Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Mit Rücksicht auf Absicht und Wirkung Völkerrecht erzeugender Verträge sind weiterhin zwei Möglichkeiten zu sehen. Entweder besteht die beab= sichtigt gewesene Wirkung darin, daß eine im Verlaufe der Zeit schwankend oder unsicher gewordene Gewohnheit befestigt und sicher gestellt wird, in welchem Falle Staatsverträge als eine Form unwiderruflicher Anerkennung aufgefaßt werden können und von ihrem Anschluß an vorangegangene ältere Rechtszustände nicht losgelöst werden dürfen. Oder die Absicht der Contrahenten geht dahin, eine Beispiel gebende Macht für die Anwendbarkeit einer vom modernen Verkehr geforderten neuen Rechtsregel zu constituiren und eine veraltete Staatspraxis zu beseitigen (Abschaffung des Sclavenhandels, der Kaperei, der Wegnahme neutralen Eigenthums im Seekriege).

Bedingt die Verwirklichung solcher auf das allgemeine VerkehrsLeben der Nationen gerichteten Absichten eine von den Contrahenten stipulirte Beschränkung ihrer eigenen Unumschränktheit im Handeln, so kann darin gleichsam ein Präliminarvertrag zur Anbahnung eines Völkerrechtszustandes gefunden werden, in Beziehung auf dessen weitere Ausführung innerhalb der Völkerrechtsgenossenschaft sich die Contrahenten des Widerspruchs im Voraus begeben haben.

Allen (internationalen) Staatsverträgen gemeinsam ist das Erforderniß einer bei den Contrahenten obwaltenden Absicht, sich rechtlich dem Auslande gegenüber zu binden. Darauf ist deswegen zu achten, weil nicht jede Verabredung eines gemeinschaftlichen Handelns als Staatsvertrag angesehen werden kann. Verständigungen in Beziehung auf die Festsetzungen von Eisenbahnfahrplänen, oder von Truppendislocationen im Innern eines Staates können unter Umständen als administrative Maßnahmen angesehen werden, bei denen nichts anderes beabsichtigt zu sein braucht, als thunlichste Berücksich. tigung ausländischer Interessen unter dem Vorbehalt völlig freien Handelns für jede Partei.

Auch die Vorverhandlungen der Contrahenten dürfen daher nicht zu den Rechtsquellen gezählt werden.2)

1) Daß den Staatsverträgen die Eigenschaft einer Rechtsquelle bestritten wurde, hängt mit der Leugnung der Positivität des Völkerrechts zusammen.

Ph. 3orn, a. a. D. S. 422: „Der Staatsvertrag als solcher reicht somit nicht bis in die Sphäre des Rechts hinein, sondern ist nur ein Bestandtheil des Moralgebietes und führt zu Unrecht die juristische Bezeichnung Vertrag.“

Andererseits sagt aber derselbe Autor (S. 419): „Für das äußere Staatsrecht, das ist die Lehre von den internationalen Rechtsverhältnissen des Staates, bilden die hauptsächlichste Quelle die Staatsverträge." Da ein Gesetzgebungsact wiederum nur Erzwingbarkeit gegenüber den Unterthanen der stipulirenden Staaten zu schaffen vermag, nicht gegenüber den stipulirenden Staatsgewalten und deren Mitcontrahenten, so würde es ja auch keine internationalen Rechtsverhältnisse geben können.

2) Theils zu eng, theils zu weit gefaßt ist die Vertragsdefinition von Martens (Völkerrecht § 43): „Jede Art mehrseitiger durch die Staaten eingegangener Verpflichtungen, sei es, daß sie in der Form von Traktaten, sei es, daß sie als Noten, Deklarationen u s. w. erscheinen.“

[merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small]

--

§ 442.

Heffter, Völkerrecht § 89.

Martens (Bergbohm) Völkerrecht I, § 113. v. Neumann, Grundriß des heutigen Europäischen Völkerrechts (3. Aufl.). 1885. S. 30 ff. Wharton, Commentaries on Law 157.

Da das Völkerrecht keinerlei objectiv festgestellte, nothwendige Formvorschriften kennt, von denen die Gültigkeit der Staatsverträge abhängig zu machen ist und für jeden einzelnen Fall von den Contrahenten diejenigen Formvorschriften erst zu vereinbaren sind, deren man sich aus Zweckmäßigkeitsgründen zu bedienen gedenkt, so besteht kein Bedürfniß auf die Analogie des Civilrechts bei der Aufstellung bestimmter Vertragskategorien zurückzugehen, oder gar Formalcontracte von Consensualcontrakten zu unterscheiden. In allen Rechtsgeschäften des internationalen Staatenverkehrs wird der Consensus vertragschließender Parteien auch hinsichtlich der Form immer den Ausschlag geben.

Hält man dagegen daran fest, daß Staatsverträge je nach der Natur der Verhältnisse, sowohl als Rechtsgeschäfte, wie auch als international wirkende Rechtsquellen angesehen werden können, so werden sich daraus immerhin auch gewisse Schlußfolgerungen in Beziehung auf Formen, Wirkungen und Arten des Vertragsschlusses gewinnen lassen.

Verträge, welche nach der Absicht der Vertragschließenden die Eigenschaft einer Rechtsquelle haben sollen, können begriffsmäßig nicht heimlich abgeschlossen werden. Heimlichkeit ist eine für objective dauernde Normen des Handelns undenkbare Vorstellung. Die dem Vertragsschluß vorausgehenden Verhandlungen mögen bis zu ihrer Verhandlung geheim gehalten werden. Die Stipulation, daß ein fertiger Vertrag geheim bleibe, wäre dagegen der sicherste Beweis, daß es zwischen den Contrahenten sich um nichts anderes gehandelt haben könne, als um ein in zeitlicher, räumlicher oder modaler Hinsicht be= schränktes Rechtsgeschäft, niemals um eine dauernde, bleibende, allgemeine Rechtsnorm. Aus denselben Erwägungen würde sich auch ergeben, daß jeder in der Form und im Inhalt durch zukünftige Umstände bedingte Vertrag niemals als Rechtsquelle aufgefaßt werden kann. Denn objectives Recht kann nur in seiner speziellen Anwendbarkeit auf einzelne Fälle durch das Vorhan

densein irgend eines bestimmten Thatbestandes, dagegen niemals hinsichtlich seiner Geltung überhaupt an Bedingungen geknüpft sein.

Daß mündliche Verträge im auswärtigen Verkehr verbindliche Kraft haben können, ist nirgends bestritten worden. Dagegen erscheint es durchaus angemessen, ihnen die Kraft einer Völkerrechtsquelle abzusprechen. Das für Staatenbeziehungen normative und dauernde Recht, das dem Zwecke der allgemeinen Erkennbarkeit genügen soll, kann niemals auf das Zeugniß und die Aussagen einiger Personen von beschränkter Lebensdauer gestellt sein.

Somit ist der Grundsat anzuerkennen, daß geheimen, bedingten oder mündlichen Verträgen die Eigenschaft einer Völkerrechtsquelle durchaus abgesprochen werden muß.

Was dagegen die ohne solche Clauseln der Heimlichkeit und Bedingtheit abgeschlossenen, schriftlich beurkundeten Verträge anbelangt, so zeigen die älteren Eintheilungsweisen in der Lehre des Staatsvertragsrechts, daß man das Bedürfniß der Unterscheidung in Rücksicht größerer oder geringerer Wichtigkeit der Vertragsarten zwar fühlte, den Gesichtspunkt der Sonderung von Rechtsquellen und Rechtsgeschäften dagegen nicht klar ins Auge gefaßt hatte.

Die älteren Eintheilungen stüßen sich auf verschiedene Erwägungen. Zu unterscheiden sind:

I. Eintheilungen mit Rücksicht auf den Inhalt der Vertragsstipulationen und des Vertragsinstruments.

Grotius wollte beachtet wissen, ob natürliches (grundsäßlich bereits anerkanntes) Recht durch die Contrahenten declarirt oder ein positiv neues neben den naturrechtlichen Staatenbeziehungen geschaffen werde. Dieser Zweitheilung näherte sich Heffter insofern, als er jene erste Rubrik in der Hauptsache durch seine Aufstellung von regulatorischen Verträgen", die zweite durch constitutive Verträge" wiedergiebt und dann, in logisch nicht befriedigender Weise, eine dritte Abtheilung, diejenige der,Gesellschaftsverträge", hinzufügt.

"

[ocr errors]

Diesen Gesellschaftsverträgen", wodurch gemeinsame Ordnung rechtlicher oder wirthschaftlicher Interessen bezweckt wird, giebt F. v. Martens die Titulatur als „sociale Staatsverträge“, um ihnen dann sog. politische (z. B. Gränzverträge) gegenüberzustellen, obwohl gerade in neuester Zeit wiederum die „Sozialpolitik“ auf einen unlöslichen Zusammenhang solcher Zweckbestimmungen hindeutet.

Für die juristische Behandlung lassen sich auf diesem Wege schwerlich brauchbare Nußanwendungen ziehen.

II. Eintheilungen mit Rücksicht auf die staatsrechtliche Stellung der Contrahenten.

In dieser Richtung empfiehlt Bluntschli, übrigens ohne innere sachliche Nöthigung, zwischen Verträgen zu unterscheiden, welche entweder direct zwischen mehreren Staaten oder zwischen untergeordneten Staatsgliedern und Aemtern abgeschlossen wurden. Da alle bei internationalen Vertragsabschlüssen

möglicherweise mitwirkenden Personen die Eigenschaft stellvertretender haben müssen, kann auf das Moment etwaiger Delegation der Machtvollkommenheiten rechtlich nichts ankommen.

III. Eintheilungen in Rücksicht auf die zeitliche Dauer des Vertragsverhältnisses.

Demgemäß stellt man Traktate (traité, engl. treaties) mit der Eigenschaft fortdauernder, gegenseitiger Berechtigung und Verpflichtung der Con= trahenten den Uebereinkünften (Conventionen) gegenüber, bei denen es sich um einen einmaligen oder doch vorübergehenden Act der Erfüllung von Seiten der Verpflichteten handelt.

Im Allgemeinen kommt diese lettere Eintheilungsweise den bereits entwickelten Gesichtspunkten am nächsten. Conventionen im engeren Sinne sind lediglich Rechtsgeschäfte. Traktate können sowohl als Rechtsgeschäfte, wie auch als Rechtsquellen je nach den Umständen aufgefaßt werden. Friedenstraktate, die nach modernem Völkerrecht immer einen dauernden Zustand bezwecken, sind, abgesehen von ihren die besonderen Beziehungen ehemaliger Belligerenten betreffenden Festsetzungen, immer gleichzeitig als Rechtsquellen insofern zu würdigen, als jeder Friedensschluß allen nichtbetheiligten Staaten gegen= über die Wiederherstellung gewaltfreier Rechtszustände (zumal im Seeverkehr) bewirkt, also auch Neutrale aus einem stattgehabten Friedensschlusse, ohne an demselben betheiligt gewesen zu sein, bestimmte Rechte herleiten können: ein besonders eigenthümliches Merkmal, da einfache Rechtsgeschäfte Dritten gegenüber im öffentlich rechtlichen Verkehr wirkungslos bleiben.

In Berücksichtigung dieser Merkmale sind die Staatsverträge in folgender Weise zu classificiren:

1. Staatsverträge rechtsgeschäftlichen Inhalts, deren Erfüllung, Verlegung oder Aufhebung nur die Contrahenten berührt.

2. Staatsverträge rechtlich normativen Inhalts, gleichviel ob dadurch eine dauernde Norm nur unter bestimmten einzelnen Staaten festgesetzt werden soll, oder ein allseitiger auf den Hinzutritt und die Aneignung durch andere Staaten berechneter Rechtszustand geschaffen wird, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn es sich nach der Absicht der Contrahenten um die Entwickelung eines allgemein zweckmäßigen und allgemein anwendbaren Verkehrsgrundsaßes handelt.

3. Staatsverträge gemischten, theils rechtsgeschäftlichen, theils rechtsnormativen Inhalts. In Beziehung auf letteren ist dann weiterhin zu beachten, daß rechtsnormative Staatsverträge theilweise staatsrechtlichen, theilweise völkerrechtlichen Inhalt haben können, was z. B. dann der Fall ist, wenn es sich um Begründung einer Conföderation unter ursprünglich selbständigen Staaten handelt. Ursprünglich völkerrechtliche Staatsverträge, wie der Deutsche Zoll

vereinsvertrag vom 8. Juli 1867 können, hinterher, wie 1870 durch Gründung des Deutschen Kaiserreichs geschah, auch staatsrechtlichen Inhalt erlangen.

In allen diesen Fällen bleibt die Hauptsache, daß die Grundfäße, betreffend die Auslegung, Wirkungsweise und Aufhebung der Rechtsgeschäfte, die erst an einer späteren Stelle vorgetragen werden, nicht völlig identisch sind mit den Grundsägen betreffend die Geltung und Wirkung rechtsnormativer Verträge, worauf auch Wharton bereits aufmerksam gemacht hat.

In jedem dieser Fälle wird ferner vorausgeseßt, daß das Dasein eines Vertrages unbestritten ist, eine Vorausseßung, die für völkerrechtliche Beziehungen schon darum von Wichtigkeit wird, weil wie bereits bemerkt, nicht jede von Staatsregierungen getroffene Abrede eines übereinstimmenden Verhaltens als vertragsrechtlich bindende angesehen werden kann. Die nähere Auseinandersehung der zur Entstehung der Staatsverträge dienenden Erfordernisse wird erst in der Lehre von den internationalen Rechtsgeschäften gegeben werden. Bis jetzt sind die Formen des Vertragsschlusses, soweit dabei Schriftlichkeit, Urkundlichkeit und Oeffentlichkeit vorausgesezt werden, für internationale Rechtsverhältnisse und internationale Rechtsnorm die gleichen.

Immerhin würde es der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienlich sein, wenn in der Staatspraxis eine schärfere Sonderung der Gesichtspunkte durchgeführt und insbesondere die Mischung rechtsgeschäftlicher und rechtsnormativer Vereinbarungen in einem und demselben Instrumente vermieden würde.

Wie Anerkennung und Gewohnheit als Rechtsquellen troß viel= facher Uebereinstimmung ihres Wesens nicht vermischt werden dürfen, so sind auch Anerkennung und normatives Vertragsrecht von einander zu sondern. Die ältere Naturrechtslehre vermischte durch ihre Lehre von den fingirten Urverträgen positives und natürliches Recht auch hier. Aber selbst in neuester Zeit folgt man diesen fehlerhaften Vorbildern, wenn man unter den Quellen des Völkerrechts stillschweigend geschlossene Consensualverträge (conventions tacites) erwähnt, was nur zu verwirrenden Irrthümern führen kann. Man dachte dabei gelegentlich an den Anerkennungsvertrag, und übersah, daß Anerkennung als Völkerrechtsquelle einen von Vertragsschlüssen durchaus unabhängigen, eigenen Bestand hat.

§ 28.

Collectivverträge und Specialverträge.

Den verschiedenen Artbestimmungen rücksichtlich der den Contrahenten innewohnenden Absicht und des Inhalts der Vertragsinstrumente entsprechen auch gewisse Verhältnisse in dem Maße der Betheiligung der Staatensubjecte an den Vertragsabschließungen.

« ZurückWeiter »