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3. Eine Anleitung zur Abfassung deutscher Auffäße als Inbegriff der Geseze und Regeln, welchen die Kunst sprachlicher Darstellung unterworfen ist, kann nun wohl Winke und Vorschriften geben, wie sich ein Schüler in der Darstellung vervollkommnen kann, und Mittel darreichen, die ihm das Heranziehen und die Gliederung des Stoffes erleichtern, aber zu einer inhaltlich und formell wahrhaft befriedigenden schriftlichen Arbeit befähigt nur eine gute Geistesbildung, welche das Resultat einer fleißigen und aufmerksamen Beschäftigung mit den Unterrichtsfächern und einer fördernden Lektüre ist.

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A. Vom Gedankenstoff.

§ 2.

A. Vom Thema.

1. Den Inhalt einer Arbeit bestimmt man durch eine Überschrift, die man mit dem griechischen Worte Thema (von τίθημι ich seze) zu bezeichnen pflegt. Das Thema giebt den Hauptgedanken an, welchem eine Reihe zusammenhängender Gedanken zu Grunde liegen oder über den geredet oder geschrieben werden soll. Das Thema gut zu wählen und richtig und klar auszudrücken, ist eine Hauptkunst des Lehrers; es darf besonders weder zu eng noch zu weit gefaßt sein, d. h. nicht zu wenig und nicht zu viel enthalten. *)

2. Auch bei dem Thema wie bei dem Auffah im ganzen hat man Form und Inhalt zu unterscheiden.

Das Thema fann seiner Form gemäß a) in einem einzelnen Worte gegeben sein, z. B. Der Krieg, oder b) in einem Saze, der die Form eines Aussage-, Frage- oder Heischesages haben kann, z. B. Der Krieg ist ein Übel. Ist die Seele unsterblich? Hilf dir selbst! Auch die elliptische Form kann ein Thema haben, z. B. Durch Kampf zum Sieg! oder eine hypothetische, z. B. Willst du nichts Unnüges kaufen, mußt du nicht auf den Jahrmarkt laufen.

*) Wird ein Thema vom Schreibenden selbst gewählt, so nennt man es ein freies.

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Das Thema bezeichnet nach seinem Inhalt a) entweder einen förperlichen Gegenstand oder Vorgänge aus der Natur und dem Leben oder Begebenheiten und Thatsachen, z. B. der Wald, der Löwe, der Jahrmarkt, der Schiffbruch; in diesem Fall heißt das Thema ein historisches (von iorogέw ich nehme durch die Sinne wahr), oder b) einen bloßen Begriff oder eine zu untersuchende Behauptung, z. B. die Vaterlandsliebe; dann heißt das Thema ein rationales oder theoretisches (von Dewgέw ich betrachte mit dem Geiste) oder c) beides zugleich, in welchem Fall das Thema ein ge= mischtes ist.*)

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3. Tritt ein Schüler an die Ausarbeitung eines Themas heran, so muß er sich zuvörderst dasselbe und zwar jeden darin enthaltenen Begriff recht klar machen, d. h. sich fragen, was es heiße oder verlange, ob es aus einer etwaigen bildlichen Form in eine verständlichere unbildliche ge= bracht werden könne, ob ein poetischer Ausdruck in einen prosaischen zu verwandeln sei, ob es aus einer fremden Sprache wort und sinngetreu in die deutsche übertragen werden müsse, welche Seiten es enthalte, was dazu im Gegensaß stehe und dergl. Diese Vorarbeit wird von großem Nußen sein; denn sie wird den Schüler vor manchen Mißgriffen bewahren, ihm eine passende Einleitung leichter ermöglichen, ihn in den Stand sehen, Wesentliches vom Unwesentlichen zu scheiden, ihn befähigen,,,bei der Stange" zu bleiben, wie man zu sagen pflegt, und dem Leser ein klares Bild von dem zu behandelnden Gegenstand zu geben. Besonders ist diese Vorarbeit nötig, wenn das Thema mehrere Gedanken enthält, z. B. Wer Gutes will, der sei erst gut; wer Freude will, besänftige sein Blut, also nicht einfach, sondern zusammengesezt ist. Andere Beispiele: 1) Morgenstunde hat Gold im

*) 3um genus historicum gehören Beschreibungen und Erzählungen, zum genus rationale Erläuterungen, Entwicklungen und Abhandlungen. In der Praxis spielen die gemischten Themata die Hauptrolle, und es herrscht in ihnen entweder die historische oder die begriffliche Seite vor.

Munde, d. i. eig. in Verwahrung, bedeutet: Wer früh arbeitet, hat reichen Lohn. 2) Es bildet ein Talent sich in der Stille, d. h. große wissenschaftliche und künstlerische Fertigkeit braucht ungestörte Ruhe zu ihrer Ausbildung. Il n'y a pas de si petit buisson qui ne porte son ombre, d. i. die kleinste Ursache kann eine Wirkung hervorbringen. *)

4. Wie man ein Thema (am besten eignen sich hierzu Sentenzen und Sprichwörter) analysiert, d. h. zergliedert, ersehe man aus folgendem Beispiel:

Was früh zeitig wird, fault bald.

A. Zerlegung des Sazes in seine Bestandteile:
a) Das Subjekt = das früh zeitig Werdende.
b) Das Prädikat = fault bald.

c) Das Adverb
liegt).

B. Worterklärung.

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früh (worauf hier der Nachdruck

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a) Zeitig werden a) den Zustand der Reife, seine vollkommene Entwicklung erlangen, b) fertig werden. b) Faulena) sich zersetzen, in Gährung übergehen, zerfallen, ß) untauglich, schädlich, selbst unangenehm werden.

C. Sacherklärung: Zu dem vorliegenden Sprichwort sind die bildlichen Anschauungen aus dem Pflanzenreich ge= nommen. Die Pflanzen, deren Früchte schnell reifen, gehen auch am ersten in wässerige Gährung über, z. B. die Beeren, Kirschen. D. Sinnerklärung: Alles, was eine schnelle Reife erlangt, zeigt bald Unvollkommenheiten und Mängel und hat eine furze Dauer.

5. Bei der Analyse kommt es oft auf eine klare Definition der Begriffe an. Man unterscheidet die Definitionen in a) Nominal Definitionen, in denen man zeigt, was der Name bedeutet,

*) Ein Ausspruch Rückerts finde hier Beachtung:
Laß etwas auf dich rechten Eindruck machen,
So wirst du schnell den rechten Ausdruck finden.

b) Real-Definitionen, in denen man erklärt, was eine Sache ist.

Bei der Nominal-Definition (Worterklärung) erklärt man ein Wort etymologisch (aus dem Sprachgebrauch) oder historisch. Z. B. Geschichte kommt vom Verbum geschehen und ist die Wissenschaft, die im allgemeinen sich mit allem, was geschehen ist, zu befassen haben sollte.

Bei der Real-Definition oder Sacherklärung zählt man die wesentlichen (charakteristischen) Merkmale eines Begriffes vollständig auf oder geht bei bildlichen Ausdrücken auf die zu Grunde liegenden sinnlichen Anschauungen zurück. 3. B. Glück und Glas, wie bald bricht das! Glück" bedeutet hier äußere Güter a) die nicht vom Menschen selbst abhängen, sondern b) ihm von außen her wider Berechnung und Erwarten zu teil werden.

Die Definition muß

a) deutlich und bestimmt sein, man vermeide deshalb in der Erklärung

a) bildliche Ausdrücke,

b) negative Merkmale,

c) Ausdrücke die schwerer zu verstehen sind als der
zu erklärende Begriff,

b) angemessen, d. h. nicht zu weit und nicht zu eng.
a) eine zu weite Erklärung ist: Zwirn ist ein zum
Nähen notwendiges Ding (was auch vom Finger-
hut und von der Nadel gesagt werden kann).
b) Eine zu enge Erklärung ist: Der Zügel ist ein
Ding, womit man das Pferd anhält (es fehlt das
Merkmal: und womit man es lenkt).

§ 3.

B. Die Sammlung des Stoffes im allgemeinen.
(Inventio.)

a) Die freie oder ungeregelte Erfindung.

1. Ist man sich über das Thema recht klar geworden, so geht man weiter an die Sammlung von einzelnen Gedanken,

sei es in den Lektionen unter Anleitung des Lehrers und allseitiger Beteiligung der Commilitonen, sei es im ruhigen Studierstübchen für sich allein. Diese sammelnde Thätigkeit heißt in der Rhetorik die Erfindung (eugeots, inventio). Bei derselben kommt es entweder auf deutliche Anschauung eines Gegenstandes an, z. B. bei Beschreibungen, oder auf klares Denken (Meditieren), z. B. bei rationalen Themen, oder auf beides zugleich, besonders bei Abhandlungen und Reden. In dieser Beziehung sagt Cic. de inventione § 9: Inventio est excogitatio rerum verarum aut verisimilium, quae causam probabilem reddant (allerdings zunächst mit Rücksicht auf Reden).*)

2. Bespricht der Lehrer in der Klasse ein Thema, so empfiehlt es sich, zuerst das Thema aufzustellen, dann sich ungezwungen mit den Schülern darüber zu unterhalten und gleichsam gelegentlich Resultate zu gewinnen, zunächst den Sinn des Themas festzustellen, das festzuhalten, was für die richtige Erfassung der Aufgabe paßt, das aber abzuweisen, was vom Hauptgedanken abziehen würde.**)

3. Schüler, die Freude am Nachdenken und stilistischen Arbeiten haben, werden wohlthun, wenn sie erst in ihrem Geiste nachsinnen und sich kurze Notizen über das Gefundene machen, die nachher schriftlich verarbeitet werden. Auch das Nachlesen einschlägiger Arbeiten, ohne zu plündern (wörtlich Citiertes bezeichne man ehrlich als solches), oder die Unterhaltung mit strebsamen Mitschülern oder erfahrenen erwachsenen Personen können eine nüßliche Vorübung werden. Mit Recht sagt Goethe: Alles Gescheite ist schon gedacht worden; man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken. Benugt man aber nur fremde Gedanken, so sei man wenig= stens selbständig in der Form. Denn man hüte sich vor

*) und „,Rerum copia verborum copiam gignit; ipsae res verba rapiunt."

**) Beachtenswert ist hier der Ausspruch eines Franzosen: Ce qui se conçoit bien, s'énonce clairement, et les mots, pour le dire, arrivent aisément.

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