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Verträge und Gewohnheiten der Europäischen Staaten in kurzen Säßen zusammenzufassen, und dieselben mit möglichst zahlreichen und ausführlichen Beispielen zu belegen."'*)

Zu einem wirklichen wissenschaftlichen System indessen hat er sein Völkerrecht nicht gestaltet: diese Aufgabe war dem allgemeiner und höher durchgebildeten Martens vorbehalten.

Moser's Gelehrsamkeit war, wenn auch vielleicht nicht sehr tief, so doch jedenfalls ungemein ausgedehnt. Mit sämmtlichen Thatsachen und Ereignissen der neueren Zeit, mit den kleinsten Einzelheiten des Staatsrechts und des Staatswesens war er durchaus vertraut. Seine Belesenheit war wunderbar, wie seine Arbeitskraft, die im höchsten Alter ungeschwächt blieb. 5)

1) Moser von Filsed und Weilerberg.

2) Er hatte bereits viel geschrieben. Die Liste seiner Schriften bei Weidlich zeigt bis 1736 61 Nummern.

3) Ueber die Staats- und Kanzlei-Academie: „Wiederholte Noth von einer Staatsund Tanzley - Akademie oder Einer näheren Anleitung und Zubereitung junger, von Universitäten oder Reisen kommender Prinzen, Grafen, Kavaliers und anderen Personen, zu der Europäischen, besonders der Teutschen Staatsklugheit, zu dem jezt üblichen Europäischen Völkerrechte in Friedens- und Kriegszeiten, zu den neuesten Europäischen, insonderheit der Teutschen Staatsangelegenheiten, zu allen Arten von Staats- und Tanzley-Auffäßen, und zu der in einem wohlgeordneten Canzley-Collegio, auch bey Congressen, Conferenzien u s. w. üblichen Handelsweise". Hanau 1749. Dann noch drei Schriften vom selben Jahre als „Nähere Anzeigen“ der „Teutschen Staatssachen', der „Europäischen Staatssachen“, und der „Canzleysachen“, welche in der „Moserischen Staats- und Canzley-Academie“ (1, 2, 3. Klasse) abgehandelt werden.

Die Academie überlebte Moser's Abgang nicht. Mit dieser Schöpfung lassen sich vergleichen die Academie, welche Torcy in Paris gegründet hatte, und theilweise die in Straßburg von Koch und in Göttingen von Martens geleiteten Anstalten zu practischen Uebungen. Andere, entfernt verwandte Zwecke verfolgt die achtungswerthe jezige École libre des sciences politiques in Paris.

4) Mohl, Bd. II, S. 413.

5) Gute Charakteristik von Moser bei Ompteda, S. 356; bei Kaltenborn, S. 91. Ueber Moser's System oder Systemlosigkeit, Bulmerincq, Systematik, S. 41.

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Einige jüngere Zeitgenossen von Moser sind hier zu nennen, welche in ihren völkerrechtlichen Leistungen mehr oder minder unter seinem Einflusse standen. Vorerst der berühmte Vater der Statistik, Moser's Schwiegersohn, Gottfried Achenwall, 1719 1772, 1746 Privatdocent in Marburg, 1748 Professor zu Göttingen, - und zwar nicht sowohl wegen seiner berühmten, seit 1750 acht mal aufgelegten »Elementa juris naturae et gentium«, obschon er schon in diesem Werke, worin er Pütter zum Mitarbeiter hatte, neben dem Innehalten, im allgemeinen, des Thomasianischen rechtsphilosophischen Standpunktes die Existenz des positiven Völkerrechts bestimmt ausspricht, als wegen seines erst nach seinem Tode, 1775 veröffentlichten kurzen Grundrisses » Juris gentium Europaearum primae lineae«. Leider ist es nur ein Bruchstück, enthaltend außer einer Abhandlung über jus gentium practicum generatim einige Stücke aus dem jus pacis, nämlich die observantia gentium circa conservationem et libertatem rei publicae, circa dignitatem rei publicae, circa territorium rei publicae, circa maria. Es foll practisches Völkerrecht sein, beruhend auf consuetudines communes plurimis gentibus receptae. Sehr begreiflicher Weise ist Achenwall dem philosophischen Elemente nicht so fremd als Moser. Er erkennt vielmehr an, daß die Philosophie auf das positive Völkerrecht einen Einfluß ausüben soll ad meliorem communium consuetudinum intelligentiam, confirmationem atque illustrationem. Wie für Moser, datirt für ihn das Völkerrecht erst seit dem Westfälischen Frieden.

In dem für höhere Publicistik damals so günstigen Braunschweig erschien einige Jahre später, 1783, ein übrigens auch unvollständiges Werk: »Principes du droit des gens Européen, conventionnel et coutumier, ou bien Précis historique, politique et juridique des droits et obligations que les Etats de l'Europe se sont acquis et imposés par des conventions et des usages reçus, que l'intérêt commun a rendu nécessaires«. (Octav, 272 Seiten mit Chiffrirtafel.) Der Verfasser, Pierre Joseph Neyron, geboren in Alt-Brandenburg 1740, aus einer Familie Französischer Réfugiés, gestorben 1806, wirkte, nachdem er in Berlin und Göttingen Theologie und Rechtswissenschaft studiert und den Erbprinzen von Braunschweig auf Reisen begleitet hatte, als Professor des Civil- und Staatsrechts und als Syndicus am 1745 gestifteten Carolinum. 1) Das Buch enthält nur Friedensrecht, und zwar mehr Vertrags als Gewohnheitsrecht. Verdienstlich ist, wie Kaltenborn, der den Titel prätentiös (?) findet, doch zugiebt,,,das Aufweisen juristischer Grundsäße in vielen Völkerverträgen, die Neyron als Belege anführt." Ompteda erblickt in dem Buche die erste systematische Ausführung des praktischen Völkerrechts, die allerdings mangelhaft ausgefallen sei; er bezeichnet den Verfasser als seinen sehr geschäßten Freund", verkennt aber die Mängel des Buches feineswegs, und kritisirt dasselbe in freimüthiger Weise. Es enthält nach ihm hauptsächlich nur eine historische Erzählung, theils der Regierungsform und politischen Beschaffenheit der Europäischen Staaten, theils des Verhältnisses und Verkehrs, in welchem dieselben unter einander in Ansehung ihrer Unter

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thanen, der an einander abfendenden Gesandten, u. s. w. stehen, und sehr selten werden aus diesem Allen Grundsätze des Völkerrechts gezogen, erläutert und erwiesen, am wenigsten aber solche... systematisch zusammengehänget.") Der 2. Band, der das Kriegsrecht enthalten sollte, ist nicht erschienen. Noch kann hier genannt werden die Einleitung in das praktische Europäische Völkerrecht" (1790) des Maynzer Professors und Raths Philipp Thomas Koehler, geboren 1763, zu früh gestorben 1799.

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Höher als die Vorgenannten steht Carl Gottlob Günther, geboren zu Lübben 1752, 1778 geheimer Registrator, 1779 geheimer Secretär und geheimer Archiv Registrator, 1790 Hofrath, 1794 Hof- und Justizrath und geheimer Referendar; geheimer Archivar, geheimer Legationsrath und Königl. Archiv Director in Dresden; gestorben 1832. Schon 1777, als angehender Beamter der kursächsischen Canzlei in Regensburg, hatte er einen Grundriß anonym drucken lassen, unter dem Titel: Grundriß eines Europäischen Völkerrechts nach Vernunft, Verträgen, Herkommen und Analogie, mit Anwendung auf die Deutschen Reichsstände" (80 Seiten Duodez, weiten Drucks), - als Vorläufer eines größeren, fast denselben Titel führenden Werkes, wovon ein erster Theil zehn Jahre später erschien (die,,Vorerinnerung" ist datirt Dresden, 13. September 1786); darin ist das,,Friedensrecht" enthalten. Fünf Theile follten folgen: Kriegsrecht, Gesandtschaftsrecht, Recht der Völkerverträge, Völkerrechts- Ceremoniell, Völkerrechtspraxis. Sie sind aber nicht zu Stande gekommen, wenigstens nicht veröffentlicht worden. Günther scheint sich dem Archivdienste gänzlich zugewandt und das Völkerrecht aus den Augen verloren zu haben. 3)

Obwohl Günther, wie schon der von ihm gewählte Titel erkennen läßt, fein reiner Positivist ist, und obschon er sich auch gegen Moser scharf ausspricht, muß doch, nach Kaltenborn's Urtheil, sein Buch für das vollständigste System des positiven Völkerrechts gehalten werden: es wird darin der positive Stoff in einer solchen Reichhaltigkeit, mit einer solchen Umsicht, mit einem so gewissenhaften, unmittelbaren Eingehen in die Quellen, mit so gründlicher Beurtheilung der wahren Natur der Verhältnisse, mit so glücklicher Benußung der bis dahin erschienenen völkerrechtlichen Literatur dargelegt."

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Günther gründet das positive Völkerrecht auf Verträge, Herkommen und Analogie. Das natürliche Völkerrecht erscheint, nach Kaltenborn's Ausspruch, ,,eine zufällige Buthat zu dem sonst in jeder Beziehung als ein wahrhaft positives System auftretenden Werke."

Das einzig veröffentlichte Friedensrecht enthält vier Bücher unter folgenden Rubriken: Bestimmungen eines freien (souveränen) Volks, der souveränen Staaten in Europa, und ihrer allgemeinen Verhältnisse gegen einander; von dem Eigenthume der Nationen, ihrem Gebiete und dessen Erwerbe überhaupt, besonders von dem Territorium der Völker in Europa; von den Landesbebewohnern und deren verschiedenen Bestimmungen und Verhältnissen nach den Grundsägen des Völkerrechts; von der Landesregierung und den verschiedenen

Bestimmungen der Oberherrschaft in einem Staate im Verhältniß gegen andere Nationen.,,Es wäre vergebliche Mühe", bemerkt Bulmerincq,,,in diese beliebig gewählte Ordnung einen systematischen Fortgang hineininterpretiren zu wollen."4)

1) 1778 wird von Neyron angeführt eine Dissertation »De vi foederum«. 1777, >>>Essai historique et politique sur les garanties, et en général sur les diverses méthodes des anciens et des nations modernes de l'Europe d'assurer les traités publics«. Neyron war auch ein fleißiger Mitarbeiter der in Braunschweig erscheinenden politischen Zeitungen.

2) Plan bei Ompteda, S. 363: Principes généraux des nations. Des révolutions antérieures qui ont produit le système actuel. Des principaux États de l'Europe. Des droits des souverains en vertu des usages reçus. Des ministres publics. Droits et obligations des sujets étrangers. Des traités en général. Des droits des États au sujet des religions. Au sujet du commerce. Au sujet d'autres traités. Des prétentions des souverains.

3) Die neueren Compilatoren haben Günther vergessen. Sein Name fehlt in der Allgemeinen Deutschen Biographie. Auf mehrere andere sonderbare Fälle von Auslassung bekannter Völkerrechtsschriftsteller im genannten, sonst so achtungswerthen Sammelwerke habe ich hingewiesen in der Revue de droit international, Bd. XIV, S. 640.

4) Bulmerincq, Systematik, S. 55, 56.

§ 104. Martens.

Literatur: Mohl, Geschichte und Literatur, Bd. II, S. 460.

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lehrtengeschichte, Bd. II, S. 137, 326. Berner in Bluntschli's Staatswörterbuch. Kaltenborn, Kritik, S. 109, 289. Bulmerincq, Systematik, S. 69. Eisenhart in der Allgemeinen Deutschen Biographie.

Während der letzten Lebensjahre des würdigen Moser lehrte in Göttingen neben Pütter und Schloezer ein junger Professor, welcher, ohne Moser Unrecht zu thun, bezeichnet werden kann als der Begründer der positiven Wissenschaft des Völkerrechts unseres Jahrhunderts, als der Vertreter der historischen Schule im Völkerrechte, ja als der wirkliche Urheber einer systematischen und wissenschaftlichen Behandlung des positiven Völkerrechts.

Georg Friedrich Martens, (seit 1789 von Martens), war geboren zu Hamburg am 22. Februar 1756, studirte zu Göttingen (Pütter führt ihn unter seinen Zuhörern im Sommer 1772 auf), bildete sich in Wehlar, Regensburg und Wien praktisch aus, promovirte 1780 zu Göttingen, habilitirte sich, und wurde 1783 außerordentlicher, 1784 ordentlicher Profeffor. Martens las außer dem Staatsrechte der vornehmsten Europäischen Staaten und dem Deutschen Staatsrechte, auch Handels-, See- und Wechselrecht, sowie von Anfang an ,,practisches Handbuch des Völkerrechts I.

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Europäisches Völkerrecht", womit er „practische Lehrstunden über Völkerrechtsgeschäfte" verband, in welchen Deutsche und Französische Bearbeitungen gemacht wurden.,,Es wurden wöchentlich zwei Uebungsstunden abgehalten; in der einen wurde Anleitung zu Deutschen, in der anderen Anleitung zu Französischen Arbeiten ertheilt. Martens wählte hierbei zweckmäßig Fälle, die sich entweder schon zugetragen hatten, oder die sich doch bei der Gestalt der Zeitumstände leicht zutragen konnten, besonders Staatenverträge, Memoiren der Höfe oder Gesandten, diplomatische Rundschreiben, Noten u. s. w. Bald ließ er aus merkwürdigen Staatenverträgen klare und übersichtliche Auszüge anfertigen, bald Vergleichungen mehrerer Staatenverträge anstellen, bald Gutachten über völkerrechtliche Fälle ablegen, bald Entwürfe zu Verträgen, zu Staatsschriften aller Art auffeßen; auch in die Chiffrirkunst suchte er seine Zöglinge einzuweihen. Zu den mündlichen Vorträgen wurden den Theilnehmern kurze Deductionen über völkerrechtliche Gegenstände im Voraus mitgetheilt, und der Vortrag mußte dann diejenige Haltung und Form zu gewinnen streben, die etwa in einem Staatsministerium oder im Cabinet eines Fürsten angemessen gewesen sein würde. Bei der Beurtheilung der schriftlichen und mündlichen Leistungen wurde nicht blos auf den Inhalt, sondern auch auf die Form, besonders auch auf die Beobachtung des Ceremoniells gesehen. War eine aus der internationalen Praxis entlehnte Urschrift als Muster der Bearbeitung empfohlen worden, so gab der Vergleich der von dem Zögling gelieferten Arbeit mit der Urschrift Gelegenheit zu lehrreichen Bemerkungen."1)

1785 gab Martens die »Primae lineae juris gentium Europaearum practici heraus, aus welchen 1789 das »Précis du droit des gens moderne de l'Europe und 1796 in Deutscher Bearbeitung die „Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht, auf Verträge und Herkommen gegründet" entstand. Vom Précis gab er 1801 und 1821 neue, stets auf dem laufenden gehaltene Auflagen oder richtiger Bearbeitungen. Eine Englisch-Amerikanische Uebersetzung, von William Cobbet, erschien 1795 in Philadelphia. 1787: Programm,, von der Existenz eines positiven Europäischen Völkerrechts und dem Nußen dieser Wissenschaft“. 1794:,,Scizze des öffentlichen Rechts der vornehmsten Europäischen Staaten", unvollendet. 1790-1801: das erste »Recueil de traités«. 1802-1808: dessen » Supplément«. 1818, 1820: >>>Nouveau Recueil«. 1795: Versuch über Kaper". 1800, 1802: „Erzählung merkwürdiger Rechtsfälle des neueren Europäischen Völkerrechts“. 1807: ,,Grundriß einer diplomatischen Geschichte der Europäischen Staatshändel und der Friedensschlüsse“. Die Erneuerung der Verträge in den Europäischen

Friedensschlüssen“.

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Hier soll nur von den Gesammtdarstellungen die Rede sein.

Vorerst gebührt Martens die Ehre, daß er eine systematische Darstellung des positiven Rechts, nicht nach willkürlicher Reflexion, sondern bewußt, ratio= nell, versucht hat. Er giebt in einer Einleitung die allgemeinen Begriffe, dann handelt er in (neun) Büchern folgende Materien ab: Von den Euro

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