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delt, daher die Abhängigkeit der christlichen Lehre von der Vorgeschichte des alten Testaments, vor allen Dingen aber die überall Gemeinden bildende Kraft der Bekehrten und Getauften, die gerade die Juden durch Exil und Gefangenschaft in den Leiden der Jahrhunderte längst gelernt und bereits vor der Zerstörung Bions durch Titus in zahlreichen Städten, wie Antiochien, Damaskus, Alexandrien und sogar in Rom, bethätigt hatten. Aus dem Judenthum endlich entstammte der äußere Apparat des priesterlichen Rituals, den das Christenthum für seine Zwecke ausgestaltete und entwickelte, die Mischung des Schriftgelehrtenthums, das den Buchstaben der alten Schrift und ihrer Verheißungen auf die Wortauslegungen des neuen Bundes zu übertragen und damit die Anrufung ungeschriebener Traditionen zu verbinden wußte, um Fortbildungen zu eng gewordener Sahungen zu ermöglichen.

Blieb das vorchristliche Judenthum grundsäßlich im nationalen Monotheismus durchaus befangen, so hatte sich dagegen die Griechische Philosophie nach Sokrates allgemein zum universalen Monotheismus erhoben und ein von allem Ritual unabhängiges Sittengeset aufzustellen unternommen. Als das Christenthum des Paulus, aus den Syrischen Ursprungsstätten der Lehre heraustretend, die Gestade des Aegäischen Meeres und damit große Weltstädte wie Ephesus, Athen, Korinth und nachmals Rom erreichte, wurde es unvermeidlich in Berührung mit denjenigen philosophischen Lehren gesetzt, welche zu jener Zeit am weitesten verbreitet waren. Die nationalen Ueberlieferungen ältester jüdisch-christlicher Anschauung erhoben sich in jene höheren Regionen der Speculation, aus welcher schließlich die Lehre vom Logos und der Trinität in die Urkunde der Schrift oder in das Bekenntniß gelangten. Ursprache der neuen Religionsurkunden und Evangelien ward die Sprache der Philosophen, ohne die ein schriftlicher Gedankenaustausch in den ersten Zeiten des Urchristenthums kaum denkbar gewesen wäre. 1) Erst durch den Gebrauch der Griechischen Sprache ward der christlichen Lehre die Möglichkeit eröffnet, in den allmeinen Weltverkehr einzutreten und das speculative Interesse der nicht blos büßenden, sondern auch forschenden Zeitgenossen anzuregen. Sodann in den Mittelpunkt des damaligen politischen Lebens, nach Rom gelangend, verband sich die Verkündung des Evangeliums mit der juristischen Ueberlieferung der Rechtsbildung und der Idee der Weltherrschaft. An die Stelle des orbis terrarum fegte sich nach und nach das imperium des unsichtbaren Kosmos, des Himmelsreiches, der Gedanke der Katholicität, der Einheit und Allgemeinheit der Kirche. Die Formulirung bestimmter Wortsäße, Glaubensregeln und Dogmen, die Feststellung von Bekenntnissen nicht blos historischen Inhalts der Heilsthatsachen, sondern auch suprenaturalistischer Theoreme folgte aus den legislatorischen Vorbildern der Römischen Jurisprudenz und ihrer an die Methode der Jurisprudenz sich anschließenden Definitionspraxis. Wie die Griechische Philosophie so mußte auch die charakteristische Seite des Römischen Lebens in die weitere Ausgestaltung der christlichen Lehren eingreifen: im Leiden der Märtyrer die Anwendung des Römischen Strafrechts auch

auf solche, die gleichsam hochverrätherisch in staatsfeindlicher Gesinnung die Majestät der Kaiser und des Römischen Volkes durch Ueberordnung einer höheren Weltordnung leugneten; im Handeln der Apostel und ihrer Nachfolger die Aufstellung von Definitionen des Glaubens, von deren Annahme der Begriff der Rechtgläubigkeit und die Zugehörigkeit zur mitbürgerlichen Genossenschaft in der Gemeinde abhängig gemacht werden sollte.

So ist das Christenthum als eine internationale in den äußeren Weltgang seit dem Zeitalter des Tiberius eingreifende Potenz nicht anders zu begreifen, als durch die religiös vermittelte Vereinigung des im Judenthum, im Hellenenthum und Römerthum vornehmlich internationalen Ausdehnungstriebes: Dargestellt war somit im Christenthum, nachdem es sich in Rom festgesetzt und von dortaus weiter zu verbreiten begonnen hatte: 1. die nationaljüdische, schriftlich bezeugte Tradition der Verheißung und des priesterlichen Amtes im Gegensatz zum Laienthum; 2. die speculative Richtung der Hellenischen Philosophie, welche das göttliche Wesen theils als logischen Begriff, theils als eine sich in verschiedenen Manifestationen offenbarende, in der Natur wirkende Kraft des Guten zu erfassen und zu lehren bemüht gewesen war; endlich 3. die Römische Tradition, hervortretend in der Tendenz rechtlich verpflich= tender Dogmenbildung und Bekenntnißformulirung, sowie in der Gestaltung der Kirchenverfassung, welche drei Phasen nach Römischem Vorbilde in der alten und mittelalterlichen Geschichte durchlief: die Phase der urchristlichen, durch keine organisirten Gewaltverhältnisse verbundenen Einzelgemeinde, als Abbild der Gemeinde von Jerusalem oder in späterer Zeit der Gemeinde von Rom, gleichsam die communalstaatliche Formation der antiken Welt. Die mittlere Phase der Diöcesan- und Metropolitanverfassung, als Abbild einer gleichsam föderalen Bundesverfassung kirchlicher Provinzen; die letzte Phase einer centralistischen Universalverfassung, als Abbild des Römischen Principats und Imperatorenthums in der geistlichen Weltordnung.

Zwischen diesen Hauptphasen gab es selbstverständlich eine nicht geringe Anzahl von Uebergängen oder Vermittelungen. Im Großen und Ganzen aber darf nicht übersehen werden, daß die christliche Idee in ihrem politischen, also äußerlichen Verlaufe, von den drei Grunogestalten der weltlichen Staatsbildung beherrscht wurde: von der communalstaatlichen in den ältesten Einzelgemeinden, von der bundesgenossenschaftlichen in den Gemeindeverbänden der Bisthümer und Erzbisthümer, von der centralistischen Weltstaatsbildung im Principat des über das Erzbisthum hinausreichenden Oberpriesterthums, worin gleichzeitig die Altorientalischen Großmachtsbildungen der Theokratie wieder aufleben.

Das Volksthum eines sinkenden, im Niedergange begriffenen Zeitalters kann freilich staatlich und gesellschaftlich niemals durch einfache Wiederholung oder Combination seiner eigenen, bereits geschichtlich verbrauchten oder abgeschlossenen Culturarbeit verjüngt werden. Seinen rein religiösen Bestand

sicherte das Christenthum zunächst durch die Beweiskraft des Martyriums jener Einzelnen, die haufenweise gemartert oder hingeopfert wurden. Die antike Staatsordnung in Rom oder Byzanz mit neuem Leben zu erfüllen, blieb es aber auch dann außer Stande, als es mit Constantin dem Großen zur Staatsreligion erhoben worden war, und nach seinem politischen Culturwerth bemessen, steht das christliche Kaiserthum der Weströmer und die Byzantinisch mittelalterliche Gesellschaftsordnung weit zurück hinter der heidnischen Ordnung des Augustus, des Hadrian oder des Marcus Aurelius.

Staatliche und folgeweise dadurch auch das Völkerrecht beeinflussende Macht erlangte die christliche Religion erst durch ihre Verbindung mit der noch jugendfrischen, eigenartigen Volkskraft der Germanen. Es ist also nicht der älteste Anfang des Christenthums, der das Ende der antiken Staatsordnung und folglich einen welthistorisch augenfälligen Abschnitt der Welt- und Völkerrechtsgeschichte einleitet, sondern der durch den Einbruch des Germanenthums bewirkte Zusammensturz des Römischen Weltstaates, zu deffen allmäliger Untergrabung im Innern die wachsende Ausdehnung des Christenthums beigetra= gen hatte.

Mit der unaufhaltsam vordringenden Ausbreitung des Christenthums und dem darauf folgenden Sturze der christlich gewordenen Imperatoren des Wests römischen Kaiserreiches waren für die internationalen Wechselbeziehungen zwischen religiösen und politischen Potenzen zwei Thatsachen constatirt:

Religionssysteme sind, wenn auch staatlich anerkannt und privilegirt,

außer Stande, den politischen Verfall großer Gemeinwesen abzuwenden oder aufzuhalten;

und die Macht nationaler Organisationen vermag niemals solche Religionssysteme dauernd zu unterdrücken, die als Weltreligion eine allgemein menschliche Mission in sich tragen.

Als Weltreligion erwies sich das Christenthum historisch erst dann, als es, vom Judenthum völlig sich loslösend, keinerlei Staatsform als ausschließlich gerechte verkündete, weder die Nationen als solche noch fürstliche Machthaber nach dem Ideal Davids als religiös motivirte Herrschaften über das menschheitliche Leben hinstellte, sondern sich einfach auf das Princip der freiwilligen Gemeindebildung stellte und das Gewissen jedes einzelnen Menschen in das Centrum des geistigen Daseins rückte. Sodann auch dadurch, daß es von jeder territorialen und örtlichen Bedingtheit der Gottesverehrung absah und sich an keine oberste Cultusstätte band. An die Stelle der äußerlichen Obermacht und der Herrschaftsverheißungen eines Volkes über andere, des Juden über Nichtjuden, des Römers über Nichtrömer, trat das Gebot der dienenden Nächstenliebe und der Friedfertigkeit, der Brüderlichkeit in der Gotteskindschaft gerade in dem geschichtlich bedeutsamen Zeitraum, in welchem die Messianischen Verheißungen der Juden gegen die siegreich gewordene Weltrechtsordnung des Römischen Imperiums sich auflehnten, um endgültig zu unterliegen.

Handbuch des Völkerrechts I.

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Keine der gesetzlich gewesenen Zwangsinstitutionen der Vergangenheit, weder die Gewaltherrschaft der altjüdischen Theokratie noch die antike Sclaverei, noch die Kaiserherrschaft der Römer empfing durch die christliche Anschauung irgend welche Sanction. Der Werth aller weltlichen Dinge, die die freie menschliche Persönlichkeit bis dahin unterjocht hatten: der Hochmuth priesterlicher Schriftgelehrten und philosophischer Weltweisen, des prätorianischen Kriegsruhmes und der nach Reichthum jagenden Gewinnsucht trat in das entgegengesette Verhältniß der Unterordnung und Unterthanenschaft zur religiösen Gesinnung hingebender Dienstwilligkeit, der Einfalt, Armuth, der hoffenden Gläubigkeit.

Keines der nationalen, Römischen oder Jüdischen Geseze ward durch die christliche Lehre ausdrücklich aufgehoben, alle aber innerlich aufgelöst durch ihre das Gewissen beherrschende Unterordnung unter das sittlich religiöse Gebot, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

Eben hierin liegt der Gegensatz des Christenthums gegen die gesammte Staatsordnung der antiken Welt und jener Charakterzug, den man international in negativer Richtung nennen kann, weil durch ihn das Ueberwiegen der nationalen Staatsbestandtheile zwar nicht aufgehoben, aber doch eingeschränkt ist.

Positiv erweisen sich Richtungen der christlichen Internationalität in jener von Paulus vornehmlich vertretenen Forderung, wonach jeder Unterschied des rituellen Herkommens zwischen Judenchristen und Heidenchristen aufgehoben, die Pflicht der Wohlthätigkeit jedem Fremden gegenüber verkündet, das Bürgerrecht im Gottesreiche nur von der Gesinnung und vom Glauben abhängig gemacht, der Friede in der Menschheit als Gott wohlgefälliger Zustand gepriesen und friedfertiges Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft auch Andersgläubiger überall zugelassen wird.

Zu weit gehen immerhin diejenigen Geschichtsphilosophen, welche in ihrer Würdigung des Christenthums meinen, daß von ihm die Schöpfung der völkerrechtlichen Idee selber datire. Denn das Christenthum enthielt ursprünglich keine Rechtslehre. Auf seinem Boden ist der Gewaltherrscher mit dem Schwerte zur Aufrechterhaltung der äußerlichen Ordnung ebenso zur Bethätigung seiner Gewalt befugt, wie dem Beherrschten der Ungehorsam religiös geboten wird, wenn er gegen sein Gewissen erzwungen werden soll.

1) Die Mehrzahl der Juden verstand zu Christi Zeiten das Althebräische der heiligen Schrift nicht mehr; daher die Abhängigkeit des Volkes vom Schriftgelehrtenthum und die Verbreitung der Septuaginta.

§ 66.

Die kirchlichen Missionen.

1852 1853. 2 Bde.

Literatur: Henrion, Allgemeine Geschichte der Missionen. (Aus dem Franzöftschen von Schaffhausen 1847.) 4 Bde. Mejer, Die Propaganda. Göttingen Hahn, Geschichte der katholischen Missionen. Köln 1858. 2 Bde. Heinze, Das Lehramt der katholischen Kirche und der päpsts liche primatus ordinis. Wien 1876.

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Als nothwendiges Mittel der räumlichen Ausdehnung diente der Kirche der von ihr übernommene Beruf der Verkündung des Evangeliums auf dem gesammten Erdkreis. Keine der antiken Nationalreligionen trug eine ähnliche Vorstellung in sich. Gerade in ihr bewährt sich eines der den Weltreligionen aufgeprägten Merkmale. Man darf also sagen: die christlichen Missionen seien eine besondere gesandtschaftliche Institution des priesterlichen Berufs, als heilig anerkannt nur auf einer Seite, nämlich auf derjenigen, welche sie übt und einseßt, niemals auf Seite solcher, welche sie bei sich aufnehmen und empfangen sollen.

Wird nämlich überall der Fremde, in welcher Eigenschaft immer er kom= men möge, mit einem gewissen Maße des Mißtrauens betrachtet, so richtet sich eine natürliche Abneigung doch vielfach vorzugsweise gegen solche Ausländer, die mit dem Anspruch auf geistige Ueberlegenheit zum Zwecke der Belehrung und Bekehrung auftreten. Die Missionen der Kirche tragen daher die doppelte Eigenschaft an sich: einerseits betrachtet zu werden als ein zum Heile der Menschheit unternommener Dienst, von den Verkündern der Kirchenlehre auch widerwilligen oder feindlichen Nationen mit der Gefahr der Aufopfe= rung angetragen, andererseits aber auch jeden Gedanken der Gleichberech tigung zwischen der wirklich oder vermeintlich höheren Religionsüberzeugung und dem wirklich oder vermeintlich tiefer stehenden Glaubenssysteme ausschließend.

Oftmals zeigt sich, daß die zu höherer Culturentwickelung gelangten Religionsgesellschaften sich gegenüber fremden Glaubensaposteln abwehrender zu verhalten pflegen, als einfache Naturvölker oder solche Nationen, die, gleich denjenigen der antiken Römerwelt, von dem Bewußtsein mächtig fortschreitenden Staatsverfalles erfüllt sind oder das Bedürfniß sittlich religiöser Erneuerung tief empfinden.

So erklärt sich der allgemeine Entwickelungsgang der kirchlichen Missionen, in denen wir die Negation nationaler Religionssysteme zu erkennen haben, aus der Grundanlage des Christenthums selber und seiner ursprünglichen Staatenlosigkeit. Kein Volk würde freiwillig den Glauben einer ihm überlegenen, außerhalb seiner Gebietsgränzen waltenden Staatsmacht annehmen können, ohne zuvor seiner Selbständigkeit entsagt zu haben.

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