Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

eidlich angelobt: so Jemand das Eigenthum des Gottes beraube oder Mitwisser und Mitberather zu einer Unternehmung gegen das Heiligthum sei, solchen zu strafen mit aller Macht.

Aus diesen Grundlagen entwickelte sich ein eigenes System der Bundesgesandtschaften, wogegen Zuwiderhandelnde sich den heiligen Kriegen aussetzten, deren einer im 6. Jahrhundert (um 586), zwei im 4. Jahrhundert (355-346 und 340) geführt wurden. Selbst Alexander der Große huldigte dem Nationalgeiste, als er sich von den Amphiktyonen zum Bundesfeldherrn gegen die Perser ernennen ließ.

Von höchster Bedeutung für die völkerrechtlichen Vorstellungen der Hellenen war es auch, daß die Amphiktyonen - Versammlung sich als Gerichtshof ermächtigt betrachtete, die Beobachtung völkerrechtlicher Grundsäße zu überwachen und Verstöße dagegen zu ahnden, wenn auch der historische Gegensatz zwischen Athen und Sparta gerade diese wichtige Function nicht zu voller ent= scheidender Wirkung kommen ließ.

Zweimal im Jahre, im Frühling und im Herbst, traten die Bundestags= gesandten, die den Namen der Hieromnemones1) führten, in Delphi oder Thermopylä zusammen, ohne daß sich ein Recht ständigen Vorsizes gebildet hätte.

Der in der Weltgeschichte so oft verhängnißvolle Gegensaß zwischen Recht und Macht ward auch dem Amphiktyonenbunde verderblich, nachdem im Nor= den Griechenlands sich eine Militärmacht gebildet hatte, die sowohl den Athenern als den Spartanern entschieden überlegen war. Auch in Hellas offen= barte sich die oft wahrnehmbare Unfähigkeit der städtischen Demokratie, diplo= matische Beziehungen richtig zu beurtheilen, in dem Scheitern der von Demosthenes verfochtenen Bestrebungen. Die Rhetorik des Schwertes ist stets mächtiger als die Beschlüsse unkundiger Volksversammlungen oder die Rede eines Staatsmannes, der, wie Demosthenes, der Menge in entscheidenden Augenblicken unverständlich bleibt.

Griechenlands schlimmster Feind, Philipp von Makedonien, gefährlicher als Xerxes, weil er nicht nur erprobter Feldherr, sondern einer der schlauesten Diplomaten war, wurde von den Amphiktyonen im Kriege gegen die Phokier zu Hülfe gerufen, vollendete mit unglaublicher Schnelligkeit seine bewaffnete Intervention und begrub auf dem Schlachtfelde von Chäronäa (338) die Griechischen Volksfreiheiten. Mit ihnen endete auch die völkerrechtliche Bedeutung des Amphiktyonenbundes, dem Philipp eine neue, auf seine eigenen Interessen berechnete Scheinverfassung auferlegte.

Späterhin bemächtigten sich die Aetoler des Delphischen Heiligthums und erzwangen ihre Mitgliedschaft. Des Bundes spätere Schicksale und ein Reformversuch des Augustus sind ohne Bedeutung, falls man nicht etwa die Zurückweisung des Gallischen Einfalls in Griechenland (279) dem Amphik, tyonenbund zum Verdienst anrechnen will.

Auch die letzten Versuche der Aetoler und Achäer, durch Herstellung föderaler Einrichtungen ihren Widerstand gegen die Römer zu kräftigen, er

wiesen sich als erfolglos. Immerhin aber lassen auch diese Versuche ersehen, welche Aufgaben die Hellenen hätten lösen können, wenn sie zur Zeit ihrer staatlichen Blüthe verstanden hätten, die in ihren Conföderationen vorhandenen Keime organisirter Rechtsmacht für andere Zwecke auszubilden, als zur Ausnutzung im Dienste wechselseitiger Eifersucht. 5)

1) Dies ist auch die von Ranke vertretene Ansicht. Er urtheilt über den Anfang des Peloponnesischen Krieges: Fürwahr ein gräßlicher Anblick: Die beiden Mächte, welche vereinigt eine universale Bedeutung in der Welt hätten erlangen können, in diesem wüthenden Kampfe einander zerfleischen zu sehen.“

2) Solche Verträge, wodurch der Civilrechtsschuß in Hinsicht des internationalen Privatrechts geordnet wurde, hießen σúμßola.

3) проμavτɛía bedeutet das Recht (in derselben Angelegenheit) das Orakel zuerst zu befragen Da auf die Art der Fragestellung sehr viel ankam, handelte es sich nicht um eine Etiquettenfrage, sondern um ein practisch wichtiges Präsidialrecht.

4) Späterhin Ayoparpoí, ein Wort, das Schömann (a. a. D. II, S. 37) gleichbedeutend nimmt mit den beisigenden Pylagoren.

5) Ueber den Achäischen Bund s. vornehmlich Freeman, History of Federal Government und dessen Comparation Politics (London 1873/74 S. 216 ff.). Er vergleicht denselben mit der Nordamerikanischen Bundesverfassung.

§ 52.

Kriegsrecht und Friedensschluß.

-

Literatur: W. Wachsmuth, Jus gentium, quale obtinuerit apud Graecos ante bellorum cum Persis gestorum initium, 1862. Schömann, Griechische Alterthümer II, 11 ff. Voretsch, Kretische Staatsverträge 1870. Müller-Jochmus, Geschichte des Völkerrechts im Alterthum, S. 123 f.

Wie die Griechischen Hopliten mit ihrer ehernen Ausrüstung auf den Schlachtfeldern von Marathon und Platää sich zu den Horden der Persischen Großkönige verhielten und sich die modernen Bezeichnungen der Taktik und Strategie an Griechische Ueberlieferungen anknüpfen, ebenso verhielt sich auch die in Hellas hervortretende Durchgeistigung der Kriegsbegriffe zu der Altorientalischen Anschauung vom Kriege. Ihnen erschien der Kampf nicht nur in Festspielen und auf den Uebungsplägen der Jugend, sondern auch im Felde und zur See als geordnete Bethätigung geistiger Kräfte, dargestellt in der Ueberlegenheit der weitblickenden und sinnigen Athene über den wild stürmenden Ares, dessen Göttergestalt gleichsam ihren Orientalischen Ursprung verräth

Der Krieg trat in den mehrfachen Zusammenhang der mit Feldherrntunst gepaarten Freiheitsliebe und der vergeltenden Rechtsidee, die in der drei

fachen Gestalt des Feldkampfes, der Seeschlacht und des Belagerungskrieges waltet.

In den ältesten Zeiten mögen die Gränzlinien zwischen Handel und Seeraub, dem im allerältesten Griechischen Staatswesen auf Kreta Minos einst gewehrt haben soll1), zwischen geordnetem Kampf und roher Gewaltthat gegen Nachbarstaaten schwankende gewesen sein. Unmöglich war aber jedenfalls, daß die Waffengänge zahlreicher kleiner, räumlich nahe gerückter Gemeinwesen unberührt geblieben wären von jenem rechtsbildenden Triebe, der sich auf allen anderen Gebieten des öffentlichen Lebens bethätigt hatte.

Die Griechische Poesie kennt keine Gestaltungen, die sich mit der Wildheit israelitischer Siegeslieder vergleichen ließen. Auch in dem Feinde sah man, wo nicht die leidenschaftliche Verblendung der Mordlust augenblicklich die Oberhand gewonnen hatte, den Menschen, der unter der Obhut einer der Grausamkeit zürnenden Gottheit stand.

Selbst vor der Unternehmung des Trojanischen Krieges, deffen bereits gedacht wurde, so berichtet die Sage, sei Abordnung einer Gesandtschaft mit dem Auftrage geschehen, Genugthuung von den Trojanischen Frevlern gegen das Gastrecht zu verlangen.

Aus den ungeschriebenen Rechtsforderungen der Vernunft leitete der denkende Hellene die Erkenntniß ab, daß Recht und Unrecht nicht nur in der Gerichtsversammlung, sondern auch auf den Schlachtfeldern einander bekämpfen. Daher das zwar oft verlegte, aber dennoch grundsäglich festgehaltene Postulat ordnungsmäßiger Kriegserklärung, die den Gegner gleichsam zur Rechenschaft ladet, wenn er sich geweigert hat, dem Rechte freiwillig Genüge zu leiften. Daher auch das frühzeitig bemerkbare Streben, den Krieg durch Befra gung der Drakel, aus denen das antike Volksgewissen redete, in seiner Rechtmäßigkeit augenscheinlich zu machen oder durch Vereinbarung eines Schiedsspruches zu vermeiden. Nicht selten sind die Beispiele schiedsrichterlicher Entscheidung Hellenischer Staatsstreitigkeiten, 3) wobei sich bereits sämmtliche in neuerer Zeit geübte Modalitäten vorfinden; entweder wurden mehrere Schiedsrichter vereinbart, oder einzelne besonders angesehene Männer wie Periander oder Themistokles um einen Ausspruch angegangen oder einem dritten unbetheiligten Staat die Entscheidung übertragen, wofür der zwischen Athen und Megara geführte Streit um Salamis einen Präcedenzfall liefert. Als eine der verschiedenen Formen des antiken Schiedsgerichtes muß es sodann angesehen werden, wenn zur Vermeidung größeren Blutvergießens von dem Ausgang gewisser Einzelkämpfe zwischen Angehörigen der streitenden Staaten die Ent scheidung des Streitpunktes auf Grund vorgängiger Vereinbarung abhängig gemacht wurde.

Auch während des Krieges waltet die Nothwendigkeit, die friedlichen Mittel nachträglicher Verständigung nicht zornmüthig abzuschneiden. Boten und Herolde genießen des Schußes durch eine besondere, gleichsam diplomati sche Gottheit, die den Namen des Thalthybios führt. Freilich finden sich,

wie überall, so auch in der Geschichte der Hellenen Verlegungen des Gesandtschaftsrechts, aber solche Verlegungen wurden hinterher als Unrecht erkannt und selbst Spartaner fühlten sich gedrungen, wegen der gegen Boten des Xerxes geübten Missethat Volkssühne zu leisten. Dagegen mußte es selbstverständlich als zulässig gelten, im Voraus die Annahme von Parlamentären abzulehnen. 4)

Schon in der menschlichen Achtung vor todten Feinden lag eine Nöthigung, diejenigen nicht zurückzuweisen, die durch Herolde die Erlaubniß nachsuchten, gefallene Kämpfer zu bestatten. Nicht selten ließ es sich gerade der Sieger angelegen sein, ihnen die lette Ehre zu erweisen. Dies zu unterlassen und ohne zwingende Noth versäumt zu haben, wurde dem Lysander nach der Schlacht von Aegospotami zur Unehre gerechnet. Verabscheuungswürdig auch gegenüber Barbaren erschien die Altorientalische Praxis der Verstümmlung von Gefangenen oder Schändung von Leichen. Man verschmähte es, jenes schlechte Beispiel zu erwidern, das Perser gegeben, als sie die Leiche des Leonidas an das Kreuz schlugen. 5) Noch viel weniger wäre es zulässig gewesen, Heiligthümer des überwundenen Feindes zu entweihen oder das Asylrecht in Tempeln zu verlegen, ein Grundsaß, der gelegentliche Verleugnungen dieses Grundsages in der Praxis bei Griechen freilich ebenso wenig ausschloß wie bei christlichen Nationen.

Auch das Fehlen der Orientalisch- Assyrischen, Aegyptischen und Römischen Sitte des Triumphzuges enthält mancherlei, was dem menschheitlichen Genius der Griechen zum Ruhme gereicht. Man gedachte dessen, daß Uebermuth des Siegers Mißgunst der Gottheit erwecken könne. Mit diesem verfeinerten Bewußtsein einer im Gewissen der Nationen waltenden Rücksichtnahme auf die Nemesis hing es zusammen, daß althergebrachte Sitte dem Sieger auf dem Schlachtfelde die Errichtung eines Tropäon aus Stein oder Erz untersagte, um die Verewigung eines den Völkerzwist beurkundenden Andenkens zu ver= meiden und den Nachkommen des Besiegten die Ertheilung historischer Amnestie zu erleichtern. 6)

Die Tödtung Wehrloser, die rechtzeitig die Gnade des Siegers anflehen, war gemißbilligt und dem Herkommen zuwiderlaufend.

Das Loos der Kriegsgefangenen war je nach den Umständen verschieden. Da Schuldknechtschaft zahlungsunfähiger Personen auch im Frieden zulässig war, so konnte man nach antiker Denkweise nicht von Inhumanität sprechen, wenn auch der Gefangene durch Knechtschaft gleichsam seines eigenen Staates Schuld abzubüßen hatte. Immerhin war, wie auch zu Zeiten des Mittelalters, Auswechselung oder Loslösung zulässig. Es ward der Preis entweder für den gerade vorliegenden Krieg durch Vereinbarung der Streitenden festgestellt oder durch Herkommen geregelt.7) Hier und da, wie in Athen, mag die lebung bestanden haben, wenn Sclaven in Folge eines staatlichen Gefangenenkaufes ihren Herrn wechselten, von dem Besizübergang in nach

folgende Hände dem ersten Erwerber Kenntniß zu geben, damit ein etwa beabsichtigt gewesener Loskauf leichter zur Ausführung gelangen könne. 8)

Von der Kriegsbeute ward regelmäßig ein Theil, der Zehnte, den Göttern geweiht. Einen anderen Theil nahm der Staat. Bei der Vertheilung gemeinschaftlich gemachter Beute an die Sieger ward Auszeichnung und Tapferkeit besonders berücksichtigt.

Eroberte, durch Sturm eingenommene Städte unterlagen der willkürlichen Verfügung des Siegers. Da jede Stadt auch dann mit Wällen umgeben zu sein pflegte, wenn sie außerdem noch eine Burg, wie Athen, Korinth und Theben besaß, so war eine scharfe Unterscheidung zwischen bewaffneter Besatzung und mitkämpfenden Bürgern unthunlich. Es ist natürlich, daß nach demokratischen Principien in kleinen Communen der Krieg als Volksbeschluß und Volksschuld angesehen wurde. Milder gestaltete sich das Schicksal der Vertheidiger, wenn es ihnen gelang, rechtzeitig eine Capitulation herbeizuführen (HomoLogie).

Besondere Beachtung verdienen auch die diplomatischen oder rhetorischen Erörterungen über Zulässigkeit und Unzulässigkeit bestimmter Kriegsführungsmittel. Als den Athenern von Böotiern vorgeworfen war, sie hätten sich im Kriege am Heiligthum des Delischen Apollo nicht nur durch Besetzungen, sondern auch durch Anlage von Fortificationen vergriffen, rechtfertigten sich diese in völlig zutreffender Weise, indem sie hervorhoben, sie seien durch Kriegsnothwendigkeit gezwungen worden; nur was ohne Noth gegen die Götter unternommen wurde, verdiene als Sünde gestraft zu werden.9)

Als Zeichen höherer Kriegscultur muß es gelten, daß nicht nur gewisse Dertlichkeiten, wie Heiligthümer und Tempel, sondern auch einzelne Personen als neutralisirt erachtet wurden. Eines solchen gewohnheitsrechtlichen Schußes genossen beispielsweise die im feindlichen Heere anwesenden Pyrphoren, d. h. die aus der Heimath mitgenommenen Opferpriester, die das heilige Feuer bei sich trugen: ein Grundsaß, der vorzugsweise geeignet ist, die Duldsamkeit der Hellenen zu bezeugen. Gleiche Rücksichten beobachtete man bei den Sehern (Manteis). Unter den Dorischen Staaten bestand sogar die Uebung dessen, was in der christlichen Sprache des Mittelalters als Kirchenfrieden oder Gottesfrieden bezeichnet werden könnte. Zur Zeit großer und allgemeiner Religionsfeste trat nämlich ein Waffenstillstand ein, den der im Vortheil befindliche Feldherr nicht zu versagen pflegte. Auch erwirkten neutrale Staaten bei herannahender Festfeier durch ihre Verwendung fremden Pilgern sicheres Geleit über den Kriegsschauplay. Thukydides bezeugt, daß namentlich zur Zeit der vier großen Nationalfeste, der Olympien, der Pythien, Isthmien und Nemeen, durch herumziehende Herolde Friedensansage erfolgte, wodurch nicht nur im Gebiete der festfeiernden Nation, sondern auch bei den kämpfenden Parteien Pilgern sicheres Geleit erwirkt wurde. 10)

Neben so zahlreichen Bekundungen menschlicher Rücksichtnahme, die grundfäßlich nur Griechischen Landesgenossen, zuweilen aber auch den Heiligthümern

« ZurückWeiter »