die Gelegenheit zu einer grossen Demonstration gegen England verloren gegangen ist. Mit diesem Orlogschiffe hatte man den englischen Schiffsbau ein für allemal aus dem Felde zu schlagen gehofft. Nicht mit Unrecht sieht man in der anerkannten und unbedingten Ueberlegenheit im Schiffsbau die nothwendige Vorbedingung nicht bloss, sondern auch die Garantie für eine Hegemonie zur See, und dies erklärt die riesenmässigen Anstrengungen, welche auf beiden Seiten des Meeres gemacht wurden, um einander hierin den Rang abzulaufen.

Die amerikanische Kunstwelt sit venia verbo hat einen noch unersetzlicheren Verlust erlitten, als der der Great Republic für die Handelswelt war durch die vorgestern Nacht erfolgte Einäscherung des wahrhaft prachtvollen und grossartigen Concertsaales Metropolitanhall. Man behauptet hier, dass es das grösste Lokal dieser Art in der ganzen Welt gewesen sei. Jedenfalls hatte der Begründer dies beabsichtigt. Der Saal fasste 10,000 Personen. Es erbaute ihn im Jahre 1850 ein Kunstenthusiast, Tripler mit Namen, nicht auf Speculation, sondern einzig um der Kunst einen würdigen Tempel zu verschaffen. Speciell hatte er dabei an Jenny Lind gedacht, doch für diese ward der Saal zu spät fertig und so sang sie in Castle-Garden. Der Saal war im prächtigsten Style ausgeführt, nach akustischen Principien erbaut und bildete bei einer Länge von fast 200 und einer Breite von 100 Fuss einen einzigen freien Raum, in welchem kein Pfeiler und keine Säule den Blick hemmte. Der Plafond war mit trefflichen Frescomalereien geziert; über dem Orchesterraum an der Decke ein Portrait von Jenny Lind; über der Mitte des Saales Apoll und die Musen im Kreise, dann die vier Jahreszeiten, spielende Amoretten etc. Herr Tripler machte Bankerott und der Besitzer der ersten Hypothek erwarb das Lokal um einen Spottpreis ($ 80,000). Es stand an einer mit Broadway parallel laufenden Strasse, doch so, dass der Eingang von ersterem war. Der nunmehrige Besitzer, Lafarge, erbaute auf dem zwischen dem Concertsaale und der Strassenfront gelegenen Raum ein grandioses Hotel, dessen ganze 20 Fenster breite und 7 Fenster hohe Vorderseite aus reinem weissen Marmor bestand. Es sollte eines der Prachthotels werden, wie sie das letzte Lustrum in unserer Stadt erstehen sah und die man bereits in London und Paris als Muster zur Nachahmung betrachtet. Erst vor 3 Wochen war es vollendet worden. Nunmehr ist es ebenso wie Metropolitanhall in einen kolossalen Trümmerhaufen verwandelt. Ein neues Hotel können wir übrigens wohl entbehren, nicht so den grossen Concertsaal. Die Enthusiasten, die sich bankerott machen, um der Kunst eine Stätte zu bereiten, finden sich nicht alle Tage, und so wird die Stelle des eingeäscherten Lokales vorerst unbesetzt bleiben. Das neue im Bau begriffene Opernhaus in der 14. Strasse kann keinen Ersatz dafür bieten, so gross es auch für hiesige Verhältnisse sei. Vielleicht zu gross, denn die Oper ist immer noch eine exotische Pflanze in Amerika und wird es noch lange bleiben. Der amerikanische Geschmack neigt mehr zum Concert. Jenny Lind, die den gewitzten Barnum zum Entrepreneur hatte, wusste das von Anfang an; Mad. Sontag erfährt es jetzt eben erst. Während sie in der ganzen sechsmonatlichen Opernsaison hierselbst kaum einige zwanzigtausend Dollars Reingewinn gehabt hat, brachten ihr die letzten drei Monate, während welcher sie

in den bedeutenderen Städten des Innern Concerte gab, schon einige dreissigtausend Dollars ein. Nur den kolossalen Leistungen der Jullien'schen Capelle war der Geschmack unseres New-Yorker Publikums nicht gewachsen. Seine letzte vierwöchentliche Concertsaison, während welcher er alle bedeutendsten Compositionen Beethovens, Mozarts, Mendelssohns, Haydns etc. zur Aufführung brachte, hat ein furchtbares Deficit in seiner Kasse gemacht; ausserdem sind ihm nun beim Brande von Metropolitanhall für einige Tausend Thaler Instrumente und Musikalien verbrannt, und der grosse Gallaall, den er angekündigt hatte und der ihn aus seinen financiellen Verlegenheiten hätte reissen sollen (der Eintrittspreis war auf 10 gestellt), zu Wasser geworden. Unter solchen Umständen dürfte sein Ausflug nach Amerika keine sehr einträgliche Speculation gewesen sein.

Doch wenden wir uns ab von der Kunst und ihren Dienern und kehren wir auf substantiellen Boden zurück. Ich erwähnte oben die Revolution in Erie. Das ist eine Geschichte, wo das stolze Selbstbewusstsein des souveränen Volkes sich so weit auf die kleinen Dimensionen des engherzigsten Pfahlbürgerthums reducirt hat, dass ein Effect von unbeschreiblich komischem Effecte herauskommt. Hier ist der Sachverhalt. Wenn Sie eine halbwegs genaue Karte der Vereinigten Staaten zur Hand nehmen, so finden Sie, dass der sonst in Form eines Rechtecks ausgelegte Staat Pennsylvanien mit einem kleinen hasenschwanzähnlichen Appendix an das Ufer des Eriesees hinanreicht. Bei der Bildung der Union liess sich's Pennsylvanien nicht nehmen, dass es auch einen Antheil an dem Schiffsverkehr auf den grossen Binnenseen haben müsse. Das Städtchen Erie mit 8-10,000 Einwohnern hat einen recht guten Hafen und durch diesen nahm also Pennsylvanien an den Vortheilen jener grossen Wasserstrasse Theil. So weit, so gut. Allein im Laufe der Zeit stellte sich die Nothwendigkeit heraus, durch Eisenbahnen in noch engere Verbindung mit dem 'far west' zu treten. Schon in den 30er Jahren wurden Schienenwege von NewYork und Philadelphia nach dem Eriesce projectirt. Die letztere Route indessen hatte zu grosse Terrainschwierigkeiten vor sich und ausserdem fehlt es den guten Pennsylvaniern, unter denen das schlüpfrige deutsche Element sehr vorwaltet, an dem rastlosen und energischen Unternehmungssinne, welchen die New-Yorker mit ihren Nachbarn, den eigentlichen Yankees (Bewohner der 6 Neu-Englandstaaten), gemein haben. Somit bauten sie ihre Bahn kaum ein Drittel Wegs, bis nach Sonneberg (Sunbury), während die New-York- und Erieeisenbahn nach Ueberwindung unsäglicher Schwierigkeiten vor 3 Jahren endlich vollendet wurde. Sie führt von hier nach dem neuangelegten Hafen Dunkirk am Eriesee und ist die längste Eisenbahn auf der Erde (482 engl. Meilen), selbst die von Petersburg nach Moskau nicht ausgenommen. In der Zwischenzeit waren auch in dem Staate Ohio die Eisenbahnen von Cincinnati bis Cleveland vollendet und es handelte sich jetzt nur noch darum, die Verbinduug zwischen den beiden Endpunkten herzustellen, die namentlich für den Verkehr im Winter, wo die Schifffahrt aufhört, von Wichtigkeit war. Ohio baute seinerseits bis an seine Grenze und so New-York, es blieb somit nur noch der Pennsylvanische Zipfel übrig. Allein nun zeigte sich die Eifersucht des Bauernstaates. Die grosse Heerstrasse durch ihr Gebiet laufen lassen, ohne ihr einen Zoll abzunehmen, das ging nicht an. Was geschieht also? Es wird von dem Landtage ein Gesetz gemacht, wonach alle von New-York nach Erie kommenden Eisenbahnen eine Spurweite entweder von 6 Fuss oder von 4 Fuss 8 Zoll, alle von Erie nach dem Westen gehenden Bahnen dagegen von 4 Fuss 10 Zoll haben müssen. Mit andern Worten: Man macht bei Erie einen Bruch in die continuirliche Bahnverbindung und setzt es damit durch, dass alle Passagiere und Fracht in Erie umgeladen werden müssen. Dadurch, so schloss man, würde einstweilen dieser Ort eine bedeutende Einnahmequelle haben und unterdessen erhielte Pennsylvanien Zeit, in aller Musse eine Concurrenzbahn von Sunbury nach Erie zu bauen, von gleicher Spurweite mit den Ohiobahnen und im Anschluss an diese, so dass der New-Yorker Eriebahn der Rang abgelaufen würde.

Auf dem vorjährigen Landtage von Pennsylvanien nun gelang es weniger der gesunden Vernunft als den klingenden Argumenten der New-Yorker Interessenten eine Aufhebung jenes Spiessbürger-Gesetzes über die Spurweite (guage-law) zu erlangen. Nun war Erie in Noth. Denn natürlich liessen die Eisenbahncompagnieen sich nicht säumig finden,

die vom Interesse des reisenden und handeltreibenden Publikums gebotene Ausgleichung der Spurweite in Angriff zu nehmen. Dies war der grosse Augenblick, wo die municipale Selbstständigkeit eingreifen zu können glaubte. Der Schultheiss und Gemeinderath von Erie, durch die Beschlüsse einer Volksversammlung ermuntert, erklären feierlichst, dass jede andere als eine sechs Fuss breite guage eine 'public nuisance' (öffentliches Aergerniss) sei, das im Weichbilde der Commune nicht geduldet werden könne, und ordnen an, dass die Schienen sofort aufgerissen werden sollen, wenn die Compagnie sie verengern lässt. Der Autorität der Staatsgesetzgebung wird somit die Communalgesetzgebung direct entgegengestellt. Sie sehen, dieser Superlativ des Begriffes von selfgovernment schmeckt etwas stark nach Mittelalter; allein was weiter geschah, führt uns geraden Weges in die Zeit des Faustrechts und des raubritterlichen Wegelagererthums zurück. Denn bei dem blossen Gemeinderathsbeschlusse blieb es nicht. Die Eisenbahncompagnie, auf ihr gutes Recht fussend, lässt mit den erforderlichen Arbeiten beginnen. Sofort schaaren sich die ehrsamen Schöppenstedter von Erie zusammen, stürzen sich mit vandalischer Wuth auf die Bahn, zertrümmern alle Brücken und Bauten daran, reissen die Schienen auf, verbrennen die Schwellen und überpflügen zum Theil den ganzen Bahnkörper. Beamte der Compagnie, die sich widersetzen wollen, werden furchtbar gemisshandelt, eingekerkert &c. Zwei oder drei Mal noch machte die Compagnie einen Versuch, die demolirten Bahnstellen repariren zu lassen, doch immer mit dem nämlichen misslichen Erfolge. Das ganze zur Bahn gehörige Personal gerieth schliesslich in so grosse Lebensgefahr, dass es die Nähe des Orts verlassen musste. Einer der Directoren war nur durch die Geistesgegenwart eines Locomotivführers dem 'Richter Lynch' entrissen worden. Die Stadt Erie sammt dem Dorfe Harbor Creek, welches sich ihr angeschlossen, behaupteten das Schlachtfeld und die Bahn war (und ist) auf eine Strecke von 7 — 8 engl. Meilen zerstört. Für das reisende Publicum und den um jetzige Zeit sehr immensen Frachtverkehr sind die Nachtheile dieser Unterbrechung ganz unberechenbar. Bei strengster Decemberkälte und tiefem Schnee werden die ersteren in offenen Schlitten über den, ‘Isthmus' gebracht unter Leiden und Drangsalen, die Sie erst dann vollkommen würdigen werden, wenn Sie wissen, dass unsere Eisenbahnwagen im Winter mit Oefen versehen und sehr comfortabel ausgeheizt sind. Dieser Zwischentransport hat in der That schon mehrere ernstliche Erkrankungen und selbst Todesfälle herbeigeführt. Die pennsylvanischen Staatsbehörden begünstigen insgeheim die Rebellen zu Erie und die Bundesbehörden, welche die Sache desswegen angeht, weil sie für die Beschützung der Poststrassen zu sorgen haben, bewiesen eine unverzeihliche Säumigkeit. Endlich ist in voriger Woche eine vorläufige Entscheidung des Bundes-Kreisgerichtes zu Pittsburg erfolgt, die wenigstens die revolutionäre Stellung der Stadt Erie constatirt, so dass bei ihrem weitern Verharren darin die Execution zum Einschreiten genöthigt sein wird. Allein vor der Hand sind die Dinge noch im statu quo. Die Eisenbahncompagnie wagt sich nicht an den Neubau; die Spiessbürger von Erie stehen noch unter den Waffen und unterdessen wird bei dem vor 8 Tagen wieder zusammengetretenen Landtage eifrigst auf eine Wiedereinführung des guage-law agitirt. Welchen Ausgang die Geschichte noch nehmen wird, das lässt sich schwer voraussagen. Nicht unmöglich ist es, dass die ausserordentliche Entrüstung in den nächstgelegenen Grenzdistricten von Ohio und New-York einen Bürgerkrieg zu Wege bringt, wie er namentlich von den rabiaten Buffaloniern bereits in Aussicht gestellt ist. Die Gereiztheit, welche ohnehin zwischen den beiden Staaten herrscht, würde dadurch einen erwünschten Ausfluss erhalten. Drüben in Europa ahnt man wohl kaum, dass in unserer grossen einigen Republik neben dem amerikanischen Nationalbewusstsein und trotz desselben so viele kleine und kleinliche 'engere Vaterlands'-Interessen und Antipathieen herrschen, wie nur je zwischen den 'organischen Gliederungen' des heil. röm. Reiches. Wenn Sie davon Notiz nehmen, dass in den Verein. Staaten die Idee der Föderativrepublik ihren besten Ausdruck finde, so fällt Ihnen dabei kaum jemals ein, dass eine Verbindung, ein Bund nur zwischen wirklichen, verschiedenen Individualitäten stattfinden kann. Man ist in Europa gewohnt, die Staateneintheilung der Union nur mehr als eine geographische Gliederung zu betrachten, der nichts weiter zu Grunde liegt, als die Rücksicht auf Bequemlichkeit der Verwaltung. Das ist eine gänzlich falsche Anschauung. Die Union ist ihrem Wesen nach ein Staatenbund, aber kein Bundesstaat. Die

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