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Zweiter Theil.

Vorbedingungen des Einschreitens.
Erster Abschnitt.

Die Aufgabe der StAschaft.

§ 16.

Damme, Die Stellung der Staats

v. Marck, Die Staatsanwaltschaft, Berlin 1884, S. 142 ff. anwaltschaft im Strafverfahren. Deutsches Wochenblatt, Berlin (2, S. 199, 213). - Ortloff, Die gerichtliche Redekunst, Berlin 1890, S. 50-56. Aulus Agerius und die Preussische Staatsanwaltschaft. Preuss. Jahrbücher, Bd. 83 S. 97-114. Meves, Der Beweisantrag und seine prozessrechtliche Behandlung. Goltd. Arch. Bd. 40 S. 291 u. 416 ff.

Der deutsche Strafprozeß umfaßt gegenwärtig 4 große Abschnitte:
Vorverfahren,

Erhebung der öffentlichen Klage,

Hauptverfahren,

Strafvollstreckung.

Das Vorverfahren

Die Strafprozeßordnung gebraucht diesen Ausdruck gleichmäßig in § 50 Abs. 3, § 58 Abs. 2, § 65 Abs. 4, § 69 Abs. 3, § 82, § 149 Abs. 3, § 232 Abs. 2, § 250 Abs. 2.

umfaßt die ganze Vorbereitung der öffentlichen Klage. Es liegt ganz in der Hand der StAfchaft, deren Aufgabe im Wesentlichen § 152 StrPrOrdg. ausspricht. Danach legt das Gefeß der StAschaft die Verpflichtung auf, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten und die Bestrafung des Verbrechers im gefeßlich geordneten Verfahren herbeizuführen, sofern zureichende that= sächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Nicht einseitig soll hierbei die StAschaft verfahren, sondern lediglich im Interesse der objektiven Wahrheit und Gerechtigkeit. Diese hochwichtige Aufgabe der Staatsbehörde kennzeichnet die weitere Bestimmung:

„Die StAschaft hat nicht bloss die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung derjenigen Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen steht.“

Der Zweck des Vorverfahrens legt daher dem Leiter desselben, also der StAschaft die Pflicht auf, von Amtswegen alle diejenigen Schritte zu thun, welche sie zur Erreichung des Zwecks für geboten erachtet. Ihr liegt daher die Prüfung etwaiger von dem Berechtigten gestellten Beweisanträge ob und hat sie sich darüber zu entscheiden, ob sie ihnen stattgeben will oder nicht.

Meves a. a. O. S. 420.

Diese Aufgabe der StAfchaft, „zwar Partei, aber nicht parteiisch zu fein", hebt das Gefeß weiter hervor durch die Bestimmung in § 338 a. a. D.:

„Die StAschaft kann von denselben (sc. Rechtsmitteln) auch zu Gunsten des Beschuldigten Gebrauch machen.“

Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sind der StAschaft durch das Gesez wichtige Befugnisse beigelegt, deren Ausübung tief einschneidet in die persönlichen Rechte des Staatsbürgers! Eine besondere Berücksich= tigung derselben kann nicht immer eintreten: Gerade bei Einleitung eines Verfahrens, beim sog. ersten Angriff, ist rückhaltlose Schnellig= keit unabweislich geboten. Lauheit in der Strafverfolgung benachtheiligt das öffentliche Rechtsbewußtsein und schwächt das Vertrauen zu der vom Staate eingefeßten Behörde. Eine schnelle und doch be= sonnene Handhabung des Gesezes, feste Entschlossenheit in allen Maßnahmen, sowie unbeugsame Ausdauer bis zur Erschöpfung des leßten Rechtsmittels darf aber Jedermann gerade von dieser Behörde erwarten!

Die Grundlage zum Einschreiten bildet regelmäßig eine Anzeige, welche der durch die strafbare Handlung Verleßte der StAschaft mündlich Die mündliche Anzeige ist nach § 156 Abs. 1 StrPOrd. zu beurkunden, und zwar bei der StAschaft durch den Secretär. Vgl. § 3 Geschäftsordnung für die Secretariate der StAschaften bei den Landgerichten v. 2. Aug. 1879 (IMBI. S. 230).

oder schriftlich erstattet (vgl. § 35).

Die Erforschung strafbarer Handlungen fällt den Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes zu, welche die aufgenommenen Verhandlungen ohne Verzug an die StAfchaft zu übersenden haben.

Vgl. § 161 RStrPOrd.

Nach Eingang dieser Verhandlungen oder nach Vorlegung der einfachen Anzeige ist bei der StAschaft zunächst eine vielseitige Prüfung in Bezug auf ihre Zuständigkeit erforderlich. Ist diese Frage unbedenklich zu bejahen, so ist zu verfügen, wie in §§ 34, 35 angegeben. Zur Erleichterung dieser Prüfung dient der Inhalt der folgenden Paragraphen.

§ 17.

Die örtliche Zuständigkeit.

Strafprozessordnung v. 1. Februar 1877 (RGBl. S. 253) §§ 7 ff. - v. Marck, Die Stastsanwaltschaft,
Berlin 1884 8. 101 ff. v. Lilienthal, Der Ort der begangenen Handlung im Strafrechte, Marburg
Art. 17 Geschäftsanweisung für die Amtsanwälte v.
28. August 1879 (JMBI, S. 260).

1890. — Löwe, Kommentar S. 206 ff.

Die örtliche Zuständigkeit der StAfchaft bestimmt sich nach der räumlichen Ausdehnung ihres Landgerichts;

§ 144 Abs. 1 Ger.Verf.Ges. v. 27. Januar 1877 (RGBI. S. 41).

ist die strafbare Handlung in dessen Bezirk begangen, so ist der Gerichtsstand des Beschuldigten auch bei diesem Land- bez. Amtsgericht begründet.

Neben dem Ort der begangenen That giebt auch der Wohnsiz des Beschuldigten zur Zeit der Erhebung der Anklage einen Gerichtsstand.

§§ 7 u. 8 StrpOrd.

Auch durch den Auftrag eines oberen Gerichts, sowie durch den Zusammenhang mehrerer Strafsachen kann ein Gerichtsstand begründet werden.

§§ 9, 15 u. 13 a. a. O.

Das forum deprehensionis, welches bis 1. October 1879 in Preußen besonders bestand, wird von der Reichsstrafprozeßordnung nur ausnahmsweise anerkannt, wenn nämlich die strafbare Handlung im Auslande begangen und ein Gerichtsstand durch den Wohnsiz nicht begründet, auch ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht bekannt ist.

§ 9 a. a. O.

1. Ein ganz besonderer Gerichtsstand wird vom Gesetz ge= währt für die:

a) Bestrafung der auf Schiffen außerhalb der Häfen und Gewäffer des Heimathsstaates begangenen strafbaren Handlungen.

§ 10 a. a. .

Dementsprechend sind alle Vorkommnisse auf dem deutschen Schiffe so zu beurtheilen, als hätten sie sich innerhalb der Grenzen des Heimathslandes ereignet.

Ein auf deutschem Handelsschiff während der Fahrt auf hoher See verübter Diebstahl ist nach deutschem Recht zu beurtheilen und zu be= strafen.

II. Straff., ReichsG. v. 18. Juni 1889, Goltd. Arch. Bd. 37 S. 289. b) Untersuchung gegen Personen, welche sich der Wehrpflicht entzogen haben; § 471 RStrPrOrdg. Vgl. § 65.

c) Zuwiderhandlungen gegen das preußische Geset betr. den Forstdiebstahl, vom 15. April 1878;

§ 21 dieses Gesetzes (GS. S. 222).

d) Dienstverlegungen der Schiffsleute;

§ 101 Abs. 3 der Seemannsordnung v. 27. Dezbr. 1872 (RGBl. S. 409): In den Fällen der §§ 81 Abs. 1, 84, 93, 99 erfolgt die Untersuchung und Entscheidung durch das Seemannsamt. Hat das Seemannsamt seinen Sig im Auslande, so ist für das weitere Verfahren dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Heimathshafen und in Ermangelung eines solchen derjenige deutsche Hafen belegen ist, welchen das Schiff nach der Straffestsegung zuerst erreicht.

2. Zweifel über die örtliche Zuständigkeit können entstehen, wenn die einzelnen gefeßlichen Merkmale einer Strafthat an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten erfüllt werden, wie dies 3. B. bei Betrug und Urkundenfälschung leicht denkbar ist. Hier wird für die Annahme des Gerichtsstandes stets entscheidend sein der Ort, an welchem die leßte, zum Thatbestand erforderliche Handlung vorgenommen ist, also bei der Urkundenfälschung der Ort, an welchem von der gefälschten Urkunde zum Zweck der Täuschung Ge= brauch gemacht und somit die That an sich vollkommen ausgeführt ist. Der nach dieser That eingetretene Erfolg, wie z. B. der nachträglich am anderen Ort eingetretene Tod des Verleßten, kann einen Gerichtsstand nicht begründen.

Vgl. die Ausführungen bei Löwe zu § 7 a. a. O.

Bei dem verbotswidrigen, mittelst brieflicher Uebersendung erfolgenden Vertriebe von Lotterielosen stellt der Ort, wo der Brief an den Adressaten gelangt, den Thatort dar.

II. u. III. Straff., ReichsG. 12./19. Mai 1884, Entsch. Bd. 10 S. 420.

Bei strafbaren Handlungen, welche durch Verbreitung von Druckschriften begangen werden, ist der Ausgabeort (Erscheinungsort) der Ort der begangenen That.

Vgl. Löwe, Not. 3 zum ReichsG. über die Presse v. 7. Mai 1874 (RGS. S. 65) Commentar S. 922.

3. In der Verbreitung einer Druckschrift, welche einen strafbaren Thatbestand enthält, an verschiedenen Orten kann eine Mehrheit selbstständiger Strafthaten erblickt und demgemäß jeder dieser Orte als Begehungsort angesehen werden; rechtlich ist es indeß nicht unmöglich, die an mehreren Orten bewerkstelligte Verbreitung der Druckschriften mit Rücksicht auf die derselben unterliegende Einheit des Entschlusses, und indem die Verbreitung an mehreren Orten thatsächlich als fortschreitende Bethätigung dieses einen Entschlusses erscheint, nur als eine Strafthat zu behandeln.

III. Straff., ReichsG. 29. März 1882, Rechtspr. Bd. 4 S. 287.

4. Unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten gebührt demjenigen der Vorzug, welches die Untersuchung zuerst eröffnet hat. § 12 StrPr.Ordg. Unter Eröffnung der Untersuchung ist nur die Eröffnung der Voruntersuchung oder die des Hauptverfahrens zu verstehen. Vgl. auch Löwe Not. 3b zu § 12 a. a. O.

Im Falle der Zuständigkeit mehrerer Gerichte ist dieses Seitens der StAschaft vor Erhebung der öffentlichen Klage sorgfältig zu erwägen, welchem Gerichtsstande mit Rücksicht auf den Zeit- und Kostenaufwand, sowie auf die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten der Vorzug gebührt.

Art. 25 Nr. 5 Geschäftsanweisung für die Amtsanwälte v. 28. Aug. 1879 (JMBI. S. 260).

5. Ergiebt die vorgenommene Prüfung,

Das Nachschlagen im sog. Ortschaftsverzeichniß, in welchem alle Orte des Landgerichtsbezirks unter Angabe des Amtsgerichts, der Polizeibehörden (Amtsvorsteher, Bürgermeisteramt, Distriktskommissar) und der Gensdarmeries stationen alphabetisch aufgeführt sind, erleichtert solche Prüfung.

daß der Ort, an welchem die strafbare Handlung begangen sein soll, in einem anderen Landgerichtsbezirke liegt, so ist einfach zu verfügen:

1. Thatort ist Bingerbrück, Landgerichtsbezirk Coblenz, daher

2. Urschrift an den Kön. Herrn Ersten Staatsanwalt

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§ 18.

Die fachliche Zuständigkeit.

Art. 15 u. 16 der Geschäftsanweisung für die Amtsanwälte v. 28. August 1879 (JMBI. S. 260). v. Marck, Die Staatsanwaltschaft, Berlin 1884 S. 95. Löwe, Kommentar, S. 43 ff. — Dalcke, Strafrecht und Strafprozess. Art. 15 Geschäftsanweisung für die Amtsanwälte vom 28. August 1879 (JMBI. S. 260).

Sachliche Zuständigkeit ist vorhanden, wenn die Verfolgung der behaupteten strafbaren Handlung in den Geschäftskreis der StAfchaft fällt. Hierzu gehören:

1. alle Verbrechen.

Ausnahme: Für die Untersuchung und Entscheidung in erster und legter Instanz in den Fällen des Hochverraths und des Landesverraths (§§ 80-92 RStrGB. und zwar §§ 89 u. 90 in der Fassung des Ges. v. 3. Juli 1893), insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet sind, ist das Reichsgericht zuständig, selbst wenn der Thäter das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

§ 136 Nr. 1 GerVerfGes. v. 27. Januar 1877 (RGBI. S. 41) und Löwe's Commentar zu § 136 a. a. O.

Verbrechen gegen §§ 1, 3 Ges. v. 3. Juli 1893 gegen den Verrath militärischer Geheimnisse (RGBl. S. 205) gehören gleichfalls vor das Reichs-Ger.

2. alle Vergehen, soweit sie nicht zur Zuständigkeit des Amtsanwalts bez. des Schöffengerichts gehören.

Die Amtsanwälte sind zuständig zur Verfolgung:

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b) aller Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz, betr. den Forstdiebstahl, vom 15. April 1878 (GS. S. 222);

c) aller Vergehen des Diebstahls, der Unterschlagung, des Betruges und der Sachbeschädigung in den Fällen der §§ 242, 246 (247), 263 u. 303 RStrGB., sofern der Werth (des Gestohlenen oder Unterschlagenen) oder der Schaden (beim Betruge und der Sachbeschädigung) 25 Mark nicht übersteigt;

§ 27 GerVerfGes. v. 27. Januar 1877 (RGBl. S. 41).

d) aller mit Gefängniß von höchstens drei Monaten oder Geldstrafe von höchstens 600 Mark, allein oder neben Haft, oder in Verbindung mit einander oder in Verbindung mit Einziehung bedrohten Vergehen;

Hierher gehören namentlich die Vergehen gegen §§ 12-17 der Verordn. (über die Verhütung eines die gesegliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes) v. 11. März 1850 (GS. S. 277). Für die Aburtheilung der Vergehen in §§ 18 u. 19 dieser Verordn. sind dagegen die Strafkammern zuständig. Vgl. auch Dalde, a. a. O. S. 397 Not. 37 zu § 19 a. a. O.

e) aller Vergehen der Begünstigung und der Hehlerei in den Fällen der §§ 258 Nr. 1 u. 259 RStrGB., wenn die Handlung, auf welche sich die Begünstigung oder Hehlerei bezieht, zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehört. Folgende Vergehen, welche eigentlich unter d fallen, verbleiben indeß der StAschaft beim Landgericht, nämlich die Vergehen gegen: 1. § 320 Reichsstrafgesetzbuches;

§ 27 Nr. 2 GerVerfGes. — Vgl. auch Dalđe a. a. O S. 357 Not. 26 zu § 320.

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