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§ 21.

Allgemeines Wesen der Völkerrechts-Quellen.

Bulmerincq (In Mar

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F. v. Martens, Fiore, Trattato di Sandonà, Trat

Literatur: Puchta, Gewohnheitsrecht (1828), Bd. I, S. 143 ff. Adices, Zur Lehre von den Rechtsquellen. 1872. v. Holzendorff in seiner Encyklopädie (4. Aufl.), S. 1202-1215. C. Bergbohm, Staatsverträge und Geseze als Quellen des Völkerrechts. Dorpat 1877. quardsen's Handbuch des Völkerrechts), I, 2. S. 187. Völkerrecht (Ausgabe von Bergbohm), Bd. I, § 43. diritto internazionale (Torino 1879) I, §§ 216-231. tato di diritto internazionale moderno. limore, Commentaries Bd. I, § 17 −33. of jurisprudence. 2. ed. 1882. S. 46 ff. on Law (1884) § 42-66. I, liv. I, s. 1.

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Firenze 1870. pag. 10. PhilFr. E. Holland, Elements F. Wharton, Commentaries C. Calvo, Droit International (3. ed. 1880)

Die Lehre von den Völkerrechtsquellen bietet mancherlei theoretische und praktische Schwierigkeiten, deren Entstehung und Verbreitung schon in dem allgemein üblichen Gebrauche eines bildlichen Ausdruckes begründet liegt. Wie jede Quelle einerseits einen sichtbaren Anfang des Wasserlaufes bedeutet, andrerseits aber auch darauf hinweist, daß aus unsichtbaren, nothwendig wirkenden, physicalisch zu erforschenden Ursachen der Feuchtigkeitsansammlung an einzelnen Stellen des Erdinneren die Quelle ihrerseits erzeugt wird, bevor sie zu Tage tritt, so seht jede Rechtsquelle das Wirken einer vor ihr gelegenen und nach ihrem sichtbaren Hervortreten fortdauernden Rechtsidee voraus. 1)

Völkerrechtsquelle im wahren Sinne ist somit ein zu bestimmten Handlungen oder Unterlassungen dauernd verpflichtender und möglicher Weise erzwingbarer allgemein erkennbarer Act einer vom oder im Staat als herrschaftsberechtigt anerkannten Macht. Ob dieser Act, für sich allein genommen, der im Allgemeinen leitenden Rechtsidee entsprechend ist, kommt für sein Dasein und seine unmittelbar verpflichtende Kraft nicht in Betracht.

Die Rechtsidee wurde Jahrhunderte hindurch mit der Rechtsquelle, deren Ursache sie darstellt, verwechselt: eine Thatsache, die nicht auffallen kann,

wenn man erwägt, daß sog. göttliches und menschliches Recht fast überall mit einander vermengt werden, so lange Religionsurkunden als Gesetzbücher angesehen wurden.

Dieser Art war die Verwechselung, von der auch Grotius nicht freigesprochen werden kann, wenn er leges divinae und natura neben den mores und pacta als gleichgeltende Rechtsquellen verzeichnet, während doch die religiöse, durch den Glauben angenommene Qualität einer Rechtsnorm nur geeignet erscheinen könnte, deren ideellen Gehalt und Werth zu er= höhen.

Auf derselben fehlerhaften Grundlage beruht die von Sir Robert Phillimore gebilligte, dem XVIII. Jahrhundert angehörige Erklärung der Englischen Staatsregierung, wonach Gerechtigkeit, Billigkeit, Zweckmäßigfeit (convenience) und sachgemäße Vernunft (reason of the thing) als Rechtsquellen anerkannt werden, sofern ihnen Bestätigung durch langjährigen Gebrauch zu Theil wurde.2)

Was hier als Rechtsquelle bezeichnet wird, ist nichts anderes, als ein Hinweis entweder auf den inneren Rechtfertigungsgrund der positiven Rechtssehung oder auf die äußeren Mittel der Rechtserkenntniß. Als ein zweiter, stets sich wiederholender, seit dem klassischen Alterthum vorkommender Irrthum in der Lehre von den Rechtsquellen erscheint die Verwechselung der Willensäußerungen bestimmter Herrschergewalten mit denjenigen Urkunden, durch die entweder der streitig gewordene Inhalt oder sogar die Existenz einer Willensäußerung unter Umständen dargethan werden muß. Rechtsquelle und Beweisungen oder Auslegung einer Rechtsquelle werden alsdann identisch genommen, was um so weniger auffallen kann, als im weiteren Sinne die Urkunden der Gesetzesterte auch ihrerseits als fontes juris angesehen und bezeichnet wurden d. h. als Quellen der Rechtserkenntniß, Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. 3)

Urkunden schlechthin, welche das historische Vorhandensein einer bestimmten Rechtsquelle bezeugen, können jedoch als Rechtsquellen im eigentlichen Sinne nicht angesehen werden. Ihnen fehlt möglicherweise die Bedeutung, welche das moderne Verfassungsrecht und die Ueberlieferung der Jurisprudenz der Publicationsweise geschriebener Geseze von jeher beigemessen hat.

Aus der Lehre von den Quellen des positiven Völkerrechts muß daher Alles dasjenige ausgeschieden werden, was sich auf den idealen Gehalt des Völkerrechts bezieht und sodann auch dasjenige fern gehalten werden, was lediglich die Anwendung, Erklärung oder Nachweisung einer bereits vorhandenen Völkerrechtsquelle betrifft.

Handelt es sich um die Bethätigung einer für ihre Willensacte Rechtskraft wirkenden, anerkannten staatlichen Herrschaftsgewalt, welche die ihr unterworfenen Personen zum Gehorsam nöthigt, so erkennt man auch den Unterschied zwischen den Quellen des Völkerrechts und denjenigen aller anderen Rechtsmaterien.

In negativer Richtung steht fest, daß kein Volk anderen neben ihm bestehenden Völkern Rechtsvorschriften ertheilen kann und eine gefeßgebende Gewalt außerhalb der einzelnen Völker nirgends anerkannt ist.

Das Wesentliche in der Entstehung der Völkerrechtsnorm ist deswegen nicht die Bethätigung einer organisirten Gewalt, die im Stande wäre, durch ihre Machtmittel Gehorsam zu gebieten, sondern umgekehrt die freiwillige Unterwerfung höchster im Staat wirkender Machtorgane unter die Herrschaft einer außerhalb ihrer Machtsphäre entstehenden oder bereits vorhandenen Norm, deren Nothwendigkeit einleuch= tend geworden ist.4)

Wie innerhalb eines und desselben staatlichen Gebietes durch den Willen des Gesetzgebers oder durch die Macht örtlich begränzter Gewohnheit verschiedene Rechtsnormen für bestimmte Gesellschaftsklassen oder räumliche Bezirke gesetzt sein können, so ist es ebenso möglich, daß in der Gesellschaft selbständiger Staatskörper ein gemeinsames oder einheitliches Recht sich auf dem Wege der Unterwerfung aller einzelnen, dabei in Betracht kommenden Rechtsgenossen erzeuge. Durch den modernen Begriff der Rechtseinheit, die durch centralisirte Machtmittel und den mit einheitlicher Rechtsprechung verknüpften Gesetzgebungsapparat für die Culturstaaten geweckt wird, darf man sich also in der Auffassung und Beurtheilung der Völkerrechtsquellen nicht beirren lassen.

Jede im Staate für das Volk Recht sehende Macht beruht in ihrem legten Fundamente auf einer unterlassenen Bethätigung der im Volkswillen möglichen Freiheit, das Gegentheil zu wollen.

Und andererseits hinwiederum beruht jede für den Staat außerhalb seiner Gränzen wirkende Thätigkeit der Rechtsetzung auf einer in der stillen Macht weltgeschichtlicher Verkehrsverhältnisse liegenden Nöthigung zur freiwilligen Unterwerfung, deren Beweggründe sich im Bewußtsein der Nationen sehr verschieden reflectiren können. In Berücksichtigung dieser Umstände muß der gelegentlich in der Literatur (auch bei Heffter und Bluntschli) vorkommende Ausdruck Völkergefeße“ für Völkerrechtsnormen oder Völkerrechtsquellen als irreführend gemißbilligt werden, soweit damit ein positives Herrschaftsverhältniß und nicht etwa das Entwickelungsgesetz der völkerrechtlichen Beziehungen in der Geschichte gemeint sein soll.

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Das wahre und entscheidende Merkzeichen aller Völkerrechtsquellen ist somit ursprüngliche Autonomie und Freiheit der Staaten, welche bestimmte Grundsäße des Verhaltens gegen andere Staaten als dauernd nothwendige und bleibende Bestandtheile ihrer Rechtsordnung aus eigener Entschließung sich aneignen. In diesem Sinne genommen ist es richtig, wenn Heffter das Völkerrecht das freieste Recht nennt.

Indem Staat und Staatsgewalt sich selbst unter ein allgemeines Verkehrsgesetz der Nationen unterwerfen, wird auch nothwendig eine Rechtsnorm gesezt, die auf die inneren Verhältnisse jedes einzelnen so unterworfenen

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Landes fortwirkend die Bedingung der Befolgung und des Gehorsams gegen= über solchen in sich trägt, die ihrerseits der Staatsgewalt unterstehen. Wāhrend die Staatsgewalten durch eigenen Willen unmittelbare Unterthanen der Völkerrechtsordnung geworden sind, unterstehen ihr die einzelnen Menschen und Staatsangehörige gleichsam in der Eigenschaft mittelbarer Unterthanen.

1) Ueber den dogmengeschichtlichen Verlauf der Lehre von den Völkerrechtsquellen s. Bulmerincq a. a. D. S. 189. Bulmerincq selbst entfernt sich von der richtigen Aufsassung, indem er dem Herkommen und den Staatsverträgen die Eigenschaft einer Völkerrechtsquelle bestreitet. Als solche will er nur „internationale Rechts überzeugung“ gelten lassen: ein Ausdruck, der zu mancherlei Zweifeln führen muß. — Eine Rechtsüberzeugung, die nicht als Gewohnheit oder Vertragsschluß zur Erscheinung kam oder sichtbar wurde, kann als Rechtsquelle ebenso wenig erachtet werden, wie eine im Innern der Gebirge oder in einem Bergwerke vorhandene Wafferader als Quelle zu bezeichnen sein würde.

2) S. R. Phillimore a. a. D. § 20: The Law of Nations is founded upon justice, equity, convenience and the reason of the thing, and confirmed by long usage. Im Uebrigen steht S. R. Phillimore noch heute auf der Grundlage der von Grotius gegebenen Quellenlehre: States are therefore governed in their mutual relations partly by divine and partly by positive Law. Divine Law is either 1, that which is written by the finger of God on the heart of man, when it is called Natural Law; or 2, that which has been miraculously made known to him, when it is called revealed or Christian Law. Troßdem nimmt Phillimore an, daß das Völkerrecht (soweit es Naturrecht?) auch nicht christliche Staaten verpflichte (a. a. D. § 28). Moderne Italiener sind skeptischer und verzichten zwar auf die Quellen des jus divinum, seßen aber an dessen Stelle die „internationale Moral". So Fiore tratato I, § 219.

3) Cicero de orat. II, 27 zählt nebeneinander auf: tabulae, testimonia, pacta conventa, quaestiones, leges, senatus consulta, res judicatae, decreta, responsa. In neuerer Zeit findet sich eine ähnliche Substitution der Begriffe. Fiore (a. a. D. I, 223) rechnet diplomatische Korrespondenzen zu den „Rechtsquellen“.

4) Eine Analogie zu diesem Verhältniß bietet das Lehnrecht. Als Herrschaftsverhältniß kann es durch die Besißmacht des Lehnsherrn, ebenso wohl aber durch freiwillige Auftragung des Grundeigens zum Lehn von Seiten desjenigen ins Werk gesezt werden, der sich freiwillig unterordnet. Der moderne Culturstaat macht sich selbst und seine Machtmittel zum Vasallen einer menschheitlichen Rechtsordnung.

§ 22.

Uebersicht und Eintheilung der Völkerrechtsquellen. Literatur: Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht. §§ 33—36. Bier: ling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe (Greifswald 1883.) Bd. II, S. 22 ff. — F. Wharton, Commentaries on Law (1884) §§ 42–65.

Die Recht erzwingende Gewalt, deren äußerlich wahrnehmbare Willensbethätigung als Quelle von Befugnissen und Verpflichtungen wirkt, braucht nicht mit mechanischen Werkzeugen der vollziehenden Macht ausgerüstet zu sein. Auch ohne solche kann sie Gehorsam finden.

Als ursprünglichste Herrschergewalt in der menschlichen Gesellschaft erscheint überall die unmittelbare Macht der Gemeinschaft im Verhältniß zu der Besonderung des einzelnen Menschen in eigenen Thätigkeitskreisen. Diese Macht der Gemeinschaft, im bürgerlichen Verkehr der Individuen und im inneren Leben der modernen Staaten mehr und mehr zurücktretend hinter die mechanisch zwingende Gewalt höchster Gesetzgebungsorgane, erweist sich im Staatenverkehr fortwährend wachsend. Ihre Forderungen bilden einen wesentlichen Inhaltsbestandtheil im Rechtsbewußtsein der Nationen und in der allgemeinen Rechtsordnung der Staaten. Nur darf man sich nicht vorstellen, daß ein Rechtsbewußtsein an sich genommen bereits die Qualität der Rechtsquelle habe.

Je nach der Erscheinungsform der dem internationalen Verkehr inne wohnenden Macht der Gemeinschaft sind die Quellen des Völkerrechts verschieden. Sie erscheinen entweder:

1. als unmittelbare überall da, wo die Staaten übereinstimmend durch ihr wechselseitiges Verhalten im auswärtigen Verkehr die Unterwerfung unter die Herrschaft solcher Gemeinschaftsordnung vollzogen und bestätigt haben;

2. als mittelbare überall da, wo die Staaten ihren rechtlichen Willen in bestimmten, aus allgemein rechtlicher Ueberlieferung abgeleiteten Formen historisch beurkunden, oder solche Rechtspflichten neu schaffen, die ohne ausdrückliche Festsetzung nicht construirt werden können.

Als unmittelbare Rechtsquellen sind: Anerkennung und Gewohnheit, als mittelbare: Landesgeseße und Staatsverträge zu erachten, wobei freilich vorausgesezt wird, daß den Landesgesehen besondere Eigenschaften inne wohnen müssen, wenn deren Wirkungen über die territorial beschränkte Competenz des Gesetzgebers hinausreichen sollen. Das international wirkende Landesgesetz ist von dem nur staatlich nationalen Landesgesetz wohl zu unterscheiden.

Anderweitige Quellen, d. h. Entstehungsgründe des positiven Völkerrechts, giebt es nicht. Wohl aber kann eine Rechtsregel aus einer Vereinigung oder einem Zusammenwirken mehrerer Recht erzeugender Quellen ebenso hervorgehen, wie die Erdkunde Ströme kennt, deren unter einen einzigen Namen vereinigte Gewässer von vornherein aus einer Mehrheit näher bei einander ge= legener Quellen entspringen und schließlich in einer Mehrheit von Armen dem Meere zuströmen. In dieser Hinsicht würde es zulässig sein, einfache Völkerrechtsquellen und Quellenverbindungen zu unterscheiden. Schon hier darf auf die Möglichkeit hingewiesen werden, daß dasselbe Recht, welches für eine

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