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Freisprechung von der Schülerschaft und Ertheilung der Meisterwürde gibt. Lasse man immerhin ungraduirte oder niedrig graduirte junge Männer ihr Glück als Docenten gleich nach Beendigung der Studienjahre versuchen; haben sie sich dann durch wissenschaftliche Leistungen und Lehrgabe als tauglich erhibirt, so promovire man fie zu Doctoren. Aber mit dieser Meistererklärung muß auch der Eintrit in die Facultät als berechtigtes Mitglied verbunden sein und das führt uns auf Wiedereinführung des Inftitus der Doctores adscripticii oder Adjuncten. Die Facultät muß das Recht haben, Mitglieder zu cooptiren und jeder Dr. rite promotus berechtigt sein, Aufnahme in die Facultät zu verlangen. Wir erhalten dann wieder drei Classen von Lehrein: die Doctores ordinarii mit öffentlichem Lehramt, die Doctores adiuncti mit vollem Lehrrecht, die privatim Docentes (Baccalaurei oder wie man sie sonst nenen will) mit dem Recht, sich durch Lehren auf das Lehramt vorzubereiten oder als gehörig vorbereitet zu erhibiren. Der Stellung der Universitäten als Staatsanstalten wird dadurch kein Eintrag gethan, den Hauptstamm der Facultäten werden thatsächlich doch immer die ordentlich angestellten Lehrer bilden und eben dadurch, daß diese der Staat mit aller Ueberlegung wählt, kann er dem vorbeugen, daß durch unüberlegte oder aus engherzigen Interessen hervorge gangene Cooptationen die Facultäten resp. Universitäten Personen in sich aufnehmen, denen entweder das Bewußtfein der Verantwortlichkeit eines öffentlichen Lehrers oder die Fähigkeit dazu abgeht. Noch einen Vortheil würde die Wiedereinführung der Adjunctur gewähren: Wenn wohlverdiente Männer actis laboribus ihren Lebensabend dazu verwenden wollten, als akademische Lehrer

zu wirken, würde man nicht, wie schon vorgekommen, in Verlegenheit gerathen, was für eine Stellung der Universität gegenüber ihnen einzuräumen sei.

Der Hauptunterschied zwischen der mittelalterlichen und der vorgeschlagenen Facultätenverfassung aber möchte darin bestehen, daß die moderne Facultät ihrem Charakter als Staatsanstalt gemäß immer ihren Stamm in den vom Staat angestellten öffentlichen Lehrern haben würde, welche die Facultät zurückweisen nicht berechtigt ist, während die alte freie Corporation durch das absolute Recht, sich selbst zu ergänzen und einen Aufgedrungenen nicht dulden zu brauchen vor äußerer Einwirkung gesichert nur zu leicht in starre Abgeschlossenheit und widrigen Zunftsinn versank.

Anmerkungen.

1) Statuta facultatis iureconsultorum Vitebergensium a. 1508 compostia edidit etc. I. G. Theod. A. A. Muther, V. I. D. et P. P. O. Reg. Pruss. a. d. MDCCCLVIII. Prostant apud Salomonem Hirzel bibliopolam Lipsiensem. 8vo.

2) S. über ihn Muther in der Zeitschr. für Rechtsgeschichte IV. S. 408 und den dort citirten Joh. Voigt, Briefwechsel S. 408.

III.

Politische und kirchliche Reden aus dem Anfange des 16. Jahrhunds.

Wer das Große begreifen will, darf das scheinbar Geringe nicht mißachten. Besonders in Zeiten mäch tiger Umgestaltung, wo die Jahrhunderte lang eingehaltenen Bahnen verlaßen und noch unbetretene Richtungen eingeschlagen werden, wo das Alte wankt und Neues gewaltig sich erhebt, sind es häufig in ihren Anfängen `bedeutungslos. scheinende oder äußerlich andere Ziele verfolgende geistige Regungen mit rüstigem Ringen nachh frischen Gedanken und freieren Formen, welche die Uebergänge vorbereiten und vermitteln, so daß leßtere bloß dem stumpfen Blick rasch, plößlich und unerwartet erscheinen, dem tiefer eingehenden Beschauer aber nicht entgeht, wie die geistige Umwälzung meist vollendet war, als die That siegreich in's Leben trat.

Auch die großen Ereignisse, welche in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts Deutschland sich zutrugen, fündigte eine bewegungsvolle Vorbereitungszeit an. Nur durch ihre sorgfältige Betrachtung gelingt es, die Reformation richtiger aufzufassen, als es gewöhnlich geschieht. Will man die Großthat derselben lediglich in

Polit. u. kirchl. Reden aus dem Anfange des 16. Jahrh. 65

der Kirchenverbesserung sehen, so schlägt man ihre welthistorische Stellung zu niedrig an, denn jene ist nur einem kleinen Theil der Christenheit zu Gute gekommen, sie blieb zwar nicht, wie ihr vorgeworfen worden ist auf halbem Wege stehen, aber ihr Endergebniß mag doch eher eine Kirchenspaltung als eine großartige Wiederherstellung der gesammten christlichen Kirche an Haupt und Gliedern genannt werden. So suche und finde ich denn die wahre Bedeutung der Reformation auch in etwas Anderm, nämlich in der geistigen Befreiung Deutschlands von der absoluten Herrschaft Italienischer Wissenschaft, oder, um weniger concret zu reden, in dem Sturz der Romanischen Raçe mit einer ihrer gemischten Anlage entsprechenden Denkweise und Bildung und der Erhebung rein germanischer Völker auf den Herrscherstuhl im Reich des Wissens und Könnens.

Das zu beweisen und im Einzelnen auszuführen würde in dieser kurzen Stunde nicht möglich sein. Aber ich will aus der Vorbereitungszeit jener großen geistigen Umwälzung Einiges mittheilen, was meine Behauptung stüßt, aber auch zeigt, wie weit die innere Fertigkeit der deutschen Nation gediehen war, als die That kam und wie die lettere kaum richtig beurtheilt werden mag, wenn man die Vorbereitung übersieht.

Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts gab es noch keine Journale mit langathmigen Leitartikeln und politischen Raisonnements. Liegt uns daran, die damalige öffentliche Stimmung aus unmittelbarer Quelle kennen zu lernen, so sehen wir uns von den Hülfsmitteln verlassen, deren Benußung freilich auch für jüngere Epochen nur mit Vorsicht und scharfer Kritik statthaft ist. Dagegen besißen wir aus jener Zeit eine Reihe

von Gelegenheitsreden, die theils vor hohen Personen, theils bei academischen Festen 2c. gehalten, zwar nur selten gleichzeitige Ereignisse direct berühren, überall aber tendenziös erscheinen. Sie sind wie ich glaube, für den gedachten Zweck noch zu wenig benüßt. Doch je unbekannter sie blieben, desto mehr halte ich es für angemessen, einige Proben damaliger Wissenschaftlicher Vorträge für gemischtes Publicum“ — denn damit sind unsere Reden vergleichbar — vorzulegen.

Von dem alten Schul- und Aberwih, von der systematischen Mönchsverdummung, welche vor der Refor= mation auf deutschen und außerdeutschen Universitäten herrschte, wird zwar von Vielen gesprochen, aber nur Wenige haben davon eine deutliche concrete Vorstellung. Und es ist nicht leicht ́sich diese zu verschaffen. Wir sind daran gewöhnt, daß über erkannte oder nicht erkannte Wahrheiten selbst, über Gedanken ihrem Inhalte nach gestritten wird. Solche Disputirweise war dem Mittelalter und der nächstfolgenden Zeit fremd. Die Sache trat in den Hintergrund gegenüber der Form, es kam einzig und allein darauf an, durch gewandte Handhabung dialectischer Künste den Gegner aus dem Sattel zu heben, das materielle Resultat des Streites blieb gleichgültig. Daher auch die Erscheinung, daß oft über die geringfügigsten Lappalien mit der größten Heftigkeit verhandelt wurde. Das ganze Denken war etwas rein Formelles, man strebte nicht darnach, den Gedanken der äuBern objectiven Erscheinung adäquat zu machen - was nur durch sorgfältige Beobachtung der Letteren geschehen kann, — man war zufrieden auf Grund, dessen, was irgend eine Autorität ausgesprochen hatte, Syllogismen zu bauen und war die Form geglückt, so kümmerte sich

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