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Mit dieser Auffassung der Quellenverbindungen als einer wichtigen Grundlage der die einheitlichen und allgemeinen internationalen Verhältnisse be= herrschenden Rechtsordnung darf der Fall nicht verwechselt werden, wo ein und dasselbe Rechtsinstitut theilweise nach den Normen einer Rechtsquelle und theilweise nach den Normen einer davon verschiedenen anderen Rechtsquelle beurtheilt werden muß. Das Recht des Deutschen Zollvereins war und ist zum Beispiel theilweise in Deutschen Reichsgeseßen, theilweise in Staatsverträgen zwischen Deutschen und nicht Deutschen Staaten (wie Luxemburg) enthalten.

Die wichtigsten der bei internationaler Quellenverbindung möglichen Combinationen sind folgende:

1. Gewohnheit und Anerkennung als Rechtsquellen für einen Staat in Verbindung mit den Landesgesehen eines anderen entweder bereits untergegangenen oder noch fortbestehenden Staates. Was die Geschichte des Römischen Rechtes im Mittelalter anbelangt, so hat zuerst Savigny den Prozeß geschildert, wodurch das geschriebene Gesetz Justinians, nachdem es seinerseits das gewohnheitsrechtlich vererbte Juristenrecht der klassischen Zeit gesammelt und durch Kaiserliche Verordnungen ergänzt hat, in einer durch rechtshistorische Irrthümer getragenen Dogmatik der Glossatoren anerkannt und dann in das Gewohnheitsrecht der Europäischen Continentalstaaten hinübergeleitet worden ist (quod non agnoscit glossa, nec agnoscit curia).3)

2. Nicht anders liegen die Verhältnisse, wenn umgekehrt ursprünglich ausländische Rechtsgewohnheiten in einem anderen Staate den Geseggebern Veranlassung bieten, schwankend gewordene Gebräuche durch schriftliche Beurkundung zu befestigen, um auf diese Weise die Aneignung eines fremden Rechtsstoffes zu erleichtern. Englische Juristen erkennen an, daß ein erheblicher Theil des heute in Parlamentsstatuten verzeichneten Seerechts nach seinem Entstehungsgrunde als mittelalterliches Gewohnheitsrecht der hauptsächlich seefahrenden Nationen aufzufassen ist. 4)

Ob bei der Anwendung solcher später entstandener schriftlich gewordener Rechtsquellen auf ältere bei fremden Nationen noch geübte Rechtsgewohn= heiten zur Entscheidung einzelner Streitfälle zurückgegangen werden könne, dürfte freilich fraglich sein. Handelt es sich dabei um eine durch gesetzgebende Organe vermittelte Aufzeichnung einheimischer oder fremder Rechtsgebräuche lediglich zum Zwecke größerer formaler Klarheit und Bestimmtheit, so wird die fehlerhafte schriftliche Redaktion fremder mißverstandener Gewohnheiten, die man materiell zu ändern erweislich nicht gesonnen war, durch richterliche Restitution der früheren Rechtsgewohnheiten corrigirt werden dürfen. Andererseits muß, wo die Gesetzgebung nicht blos (durch Anerkennung) ein sog. Rechtsbuch herstellen, sondern selbständig im Ganzen oder theilweise disponiren wollte, das spätere geschriebene Recht in zweifelhaften Fällen für den Richter trok des vom Gesetzgeber anerkannten und gleichzeitig mißverstandenen Ursprungs

verhältnisses wenigstens dann den Vorzug behalten, wenn die eigenen Unterthanen des Gesetzgebers mit einander im Rechtsstreit befangen sind und wenn einer älteren Völkerrechtsgewohnheit durch Gefeße überhaupt derogirt werden fonnte, was bei blos erlaubenden oder gestattenden Rechtsfäßen (z. B. bezüglich der Kaperei im Seekriege) nicht verwehrt sein kann.

3. Der zweifelhaft gewordene Tert der in Gefeßen oder Staatsverträgen niedergelegten Völkerrechtsnormen kann durch Gerichtsgebrauch für die Zwecke der Anwendung fixirt werden. Die Feststellung der (Griechischen) Juftinianischen Novellenterte durch den mittelalterlichen (Lateinischen) Gerichtsgebrauch und die Gestaltung der Vulgata würde einen historischen Präcedenzfall liefern. Aehnliches könnte sich wiederholen, wenn minder civilisirte Staaten Europäische Staatsverträge in der Absicht der Nachahmung oder Befolgung in ihre Sprachen übertragen lassen und der Gerichtsgebrauch oder die Behörden solcher Länder hinterher zu einer usuellen Anwendung fehlerhaft übersetzter Gesezesstellen gelangen: eine Erwägung, die nahe liegt, wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten Europäische Rechtsbegriffe in Ostasiatische Sprachen übertragen werden.

4. Fremde Staatsverträge können durch Gesetzgebungsacte auch von solchen Staaten sanctionirt werden, die an der Vertragsschließung selbst nicht betheiligt waren. Man stelle sich vor, daß die Bestimmungen der Genfer Convention zum Schuhe verwundeter Krieger in Militärstrafgeseßen einzelner Staaten reproducirt werden. Soweit dabei die Absicht vorwaltet, eine völkerrechtliche Norm unter der Bedingung der Gegenseitigkeit durch Strafgesete zu sichern, würde es sich bei der Beurtheilung der darunter fallenden Verletzungen oder Zuwiderhandlungen um die Beachtung einer Quellenverbindung handeln. Jeder aus derartiger Absicht entsprungene Act der Strafgesetzgebung einzelner Länder würde mit vorangegangenen Staatsverträgen gleichartigen Inhalts durch den vermittelnden Act stillschweigender Anerkennung in Berührung gesezt sein.

5. Aehnliches kann geschehen, wenn die von den leitenden Mächten abgeschlossenen Collectiv-Verträge ohne förmliche Beis trittserklärung in die Staatspraxis nicht vertreten gewesener dritter Staaten übergehen. Das Resultat wäre alsdann eine Völkerrechtsnorm, die für einen Theil der Staaten auf Verträgen, für andere Staa= ten dagegen auf Uebung und dadurch bethätigter Anerkennung beruhen würde. Die sachliche und normative Bedeutung der von den Europäischen Großmächten befolgten Verkehrsgrundsäße reicht in manchen Fällen über den Kreis der Contrahenten hinaus. Dies geschieht zumal dann, wenn die Rationalität der von den Mächten getroffenen Vereinbarungen so einleuchtend ist, daß sie sich nachweisbar Anerkennung auch anderwärts zu erwirken vermögen. In dieser Hinficht darf daran erinnert werden, daß die Nordamerikanische Union in ihrem diplomatischen Verkehr mit England sich auf die vom Wiener Congreß an= genommenen Grundsäge der internationalen Flußschiffahrt berief.

Endlich können völkerrechtliche Zustände von allgemeiner Bedeutung in der Weise entstehen, daß durch die Landesgefeßgebung einzelner Staaten die eigenen internationalen Beziehungen mit dem Bewußt= sein geordnet werden, daß auch die Rechtsverhältnisse dritter Staaten gleichzeitig berührt werden müssen, wofern dann hinterher die so erfolgte Regelung durch andere Betheiligte anerkannt oder ohne Widerspruch hingenommen und durch Uebung bestätigt wird. Den bedeutsamsten Präcedenzfall dieser Art liefert das Italienische Garantiegeseß vom 13. Mai 1871, durch welches die Beziehungen nicht nur des Königs von Italien zu einem depoffedirten, ehemals auch weltlichen Fürsten, sondern auch indirect die Beziehungen des Oberhauptes der katholischen Kirche zu anderen weltlichen Mächten formell geordnet werden sollten. Es handelte sich bei diesem Gesetzgebungsacte nicht um ein der völlig freien Verfügung Italiens unterliegendes Gesetzgebungsobject, sondern um eine von Italien in Form der Landesgesetzgebung zu übernehmende Bürgschaft internationalen Charakters, wodurch die Möglichkeit gewährleistet werden sollte, die völkerrechtlich überlieferten Beziehungen weltlicher Mächte zur Curie in einer die Selbständigkeit des diplomatischen Verkehrs sichernden Weise fortzuführen. Der internationale Rechtszustand des Papst thums beruht gegenwärtig, wenn man von dem grundsäglichen Widerspruch der Römischen Curie absieht, auf der Quellenverbindung, welche durch das Zusammenwirken Italienischer Landesgesetzgebung und außeritalienischer Anerkennungspraxis der Staaten erzeugt wird. Ist dies der Fall, so würde sich die völkerrechtliche Qualität dieses Zustandes auch darin bewähren müssen, daß die gegenwärtig bestehenden Verhältnisse durch weitere Gesetzgebungsacte von Seiten einzelner Länder willkürlich nicht abgeändert werden dürfen. 5) Die Italienische Gesetzgebung würde ohne weiteres nicht berechtigt sein, einseitig und ohne zwingende Umstände einen von den Mächten anerkannten, die persönliche Unverleglichkeit des katholischen Kirchenhauptes verbürgenden Zustand zu verändern.

1) Savigny, Heutiges Römisches Recht I, § 21.

2) Ueber die älteren Theorien des Gewohnheitsrechts s. auch Westlake, Internationales Privatrecht (Deutsche Ausgabe, 1884) S. 9 –-14.

3) Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter J, 67.

4) Westlake, Internationales Privatrecht (Deutsche Ausgabe) § 195.

5) Ein im Prinzip mannigfach ähnliches Verhältniß bietet sich für Oesterreich in Beziehung zu Bosnien und zur Herzegowina.

Nach Art. 25 des Berliner Tractats vom 13. Juli 1878 hat Desterreich-Ungarn nur die Autorisation zur (militärischen) Occupation und Administration. Desterreich hat dann, über diese Gränzlinien hinausgehend, auch Gerichtsbehörden und sogar Wehrpflichtigkeit eingeführt, denen die völkerrechtliche Vertragsbasis zu fehlen scheint. Diese Zustände haben dann wiederum als rechtliche im Ausland soweit Anerkennung gefunden, als beispielsweise die auf Türkische Kapitulation beruhende Consularjustiz von privilegirt gewesenen Mächten zurückgezogen wurde.

§ 31.

Verhältniß der Völkerrechtsquellen zu den Quellen des nationalen Rechts.

Wie mehrere auf neben einander liegenden selbständigen Rechtsgebieten entsprungene Quellen zur Entstehung gemeinsamer internationaler Rechtsregeln zusammenwirken können, so kann es auch geschehen, daß aus einer und derselben geschichtlich nachweisbaren Quelle, gegenständlich betrachtet, verschieden geartete Rechtsnormen hervorgehen. Das von der Rechtswissenschaft aus der physisch geographischen Natur der Erdoberfläche entnommene Bild der Quellen würde auch darin zutreffen, daß ein als einheitlich vorgestellter Stromlauf, nachdem er durch mehrere Quellen erzeugt worden ist, auch wiederum an seiner Mündung die Gewässer in verschiedene Arme zu theilen vermag.

Was über das Verhältniß des Völkerrechts zum Staatsrecht bereits oben (§ 15) gesagt worden ist, muß auch bei der Würdigung der Rechtsquellen und ihres möglicherweise verschiedenen Inhalts beachtet werden, zumal wenn in einer Quellenart gleichzeitig völkerrechtliche und innerstaatliche Normen zur Erscheinung kommen.

Landesgesetze, durch welche beispielsweise das Auslieferungswesen geordnet wird, können strafrechtliche, strafprocessualische und völkerrechtliche Regeln neben einander enthalten, lettere in sofern der Staat gewisse Grundsäße in Erkenntniß seiner völkerrechtlichen Pflichten sanctionirt. Umgekehrt können Staatsverträge, wenn sie zur Constituirung und Anerkennung neuer Staatspersön= lichkeiten führen, Grundsätze in Beziehung auf die neu recipirten Mitglieder der Völkerrechtsgemeinde enthalten, die ihrer Natur nach zunächst als staatsrechtliche, nicht als völkerrechtliche, erscheinen. Soweit Deutschland in Betracht kommt, war der Westphälische Friede gleichzeitig eine Quelle des Völkerrechts, des Reichsverfassungsrechts und des Staatskirchenrechts.

Aehnlich verhält es sich mit der Wiener Congreßacte vom Jahre 1815, insoweit sie mit der Europäischen Ordnung der Deutschen Bundesverhältnisse zu gleicher Zeit in einem untheilbaren Vertragsinstrumente die internationale Seite des Bundes und theilweise auch die Basis der staatsrechtlichen Verhältnisse der einzelnen Deutschen Bundesstaaten regelte. Endlich hat auch der Berliner Friedens tractat vom 13. Juli 1878 den neustaatlichen Schöpfungen von Bulgarien, Serbien und Rumänien die Gleichberechtigung verschiedener Bekenntnisse, also die Befolgung eines wesentlich innerstaatlichen Verfassungsgrundsages auferlegt, obwohl vom Standpunkt heutiger Staatspraxis doch nur behauptet werden könnte, daß durch das Völkerrecht zwar die strafrechtliche Verfolgung nicht anerkannter Glaubensbekenntnisse als unmenschlich verworfen, keineswegs aber die politische Gleichberechtigung verschiedener Bekenntnisse neben einander geboten sei.

Ob die Mischung staats- und völkerrechtlicher Normen in einem und dem

selben Acte der Rechterzeugung im Interesse der Rechtssicherheit liege, ob sie unvermeidlich erscheine, oder wenigstens thunlichst vermieden werden sollte, ist eine Frage der Politik, die hier bei Seite gelassen werden kann. Möglich wäre, daß man zu verschiedenen Antworten gelangt, je nachdem man den ersten Fall, wo der Gesetzgeber über internationale Angelegenheit disponirt, oder den zweiten Fall, wo auf Congressen leitende Mächte contrahiren, besonders ins Auge faßt.

Sicher ist die Thatsache, daß sich Schwierigkeiten und Uebelstände aus der formalen Vermischung mehrerer der Richtung und der Art nach verschie= dener Normen ergeben müssen.

Disponirt eine einzelne Staatsgewalt über Materien des internationalen Rechts, so bleibt die doppelte Möglichkeit, daß entweder der Apparat der Geseßgebung hinterher gebraucht wird, um sich unter Berufung auf innere Unabhängigkeit durch widersprechende Gesetzgebungsacte von lästig gewordenen Verpflichtungen zu befreien oder die Schwerfälligkeit der Gesetzgebungsorgane späterhin ein Hinderniß wird, wenn es darauf ankommt, veraltete Geseße in Einklang zu bringen mit neu entstandenen Bedürfnissen des internationalen Verkehrs, deren formlose Anerkennung in der Staatspraxis sich ohne Schwierigkeiten vollziehen könnte.

Wird dagegen im Wege der Vertragschließung unter auswärtigen Mächten ein Grundsatz vereinbart, der bestimmt ist, in das Verfassungsrecht neu entstandener Staaten überzugehen, so wird die innerstaatliche Lebensregel verlegt, wonach jede Verfassungsbestimmung, wenngleich unter erschwerenden Bedingungen, später nothwendig gewordenen Abänderungen zugänglich bleiben muß.

Ob in solchen Collisionsfällen durch Gesetzgebung oder Staatsvertragsschluß über bestimmte Materien disponirt werden darf, läßt sich nur dann entscheiden, wenn man zuvor innerstaatliche und außerstaatliche Normen auf ihre wahre Natur untersucht und aus dem Zusammenhang eines ihnen gemeinsamen Entstehungsgrundes losgetrennt hat.

Ist dies geschehen, so wird man zu folgenden allgemeinen Grundsätzen gelangen:

1. Der in der Absicht dauernder Verpflichtung gegen auswärtige Mächte anerkanntermaßen vom Gesetzgeber geschaffene Inhalt von Staatsgesetzen, 3. B. die Eröffnung fog. nationaler Stromläufe für den friedlichen Verkehr aller Nationen, kann von ihm hinterher in willkürlicher Weise und ohne den Nachweis geschichtlich eingetretener Beseitigung dabei vorausgesetzt gewesener Thatsachen nicht wieder abgeändert werden. Wie in Collisionsfällen das Privatrecht dem öffentlichen Recht grundsätzlich weichen und öffentlichem Rechte durch Privatvereinbarungen niemals entgegengewirkt werden kann, so verhält sich die innere Staatsrechtsordnung begriffsmäßig zu der allgemei nen, dauernden und darum auch vom einzelnen Staat als unabänderlich anerkannten Völkerrechtsordnuug. Man hat sich in diesen Fällen also vor allen anderen Dingen zu vergegenwärtigen, daß das

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