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reich),3) oder einer Separation confessionell unverträglicher Provinzen, wie in den vereinigt gewesenen Niederländischen Provinzen nach dem Niedergange Spaniens, oder einer nach Erschöpfung der Kampfmittel vereinbarten politischen Parität der Parteien, wie in Deutschland nach dem Religionsfrieden von Augsburg (1555). Aus Deutschem Boden zunächst entsprossen und in Luther's Persönlichkeit gipfelnd, in welcher die sprachliche Bildung des Humanismus mit nationaler Empfindung für Deutsche Volksthümlichkeit und tiefstem Bußtriebe mönchischer Ascetik auf wunderbare Weise gemischt war, hat die Reformation auch das Deutsche Staatswesen im sechszehnten Jahrhundert am meisten aufgewühlt, die mittelalterliche Idee der kaiserlichen Einheit noch mehr als die frühere Herrschaft der Hierarchie abgeschwächt und zum Zerfall des Volksverbandes in eine Reihe höchst ungleichartiger Territorien beigetragen.

Die nächsten politischen Erfolge der Reformation waren in völkerrechtlicher Hinsicht insoweit universale und gleichartige, als das Erbfürstenthum, gleichviel ob es den königlichen Namen trug (wie in England, Frankreich und Schweden), oder den herzoglichen und churfürstlichen Titel führte (wie in Deutschland) überall gestärkt wurde. Dies gilt nicht nur für protestantische Gemeinwesen, die sich von der päpstlichen Autorität förmlich losgesagt hatten, sondern im verminderten Maße auch von katholischen Fürsten, deren Macht die Römische Kirche aus Zweckmäßigkeitsrücksichten zu schonen, gerade in dem Kampfe gegen die Ausbreitung der Keßerei sehr gewichtige Gründe hatte.

Steigerte die reformatorische Bewegung mittelbar oder unmittelbar die Macht monarchischer Einheit in centralistischer Richtung bei den Franzosen und Engländern, in decentralistischer Richtung bei den Deutschen, so sezte sie auch andererseits ein neues Universalprincip menschlicher Freiheit in Bewegung. Die Theologie der Protestanten und die eifrigsten Vorkämpfer der lutherischen und calvinistischen Kirchenreform dachten zwar ihrerseits ebenso wenig wie die rechtgläubigen Kirchenlehrer des Mittelalters daran, die unbeschränkte Glaubenswahl, unabhängig von historisch überlieferten Bekenntnissen oder gar den Grundsaß der individuellen, menschlichen Gewissensfreiheit anzuerkennen.4) Indem man aber mit mehreren wichtigen Artikeln der einheitlichen katholischen Lehre auch das Canonische Recht der Kirche als einheitlich geltendes Gesetz verwarf, entzog man dem an sich auch von Protestanten im XVI. Jahrhundert gerechtfertigten Glaubenszwange die Sanction einer festen geistlichen Ordnung. Durch die Bethätigung des fürstlichen Amtes war diese Sanction eben deswegen nicht zu ersehen, weil die Anfangs erstrebte und gehoffte allgemeine Reformation einer einzigen katholischen Kirche sich in die Losreißung einzelner, des gemeinsamen Regiments entbehrender Landeskirchen umgewandelt hatte, deren gelegentliche und meistentheils schnell vorübergehende Conföderation sich nur dann bethätigte, wenn dringende Gefahren aus Rom den Fortbestand der einzelnen Mitglieder bedrohten. Auf diese Weise war es unvermeidlich, daß das Princip des Glaubenszwanges sich

im Verkehr protestantischer Staaten untereinander oder mit katholischen Mächten thatsächlich immer mehr abschwächte, bis alsdann die naturrechtlichen Philosophen des XVII. Jahrhunderts oder erleuchtete Staatsdenker, wie Milton, das Princip der individuellen Glaubensfreiheit den Bekenntnissen gegenüber als völlig unabhängiges Menschenrecht auffaßten und auch im Angesicht weltlicher Machthaber verfochten. 5) Aus diesem Grundsaße der allmälig in das Gesellschaftsleben troß des Widerspruchs der Theologie oder fürstlicher Glaubenseiferer eingedrungenen nachprotestantischen Gewissensfreiheit ergaben sich aber in der Folgezeit andere Freiheiten, die als ethische oder intellectuelle Fundamente des modernen Völkerrechts in Betracht zu ziehen sind: Die thatfächlich zugelassene oder sogar förmlich anerkannte Freiheit der Auswanderung als eines äußersten Mittels, um sich der religiösen Bedrückung gleichsam durch die erwählte Strafe der Selbstverbannung zu entziehen; die zuerst in Holland geübte Freiheit des Lehrens und Druckens als Ergebniß der protestantischen Pflicht, die Bibel zu lesen und verstehen zu lernen; die Freiheit der Wissenschaften an den von der päpstlichen Autorität losgelösten Universitäten; endlich die Schöpfung eines weltlichen, auf die Bedeutung der Bibellectüre zurückgeführten Volksunterrichts in den Städten oder anderen kleineren Gemeinwesen.

Unter dem doppelten Einfluß mühsam errungener Gewissensfreiheit und der gleichzeitigen Nöthigung, durch Vertiefung der Studien im Gegensatz zu den scholastischen Kampfmitteln der alten, von der Theologie abhängigen Philosophie Rechtfertigungsgründe für die Behauptung des neuen Glaubens ausfindig zu machen, erblühte im Reformationszeitalter und zwar zunächst gerade in den vom Protestantismus am meisten ergriffenen Staatswesen, in DeutschLand, in Südfrankreich, in Genf, in den Niederlanden und in Schottland, ein neues, selbständigeres Studium der Jurisprudenz, der Staatswissenschaften, der classischen Sprachen und des Hebräischen, der Philosophie und, diesen Reigen schließend, der Naturwissenschaften.

Während des Mittelalters waren diese letteren im Banne der Kirche mehr gehemmt gewesen, als alle anderen Wissenschaftszweige: eine Thatsache, die um so leichter erklärlich wird, als die Lehre der Naturwissenschaften und der Mathematik, unabhängig von örtlichen und zeitlichen Bedingungen ihrer Anwendung und ihrer Bewahrheitung, die Gesezmäßigkeit des Absoluten dem Bewußtsein der Menschheit stärker einprägen, als die in ihrer historischen und geographischen Erscheinung so mannigfach verschiedenen dogmatischen Formeln selbst solcher Religionsvorstellungen, die auf Einheitlichkeit und Universalität Anspruch erheben.

Bedeutsame Thatsachen und Vorgänge in der wissenschaftlichen Naturerkenntniß wirken daher nothwendiger Weise auch auf die Gesammtheit der internationalen Verkehrsbeziehungen in demselben Maße ein, wie neue Erfindungen oder Entdeckungen den Charakter unumstößlicher und den geistigen Verkehr im Kosmos der menschlichen Intelligenz beherrschender Thatsachen annehmen.

Für die Ausbreitung der Naturwissenschaften im Zusammenhange mit dem von der Reformation der gesammten Forschung gegebenen Anstoße wirkte namentlich die Thatsache, daß die lateinische Sprache im XVI. und XVII. Jahrhundert ihre Stellung als Vermittlerin des Gedankenaustausches für alle Wissenschaften in ganz Europa behauptete. Bacon seßte, an Aristoteles anknüpfend, der naturwissenschaftlichen Forschung das Programm methodischer Wiedergeburt in seinem Novum Organum. Wie die ältesten Griechischen Philosophen von kosmogonischen, mathematischen und astronomischen Grundfragen ausgegangen waren, so nahm in dieser Renaissance der Naturerkenntniß die Forschung ihren Ausgangspunkt von dem Copernicanischen Sonnensystem), wodurch ein ideeller Umsturz der theologischen Weltanschauung nicht blos nach subjectiver Meinung der die Verkündung dieser Lehre in Galilei verfolgenden Päpste, sondern in Wirklichkeit eingeleitet wurde, während die Staatspraxis auch in der Mehrzahl der protestantischen Staaten von dem Buchstaben der Bibel wenigstens insoweit absah, als es sich um die Interpretation der den weltlichen Machthabern obliegenden Regentenpflichten handelte. Erst mit der Entwickelung der naturrechtlichen Schule, durch die sich die wissenschaftliche Voraussetzungslosigkeit der rein physischen Naturerkenntniß auf das gesellschaftliche und staatliche Gebiet verpflanzte, vollzieht sich der letzte Abschluß in dem Verlaufe des reformatorischen Geistes, wonach es, unabhängig vom Kirchendogma, Weltgefeße giebt, die das Völkerleben beherrschen und als ungeschriebene Verfassungsurkunde einer universalen Rechtsordnung verstanden sein wollen.

Da das Wesen aller weltgeschichtlichen Ereignisse gerade darin besteht, daß sie nicht nur die ihnen homogenen Verhältnisse umgestalten, sondern nach allen räumlich und zeitlich erreichbaren Richtungen hin die ihnen widerstrebenden Kräfte in ihre Bewegung hineinziehen, so konnte sich auch das Papstthum der Reformation gegenüber nicht auf dem Standpunkt einfacher dogmatischer Verneinung behaupten. Der Reformation der Protestanten folgte die Gegenreformation der katholischen Kirche auf dem Tridentinischen Concil. Die Disciplin der Geistlichkeit ward gereinigt, das Bisthum in seiner Bedeutung herabgemindert, die päpstliche Machtfülle noch mehr concentrirt, die mittelalterliche Forderung der Universalherrschaft in der Staatspraxis gegen Heinrich IV. und die Republik Venedig aufrechterhalten und durch die Stiftung des Jesuitenordens gleichsam modernisirt.

Bedeutete in den frühesten Jahrhunderten des Mittelalters die Gründung des Benedictinerordens im Gegensaße zu der abstracten Weltflucht des Orientalischen Mönchswesens kirchliche Aneignung antiker Bildungsstoffe der lateis nischen Welt und die Schöpfung der beiden Bettelorden eine volksthümliche Organisation der in freiwilliger Armuth verkörperten Askese, so bezeichnet der Jesuitenorden gleichsam die Kehrseite der geistlichen Ritterorden d. h. eine ecclesia militans, ein ständiges, örtlich ungebundenes Heerwesen mit der dreifachen Aufgabe einheitlich geleiteter Mission gegen Heiden, Ungläubige und

Kezer, der Zusammenfassung aller geistlichen und weltlichen Machtmittel in ein er Hand, der berufsmäßigen Uebung einer Diplomatie, welche die geschickte Ausnutzung der jeweiligen Thatumstände des einzelnen Falles mit der unbeugsamen Starrheit des päpstlichen Autoritätsprincips und der Accommodation moralischer Forderungen an die politische Opportunität zu verbinden wußte. Der Jesuitenorden wurde auf diese Weise zu einem die internationalen Machtbeziehungen mitbeherrschenden Factor, der vermöge seiner Continuität stark genug war, selbst die ihm gegensätzlichen Tendenzen einzelner Päpste zu überdauern und zu überwinden, so daß man die kirchliche Macht der Jesuiten äußerlich auch als eine intercontinentale, durch ihr frühzeitiges Eingreifen in die Schicksale transoceanischer Cultur eine im Grunde päpstliche, mit noch viel größerem Rechte aber die spätere Herrschaftspraxis der Päpste als eine jesuitische bezeichnen darf.

1) S. darüber namentlich die Intelligentia principum super gravaminibus nationis Germanicae (1461) in Ranke's Reformationsgeschichte VI, 17ff.

2) Ueber den internationalen oder corporativen Zusammenhang der mittelalter= lichen Waldenser, Begharden und Brüdergemeinden mit den bei großen Kirchenbauten in ganz Europa thätigen Baugewerben s. L. Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien. 1855. Baur (a. a. D.) 489 ff.

3) Ueber den geschichtlichen Gang der Duldung und des Zwanges: Döllinger, Kirche und Kirchen (2. Aufl. 1861) S. 73-88.

4) Döllinger (a. a. D.) 93ff.

5) Ueber die Streitfrage, ob der Protestantismus auch ein Princip politischer Freiheit in sich trug, s. Stahl, Der Protestantismus als politisches Princip, 1833 und dagegen Döllinger (a. a. D) S. 93 ff.

6) Sein entscheidendes Werk »De orbium coelestium revolutionibus libri VI« erschien zuerst in der am meisten protestantischen Stadt Nürnberg 1543 unter mannigfacher Verclausulirung. Sowohl Copernicus selbst als seine ältesten Herausgeber waren sich des Widerspruches gegen die Kirchenlehre bewußt. Ohne Vorausseßung des Humanismus und der Reformation war in damaliger Zeit Erscheinen und Wirken dieses Systems schwerlich denkbar. (S. auch Prowe, Ueber die Abhängigkeit des C. von der Griechischen Philosophie und Astronomie, 1873.)

§ 82.

Die fürstliche Souveränetät.

Literatur: Dönniges, Das Deutsche Staatsrecht und die Deutsche Reichsverfassung. 1842. J. Berchtold, Die Entwickelung der Landeshoheit in Deutschland in der Periode von Friedrich II. bis einschließlich zum Tode Rudolfs von Habsburg I. 1863. H. Schulze, Die Hausgeseße der Deutschen Fürstenhäuser. 1864 K. Maurer, s. v.,,Landeshoheit“ in Bluntschli's Staatswörterbuch VI, 213ff. J. K. Bluntschli, Allgemeine Staatslehre (5. Aufl. 1875). 42-60. R. Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (1882) S. 408

- 460.

R. Stinking, Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. 2. Abth. (1884) S. 32- 45. F. Laurent, Études etc. (2. éd. 1865.) VII, 544 ff. Nys, Le droit de la guerre et les précurseurs de Grotius. Bruxelles 1882. J. Allen, Enquiry into the rise and growth of the Royal Prerogative in England. New edition. 1849.

Dem Mittelalter war, von den Stadtrepubliken und der Fiction Römischer Kaiserwürde abgesehen, der Begriff der antiken Politie oder respublica durchaus fremd geblieben. Für die auf dem Boden des Germanenthums erwachsenen weltlichen Herrschaftsverhältnisse kannte man begreiflich keine andere Begründungsweise als 1. die theokratische Idee der Verleihung oder Krönungsweihe durch das höchste geistliche Amt der Christenheit oder deren stellvertretende Primaten und unter dem stillschweigenden Vorbehalt möglichen Widerrufs, oder 2. die feudale Vorstellung der auf Vereinbarung des Lehnherrn und Vasallen in der Investitur feierlich offenbarten Vertragsschließung und 3. die Idee des vererblichen Grundeigens als einer Quelle öffentlicher Machtbefugnisse.

Keine dieser Vorstellungen involvirte ein in sich selbständiges, einheitliches Herrschafts- oder Unterwerfungsverhältniß. Nachdem das alte Volksthum sowohl in den Römischen Provinzen als in den Germanischen Stammesabtheilungen sich durch ständische Gesellschaftsbildungen zersetzt und größere Gebietsgruppen auf dem Festlande im Lehn auseinandergebröckelt waren, konnte sich die Neubildung der öffentlichen Gewalt und die Restauration eines politischen Volksthums nur vermittelst allmäliger Kräftigung der monarchischen Herrschaft vollziehen.

Dieser Prozeß neuer, umfassender Nationalstaatsbildung entwickelte sich auf sehr verschiedenen Grundlagen und gelangte je nach der Constellation der darauf einwirkenden Thatsachen in den einzelnen Landgebieten bald früher, bald später zum Abschluß. In England war es gerade die consequente Durchführung der oberlehnsherrlichen Gewalt, wodurch das Normannische Königthum zum Siege über die widerstrebenden und centrifugalen Kräfte der Gesellschaft getragen wurde. In Frankreich benutte das Königthum in erfolgreicher Weise die Gegensäße der städtischen Communen und die Interessen= conflicte zwischen den großen Kronvasallen und dem niederen Adel, um seine Ueberlegenheit endgültig festzustellen. In Spanien erstarkte die Macht der Krone durch Anlehnung an das in den Kämpfen gegen die Saracenen gesteigerte Einheitsbewußtsein des christlichen Volksthums. In den nordischen Königreichen hatte das alte Grundbauernthum seine Kraft fast ungebrochen durch die feudale Periode hindurch bewahrt, in Polen, Ungarn und Böhmen sich in dem Kampfe gegen das vordringende Germanenthum geschärft.1)

Unter dem Hause Valois, ganz vornehmlich unter Ludwig XI., er scheint das Königthum bereits als politische Staatsgewalt über den reichsständischen Corporationen herrschend, bis diese unter Ludwig XIII. völlig ver

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