Abbildungen der Seite
PDF
EPUB
[ocr errors]

der Kraftentfaltung des bürgerlichen Berufes und der städtischen Gemeindefreiheiten. Und endlich kam dann Ausschlag gebend hinzu, daß die militärischen Bedingungen, denen das Ritterthum seit seiner Entstehung praktische Wichtigkeit im Gesammtgefüge der Gesellschaft verdankte, seit der Erfindung des Schießpulvers und der dadurch bedingten Werthsteigerung des Fußvolks wiederum wegfielen. Mögen daher auch die Ritterschaften, die mit dem niederen Adel vielfach verschmolzen, nachdem das personale Moment der Ritterwürde gleichfalls durch den Grundsaß der ständischen Erblichkeit überwältigt worden war, in einzelnen Ländern eine politisch erhebliche Rolle seit dem Niedergange des Lehnswesens gespielt haben jedenfalls hörten sie auf, das öffentliche Leben der Europäischen Welt in dem Maße zu beeinflussen, wie dies im Zeitalter der Kreuzzüge unter dem Uebergewicht des französischen Ritterstandes der Fall gewesen war. Vielmehr bildeten sich, als dem ritterlichen Leben seine ideale Richtung auf die Morgenländischen Glaubenskämpfe ge= nommen und auch in Spanien der Islam in die Stellung mühsamer Vertheis digung zurückgedrängt war, jene bekannten Zerrbilder fahrender Ritter, von welchen die Aufsuchung von Abenteuern aller Art ebenso ernsthaft betrieben wurde wie von den fahrenden Sendboten des Dominicanerordens die Glaubensinquisition, wenn diese auszogen, um Keßereien in der gesammten Christenheit ausfindig zu machen und als Verbrechen gegen die göttliche Majestät zu bestrafen. Selbst die Deutschen Kaiser, die einer ständigen Residenz immer entbehrten, machen nach der Staufischen Periode den Eindruck fahrender Ritter. Der mit der Erhebung der städtischen Gemeindefreiheit augenscheinlich gewordene Rückgang des Nitterwesens darf aber Niemand über dessen höchst bedeutsamen, im internationalen Verkehr bleibende Nachwirkungen täuschen.

Zunächst bewirkte das Ritterthum für alle Folgezeiten die Aufstellung einer eigenen Art weltmännischer Bildung in den Umgangsformen der höheren Gesellschaftskreise, die keineswegs nur als äußerliche Verfeinerung der Sitten genommen werden darf, sondern auf einen selbständigen ethischen Kern zurückgeführt werden muß. Das Grundwesen aller Ritterlichkeit wurzelt in dem Princip der Ehre, der hingebenden, demüthigen Treue, in dem Gedanken der Dienstpflicht für die Ziele des Rechtsschußes gegenüber Schwachen und Bedrängten, in dem Zugeständniß derselben Ehrenhaftigkeit auch an den Gegner, in dem Anerkenntniß der Gleichberechtigung der Waffenübung, das man selbst der Tapferkeit des Arabers nicht versagen mochte. 4)

Neben den universalen Principien der Rationalität, der Philosophie, die in der antiken Hellenischen Welt von den Schranken der civitas absah, und des christlich-kirchlichen Glaubensgefeßes repräsentirt das mittelalterliche Ritterthum einen selbständigen, an den Ehrbegriff anknüpfenden Grundsag fosmopolitischer Ethik. So lange die Ritterwürde jedem freigeborenen Manne zugänglich war, wegen Unwürdigkeit wieder entzogen werden konnte, also durch Erblichkeit nicht zur ständischen Geschlossenheit einer Kastenbildung entartete, übte dieser Gedanke einen mächtigen Reiz auf den gesammten VorHandbuch des Völkerrechts I.

22

stellungskreis der mittelalterlichen Welt. Oder hätte Treue aus dem Grunde persönlicher Ehrenpflicht keinen Werth zu solchen Zeiten gehabt, in denen feierlich beschworene Eide troß der Macht der Kirche den Verträgen der Fürsten keinerlei Sicherheit zu verschaffen vermochten? Knüpfte doch selbst der Clerus bei der Verkündung des Gottesfriedens nicht an biblische Ausdrücke oder lateinische Formeln, sondern an die Germanisch-Fränkische Wortbedeutung, an die Verpflichtung der Treue (treuga) an, weil die Erinnerung an göttliche Gebote ihm nicht ausreichend zu sein schien.

Nach der international anerkannten Rangfolge dieser ritterlichen Ethik hatte die menschheitliche Ehrenpflicht der Mächtigen und Großen den Vorrang vor den Postulaten der Glaubenspflicht und der Gesetzespflicht der Rechtsordnung. Mag es auch unmöglich sein, dauernd gesellschaftliche Ordnungen auf ein so subjectiv wandelbares Fundament gleich demjenigen des Ehrgefühls zu begründen, so lag in der starken Betonung desselben doch immerhin der Hinweis auf die Unverbrüchlichkeit einer sittlich standesgenossenschaftlichen Lebensvorschrift, von der es keine Lossprechung und keine kirchlichen Dispense oder Abfolutionen gab.

Hätte man im Mittelalter ein allgemein wirkendes Institut zur praktischen Geltendmachung des Ehrbegriffes zu schaffen vermocht, so wäre man zur Her stellung einer internationalen Censur gelangt, die sich zur öffentlichen Ordnung des völkerschaftlichen Lebens wahrscheinlich eben so ergänzend verhalten hätte, wie das censorische Amt der Römer eine Vermittelung darstellte zwischen Volkssitte und Volksgesetz.

Das wesentlichste Product dieser mittelalterlichen, im Ritterthum wurzeln den Ehrbegriffe kann man als eine der wüsten Massenvernichtung entgegengesezte Kampfmoral bezeichnen. Sie gipfelte in dem Gedanken, daß Beschimpfung des überwundenen Feindes, Plünderung aus Gewinnsucht, Mißbrauch physischer Ueberlegenheit, plöglicher Ueberfall und Wortbrüchigkeit den Sieger entehren. Wenn auch das ritterliche Ceremonial- und Formelwesen, das vornehmlich in Frankreich entstanden war, späterhin vielfach dem Spott und der Satire anheimfiel, so darf trotzdem nicht übersehen werden, daß in jenen ritterlichen Gebräuchen Keime besserer Kriegsgebräuche geboten waren, die durch Epigonen in die Officiercorps späterer Armeeorganisationen verpflanzt wurden und sich als entwicklungsfähig erwiesen. International gewordene Ehrenbegriffe wurden zur Grundlage einer keineswegs unpraktischen Völkermoral in den Beziehungen der Fürsten, die darauf bedacht waren, sich den Ruhm der Ritterlichkeit durch ihr Verhalten in auswärtigen Staatshändeln zu sichern. Freilich gilt dies nur unter gleichzeitiger Beachtung der Kehrseiten. Weil das Ritterthum, vergleichbar den Erscheinungen des heroischen Zeitalters der Griechen, die großen Gegenfäße des Völkerlebens in Einzelkämpfe aufzulösen trachtete und darum den Zweikampf als ideale Gestaltung jeglichen Streites auch auf die Privatrechts-Beziehungen der Individuen, ohne Rücksicht auf Staatsfeindschaften, also unmittelbar in das bürgerliche Gemeinleben übertrug, und indem

das subjective Urtheil des Ehrgefühls an die höchste Gerichtsstelle gesetzt wurde, verhinderte es auf der anderen Seite die richtige, sachliche Würdigung politischstaatlicher Zweckbestimmungen.

In der Andeutung dieser culturhistorischen Gesichtspunkte eröffnet sich gleichzeitig ein Hinweis auf die Erscheinungen des höfischen Lebens im Mittelalter. Muß man zugeben, daß die Entwickelung des Völkerrechts seit dem Untergange der Römischen Republik und noch mehr seit der Festwurzelung des Gegensatzes zwischen Papstthum und Kaiserthum einerseits, wie zwischen Königthum und Grundadel andererseits an monarchische Regierungsformen enger angeknüpft war, so darf nicht bezweifelt werden, daß die Höfe der Fürsten diejenigen Stellen bezeichnen, wo internationale Sitte und Ceremonialwesen mit Rücksichten der auswärtigen Politik sich verbanden. 5) In dieser Richtung ist anzuerkennen, daß seit dem Ende des Mittelalters die größeren fürstlichen Höfe überall vornehmlich von den Tendenzen des Clerus und der ritterlichen Traditionen beherrscht wurden, sei es nun, daß sich diese aristokratischen Gesellschaftsmächte untereinander bekämpften oder zu gemeinsamem Verhalten verbündeten: eine Thatsache, die für die Praxis der Diplomatie und die Handhabung völkerrechtlicher Anforderungen nirgends außer Acht gelassen werden darf.

Das Ritterthum zeigte aber bei seiner äußeren Anlehnung an die mittelalterlichen Höfe, denen es seine gesellschaftlichen Verkehrsformen mittheilte, auch gleichzeitig, daß ihm künstlerisch - volksthümliche Kräfte neben seiner sonst aristokratischen Lebensrichtung innewohnten. Denn aus ihm entstammte eine neue Weltanschauung, die sich neben der rein kirchlichen Auffassung der menschlichen Lebensaufgaben behauptete und ihren Plaß auch nachmals gegen die Angriffe eines in das classische Alterthum zurückgreifenden Idealismus wirksam vertheidigte. Jene ritterliche Lebensanschauung, welche man in aller Kürze als Romantik bezeichnet hat, ergriff nicht blos höfifche, sondern auch bürgerliche Kreise und diente deswegen als eines der Bindeglieder gesellschaftlicher Gemeincultur. Nicht einmal die Menge des Volkes vermochte sich der tief eindringenden Macht dieser ritterlichen Gedankenrichtung völlig zu entziehen. Denn in jener Europäisch zu nennenden Poesie, welche von Frankreich, zumal von der Provence ausgehend, über fast alle christlichen Staaten den unwiderstehlichen Duft des Minneliedes und den Zauber des ritterlichen Epos ausgoß,6) wurden alle Bestandtheile der weltlichen Gesellschaft auf ihren Höhepunkten wie in ihren Tiefenlagen gleichzeitig ergriffen. Während die oft wunderbare Rückkehr der Kreuzfahrer aus dem gelobten Lande einen abenteuerlichen, der Odyssee ähnlichen Erzählungsstoff darbot, lieferten die Kämpfe gegen Saracenen die Gestalten einer in Einzelerzählungen aufgelösten Ilias: Stoffe, welche die Gemüther der Hörenden in Westeuropa ebenso fesselten wie die alten Gesänge Homers einstmals die Hellenische Welt. Durch Gegenstand und Inhalt erscheint die ritterliche Poesie als Bestandtheil der Weltliteratur, wodurch in der Folgezeit die Bahnen aller nationalen Literatur mit beherrscht wurden. Nicht einmal die uralte Germanische und Celtische Volkssage vermochte sich

solchen Einflüssen zu entziehen, denn die Gestalten der Völkerwanderung oder der nordischen Mythologie, der Tafelrunde und der Paladine Karls des Großen verjüngen sich während des XII. Jahrhunderts in dem Bann dieser Poesie als ritterliche Helden. Das Nibelungen-Lied bietet eines der merkwürdigsten Beispiele für die Verschmelzung volksthümlicher Sage mit der Ueberlieferung ritterlicher Dichtkunst.

1) Im Zeitalter der Kreuzzüge wurde in den dabei zumeist betheiligten Staaten die schwere Reiterei zum Hauptbestandtheil der Heere. Pruß (a. a D.) S. 183. 2) Der Deutsche Laienadel blieb in seiner überwältigenden Mehrheit von der ersten Kreuzzugsbewegung, die den Rhein nicht überschritt, vollkommen unberührt. Nitsch, Geschichte II, 125.

3) Im Orient gab es gemeinsame Kampfspiele zwischen Franken und Saracenen. Prut (a. a. D.) S. 193.

4) Die Geschichte lehrt, daß nicht blos Karl der Große und Friedrich II. die guten Seiten der Muhamedaner anerkannten, sondern christliche Ritterlichkeit auch von den Arabern geehrt wurde. Im Allgemeinen waren zur Zeit der Kreuzzüge die Christen die intolerante Partei. Pruk (a. a. D.) S. 56 ff.

5) Ueber die unter den Salischen Kaisern in Deutschland beginnende Verweltlichung des Hoflebens: Nitsch, Geschichte des Deutschen Volkes II, 69.

6) A. Springer (Paris im XIII. Jahrhundert. 1854. S. 7) wird von Pruß als einer derjenigen citirt, welche dem Französischen bereits im Mittelalter die Bedeutung einer Weltsprache vindicirten.

Sechstes Kapitel.

Städtewesen, Handel und Seeverkehr im Mittelalter.

--

§ 75.

Der städtische Handel.

--

Literatur: Ein umfassendes Verzeichniß über die Literatur des mittelalterlichen Handelsrechts giebt Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, § 5. Mar tens, Versuch einer historischen Entwickelung des wahren Ursprunges des Wechselrechts. Endemann, Studien in der Romanisch-Canonistischen Wirthschaftslehre Bd. I, 1874. G. Lastig, Entwickelungswege und Quellen des Handelsrechts 1877, S. 5ff. F. G. A. Schmidt, Handelsgesellschaften in der Deutschen Stadtrechtsquelle des Mittelalters. 1883. L. Cibrario, Della economia politica del medio evo. 2 ed. Torino 1841. P. E. Giudici, Storia dei communi Italiani. Firenze 1864-1866. Giuseppe Müller, Le colonie commerciali degli Italiani in Oriente nel medio evo. Venezia 1866-1868. A. Lattes, Il diritto commerciale nella legislazione statutaria delle città italiane. Milano 1883.

-

Das Städte verwüstende Einströmen der Barbaren hatte den Handel zu Lande und zur See im südlichen Europa auf das Schwerste geschädigt oder gar vernichtet. Die Lebenskraft materieller wirthschaftlicher Cultur verhielt sich aber, gleicherweise wie die Ueberlieferung des Römischen Rechtes, gerade auf Italienischem Boden vergleichungsweise am längsten, so daß hier Neubildungen im früheren Mittelalter aus dem Schutte der alten Welt am leichtesten ermöglicht waren.

Die sichersten, von der Natur begünstigten Zufluchtstätten gegen die Zerstörungswuth räuberischer Horden, wie Venedig und Amalfi, wurden zu Ausgangspunkten des mercantilen Unternehmungsgeistes. Im Zeitalter der Kreuzzüge hatten sich die central gelegenen Gestade des mittelländischen Meeres bereits mit bedeutenden Handelsplätzen bedeckt. Von ihnen wurden die Erinnerungen an den antiken Orienthandel wieder aufgenommen und im Zusammenhange mit den großen Heerzügen der Kreuzfahrer weiter entwickelt. Ein neues Hinterland für den Absatz Orientalischer Producte war im nördlichen Europa gewonnen worden. Kein Wunder, daß der Italienische Handel im XII. Jahrhundert weitaus jene Gränzen überschritt, die zu Zeiten der alten Römischen Kaiserherrschaft erreicht worden waren, wenngleich er sich auf eine größere Anzahl rivalisirender Städte, wie, außer den bereits genannten, auf Pisa, Genua, Verona, Florenz, Mailand vertheilte.

In höherem Maße, als dies auf dem politisch einheitlichen Gebiete der späteren Römerzeit möglich gewesen war, nahm der Handel zwischen zahlreichen selbständigen Gemeinwesen einen internationalen Charakter an.

Italien wurde deswegen zur Ursprungsstätte des mittelalterlichen Europäischen, auf gewohnheitsmäßiger Uebung beruhenden Handelsrechts, dessen Ausbreitung sich in kurzer Zeit über ganz Europa vollzog. Ohne daß Fürsten oder Staatsregierungen darauf Bedacht genommen hatten, die rechtlichen Verhältnisse der Handeltreibenden festzustellen, traten diese Gebräuche überall ins Leben, wo dieselben Bedingungen ihrer Pflege und Handhabung gegeben waren, wo also der Kaufmannstand in städtischen Gemeinwesen sich selbständig orga= nisirte und seine genossenschaftlichen Verhältnisse selbst zu regeln oder gar durch Statuten sich corporativ zu schüßen vermochte.

Für alle diejenigen Rechtsbeziehungen des Handelsverkehrs, deren Inhalt neuen Bedürfnissen entsprach und durch Definitionen des Römischen Rechts nicht hinreichend abgegränzt werden konnte, lieferte die Italienische Sprache ihre, bis auf die Gegenwart festgehaltenen Bezeichnungen, die auch dann noch im technischen Gebrauche herrschend blieben, als in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts unter Ludwig XIV. die Französische Gesetzgebung begann, auf dem Gebiete des Handelsrechts selbstthätig zu werden.

Wohl nirgends in der Welt findet sich, wenn man vom gemeinen Longobardischen Lehnrecht absieht, eine gewohnheitsrechtliche Bildung, die von so allgemeiner, und so viele selbständige Staaten umfassender Bedeutung gewesen wäre, wie diejenige des aus Italien abstammenden Handelsrechts. Italiens

« ZurückWeiter »