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der sie zunächst bedrückenden Zustände im Hochschulwesen, aber es mußte auch klar ersichtlich sein, daß diese nur eine Folge des ganzen herrschenden Systems waren und daher bloß mit ihm zugleich beseitigt werden konnten. Schon aus diesem Grunde hätte eine studentische Bittschrift nicht etwa Lehr- und Lernfreiheit allein begehren dürfen, sondern mindestens auch wie ein nach Reschauer am 3. März umlaufender Adreßentwurf des stud. jur. Schneider Preßfreiheit verlangen müssen. Denn es wäre nicht nur widersinnig gewesen, die Zensur des gesprochenen Wortes ohne jene des geschriebenen aufzuheben, sondern diese beiden Freiheiten griffen auch ineinander. Einerseits verlangte die Freiheit des Unterrichts auch die Freiheit, das bisher errungene Wissen weiterzubilden und das hiedurch Gewonnene literarisch zu verwerten, Streitfragen zu erörtern und dadurch einer Klärung möglichst nahezubringen; andererseits ist auch diese literarische Tätigkeit ebenso eine wissenschaftliche Lehre wie der Unterricht in den Vorlesungen. Mögen diese Umstände von den Studenten in solcher Form erwogen worden sein oder nicht, so lag doch das Vorhandensein eines notwendigen Zusammenhanges zwischen beiden Begehren derart auf der Hand, daß dieser nicht übersehen werden konnte.

Doch dies waren nur zwei einzelne, aber nicht die einzigen Gebiete, auf welchen den Studenten der bleischwere Druck des herrschenden Systems zu Bewußtsein gekommen war. Dessen Sturz strebten sie nicht etwa n u r deshalb an, um dadurch auch ihre eigenen Standesverhältnisse besser zu gestalten. Metternichs Ideal mochte es ja wohl gewesen sein, die Studenten von allem strenge abzuschließen, was nicht ihre engsten Berufsstudien betraf, allein dieser angestrebte Erfolg mußte ihm versagt bleiben. Das insbesondere seit den Freiheitskriegen mächtig aufblühende, wenn auch noch mit so mancher kosmopolitischen nebelhaften Verschwommenheit belastete deutsche Nationalbewußtsein saß bei den

112 S. 146, ohne Quellenangabe. Hingegen weiß der spätere Vorsitzende des Studentenkomitees Neusser (a. a. O.) von einem solchen Schneiderschen Adreßentwurfe nichts zu berichten, obwohl er am Entstehen der Adresse vom 12. März beteiligt war.

deutschen Studenten wohl auch in Österreich schon zu tief, als daß ihnen die Verhältnisse hätten gleichgültig bleiben können, die an Stelle der abgeschüttelten korsischen Zwingherrschaft treten sollten. Und eine vorwiegend deutsche Kundgebung ist die sich nun entwickelnde Adresse gewesen, zumal ja auch bei der angestrebten Reform der politischen Verhältnisse die Neugestaltung Deutschlands das Hauptziel bildete. Ja Neusser 113 berichtet, daß dahinter sogar der Wunsch nach einer Verfassung für Österreich zurücktrat, weil man davon eine Beeinträchtigung des deutschen Einheitsgedankens besorgte. Mag man vielleicht auch darin einen Anklang an die Befürchtung einer Rivalität um die Führung erkennen, so wäre doch das eine ohne das andere nicht durchführbar gewesen und es dürfte auch kaum ernsthaft der Gedanke erwogen worden sein, aus jenem Grunde etwa auf eine Verfassung für Österreich zu verzichten. Davon abgesehen wäre auch ohne die Umwandlung Österreichs in einen Verfassungsstaat schwer die vollständige Beseitigung des Systems Metternich möglich gewesen, die eine notwendige Vorbedingung zur Neugestaltung Deutschlands war. Und selbst wenn man dennoch eine Form dafür gefunden hätte, würde auf die Dauer ein Österreich ohne Verfassung als führender Staat eines in den übrigen Teilen verfassungsmäßig regierten Deutschland einen unhaltbaren Zustand ergeben haben. Die somit in jenen Belangen geäußerten Wünsche umfaßten jene Punkte, in denen man damals die wesentlichen Merkmale eines freiheitlich gestalteten Staatswesens erblickte. Sie wurden in folgender, auf Grund eines Entwurfes des stud. jur. Schneider aus Tüffer von einer Anzahl Anzahl Studenten Studenten unter Leitung des stud. med. Fritsch beschlossener Bittschrift 115 zum Ausdruck ge

bracht:

113 A. a. O.

114 Reschauer, S. 147; Neusser, a. a. O.

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115 Wiewohl dieselbe schon mehrfach abgedruckt erscheint, wird sie hier neuerdings im Wortlaute gebracht, da dieser insbesondere zur Beurteilung der Begründung notwendig ist, mit der Graf Hartig dem Kaiser eine strafgerichtliche Verfolgung ihrer Urheber und Verbreiter vorschlug. Dem Verfasser ist es nicht gelungen, nähere Angaben

,Kaiserliche Majestät!

Ein großes Ereignis hat Frankreich, hat Europa erschüttert und stellt den allgemeinen Frieden in Frage.

In so bewegter Zeit nahen vertrauensvoll die Studierenden Wiens dem Throne Eurer Majestät, ihre Bereitwilligkeit zu erklären, jeden Augenblick mit freudigem Gefühle dem Rufe Eurer Majestät zu folgen, das gemeinsame Vaterland zu schirmen gegen jeglichen Feind, mag er drohen von West oder Ost.

Kaiserliche Majestät!

Durchdrungen von der Überzeugung, daß Freiheit es sei, welche das stärkste Band um Fürst und Volk schlinge, dieses zu großen Taten befähige und geneigt mache, schwere Prüfungen mit Mut und Ausdauer zu bestehen, glauben unterzeichnete Studierende Wiens eine heilige Pflicht treuer Bürger zu erfüllen, wenn sie Eurer Majestät in Ehrfurcht ihre Meinung aussprechen, daß die Verwirklichung dieser Freiheit in so kritischer Weltlage ein dringendes Bedürfnis sei und Eure Majestät daher bitten, Höchstdero Völkern gewähren zu wollen:

Preß- und Redefreiheit zur Herstellung eines gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens zwischen Fürst und Volk; Hebung des Volksunterrichtes und insbesondere Einführung von Lehr- und Lernfreiheit; Gleichstellung der verschiedenen Glaubensgenossen in staatsbürgerlichen Rechten; Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens; allgemeine Volksvertretung und außerdem der deutschen Landestheile beim Bunde.

Kaiserliche Majestät!

Stets gewohnt, in Eurer Majestät den Freund und Schirmer des Volkes zu erblicken, sehen wir auch jetzt mit Vertrauen Höchstdero Beschlüssen entgegen, und wir verharren in Treue und Ehrfurcht Eurer Majestät gehorsamste Studierende Wiens!!

Dies waren etwa die anfangs März in anderen Staaten Deutschlands gewährten Freiheiten mit Ausnahmen, wie jener der Beeidigung des Heeres auf die Verfassung. Der

über die ferneren Lebensschicksale von Loeser, Fritsch und Schneider zu ermitteln, die durch ihren Anteil an der Entstehung dieses denkwürdigen Schriftstückes ihre Namen der deutschen Hochschulgeschichte dauernd einverleibt haben. Im weiteren Verlaufe der Bewegung jenes Jahres begegnen uns Loeser und Fritsch überhaupt nicht mehr; Schneider nur gelegentlich seiner Wahl zum Mitgliede des Frankfurter Vorparlaments. In späteren Untersuchungsakten sind ihre Namen nicht erwähnt.

polizeistaatliche Druck gegen die Entstehung und Ausbreitung freiheitlicher Ideen legt nun die Frage nahe, welchen Gefahren sich die Studenten für den Fall eines Miẞerfolges aussetzten.116 Zur Beurteilung der Maßnahmen, welche die Regierung, wenn sie Sieger geblieben wäre, gegen die Studenten hätte ergreifen können, muß die Erhebung solcher Begehren überhaupt von der Art und Weise auseinandergehalten werden, in der sie erfolgen und ihre Erfüllung angestrebt werden sollte. Auch das damals geltende Strafgesetz vom 3. September 1803 ging nicht so weit, auch eine, noch dazu mit Ergebenheitsbezeigungen versehene Bitte an den Kaiser um Abänderung der Staatsverfassung unter Strafe zu stellen. Gewährte er diese, dann war ja wohl auch anzunehmen, daß nicht nachträglich noch eine Untersuchung über die Art ihres Zustandekommens angestellt würde. Andernfalls aber hätte eine solche das Entstehen der Adresse im Kreise geheimer studentischer Verbindungen ergeben müssen und damit hätte nach § 40 des Strafgesetzes, 2. Teil, die schwere Polizeiübertretung der Teilnahme an geheimen Gesellschaften vorgelegen, welche die 88 42, 41 mit strengem Arrest bis zu 6 Monaten bedrohten. Im Strafgesetze waren also Besorgnisse langjähriger Kerkerhaft nicht begründet. Sollten auf ihr Entstehen auch die wenige Jahre vorher erfolgten Verurteilungen polnischer Studenten Einfluß genommen haben,118 dann wurde hiebei außer acht gelassen, daß diesen zur Last gelegt worden war, die Bildung eines selbständigen polnischen Staates und damit die Loslösung eines Gebietes aus dem österreichischen Staatsverbande beabsichtigt. zu haben. Hier lag also ein wesentlich anders gearteter Fall vor, der noch keinen unmittelbaren Rückschluß auf ein etwaiges Einschreiten der Regierung gegenüber dem hier Geplanten ziehen ließ. Wäre es allerdings bei diesem auch zu Verabredungen und Anstalten gekommen, um das Verlangte gewaltsam durchzusetzen, dann hätte sich sogar nach § 52 der unter Todesstrafe stehende Tatbestand des Hochverrates durch

116 Siehe hiezu Kudlich, 1. Bd., S. 174.

117 Silberstein, S. 13.

118 Füster, Memoiren, 1. Bd., S. 29.

Unternehmung zu gewaltsamer Veränderung der Staatsverfassung ergeben.

Doch selbst abgesehen von diesen schweren Fällen standen den Behörden außer den gesetzlich angedrohten Strafen noch einige andere Maßregeln zu Gebote. Die mildeste hievon war der Entzug der polizeilichen Aufenthaltsbewilligung für die nicht nach Wien zuständigen Studenten. Jene, deren Zugehörigkeit zu einer geheimen Verbindung zutage kam, hatten nach den Karlsbader Beschlüssen die Ausschließung von sämtlichen Hochschulen des Deutschen Bundes zu gewärtigen. Dann aber kam auch eine strafweise Abstellung zum Militärdienst in Frage.119 Bei dieser handelte es sich nicht nur darum, daß der von ihr Betroffene aus seiner Umgebung und Beschäftigung herausgerissen wurde, es war vielmehr damit zu rechnen, daß man ihn auf verschiedene Art, wie durch absichtliche Heranziehung zu niedrigen Diensten, diese Abstellung auch wirklich als Strafe empfinden ließ; so wurden 1821 in Prag Studenten wegen vermuteter geheimer Verbin

119 Nach § 16 des Rekrutierungspatentes vom 25. Oktober 1804 gehörten Studenten, die sich über Sitten und Fortgang durch Zeugnisse erster Klasse ausweisen konnten, zu den zeitlich Befreiten. Jene, die nur in einzelnen Gegenständen selbst zwei Jahre nacheinander ein Zeugnis zweiter Klasse erhielten, verloren dies nur, wenn nicht die Studiendirektion auf Grund ihrer Leistungen in den übrigen Gegenständen bestätigte, daß der Staat sich an ihnen dennoch einen brauchbaren Beamten versprechen dürfe. Dies bildet einerseits einen neuerlichen beachtenswerten Beleg für die bereits besprochene Behandlung der Hochschulen als bloße Vorbereitungsanstalten für Beamte. Andererseits besagte es, daß nach damaliger Auffassung jene, die zu solcher Erwartung nicht berechtigten, für den Militärdienst noch immer gut genug seien. Mit Abschnitt VI, Punkt 11 c des Hofkanzleidekretes vom 7. August 1827 wurden für die Militärbefreiung der Studenten Vorzugszeugnisse verlangt. Der Verlust dieser Begünstigung konnte mithin erst nach Abschluß der Semestralprüfungen eintreten. Eine Abstellung zum Militärdienste während des Semesters widersprach dem Gesetze und die im Folgenden erwähnte kaiserliche Entschließung vom 24. Mai 1838 schuf kein neues Recht, sondern zog nur eine Folgerung aus dem Bestehenden. Trotzdem kamen fallweise Zuwiderhandlungen vor, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht wurden. Vielmehr beließ man es z. B. bei der später angeführten Anordnung des Erzherzogs Rainer dem Ansehen der Behörde zuliebe bei dem bereits Verfügten.

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