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Aus Athen gingen im fünften Jahrhundert v. Chr. die hochbegabten Werkmeister hervor, die auch nach Delphi zur Ausschmückung des Heiligthums des Apollon und nach Olympia berufen wurden. Phidias war der Schöpfer zweier Götterbilder, deren Meisterschaft und Vollendung Alles überstrahlte : der siegreichen, aber Frieden verheißenden Athene und des über den Festkämpfen der Hellenen richtenden Zeus zu Olympia.

Alle Künste des classischen Alterthums waren zur Verherrlichung der Panathenäen und der Olympischen Festspiele, wie einstmals die Götter selbst nach der Sage zu einem Festmahle vereinigt. Der Plastik war durch die Architectur am Fries und Architrav der Tempel die Aufgabe einer Vereinigung ihrer eigenthümlichen Kunstmittel mit derjenigen des Baumeisters gestellt. Zwischen der alten Sculptur und der Wandmalerei bildete sich ein gleichsam episches Mittelglied, der die Tempelwände umrahmenden Reliefarbeit. Die in Marmor niederwallenden Falten göttlicher Gewänder empfingen ihre leuchtende Kraft aus den Händen des Malers. Elfenbeinerne Geräthe, goldene Weihgeschenke, eherne Waffen der Gottheit bedingten künstlerisches Verständniß auch außerhalb des Gebietes der Marmorsculptur und des Erzgusses.1)

3u keiner Zeit hat irgend ein Volksthum eine künstlerisch vollendete Weihe empfangen, die auch nur im Entferntesten derjenigen des Athenischen Freistaates verglichen werden könnte. Sie bildet eine derjenigen Grundbedingungen, von denen der unvergängliche Werth classischer Bildung abhängt.

Wie die Musen um Apollo versammelt waren, so umgaben auch die anderen Kunstzweige das Werk, das an den Panathenäen die Schußgöttin der Athener verherrlichen sollte. Die Rhapsoden Homerischer Gesänge durften nicht fehlen. Auch die dramatische Dichtkunst erwuchs im Zusammenhange mit dem frei beweglichen Inhalt der Göttersage. Athen erschuf die erste Kunstbühne der Welt zur Darstellung menschlicher Schicksale in den beiden Grundgestaltungen der Komödie und Tragödie; Vorbilder, deren an= regende Kraft niemals erschöpft worden ist und entweder zu künstlerischer Nachahmung bei der Mehrzahl der Culturnationen anlockte, oder die Bewunderung aller Derjenigen erweckte, die der Schaubühne eine hochmenschlich ethische Aufgabe gestellt wissen wollten. Nicht minder als die Trümmer jener Bildwerke des Phidias and Praxiteles, die auf uns gekommen sind, erwecken die Schöpfungen des Aeschylos und Sophokles, eines Euripides das Staunen der Nachwelt Angesichts der Thatsache, daß es eine Volksmenge war, die durch Vorstellungen entzückt wurde, deren Formvollendung und Gedankeninhalt unter verfeinerten Umgangsformen fürstlicher Höfe nur wenigen Auserlesenen verständlich ward. Auch die Musik konnte in diesem Reigen der Künste nicht fehlen. Aristoteles vindicirte ihr eine politische Bedeutung.

Schwerlich darf bezweifelt werden, daß auch die Rhetorik, als Kunst geordneter Rede, aus dem Boden großer religiöser und nationaler Festversammlungen entsproffen war. Die Festgesandtschaften, welche die Grüße entfernter Landesgenossen überbrachten, erschienen nicht als stumme Zuschauer. Sie be

richteten den Volksversammlungen von ihren Eindrücken und Wahrnehmungen, von dem Spruch der Orakel und der Verwaltung des Tempelschaßes, der im Pantheon bewahrt lag. Auch der prosaische Vortrag beugte sich den Geseßen der Schönheit und war bei feierlichen Gelegenheiten von dem Hauche künstlerischer Begeisterung durchweht. Wie hätte es anders sein können, als Alles darauf ankam, einen von Kunstgefühl in allen öffentlichen Angelegenheiten ge= leiteten Demos zu erregen und zu gewinnen?

Sicherlich waren wirkungsvoll eingreifende Staatsreden im 5. oder 6. Jahrhundert mit dichterischen Anklängen und ergreifendem Rhythmus des Tonfalles ebenso durchsetzt wie der Vortrag des Platon, dem der größeste Reichthum poetischer Bilder zur Verfügung stand. In der Praxis hervorragender Rhetoren besitzen wir die Anfänge jener Sprachbildung, deren sich späterhin die Philosophie und Geschichtsschreibung bediente, jene erste Schulung der Staatswissenschaften und der Rechtskunde; 2) denn der Vortrag vor Gericht, zumal in wichtigen Staatsprozessen, konnte nicht unberührt bleiben von den tieferen Zusammenhängen des Volkslebens.

Ankläger und Vertheidiger, Gesandte, die den Volksversammlungen vorgeführt wurden, und Parteimänner bedurften der Fertigkeit in der Verwen= dung aller Kunstmittel der Rhetorik und Dialektik. Rede und Gegenrede boten sogar natürlichere Vorbilder für die Behandlung des Dialogs im dramatischen Schauspiel und wurden hinwiederum von diesem beeinflußt, wie auch der urtheilende Chor der Tragödie in der umstehenden Menge bei Gerichtsverhandlungen Anknüpfungspunkte vorfand. Es verhält sich damit nicht anders als mit der Gymnastik, die das Augenmaß des Bildhauers schulte.

Welchen nachhaltigen Einfluß Rhetoren auf das antike Leben ausübten, erweist die Betrachtung der Geschichtsschreibung, die deswegen als Kunst bei Griechen und Römern aufgefaßt wurde, weil man die höchsten Leistungen der historischen Darstellung gerade darin seßte, daß in frei gedichteter, aber psychologisch begründeter Rede großer Staatsmänner wie Herodot und Thukydides die innersten Beweggründe des Handelns blosgelegt werden sollten. 3)

In den Attischen Rhetorenschulen, die ihrerseits wiederum als Fortpflan= zungen einer unter den Kleinasiatischen Griechen üblich gewesenen älteren Einrichtung gelten mögen, erkannte man die ältesten Anfänge derjenigen Unterrichtsveranstaltungen, die auf das Ziel einer freien, staatsbürgerlichen und gleichzeitig universal menschlichen Bildung gerichtet gewesen sind. 3um ersten Male wurde, losgelöst von priesterlichen Traditionen irgend welcher Geheimlehre oder theokratischer Zweckbestimmungen, berufsmäßiger Unterricht in staatlichen Dingen ertheilt. Längst bevor es theoretisch von den Weisheitslehrern ausgesprochen worden war, mußte man in Hellas erkannt haben, daß das Schicksal freistaatlicher Verfassungsformen nicht auf die Leidenschaften der unwiffenden Menge, sondern auf die politische Einsicht, Erfahrung und Redekunst leitender Männer zu stellen war. 4)

Erst in der Folgezeit, nach dem Untergange der staatlichen Selbständig

keit, oder doch gleichzeitig mit dem nach dem Peloponnesischen Kriege einwirkenden Sittenverfall, nahmen die Rednerschulen jene Wendung, die sie von den Höhen kimonischer und perikleischer Staatsideale abwärts führte auf die Wege der gewerbsmäßig bethätigten Gewinnsucht, der dialectischen Klopffechterei und der academischen Doctorfragen. Aber auch in dieser entarteten Gestalt wurden sie gerade für das Hellenistische Zeitalter von Alles entscheidender und somit internationaler Bedeutung. In der Anlehnung an gewisse 3weige der Philosophie, zumal an die Logik, Politik und Ethik, untersuchten die Rhetoren mit ihren Schülern die Gefeße der Staaten nach dem Maßstabe ihres inneren Werthes, ihrer sprachlichen Deutlichkeit oder Interpretationsfähigkeit und die im gerichtlichen Beweis verfügbaren Mittel der Wahrheitserkenntniß. Die Schulen der Rhetoren waren somit Anstalten, in denen aus dem Gesichtspunkte der politischen und gerichtlichen Beredsamkeit alles dasjenige aus den Wissenschaften der Grammatik, der Sittenlehre, der geschichtlichen Erfahrung und des juristischen Beweises zusammengefaßt und geübt wurde, was irgendwie für das öffentliche Leben verwerthet werden konnte. Auf diese Weise vermittelten sie die allgemeine Verbreitung einer weltmännisch praktischen Geschäftsbildung, der Politiker, Feldherren, Gesandte und Volksführer ebenso wenig entrathen konnten wie diejenigen, denen die Wahrnehmung fremder Rechtsgeschäfte oblag.

Diesem Grundzuge praktisch geschäftlicher Unterweisung, der sich in der Makedonischen Epoche ausbildete, war es denn auch vornehmlich zuzuschreiben, daß die Römer von der Ueberlegenheit des Griechischen Geistes so schnell überzeugt und ergriffen wurden. Selbst solche Staatsmänner, die von den Speculationen der Naturphilosophie, Logik oder Metaphysik wenig wissen wollten, konnten sich in Rom der Erkenntniß nicht verschließen, daß Anstalten politischer und gerichtlicher Vorbildung allmälig unentbehrlich geworden

waren.

So lange es im classischen Alterthum ein öffentliches Leben gab, gipfelte das Ideal des Staatsmannes überall in der Gestalt eines Redners, der das gesammte politische Wissen seiner Zeit, natürliche Begabung, sittliche Integrität und eigene Lebenserfahrung mit jenen geschäftlich formalen Kunstfertigkeiten des schriftlichen und mündlichen Sprachausdruces verband, die zur Lenkung berathschlagender Staatskörper oder beschließender Volksversammlungen befähigte und nur in strenger Schulung durch ausgezeichnete Rhetoren zu erlangen war. Die Rhetorik bedeutet somit, wenn sie nach ihrer nächsten practischen Zweckbestimmung aufgefaßt wurde, ebensoviel wie Unterricht in der Staatskunft, Staatswissenschaft und Rechtspflege.

In der Natur der Verhältnisse lag es, daß im Zeitalter des Hellenismus, als dieselben technischen Bedürfnisse fachmännischer Schulung in Athen, Rhodus, Sicilien, Kleinasien und Aegypten befriedigt werden sollten, practische Uebungen in den Rhetorenschulen, die aus Gewinnsucht und Ehrgeiz mit einander wetteiferten, zum Zwecke der Disputation und Belehrung nicht mehr von

streng nationalen, sondern von allgemein menschlichen Ueberlieferungen ausgingen und ihre Beispiele nach kosmopolitischen Gesichtspunkten auswählten. Eben deswegen haben sie in die geistige Entwickelung der internationalen Beziehungen auf nachhaltigste Weise eingegriffen und auch auf die Bedürfnisse solcher Staaten Rücksicht genommen, die freierer Verfassungen entbehrten und wie kleinstaatliche Tyrannen oder Orientalische Fürsten auf schriftlichen Verkehr bei Besorgung der Staatsangelegenheiten vornehmlich angewiesen waren.

Als dann zuletzt der republicanische Verfassungsbau der Römer durch das Imperatorenthum über den Haufen geworfen wurde, lebten die Rhetorenschulen der Griechen in verfümmerter Gestalt als Ueberbleibsel einer großen Epoche weiter. Aber ihre Aufgabe entbehrte des politischen Gehaltes. Sie blieben Uebungsstätten der Advocatur und folgten darin den Entwicklungen des Römischen Weltrechts.

1) 3. B. in der Keramik. Attische Töpferwaaren wurden um die Mitte des 5. Jahrhunderts in den Pogegenden verhandelt und drangen bis nach Aethiopien. Curtius (a. a. D.) II, 848 (n. 141).

2) In der classischen Periode mußte zu Athen jeder Bürger seine Rechtssache vor Gericht selbst führen. Meier und Schömann, Attischer Prozeß 707. Erst zur Zeit des Peloponnesischen Krieges gewann die Thätigkeit der doróɣpaço an Ausdehnung

3) Was Herodots Reden anbelangt s. Curtius a. a.. D. II, 830 (Note 47). Thukydides' Reden galten als mustergültig und wurden von Demosthenes studiert.

4) Dies schloß elementaren Staatsunterricht nicht nur aus, sondern bedingte ihn. Denn die Leistungsfähigkeit in Freistaaten ist sowohl eine passive, als auch eine active. Schon die Abstimmungen bedingten Kunde des Schreibens und Lesens. Ueber Attische Volksbildung s. Schömann, Alterthümer I, 115. 541. Zur Zeit der Gewaltherrschaft der Dreißig ward der rhetorische Unterricht zu Athen unter Polizeiaufsicht gestellt, nur den Vornehmern sollte er zugänglich sein.

§ 56.

Die Griechische Philosophie.

Literatur: C. A. Brandis, Handbuch der Geschichte der Griechisch - Römischen Philosophie. 3 Bde. 1835-1866. Derselbe, Geschichte der Entwickelungen der Griechischen Philosophie 2 Bde. 1862—1864. E. Zeller, Philosophie der Griechen. 3 Aufl. Bd. 1-3 (1869-1879). Schwegler, Geschichte der Griechischen Philosophie, herausgegeben von Köstlin. 1859. E. Curtius, Griechische Geschichte I, 508, II, 198 f., II, 205 f., 281 f., III, 89f., 491ff. 543f. M. Dunder, Geschichte des Alterthums VI, 665; VIII, 465 ff. Ranke, Weltgeschichte I, 2. S. 1ff, 60–69. K. Hildenbrand, Geschichte und System der Rechts- und Staatsphilosophie. I. Band. (Das classische Alter

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thum. (1860.) Gilom, Ueber das Verhältniß der Griechischen Philosophie im Allgemeinen und im Besonderen zur Griechischen Volksreligion. 1876. W. Onden, Die Staatslehre des Aristoteles in historisch-politischen Umrissen. Leipzig 1876.

Sicherlich fehlte es auch in Orientalischen Staaten nicht an Philosophen und Philosophemen. Aber nirgends hat die Philosophie einen so hohen Grad wissenschaftlicher Vollendung, künstlerischer Darstellung, politischer Wichtigkeit und weltgeschichtlicher Bedeutung erlangt, wie unter den Hellenen. Während sie im Orient die Oeffentlichkeit scheute und sich in das Gewand priesterlicher Geheimlehre hüllte, trug fie in Griechischen Städten ihre Lehren auf den Marktplägen und in öffentlichen Säulenhallen, in allgemeinen Gerichtssißungen und zugänglichen Unterrichtsanstalten oder in Lustgärten vor, Altes zerseßend, Neues begründend, überall die leßten Grundlagen jeglicher Erkenntniß prüfend, der Einheit menschlicher Gedankenwelt nachstrebend.

Nicht zufällig geschah es, daß die Philosophie an den äußersten Gränzmarken des Hellenischen Lebens zuerst auftrat: in Kleinasien, Sicilien und Großgriechenland. War es denkbar, daß Männer, wie Thales von Milet, der als Verkünder einer Sonnenfinsterniß mit der Gestirnkunde vertraut gewesen sein muß, ohne tieferes Nachsinnen die Berührungen zweier Religionssysteme und zweier sich wechselseitig bekämpfender Gesittungsstufen als Thatsache ohne Nachdenken, wahrgenommen hätten? War es möglich, daß unter ähnlichen Verhältnissen Pythagoras in Samos bei mathematischen Problemen stehen blieb, wo er die Allgewalt des Hellenischen Staatsgeistes sich überall an den Küsten des Mittelmeeres regen sah?1)

Eben solche Anregungen zur Vergleichung und Beobachtung tiefer, das Volksleben beherrschender Gegensätze waren aber auch in Sicilien gegeben, wo Ansiedlungen der Griechen und Carthaginienser in nächster und mannigfaltigster Berührung standen, oder innerhalb derselben Gemeinden die Glaubensfäße verschiedener Religionssysteme mit einander um den Vorrang stritten.") So bildeten sich, in den Ausgangspunkten einander verwandt, die drei ältesten Philosophenschulen zu Kroton, Agrigent und Elea.3)

Nach ihrer ursprünglichen Anlage in Kleinasiatischen und Großgriechischen Gegenden bemessen, war die Philosophie eine durchaus aristokratische oder über alle einzelne Kenntniß gleichsam monarchisch gebietende, centrale Wissenschaft, die sich ihres inneren Gegensatzes sowohl gegenüber den theokratischen Principien des Orients, als auch der alten Götterlehre der Hellenen vollkommen bewußt sein und daher Anfangs ernstlich darauf Bedacht nehmen mußte, auch ihrerseits entweder auf den Bahnen der Geheimlehre und der Mysterien oder des genossenschaftlichen Geheimbundes zu verharren und sich mit den natio= nalen Interessen in Einklang zu sehen, was die Meinung des Pythagoras gewesen zu sein scheint. Aber diese Frage war nur so lange eine offene, als die Philosophie, an ihren ältesten Ursprungsstätten verharrend, sich vor allen

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