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nicht Inhaber des neuerrichteten Lehrstuhls, dafür aber 1708 Professor des Griechischen und 1729 (bis 1734) Professor der Moralphilosophie.

Dagegen sind hier einige Philosophen zu nennen, welche vorzugsweise aus und mit dem Naturrechte das Völkerrecht kurz behandelt haben.

Robert Sharrock, gestorben 1684, Fellow von New-College, Oxford, Erzdiakon von Winchester, hat unter Anderem geschrieben » Hypothesis de officiis secundum humanae rationis dicta« (1660–1682), worin Kap. 10 De jure gentium betitelt ist. Obschon er sonst Hobbes bekämpft, sieht er doch auch im Völkerrecht lediglich Naturrecht. 2)

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Bedeutender ist Richard Cumberland (1632 1718), den Barbeyrac mit einer Uebersetzung beehrt hat. Er war Fellow von Magdalen College in Cambridge, Pfarrer in Brampton und Stamford, zuletzt Bischof von Peterborough. Das für unsere Wissenschaft3) wichtigste Werk dieses gelehrten und bescheidenen Mannes, »De legibus naturae disquisitio et philosophiae Hobbianae refutatio, entstand, als er noch Pfarrer auf dem Lande oder in einer kleinen Stadt war, und erschien zu London 1672; schwerfällig geschrieben, wurde es leider äußerst nachlässig gedruckt, und dies that seinem Erfolg Eintrag; es wurde 1727 ins Englische übertragen; die Französische Uebersetzung von Barbeyrac (Amsterdam und Paris) ist von 1744. Pufendorf, dessen Jus naturae et gentium im selben Jahre erschien wie die Disquisitio, hat sich über diese, welche von ihm ganz unabhängig ist, beifällig geäußert.4) Auf das Völkerrecht bezieht sich nur Kap. VI, welches vom Inhalte der Naturgefeße im Allgemeinen handelt. Unter Jus gentium, Droit des gens, versteht Cumberland nach Barbeyrac's Französischem Text, »les lois naturelles qui règlent la manière dont tous les États, et chaque homme en particulier, doivent se conduire par rapport à tous les autres, de quelque État qu'ils soient membres, ou même considérés comme ne formant encore aucun corps«. Als Vorschriften dieses Jus gentium führt er an, daß man einem Unschuldigen nichts Böses anthun darf, daß man Wort halten, dem Wohlthäter dankbar sein soll. Das Grundgesetz der Natur ist » qu'il faut chercher le bien commun des êtres raisonnables«, also allgemeines Wohlwollen. Cumberland's System ist unabhängig von der Offenbarung; er beruft sich nicht auf die Scholastiker und Canoniften, sondern auf Erfahrung und Beobachtung. Als Moralphilosoph hat er Dienste geleistet; der Begriff des Völkerrechtes ist aber bei ihm, wie man sieht, unklar und für uns werthlos.

An Cumberland reihen sich die Schotten, die nach dessen Vorgange ihr System auf das Princip des Wohlwollens gründeten. Der hervorragendste Vertreter dieser Schule ist Francis Hutcheson aus Nord-Irland, geboren 1694, gestorben 1747, seit 1720 Professor in Glasgow; in seinem »System of Moral Philosophy« (Glasgow 1755) enthält das Kap. 10 des Bandes III: >the Laws of Peace and War.<<

Noch ist zu nennen Thomas Rutherforth, 17121771, Regius

Professor der Theologie zu Cambridge und Archdeacon von Effer. Sein Werk ist betitelt: »Institutes of natural law, being the substance of a course of lectures on Grotius, read in St. John's College, Cambridge«, und erschien im Drucke zu London 1754-1756. Neu aufgelegt wurde es noch 1832 zu Baltimore. Buch II Kap. 9 ist betitelt: »Of the Law of nations«.5)

1) Grant, The Story of the University of Edinburgh, Bd. I, S. 233; Bd. II, S. 313, 322, 336.

9) So Ompteda. Ich selbst habe Sharrod's »Hypothesisa nicht gesehen. 3) Andere Werke Cumberland's find historischen und antiquarischen Inhalts. 4) Pufendorf, »>Quantum tamen mihi constat, sagt im Specimen controversiarum (Rap. I, § 6), ipsius Hobbesii hypothesin inter Anglos solidissime destruxit Richardus Cumberlandus, libro erudito et ingenioso De legibus Naturae, simulque adversam hypothesin, quae ad Stoicorum placita proxima accedit, firmissime adstruxit, quorum utrumque et mihi propositum fuit«. Dies bezieht sich aber nicht auf das Völkerrecht.

5) Man kann Rutherforth zu den Wolffianern zählen; so Heffter, § 10. Ompteda (S. 385) nennt noch den mir nicht weiter bekannten F. Bellers als Verfasser einer »Delineation of natural Law«, London 1749, wie Rutherforth unter denjenigen, die das Völkerrecht in Verbindung mit dem Naturrecht dargestellt haben. Von einem Fettiplace Bellers, der wohl derselbe ist, berichtet Manning, daß er große Arbeiten gemacht habe, die nicht veröffentlicht worden seien.

Drittes Kapitel.

Das Naturrecht.

§ 92. Pufendorf.

Literatur: Bluntschli, im Staatswörterbuch und in der „Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und der Politik."

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1876.

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Droysen, in den Abhandlungen Treitschke, in den Preußischen Jahrbüchern, Bd. XXXV, XXXVI. Nys, in der Britannica Encyclopaedia von Black. Glafen, S. 201. Ompteda, S. 270. Kaltenborn, S. 47. Wheaton, Th. I, § 5.

Samuel Pufendorf, Sohn und Enkel Meißener Pfarrer1) in Grimma, in Leipzig und Jena gebildet, zuerst Student der Gottesgelahrtheit, dann der

Rechte, vom Cartesianer Mathematiker Weigel, bei dem er 1657 wohnte, stark beeinflußt, war als sechsundzwanzigjähriger Magister Hauslehrer beim Schwedischen Gesandten Coyet in Kopenhagen, als Karl Gustav von Schwe den trot dem Roeskilder Frieden die Feindseligkeiten plöglich wieder begann; das Gefolge des Gesandten, mit Inbegriff des Hauslehrers, wurde von den aufs Höchste erbitterten Dänen festgenommen, Pufendorf blieb acht Monate lang in strengem Gewahrsam, und diese Zeit war für ihn keineswegs verloren. Bücher hatte er nicht; er überdachte aber, was er mit Weigel besprochen, im Grotius und im Hobbes gelesen, und so arbeitete sein mächtiger Geist ein universelles Rechtssystem aus. Nach seiner Freilassung begleitete er seine Zöglinge nach Leyden, wo er am 31. März 1666 immatriculirt wurde, und noch im selben Jahre erschien im Haag unter dem Titel » Elementa jurisprudentiae universalis« die Frucht seiner Gefangenschaft.

Diese Jugendschrift hat Pufendorf's Ruhm begründet. Der Kurfürst Karl Ludwig, dem sie gewidmet war, berief ihn an die feit einigen Jahren wiedereröffnete Heidelberger Universität und stiftete für ihn den Lehrstuhl des Natur- und Völkerrechts im Jahre 1661: ein wichtiges Datum in der Geschichte der philosophischen und Staatswissenschaften. Neun Jahre lang ent faltete Pufendorf in Heidelberg eine reiche Thätigkeit als akademischer Lehrer, als Informator des Erbprinzen, als scharfer und weitblickender, politischer und polemischer Schriftsteller.2) 1670 wurde er für die zwei Jahre vorher gestiftete Universität Lund als professor primarius gewonnen. Hier gab er seine zwei anderen berühmten naturrechtlichen Werke heraus; das größere, >>>Juris naturae et gentium libri VIII« 1672;3) das kürzere, als compendium aus dem ersten zusammengezogen, »De officiis hominis et civis prout ipsi praescribuntur lege naturali« 1673.

Pufendorf blieb in Lund bis 1677. Dann wurde er als königlicher Historiograph nach Stockholm versezt; 1688 berief ihn der Große Kurfürst nach Berlin, wo er bis zu seinem Tode als kurfürstlich Brandenburgischer Historiograph und Geheimrath thätig war. Dieser letten Periode seines Lebens gehören, außer den historischen Werken, mehrere politische und religiöstheologische Streitschriften an, unter anderen das nach seinem Tode gedruckte, >>Jus feciale divinum, sive de consensu et dissensu protestantium«. Vom Könige von Schweden 1694 in den Freiherrenstand erhoben, starb er am 26. October desselben Jahres in seinem 63. Lebensjahre. Er war geboren bei Chemnitz am 8. Januar 1632, im selben Jahre also mit Locke, Cumberland und Spinoza.

Es ist hier nicht der Ort, eine allgemeine Charakteristik Pufendorf's zu versuchen oder zu sagen, was er als Staatsmann und als Politiker, als Theolog, als Geschichtsschreiber, als Philosoph und besonders als Lehrer des Naturrechts geleistet hat, und wie viel ihm Deutschland, das gesammte Europa, die Menschheit verdanken. Ich erinnere nur, daß sein Einfluß auf die denkende Welt während dreiviertel Jahrhundert überwiegend war, daß er das Natur

recht bis Wolff, theilweise bis Kant, förmlich beherrscht hat.4) Er ging in manchem seiner Zeit voran, ein Bahnbrecher, keineswegs aber ein Idealist. Von Grund aus tolerant, dem Sectenwesen feindlich, hat er ,,lange vor Rousseau die Nothwendigkeit der natürlichen und bürgerlichen Religion erkannt, im Gegensage zu den geoffenbarten und kirchlichen Religionen"; er meinte, der Staat könne nur jene, nicht diese voraussehen, und wollte fomit für den Staat eine neutrale, interconfessionelle Stellung; die Herrschaft der Theologie als höchster geistiger Autorität hat er gebrochen, die Wissenschaft, das Staatsrecht, das Naturrecht hat er davon befreit. 5)" Einen wichtigen Sah der Zukunft, der im Völkerrecht noch nicht zum Siege gelangt ist, hat er aufgestellt, indem er erklärte: Das Naturrecht gilt für die Nichtchristen, wie für die Christen. Wir haben es lediglich mit dem Verhältniß Pufendorf's zum Völkerrecht insbesondere zu thun. Da muß allerdings ausgesprochen werden, daß der Einfluß des hervorragenden Mannes auf diesem Felde und für die Entwickelung dieser Wissenschaft im Ganzen kein heilbringender gewesen ist. Für ihn wie für Hobbes ist das Völkerrecht nur ein Stück Naturrecht, das nicht besonders behandelt werden darf. Die Staaten oder Völker sind moralische Personen, auf deren Beziehungen unter einander die Vorschriften des Naturrechts über Beziehungen unter Menschen anzuwenden sind. Dies wird schon in den >>Elementa jurisprudentiae universalis«, § 24-26, klar ausgesprochen. Das >>Jus gentium«, sagt er, »nihil aliud est quam jus naturae, quatenus illud inter se summo imperio non connexae gentes diversae observant, queis eadem invicem suo modo officia praestanda, quae singuli per jus naturae praescribuntur. De quo non est, quod heic peculiariter agamus, cum ea quae de jure naturae deque officiis singulorum tradimus, facile possint applicari ad civitates et gentes integras, quae in unam quoque personam moralem coaluerunt. Praeter isthoc nullum dari jus gentium arbitramur, quod quidem tali nomine possit designari.« Dasselbe findet sich breiter ausgeführt im »De jure naturae et gentium, L. II, c. III, § 23. >>Nos positivum aliquod jus gentium, a superiore profectum, negamus. . . . Et quod non nemo ad jus gentium quoque referre instituit peculiaria conventa duorum pluriumve populorum, foederibus et pacificationibus definiri solita, id nobis plane incongruum videtur. Et si enim illis stare lex naturalis de servanda fide jubet, legum tamen et juris vocabulo valde improprie veniunt. Et praeterea infinita ac magna parte temporaria sunt. Quin nec magis partem juris constituunt, quam pacta singulorum civium inter se ad corpus juris civilis spectant; cum potius historia sibi eadem vindicat«. Also giebt es kein positives Völkerrecht; ein eigentliches Recht kann aus Völkerverträgen nicht entstehen. Auch nicht aus Herkommen: »Solent sub nomime juris gentium venire illae consuetudines inter plerasque gentes, saltem quae cultiorum et humaniorum sibi famam vindicant, potissimum circa bellum tacito quodam consensu usurpari solitae. quae si quis legitimum gerens bellum neglexerit, scilicet ubi per jus naturae

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recte fieri possunt, nulli obligationi validae contravenisse dici potest, nisi quod ruditatis vulgo arguitur, quia non ad consuetudinem eorum, queis bellum inter artes liberales nominatur, sese composuerit. Non secus ac imperitiae inter gladiatores accusatur, qui alterum non ex formula artis vulneravit... (»Elementa«, § 25.) Selbstverständlich schreibt Pufendorf demjenigen Herkommen, welches sich dem Naturrechte anschließt, weit mehr Bedeutung zu als demjenigen, das sich aus Verträgen herleitet »Quodsi autem aliquis mos ad jus naturale referatur, ejus dignatione sane longe magis consulitur, quam si ejus origo ad simplicem gentium conventionem referatur.<<

Im Buche VIII des De jure naturae et gentium, Kap. 6-9, und im Buche II des De officiis hominis et civis, Kap. 16, 17, wird das Kriegsrecht und das Recht der Bündnisse und Verträge kurz dargestellt oder besprochen.

Die drei hierher gehörigen Werke Pufendorf's hatten ungeheueren Erfolg und sind mehrmals neu aufgelegt, auch, wie das Jus belli ac pacis, überseßt, excerpirt, commentirt, bearbeitet und überarbeitet worden. Ich erwähne hier die Annotationen und Zusätze zum Jus naturae et gentium, von Hertius, 1706 und öfter; von Hertius, Barbeyrac und Mascov 1744, 1759; die Arbeiten von J. H. Rother, »Examen juris naturae et gentium secundum S. Pufendorfium « 1724; von D. H. Kemmerich, >> Pufendorfius enucleatus« 1716; von Immanuel Weber, der das De officis 1710 commentirte und zwischen einem Jus naturale gentium und einem Jus naturale hominum unterschied; die sehr freien Französischen Uebersetzungen von Barbeyrac, des »Jus naturae et gentium«, Amsterdam 1706, Basel 1732, 1771, des De officiis, Leyden 1709, noch in unserem Jahrhundert neu aufgelegt; die Deutsche Uebersetzung des Jus naturae et gentium von 1712, die Englische 1717, die Italienische von Almici 1757.

Wie bereits angedeutet: während dreiviertel Jahrhundert und noch länger folgte namentlich in Deutschland die große Mehrzahl der Natur- und Völkerrechtslehrer und Schriftsteller der von Pufendorf vorgezeichneten Richtung. Glafen fagt in einer bereits angezogenen Stelle feiner Geschichte des Rechts der Vernunft, daß die Periode des vielen Commentirens u. dgl. des Grotius dauerte, bis Pufendorf auftrat: welcher zwar des Grotii Buch wegen der darinnen geäußerten Tiefsinnigkeit den Leuten nicht gar aus den Händen bringen konnte, dennoch aber der Meisten Augen auf sich kehrte, inmassen wir denn ebenfalls genug Commentarios, Compendia und Ueberseßungen von seinem Jure naturae et gentium haben." Freilich gab es stets anders Denkende, aber Jahrzehnte lang nur in kleiner Zahl; es soll von ihnen in späteren Abschnitten gesprochen werden. In den nächsten Paragraphen sind einige von den vielen Anhängern Pufendorf's zu erwähnen. Vorerst der größte von Allen, wels cher als das zweite Haupt der Schule bezeichnet werden kann6): Christian Thomasius.

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