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Zugleich ersuche ich um Aufhebung des Haftbefehls und um Aufnahme dieses Entlassungsgrundes in den Gerichtsbeschluß.

N. den 2c.

Nach Eingang des Beschlusses geht Abschrift desselben an die Polizeibehörde:

zur gefl. Kenntnißnahme und mit dem Ersuchen, für die sichere Ueberführung des 2c. nach einer geeigneten Anstalt Sorge zu tragen und Nachricht sodann ungesäumt hierher zu senden.

2. Weiter zu beachten bleibt der Bericht an den Justiz-Minister: Es ist zur Sprache gekommen, daß in verhältnißmäßig häufigen Fällen Personen, welche wegen strafbarer Handlungen unter Anklage stehen, auf Grund des Gutachtens ärztlicher Sachverständiger für unzurechnungsfähig erklärt werden und daß solche Personen, wenn sie alsdann nach Ueberweisung an die Polizeibehörde in Irrenhäusern 2c. untergebracht sind, aus diesen für derartige besondere Fälle nicht genügend eingerichteten Anstalten nicht selten entweichen und dann ihr verbrecherisches Treiben fortseßen.

Der Herr Minister des Innern beabsichtigt deshalb, an die Landespolizeibehörden eine die thunlichste Verhütung solcher Entweichungen bezweckende Weisung zu erlassen. Um aber die Wirksamkeit der in Aussicht genommenen Anordnungen zu sichern und eine Controle über die Ausführung derselben zu ermöglichen, ist es erforderlich, daß der genannte Herr Minister von allen Fällen alsbald in Kenntniß gesezt wird, in welchen Personen mit offenbar gemeingefährlichen verbrecherischen Gewohnheiten von den Strafgerichten für unzurechnungsfähig erklärt werden.

Es ist deshalb in allen Fällen solcher Art von den Ersten Staatsanwälten mit thunlichster Beschleunigung an mich, und zwar unmittelbar, Bericht zu erstatten. In diesem ist außer der Angabe der Personalien des betreffenden Angeschuldigten auch eine kurze Charakterisirung seines verbrecherischen Treibens aufzunehmen . . . Cirk.Verfüg. v. 20. Dezbr. 1886, I, 4000. Hierzu ist die Verfüg. des Min. des Jnn. (M. f. d. i. Verw. S. 63) v. 25. Januar 1887 ergangen.

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des Ersten Staatsanwals, betr. die Unterbringung des

geisteskranken Schuhmachers Johann W. aus St. N. Kreis S.

I, 4000.

Euer Excellenz

N. den 2c.

verfehle ich nicht, in Befolgung der nebenstehend beAllgem. Verfüg. 20. Dezbr. 1886, zeichneten hohen Verfg. hierdurch ehrerbietigst anzuzeigen, daß der der vorsäglichen Brandstiftung beschuldigte Schuhmacher Johann W. im Laufe der Voruntersuchnng als geisteskrank erkannt und deshalb, sowie im Hinblick auf seine große Gemeingefährlichkeit, nachdem die beantragte Außerverfolgseßung Seitens des Gerichts auch beschlossen worden, in die Rheinische Provinzial-IrrenAnstalt zu Merzig überführt ist.

Nach dem Inhalte der entstandenen Acten ist W., am 27. Oct. 1865 zu St. N. geb., ein arger Trinker; wenigstens ein Mal in jeder Woche betrinkt er sich und redet alsdann unsinniges und unverständliches Zeug. Am 30. Juni 1894 ist er mit lautem Geschrei durch ein Fenster gesprungen und hat sich dabei den Fuß gebrochen; alsdann jammerte er, daß er ewig verloren sei und in der Hölle braten müsse. Dieser Anfall hat von Abends neun bis anderen Morgens 10 Uhr gedauert. Auf der Rückfahrt vom Arzte, zu welchem Verwandte ihn gebracht hatten, wurde er plößlich feuerroth im Gesicht und sagte:

„Jest singen wir das credo.“

Bei der Rückkehr in das Haus zog er einen Schwager an sich und sagte leise: ,,Jezt ist es gut. Wenn es nicht gut geworden wäre, dann hätten wir das credo fingen müssen.“

Mitunter glaubte er Gott und den Teufel zu sehen und dann in der Hölle zu braten. Vor zwei Jahren weckte er in der Neujahrsnacht eine Frau und bat fie, mit nach E. in die Kirche zu gehen, sonst sei er ewig verloren. Die Frau ging auch anderen Morgens mit, doch konnte der Pfarrer die Beichte nicht gleich entgegennehmen und bat ihn später wieder zu kommen. Dies geschah; in der Kirche bekam er bei der Wandlung einen Anfall und rief laut:

„Es beugen sich Alle vor dem König aller Könige."

Ein anderes Mal kam er zu Verwandten, zerstörte die Pumpe und begoß sie

mit Petroleum; dabei erklärte er:

"

ich bin Pumpenmacher und muß die Pumpe repariren."

Während des Brandes, der nach dem Resultate der geführten Untersuchung ganz unbedenklich von ihm hervorgerufen ist, lag er auf einem Bette im brennenden Hause und schlief; trok Weckens stand er nicht auf, sondern erklärte nur:

„Mutter und Schwester könnten das Feuer löschen.“

Kurze Zeit nachher wurde er im Hinblick auf die drohende Gefahr aus dem Hause getragen.

Nach dem Brande zeigte er sich ganz verwirrt und sagte seinen Verwandten: „sie hätten sich unnöthige Arbeit gemacht, sie hätten das Feuer sollen ruhig brennen lassen.“

Nach dem Gutachten des Sachverständigen, welcher den Angeschuldigten im Gefängniß wiederholt beobachtet und gesprochen hat, leidet derfelbe an religiöser Ueberspannung und ist sehr gemeingefährlich.

Der Erste Staatsanwalt.

Wegen des Verfahrens bei Anträgen auf Entmündigung vgl. Daude und v. Marck, die StAschaft 1884.

Bweiter Abschnitt.

Die Anklageschrift.
§ 75.

Borbedingungen für die Anfertigung der Anklageschrift.

§ 198 StrPrOrdg. v. 1. Februar 1877 (RGBI. S. 253).

- Löwe, Kommentar (1892) S. 504-507.

v. Marck, Die Staatsanwaltschaft, Berlin 1884, S. 354 ff. — Dalcke, Strafrecht u. Strafprozess, Art. 40 Geschäftsanweisung für die Amtsanwälte v. 28. Aug. 1879 (JMBI, S. 260).

S. 124.

1. Das Gesetz unterscheidet zwei Arten der Anklageschrift, nämlich mit oder ohne Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der stattgehabten Ermittlungen. Ueberflüssig ist diese Aufnahme in den Sachen, welche vor den Schöffengerichten zur Aburtheilung gelangen, nothwendig dagegen in allen übrigen (Abs. 2 § 198 a. a. D.) An= klageschriften.

2. Gemeinsam ist allen Anklageschriften die Angabe der:

1. dem Beschuldigten zur Last gelegten That unter Hervor= hebung ihrer gefeßlichen Merkmale,

2. des anzuwendenden Strafgesetes,

3. der Beweismittel und

4. des zuständigen Gerichts.

3. Irgendwelche Form für die Anklageschrift ist indeß nicht vorgeschrieben, namentlich auch nicht für die Reihenfolge der Formel und der Beweismittel. Ueber die Art und Weise, wie die wesentlichen Ergebnisse der stattgehabten Ermittlungen anfzunehmen sind, bestehen gleichfalls keine allgemeinen Regeln. Sie ergeben sich indeß von selbst aus der allgemeinen Erwägung, daß die Anklageschrift lediglich für das Gericht und den Beschuldigten bestimmt ist: Leßterer soll aus der Darstellung der stattgehabten Ermittlungen in thatsäch= licher und rechtlicher Beziehung ersehen, was ihm zur Last gelegt wird und wie der Beweis geführt werden soll. Das Gericht erhält außer= dem durch eine ausführliche Anklageschrift die nothwendige Uebersicht für die Beschlußfassung über Eröffnung des Hauptverfahrens.

Von diesem Gesichtspunkte aus kann sich im einzelnen Falle eine längere oder kürzere Darstellung empfehlen: stets aber zeige sie Sorgfalt in der äußeren Anordnung, präcise Ausdrucksweise und Zuverlässigkeit in der Darstellung!

4. Neben der Aufführung der Belastungsmomente wird auch eine Angabe der Entlastungsmomente, sowie die Art oder der Inhalt der Vertheidigung des Beschuldigten Berücksichtigung finden müssen. Die bloße Wendung „der Beschuldigte erscheint troß seines Leugnens überführt“ genügt in größeren, namentlich Schwurgerichtssachen, nicht.

5. In Schwurgerichts- und größeren Strafkammersachen sind am Rande der Darstellung die Beweismittel, wenigstens durch Angabe der Blattzahlen, aufzunehmen, in der Zeugenliste überdies ein Vermerk der etwa stattgehabten Beeidigung.

6. Auf die Abfassung der Anklageformel ist besondere Sorgfalt zu verwenden. Nicht bloß Ort und Zeit der That sind in der Formel genau anzugeben, sondern auch jedes einzelne Merkmal des anzuwendenden Strafgesetes: zur Vermeidung einer unrichtigen oder unvollständigen Angabe ist daher das jedesmalige Aufschlagen und Nachlesen des anzuwendenden Strafgesetes geboten. Die Aufnahme concreter Thatsachen oder sonstiger genauer Beziehungen, z. B. der Schimpfworte, wird sich namentlich dann empfehlen, wenn die Ergeb

Krobiksch.

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nisse der Ermittlungen nicht besonders dargestellt werden, also in allen Sachen, welche vor den Schöffengerichten zur Verhandlung gelangen.

7. Vor sorgfältiger und zweifelsfreier Feststellung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere der etwaigen Militärverhält= nisse und Vorstrafen darf endlich keine Anklageschrift erpedirt und an das Gericht abgesandt werden!

Art. 40 Geschäftsanweisung: In die Anklageschrift ist aufzunehmen:

1. eine genaue Bezeichnung des Angeschuldigten, unter Angabe seines Wohnortes und Alters, seiner Vorbestrafungen und seines militärischen Verhältnisses.

...

Die genaue Kenntniß aller dieser Verhältnisse ist erforderlich: a) zur Anklageerhebung gegen die richtige Person; b) für die Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts;

Personen des Soldatenstandes unterstehen der Militärgerichtsbarkeit, in bestimmten Sachen auch Civilpersonen (vgl. oben §§ 23-26). Personen unter 18 Jahren können nur im Falle des Zusammenhanges (§ 298 StrPrOrdg. u. § 73 Nr. 3 GerVerfGes.) von dem Schwurgerichte abgeurtheilt werden; stehen sie allein, so gehören sie niemals vor das Schwurgericht. Personen vor zurückgelegtem 12. Jahre können nicht strafrechtlich verfolgt werden (§ 55 RStrGB. u. oben § 21). Rückfällige Diebe und Betrüger im Sinne der §§ 244, 264 RStrGB. können niemals vor das Schöffengericht gestellt werden, selbst wenn das Objekt unter 25 Mark beträgt.

c) für die zu machenden Mittheilungen bei Erhebung der öffentlichen Klage (§ 78), bei Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 80) und bei Rechtskraft des Urtheils (§ 94).

Die persönlichen und militärischen Verhältnisse, sowie das Alter ergeben sich regelmäßig aus den Personalattesten, welche bei Einleitung jedes einzelnen Verfahrens von der StAschaft eingefordert werden (oben § 35), falls sie von den Polizeibehörden den Verhandlungen noch nicht angeschlossen sind.

Falls der Personalbogen das Militärverhältniß (Reservist, von 1893 bis 1895 beim Schlef. Huf.Regt. Nr. 2c. gedient und beim Bez.Komm. zu 2c. controlirt) nicht genau angiebt, so ist der Bogen zur Ausfüllung zurückzusenden. Falls die Polizeibehörde eine Person, welche das militärpflichtige Alter erreicht hat, als nicht im Militärverhältniß stehend bezeichnet, so ist auch der Grund des Ausscheidens aus dem Militärverhältniß (Ausschließung, Ausmusterung u. s. w.) von der Polizeibehörde anzugeben, event. nachträglich festzustellen, sofern nicht schon mit Rücksicht auf das Lebensalter anzunehmen ist, daß der Angeschuldigte nicht mehr in Militärverhältnissen steht.

Derfüg. des Oberstaatsanwalts zu Cöln v. 1. februar 1882, Nr. 705.

Zur Vermeidung der Nachtheile, welche bei ungenügender Feststellung des Alters durch Anrufung eines unzuständigen Gerichts entstehen müssen, ist bei allen Beschuldigten unter 19 Jahren noch ein Auszug aus dem Geburtsregister des Standesamts heranzuzichen.

Eine sichere Ermittlung der Vorstrafen, welche bei sog. Rückfällen (§§ 244, 250 Nr. 5 u. 264 RStrGB., § 7 des Ges. betr. den Forstdiebstahl, v. 15. April 1878 (GS. S. 222) und § 3 Feld- und Forstpolizeiges. v. 1. April 1880, GS. S. 230) eine besondere Bedeutung haben, ist nur möglich durch Heranziehung eines Auszuges aus dem Strafregister derjenigen StAfchaft, in deren Bezirk der Beschuldigte geboren ist; überdies führen diese Anfragen nicht selten zur Ermitt lung steckbrieflich verfolgter oder sonst verborgener Verbrecher (oben § 15).

8. Der Heranziehung der entstandenen Voracten über frühere gerichtliche Bestrafungen bedarf es in der Regel nicht. Nothwendig ist jedoch die Einsicht und Prüfung bei rückfälligen Verbrechern zur näheren Feststellung des Rückfalles. Ferner können die Voracten als Beweismittel in Betracht kommen bei gewohnheitsmäßigen Einbrechern, bei Taschendieben und bei Verbrechern wider die Sittlichkeit, weil überall Gleichartigkeit bei Ausführung der That vorliegt.

9. Endlich ist vor Erhebung der Anklage in bestimmten Sachen zu berücksichtigen:

a) bei Preßerzeugnissen wegen Majestätsbeleidigung ist vor Erhebung der Anklage durch den Oberstaatsanwalt Anzeige zu erstatten (Ziffer 4a § 61);

b) ebenso ist bei Beleidigungen der Reichs- und Staatsbehörden zu berichten (Ziffer 4b § 61);

c) bei Verfolgung eines Civilbeamten wegen einer in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amts vorgenommenen Handlung oder Unterlassung ist die Central- und die ProvinzialBehörde zur Erhebung des Competenz-Conflicts befugt.

Ges. v. 13. febr. 1854 (S. 86) u. v. 8. April 1847 (S. 170).

Vor förmlicher Erhebung der Anklage empfiehlt sich daher Uebersendung der Verhandlungen mit Entwurf der Anklage und Anfrage, ob etwa der Competenz-Conflict erhoben wird. Im Bejahungsfalle vgl. § 4;

d) bei Zweifeln, ob gegen einen Justizbeamten wegen Amtsvergehens strafrechtlich oder disciplinarisch einzuschreiten ist, insbesondere auch gegen Gerichtsvollzieher wegen Strafthaten gegen § 348 RStrGB., ist der Sachverhalt vorzutragen.

Verfüg. des Oberstaatsanwalts zu Cöln v. 5. Juni 1883, Nr. 4026.

$ 76.

Beispiele der Anklageschrift für Schöffengericht und Strafkammer. Aus der Berücksichtigung vorstehender Gesichtspunkte ergeben sich folgende Beispiele für Anklageschriften in

A. Schöffengerichts-Sachen.

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