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2. Gewaltsam erzwungene oder freiwillig unternommene Auswanderung, Ansiedelung und Einwanderung zwis schen staatlichen Gebieten oder staatlichen und staatenlosen Landstrecken, sei es, daß es sich um einzelne Personen oder um ganze Völkerschaften handelt.

3. Handelsunternehmung oder Güteraustausch zu Lande und zur See.

4. Ideenaustausch oder Ideenaneignung, Uebertragung und Assimilation fremder Sitten und Gebräuche entweder vers mittelt durch Nachahmungstrieb der Völker, verständige Berechnung des Handels oder Forschungseifer reisender Personen, beruhend auf Zeichensprache, Schriftverständniß oder Sprachgemeinschaft. 1)

5. Wahrnehmung internationaler Rechtsgeschäfte durch Boten und Gesandte.

Schon in den Urzeiten staatlicher Cultur finden sich, wenngleich nur in schwachen Anfängen, sämmtliche Hauptmodalitäten des Verkehrs. Sie müssen nach natürlicher Bestimmung am frühesten dort bemerkbar werden, wo es, wie zwischen dem nördlichen Afrika und Vorder- Asien, an schwer zu passirenden Gränzscheiden auf der Erdoberfläche fehlt, oder ein großer Stromlauf in Flußthälern die Verbindung der Menschen erleichtert, oder die Küste einer meistentheils ruhigen See längere Strecken des Meeresufers für dessen Anwohner zugänglich macht, oder dem Festlande nahe gelegene Inseln das Wagniß einer mit unvollkommenen Mitteln unternommenen Seefahrt vermindern.

Die Mehrzahl dieser Bedingungen waren in Aegypten, in Mesopotamien und an den östlichen Gestaden des mittelländischen Meeres mit einander vereinigt. An diesen Stätten wurden sie zuerst erkannt und benußt. An ihnen hat die geschichtliche Betrachtung der internationalen Culturvermittelungen zu beginnen.

Mit Recht nimmt die Mehrzahl der neueren Historiker Aegypten als den ältesten, durch die gegenwätig verfügbaren Mittel der Wissenschaft erkennbaren Boden, aus welchem die heutige Europäische Gesammtcultur abgeleitet werden kann. „Aegypten bildet den Abschluß einer Vorgeschichte des Menschengeschlechts, deren beste Hinterlassenschaft die älteren ägyptischen Denkmäler sind, ein unvordenklicher Zeitraum, in welchem auch die Religion des Landes entstanden ist, der bei allen ihren Mängeln doch eine universale Bedeutung zukommt" (2. v. Ranke).

Welche von den zahlreichen Völkerschaften des Orients in den geschicht lichen Prozeß des internationalen Culturlebens und folglich in die wissenschaftlichen Interessen des Völkerrechts verflochten werden können, darf als zweifelhaft angesehen werden, so lange die vorhandenen monumentalen Ueberreste uralten Schriftwesens der sprachlichen Entzifferung und Durchforschung noch Raum lassen. Sicherlich aber darf angenommen werden, daß außer Aegypten, die Staatsalterthümer der Israeliten, Assyrier, Perser und Phönicier

die vergleichungsweise bedeutendsten Beiträge zu den ersten Anfängen der ältesten Völkerrechtsgeschichte liefern.

1) Wichtigste Beispiele solcher geistigen Aneignungsprozesse liefert die Verbreis tung der Schriftzeichen aus Aegypten, Phönicien, Babylonien unter benachbarten Völkern, sowie die Verbreitung der Arabischen Ziffern über die moderne Welt. Dieser Prozeß der internationalen Nachahmung schließt geistige Selbständigkeit in keiner Weise aus Man beachte beispielsweise die Umwandlung alt summarischer-chaldäischer Schriftzeichen für den Gebrauch solcher Sprachen, die einen völlig verschiedenen Sprach. bau, wie das Persische und Affyrische, befolgten.

§ 41.

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Das Aegyptische Staatswesen und seine Culturanfänge. Literatur: Ein Verzeichniß der neueren, mit Champollion, Rosellini und Lepsius beginnenden, auf Entzifferung der alten Urkunden beruhenden Geschichtsforschung giebt: Wiedemann in seiner „Geschichte Aegyptens“, Bd. I (1884). Vor nehmlich zu beachten: Bunsen, Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte, 6. Bd. 1844-1857 (Englisch von Birch, 5. Bd. 1857). Brugsch, Geschichte Aegyptens unter den Pharaonen. Erste Deutsche Ausgabe 1877. (Englische Ausgabe mit Anmerkungen von Seymour und Smith 1881.) Maspero, Geschichte der morgenländischen Völker im Alterthum. (Deutsch von Pietschmann.) Leipzig 1877.) Revillot, Étude complémentaire du cours de Droit EgypWilkinson, Manners and customs of the ancient Egyptians. London 1837. Birch, History of Egypt, 1877. Aus welthistorischen Gesichtspunkten geschrieben: Max Dunder, Geschichte des Alterthums. 5. Aufl. (1878), Bd. 1, S. 3 — 227. geschichte. 2. Aufl. 1881. Bd. I, S. 3—39. Alterthums. Bd. I. Geschichte des Orients bis zur Begründung des Perserreichs 1884. - Uhlemann, Handbuch der gesammten Aegyptischen Alterthumskunde, Theil I IV. (1857 1858). Juristische Darstellungen: Laurent, Études sur l'histoire de l'humanité I. Bd., S. 220-248. (1855.) - Pierantoni, Trattato di Diritto Internazionale. Bd. I (1881) pag. 90 -120.

tien. Paris 1884.

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2. v. Ranke, WeltEd. Meyer, Geschichte des

Aegyptens Staatswesen, wie man oft annimmt, aber nicht beweisen kann, auf Einwanderung von Stämmen protosemitischen Ursprungs beruhend1) und in näherer geistiger Berührung mit Vorderasiatischen Culturanlagen stehend, gelangte bereits vier Jahrtausende vor dem Beginn christlicher Zeitrechnung aus ursprünglich gesonderten, durch Verehrung localer Gottheiten noch späterhin bezeugten Ortsgliederungen (Nomen) zum festen Abschluß territorialer, streng monarchisch gehandhabter Verfassung. 2) Sein königliches Pharaonenthum giebt uns den Typus altorientalischer auf Verschmelzung göttlicher und fürstlicher Machtfülle beruhender Gewalt, deren Apotheose sich nachmals in der Idee des

Cäsarenthums wiederholte und tief greifende Gegenfäße gegen die HellenischRömischen Staatsbildungen darstellt.

Das Grundwesen der Altägyptischen, bis zur Macedonischen und Römischen Eroberung von Außen her wenig berührten Gesittung besteht in der beispiellosen Dauerhaftigkeit ihrer zuständlichen Existenz, ihrer urkundlichen in Stein gegrabenen und in Farbe verewigten Monumentalität, in der Einheitlichkeit eines schmalen vom Delta des Nils bis zu dessen Katarakten hinaufreichenden Gebiets, der Unvergleichlichkeit seiner großartigen monumentalen Continuität, bei deren Anschauung es leicht vergessen werden kann, daß Aegyptens Ge= schichte, gleich dem Strome, dessen Flußlauf ihr Abbild überliefert, gelegent= lich durch Epoche machende Katarakten durchsetzt wird, bis sie, gleich den im Mündungsgebiete sich theilenden Delta-Armen, ihre Grundstoffe mit fremden Bestandtheilen mischt und endlich ihre Gesittung zeugende Kraft verliert. Aber noch heute sind, wie vor Tausenden von Jahren, dieselben Menschentypen im oberen Nilthale bei denselben Verrichtungen des Alltagslebens thätig.

Durch unvordentliche Ueberlieferungen göttlicher Abkunft seiner ersten Königsgeschlechter war der Aegypter an das fruchtbare, ihn ernährende Flußthal des Nils gebunden. Jeder Völkerschaft ältester und neuester 3eit wohnt, soweit sie irgendwie zum Bewußtsein ihres eigenen Werthes gelangte, die Vorstellung eines ihr eigenen Vorzugsrechtes vor anderen Nationen inne, mag dieser durchaus natürliche Völkerglaube nun auf religiös erregter Einbildungskraft, auf dem Glauben an Verheißungen und Prophezeiungen der Priester, auf künstlerischer Anschauung gewaltiger Monumente und Naturkräfte, oder auf der Erinnerung an die Ueberlegenheit der Waffen beruhen.

Bei den Aegyptern trafen sämmtliche Factoren, die das Selbstgefühl eines Volkes zu erheben vermögen, zusammen. Mehr noch als den Griechen im Verhältniß zu anderen Völkern, war ihnen ihre Ueberlegenheit, ihr Alters= vorrang, ihre Leistungsfähigkeit zum Bewußtsein gekommen. Ihre Königsgräber, mit den auf Obelisken emporsteigenden Schriftzeichen, die Geheimnisse der Hieroglyphen, die überwältigende Macht ihrer Architectur, die practische Lebensweisheit ihres Priesterthums, die Sicherheit ihrer Meßkunde und ihrer Berechnungen der Himmelskörper, erregten das Staunen der alten Welt. Wäre diese nicht von Bewunderung erfüllt gewesen, wie hätten Männer von der Begabung eines Solon, Pythagoras, Herodot, Plato die Neigung empfinden können, das Land der Pharaonen aufzusuchen? Selbst in den Augen der Griechen konnten Aegypter nicht als Barbaren gelten.

Wenige Völker dürften in gleichem Maße von der Anhänglichkeit an ihren Boden gefesselt gewesen sein. Die Himmelskörper schienen ihre Bahnen nur darum zu beschreiben, um dem gepriesenen Lande Segen zu spenden. Alle Vorstellungen von Leben, Tod und Unsterblichkeit wurzelten unlösbarer in den Jahr für Jahr sich wiederholenden Naturbildern der Befruchtung, Belebung, Verjüngung und Verdorrung eines als geographische Einheit erscheinenden Landes, dessen Südgränze durch geheimnißvolle Bergzüge, dessen Nordrand

durch den Meeresspiegel, dessen nahe an einander gerückte Seitenwände durch den Wüstensaum für den Blick des nahenden Beschauers gekennzeichnet waren, und dessen wichtigste Eingangspforte auf der Landenge von Suez immer noch durch Einöden führte.

War für den Aegypter das Verhältniß seines Fruchtlandes zu der Umgebung ungeheurer Wüstenstrecken gleich dem Verhältniß der Lebenserweckung zur Lebensvernichtung, so versteht man leicht, warum auch seine Todtenforge und sein Unsterblichkeitsglaube sich an Grabkammern heftete, die den Stätten der stets sich verjüngenden Natur nahe gelegen sein mußten.

Nothwendiger Weise mußte schon dieser örtlich bedingte Unsterblichkeitsglaube die Niederlassung in der Fremde dem Aegypter ebenso unerträglich erscheinen lassen, wie den Tod in irgend einer anderen, die Bestattungsfeierlichkeiten ausschließenden Umgebung. In seinen Augen stellten sich daher Kriegszüge in die Ferne auch dann als Heldenthaten dar, wenn sie keine anderen Ergebnisse lieferten, als eine geringe Anzahl abgehauener, als Trophäen heimgebrachter Hände oder die Erbeutung weniger Esel, Ziegen oder Rinder. In seiner Einbildungskraft spiegelten sich die Thaten ausziehender Krieger so mächtig wieder, daß ihnen die Verherrlichung in der glühendsten Sprache der Granitschrift oder die Errichtung von Gedenksteinen auf dem Wüstenwege kein zu geringer Ehrenlohn für die Theilnehmer an solchen Unternehmungen erschien.

Selbstgenügsam in seiner Heimath, mied der Aegypter thunlichst die Fremde. Man weiß nichts von Altägyptischen Niederlassungen oder Ansiedlungen in der Entfernung vom Mutterlande, von Forschungsreisenden außerhalb des gesandtschaftlichen Verkehrs, von Handelsunternehmungen gleich denjenigen der Phönicier oder Griechen. Der ägyptische Bergwerksbetrieb auf der Halbinsel des Sinai beruhte vermuthlich auf der Arbeit von Sclaven oder der Verwendung. von Verbrechern.

Eben diese Abgeschlossenheit eines hoch cultivirten Landes reizte aber die Begehrlichkeit der in der Nachbarschaft herumschwirrenden Wüstenstämme, Hunger leidender Hirtenvölker und beutegieriger Monarchen anderer Länder.

Aegypten ward bald von den füdlicheren Völkern der Gebirgslande Nubiens oder Aethiopiens, bald von den Horden Libyens, bald von Vorderasiati= schen Kriegern, bald von feefahrenden Kämpfern heimgesucht und vermochte dem Schicksal der Fremdherrschaft nicht zu entgehen, als es im erfolglosen Kampfe gegen Affyrer und Perser seine Kräfte verbraucht hatte. Aber Aegypten hatte unter seiner zwölften und achtzehnten Dynastie große Kriegserfolge aufzuweisen. Denn naturgemäß ergab sich aus den lästigen Angriffen der Wüstenvölker und Syrer der Rückschlag Aegyptischer Eroberungszüge, deren Resultate weniger in dauernder geographischer Ausdehnung des Aegyptischen Staatsgebietes oder Volkswesens, als in dem Erwerb von Kriegsbeute, in der Auferlegung von Tributzahlungen oder der Aufnöthigung königlicher Suprematie über fremde Herrscher bestand.

Der Bereich solcher Kriegszüge erstreckte sich nach unseren Begriffen im

Süden und Westen nicht über die näher angränzenden Theile Africas hinaus: bis in die höher gelegenen Theile Aethiopiens und die leichter erreichbaren Dasen der Libyschen Wüste. Was aber Vorderasien anbelangt, so bezeichneten die südlichen Gebirgszüge Kleinasiens, der Nordrand Phöniciens, der Flußlauf des Euphrat und Tigris, vielleicht die Hochebene Persiens die äußersten Gränzen, bis zu denen die siegreichen Waffen Aegyptischer Helden-Könige vorzudringen vermochten.

Solche zeitweise Herrschaft über Syrien vermochte jedoch nicht eine geo= graphische Ausdehnung Aegyptischer Cultur herbeizuführen. Denn zu ihrem eigensten Wesen gehörte ihre Unübertragbarbeit, soweit ihr politisch-religiöser Charakter in Rede stand. Unzweifelhaft ist aber, daß fremde Niederlassungen der Hirtenvölker in Nieder-Aegypten, der Israeliten, und späterhin der Griechen, zur Aneignung einzelner Aegyptischer Culturbestandtheile geführt haben. Daß Gestirnkunde, Chronologie, Astrologie, Baukunst, Geometrie, Arzneikunde, Sculptur und mancherlei technische Erfahrungen von Aegypten aus ebenso, wie mancherlei religiöses Ceremonialwesen in die Lebensgewohnheiten und in die Erkenntniß anderer orientalischer Völker und Südeuropäischer oder Afrikanischer Küstenbewohner schon früher übergegangen waren, ehe sich in Alexandrien nach der Macedonischen Eroberung (332) eine eigenartige Culturmischung des Hellenischen und Altägyptischen Geistes vollzog, kann nicht bezweifelt werden. Ihre völlige Erschöpfung erreichten Aegyptische Einflüsse erst mit dem Eindringen des Islam.

Erwägt man, daß sich selbst die moderne Zeit dem Zauber dieser uranfänglichen Gesittung nicht zu entziehen vermag, und daß man ihr seit dem Zeitalter der Römer Verehrung bezeugte, indem man Gräber öffnete, Mumien plünderte, Obelisken auf die Marktpläge Europäischer Großstädte schleppte und Kunstsammlungen mit den Herrlichkeiten des alten Pharaonenlandes ausstattete, so darf man, auch wenn troß ihrer Verstümmlung die Sprache der Denkmäler im Nilthale nicht ebenso laut redete, wie die Ueberbleibsel der Hieroglyphen, wohl vermuthen, daß der Eindruck des Aegyptischen Culturstandes auf Juden, Griechen und Römer kein geringfügiger gewesen sein kann, da diesen doch die technischen Leistungen der Aegyptischen Baukunst in Ermangelung aller durch die moderne Wissenschaft gebotenen mechanischen Hülfsmittel in viel höherem Grade imponiren mußten, als der Neuzeit.

Das alte Aegypten steht also im weltgeschichtlichen Zusammenhange mit dem Culturbewußtsein der heutigen Zeit. Wir verdanken ihm die Möglichkeit, älteste Anfänge des Menschengeschlechts chronologisch durch seine unzerstörbar gebliebenen Urkunden zu ordnen und zu beglaubigen, sodann die Geschichtsforschung in die ehemals völlig wüsten Gebiete unserer prähistorischen Existenz weiter vorzuschieben. Die Kenntniß des Entstehungsprozesses, den die Bildung unserer Schriftzeichen, als des wichtigsten Mittels zur Erhaltung, Verbreitung und Uebung aller irgendwie internationalen Cultur, die Wahrnehmung unserer täglichen Geschäfte im Anschluß an die Jahres- und Tagesberechnung,

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