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Schule allmächtig; von Wolff, der in Marburg lehrte, war noch nichts Völkerrechtliches gedruckt. Die Grundlagen aber, worauf das Gebäude des positiven Völkerrechts errichtet werden konnte und sollte, waren bereits vorhanden. 1)

Vor beinahe vierzig Jahren (1693), hatte Leibniz mit seinem »Codex juris gentium diplomaticus « den Anfang gemacht. Allerdings existirten schon vor ihm partielle, nationale Sammlungen von Verträgen, und Nessel hatte 1690 sein Programm veröffentlicht. Aber Leibniz hat die Bahn gebrochen, er ist der Initiator, und schon der von ihm gewählte Titel ist von Bedeutung. Es folgten die großen Holländischen Sammlungen, Bernard 1700, Dumont 1707, 1710, 1726-1731. Lünig gab sein »Sylloge« 1694 1702 heraus, das,,Reichsarchiv" seit 1710, den Codex diplomaticus 1732; Faber's (Leucht's) Reichskanzlei" erschien seit 1697, das »Corpus juris gentium academicum<< von Schmauß 1730. Jest war die Möglichkeit einer positiven Bearbeitung des Völkerrechts gegeben, und zugleich mochte es gegenüber den geschichtlichen Thatsachen, die nun bekannt, katalogisirt, wohlgeordnet vorlagen, für practisch angelegte Geister immer schwieriger werden, sich mit metaphysischen Abstractionen zufrieden zu geben. 2)

Auch hatte damals, bereits seit Jahren, ein großer Rechtsgelehrter in mehreren vorzüglichen Monographien eine positive Methode befolgt. Für Cornelis van Bynkershoek, dessen » Dominium maris« 1721, und dessen >> Forum legatorum« schon 1702 erschienen war, beruhte das Völkerrecht sowohl auf ratio (Natur der Sache, und Vernunft) als auf usus, mores, consensus gentium; er führte in seinen Schriften hauptsächlich neuere Thatsachen und Ereignisse an, und wollte übrigens allein die mores gentium europaearum berücksichtigen. Bynkershoek gegenüber stellt Moser keinen wissenschaftlichen Fortschritt dar; Bynkershoek steht höher als Moser, und gehört völkerrechtlich eher zu den Neueren, mit Martens, Günther, Klüber, die er sonst als Rechtsgelehrter überragt. 3) Doch würden diese Neueren ohne Moser's Riesenarbeit ihre höhere Vollendung nicht erreicht haben, und Moser, der von seinen Anfangsgründen“ bis zu seinen lehten,,Beiträgen" während eines halben Jahrhunderts stets in der nämlichen Richtung gearbeitet hat, darf und muß als der eigentliche Vater des Positivismus im Völkerrechte bezeichnet werden.

Neben ihm sind einige Gelehrte und Publicisten zu nennen, die nicht unmittelbar oder nicht nachweislich unter seiner Einwirkung gestanden und doch eine der seinigen mehr oder minder verwandte Richtung befolgt haben.

Vorerst der bereits genannte Johann Jakob Schmauß, 1690-1757, Baden-Durlachscher Rath, Professor in Göttingen, einige Zeit in Halle, dessen wohlgelungene Sammlung vom Leipziger Professor Wenck 1781 fortgesetzt wurde.4)

Ferner Burchardt Gotthelf Struve, 1671-1738, Bibliothekar und Professor der Geschichte und der Rechte in Jena, sehr gelehrter Bibliograph. Während mehr als dreißig Jahren arbeitete er an einem Gesainmtwerke, welches den Titel führen sollte » Corpus juris gentium sive Jurisprudentia

heroïca«, und enthalten sollte ea quae inter gentes obtinent secundum jus personarum et rerum adplicata; argumentis ex jure naturae et gentium petitis, innumeris exemplis ex actis publicis editis et ineditis, atque historiarum monimentis omnis aevi illustrata.« Das Programm, welches Ompteda S. 302-305 excerpirt hat, erschien im Frühjahr 1738. Das Buch sollte vier Theile umfassen, worin Völkerrecht mit allgemeinem Staatsrecht und mit Privat-Fürstenrecht vermengt erscheint; dabei, wie Ompteda hervorhebt, ganz practisch ausgearbeitet und durch lauter Exempel aus der neuesten Geschichte bestätigt, mithin in seiner Art ganz neu." Leider starb Struve im selben Jahre; sein Schwiegersohn, der berühmte Pandectist Hellfeld, konnte nur den ersten Theil, das Jus illustrium privatum, Privat-Fürstenrecht, herausgeben (Jena, VII Quartbände, 1743-1753); das Jus publicum kam nie nach. 5)

Uneigentlich gehört hierher auch das berühmte Buch des Abbé Gabriel Bonnot de Mably (1709-1785), »Le Droit public de l'Europe fondé sur les traités conclus jusqu'en l'an 1740«, (Paris) Haag 1747, fehr oft wieder aufgelegt. Die geltenden Verträge werden darin, in geistreicher und talentvoller Art, ihrem Zustandekommen, ihren Ursachen, und ihrem Inhalte nach besprochen, mit geschichtlichen Beispielen und völker- und staatsrechtlichen Erörterungen. »C'est une bonne analyse« sagt Réal, aber il y a plusieurs faux principes et quelques faux raisonnements dans cet ouvrage . . .« Der Handelsdirector Arnould schrieb 1803, als Supplément: Résultats des guerres, des négociations et des traités qui ont précédé et suivi la coalition contre la France.«

Unzweifelhaft dagegen ist hier zu nennen, und zwar in ehrenvoller Weise, Gaspard de Réal, Herr von Curban, königlicher Rath und Gerichtsdirector (Grand sénéchal) von Forcalquier (in der Provence), also ein Mann des Römischen Rechts und von romanistischer Bildung, geboren zu Sisteron im jezigen Departement der Niederalpen 1682, gestorben 1752.6) Voltaire hat sich über das große Werk lustig gemacht, welches von Réal's Neffen Abbé de Burle in acht starken Quartbänden 1754 herausgegeben wurde. Doch ist das Werk, welches Schulin (in 6 Bänden, 1763-1767) unter dem Titel,,Staatskunst" ins Deutsche übersetzte, gelehrt geschrieben und enthält manches Gute. Der Band V, erschienen 1754 (2. Auflage 1764), enthält das Völkerrecht, »le Droit des gens, qui traite des ambassades (Kap. I), de la guerre (Kap. II), des traités (Kap. (III), des titres, des prérogatives, des prétentions, et des droits respectifs des souverains « (Kap. IV). Am ausführlichsten ist das Gesandtschaftsrecht abgehandelt. 7) Fohl I 128

1) Der treffliche Barbeyrac ist, trok seiner naturrechtlichen Betheuerungen, auch hier zu nennen. Durch seine großartige »Histoire des anciens traités«, von den ältesten Zeiten bis auf Karl den Großen (1739), hat er der positiven Völkerrechtswissenschaft wenigstens mittelbar in sehr anzuerkennender Weise vorgearbeitet.

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2) Die bedeutenden Worte Leibniz' sind bereits oben, § 97 angeführt. Die nicht minder bedeutenden Worte des Kanzlers Ludewig in seiner »Dissertatio de auspicio regum« (Halle 1701) verdienen in extenso wiedergegeben zu werden: »Gentium jure innixi sumus omne fundamentum dissertationis... Utinam vero systema juris gentium nobis esset, e consuetudinibus ac voluntatibus populorum plene et rationibus adjectis contextum. Sed haec philosophia aulica hactenus fuit, quae nondum venit ad umbras scholarum.<<

3) Bynkershoek, geb. 1673 zu Middelburg, war in Franeker Ulrich Huber's Schüler, dann Advokat im Haag; 1703 trat er in den hohen Rath für Holland, Seeland und Westfriesland ein, welchem er seit 1724 bis zu seinem Tode (1743) vorstand. Auch als Civilist muß sein Name unter den ersten der großen Niederländischen Schule genannt werden, neben Huber, J. Voet und Noodt. »Quaestiones juris publici« 1737.

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4) Ueber Schmauß: Pütter, Academische Gelehrtengeschichte, Bd. 1, S. 50. Von Schmauß ist auch u. A. das Neue Systema des Rechtes der Natur“, Göttingen 1754, worin eine „Historie des Rechtes der Natur", und eine werthvolle „Einleitung zu der Staatswissenschaft“, Leipzig 1741 -- 1747.

5) Ueber Struve: Ompteda, S. 302, 315.

6) Heffter hat richtig gesehen, als er Réal unter die Realisten einordnete. Kaltenborn meint zwar, der Einfluß des Wolff'schen Jus gentium auf Réal sei unverkennbar. Doch erwähnt Réal Wolff's mit keinem Worte, während er Pufendorf über Grotius stellt, und Barbeyrac ungemein lobt; allerdings spricht er von der Société générale des nations, doch wie mir scheint, nicht im Sinne der Civitas gentium maxima. Die Behandlung sämmtlicher Materien ist vorwiegend realistisch Moser scheint er übrigens ebensowenig zu kennen als Wolff Der achte Band enthält eine Uebersicht der Schriftsteller über Staatsrecht, mitunter mit scharfer Kritik. Réal will »donner une idée juste des principaux ouvrages composés sur la Science du Gouvernement.« Ueber 380 Schriftsteller aus allen Zeiten werden besprochen, am ausführlichsten natürlich die Franzosen. Burlamaqui erwähnt er nur mit wenigen Worten, und sehr allgemein, Struve's Jurisprudentia heroïca fennt er nicht, Wolff auch nicht, von Mably und von Kahle's „Repreffalien“ (1746) spricht er als von Novitäten: Kahlius vient de publier u. s. m. Dies ist zur Beurtheilung der Stellung zu Wolff nicht unwesentlich, und läßt vermuthen, daß der lezte Band bereits einige Jahre vor Réal's Tode vollendet war.

Voltaire schrieb an Chauvelin, 18. September 1763: »Avez-vous entendu parler d'un sénéchal de Forcalquier, qui, en mourant, a fait un legs au roi de l'Art de gouverner, en trois volumes in 40? C'est bien le plus ennuyeux sénéchal que vous ayez jamais vu ..« Heute noch wird Réal von seinen Landsleuten nicht nach Gebühr gewürdigt.

7) Auszug bei Ompteda, S. 335.

§ 102.

Johann Jakob Moser.

Literatur: Hauptsächlich zu vergleichen: „Die beiden Moser", von Moser's Urentel Robert Mohl, in ,,Zwölf Deutsche Staatsgelehrte". Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. II, S. 401. Dann H. Schulze, Johann Jakob Moser, der Vater des Deutschen Staatsrechts. Leipzig 1869.

- Autobiographie: Lebensgeschichte 3. 3. Moser's, von ihm selbst beschrieben, 1777-1783. Weidlich, Zuverlässige Nachrichten, Bd. VI. Ompteda, S. 352. Kaltenborn, Kritik, S. 91, und in Bluntschli's Staatswörterbuch.

Johann Jakob Moser entstammte einer alten Württembergischen Staatsdiener und Pfarrerfamilie. 1) Geboren zu Stuttgart 1701, studirte er in Lübingen, und schrieb schon mit achtzehn Jahren seine,,Tübinger Gelehrten-Geschichte“; damals schon Licentiat der Rechte, wurde er außerordentlicher Professor und Regierungsrath; mit dreiundzwanzig Jahren war er im Reichsstaatsrechte bereits eine solche Autorität, daß ihm in Wien eine ehrenvolle Anstellung als Con sulent zu Theil wurde; nach einem Jahre aber wurde er in Stuttgart wirklicher Regierungsrath. 1727 ging er wieder als Professor nach Tübingen, 1733 kehrte er nach Stuttgart zurück. 1736 folgte er einem Rufe nach Frankfurt a. D., als Geheimrath, Ordinarius der Rechtsfacultät und Director der damals ziemlich herabgekommenen Hochschule. Die Berufung war motivirt durch Moser's,,notorische Gelehrsamkeit und besondere Verdienste in jure publico und in der Reichsgeschichte.“2) Aber schon 1739 reichte er, durch die Haltung des Königs ihm und der Universität gegenüber tief verlegt, fein Entlassungsgesuch ein, und zog sich nach Ebersdorf zurück, wo er die,,acht glücklichsten Jahre seines Lebens", in der Nähe des mit ihm religiös harmonirenden Grafen Reuß still und fleißig seiner Familie und der Wissenschaft lebte. Einzelne Vertrauenssendungen unterbrachen seine Einsamkeit. Verschiedene Berufungen schlug er aus, so 1743 nach Göttingen an Schmauß' Stelle.

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1747 endlich trat Moser als Geheimrath und Chef der Kanzlei in die Dienste des Landgrafen von Hessen-Homburg und 1749 stiftete er in Hanau die bekannte Staats- und Canzlei-Academie, 3) zu deren Unterrichtszwecken er die Grundsätze des jetzt üblichen Europäischen Völkerrechts in Friedenszeiten" 615 Seiten (Hanau 1750, Frankfurt 1763) verfaßte, worauf 1752 zu Tübingen die Grundfäße des jezt üblichen Europäischen Völkerrechts in Kriegszeiten" (364 Seiten) folgten. Doch schon 1751 glaubte Moser, trok dem guten Gedeihen der Academie, einem ehrenvollen Rufe als Landschafts - Consulent nach Stuttgart folgen zu müssen. Mehrere Jahre lang vertrat er das ,,rechtliche Gewissen" des Landes gegenüber skandalösen Mißbräuchen. Am 12. Juli 1759 wurde er ohne Urtheil, ohne Verhör, auf Hohentwiel eingesperrt, und fünf Jahre in strenger Haft gehalten, die er mit ungebeugtem Sinne ertrug. 1764 auf Fürbitte Friedrichs des Großen wieder frei geworden, lebte er in seiner früheren Stellung als Landschafts-Consulent fort, und hatte 1770 die Freude, den Erbvergleich zwischen dem Herzog und dem Volke zu Stande zu bringen. Nun hielt er es für erlaubt, sich zurückzuziehen und brachte die fünfzehn letzten Jahre seines Lebens in überaus fleißiger Muße zu. Er starb 1785.

Von Moser's erstaunlich zahlreichen Schriften sind außer den bereits erwähnten Anfangsgründen",,,Entwurf einer Einleitung",,,Anmerkung",

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vorzugsweise hierher gehörig: Vermischte Abhandlungen aus dem Europäischen Völkerrecht, wie auch von teutschem und anderer Völker Staatsrecht, desgleichen in Canzleysachen, zum Gebrauch der Hanauschen Staats- und Tanzleyacademie." Drei Stücke. Hanau 1750.-,,Versuch des neuesten Europäis schen Völkerrechts in Friedens- und Kriegszeiten: vornehmlich aus denen Staatshandlungen derer Europäischen Mächte, auch anderen Begebenheiten, so sich seit dem Tode Kaiser Karls VI., im Jahre 1740, zugetragen haben." Zehn Theile. Frankfurt 1777 1780.-,,Teutsches auswärtiges Staatsrecht“. Frankfurt und Leipzig 1772. -,,Erste Grundlehren des jezigen Europäischen Völker-Rechts in Friedens- und Kriegszeiten". Nürnberg 1778. Auf Befehl des Herzogs von Württemberg für dessen Militär-Academie abgefaßt. ,,Beiträge zu dem neuesten Europäischen Völkerrechte in Friedenszeiten“. Tübingen 1778-1780. Fünf Theile. ,,Beiträge zu dem neuesten Europäi schen Völkerrechte in Kriegszeiten“. Tübingen 1779-1781. Drei Theile. Diese sämmtlichen Schriften, die sich auf einen Zeitraum von fünfzig Jahren vertheilen, sind in einem und demselben Geiste geschrieben.

In den Gesammtdarstellungen ist von systematischer Behandlung keine Spur; sie sind durchweg nach folgendem allgemeinen Schema eingetheilt: Vorläufige Abhandlung: von den Normen darnach sich die Souveräne zu richten pflegen, und von dem Werthe der Beispiele im Völkerrecht. Von Europa, soferne es einen einigen Staatsförper ausmacht. Von der Souveränen Person und Familie. Von dem Ceremoniell. Von Gesandtschaften. Von der Souveränen Landen und Meeren. Von der Souveränen Bedienten und Unterthanen. Von Religionssachen. Von Staatssachen. Von Justizsachen. Von Militärsachen. Von Cameralsachen. Von Gnadensachen. Von Handlungs- und Münzsachen. Von Polizeisachen. Von Tractaten und Bündnissen. Von Ansprüchen, Beschwerden, Streitigkeiten und Vermittelungen. Von der Selbsthülfe, Retorsion, Arresten und Repressalien. Vom Krieg. Von Alliirten, Hülfsvölkern und Subsidien. Von der Neutralität. Von Waffenstillständen. Von Friedensschlüssen.

Dem philosophischen Völkerrechte, dem Naturrechte gegenüber verhält sich Moser nicht sowohl feindselig als gleichgültig. Er läßt es durchaus unberücksichtigt. Für ihn ist das Völkerrecht rein positiv, practisch, eine neue, actuelle Wissenschaft. Das positive Material der Verträge und des Herkommens, woraus er schöpft, ist wesentlich neu, aus der neuesten Zeit, aus der Gegenwart. Diese Richtung ist schon in seinen „Anfangsgründen“ bewußt und gereift; den damals entworfenen Plan der Gründung der positiven, practischen Völkerrechts-Wissenschaft vermochte er, wegen der riesigen staatsrechtlichen Arbeiten, die sein langes Leben erfüllten, erst im hohen Alter auszuführen. Erst der 76 jährige Greis" fand Muße, das neue Werk zu beginnen, und er begann es dann auch mit der Kraft und der Ausdauer eines Jünglings. Im Versuche" und in den Beiträgen" führte er den schon in seinen Jugendschriften ausgesprochenen Gedanken durch, lediglich die Ergebnisse der positiven

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