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Erstes Buch.

Die Auseinanderseßung der deutschen Großmächte.

v. 3wiedined-Südenhorst, Deutsche Geschichte 1806-1871. III.

1

Erster Abschnitt.

Defterreichs Wiedergeburt und Preußens
Reformversuche.

ie deutschen Revolutionsparteien, sowohl die radikal-republikanische als die liberal-bundesstaatlich-monarchische, hatten mit der Auflösung des österreichischen Kaiserstaates gerechnet; die einen erwarteten die Bildung einer Anzahl von Republiken, die vielleicht durch eine lose „Konföderation" verbunden bleiben würden, die anderen, an bestimmte und deutliche politische Vorstellungen nicht gewöhnt, waren nur in der Ueberzeugung einig, es werde eine Neugestaltung vor sich gehen, die dem Staate der Habsburger die Fähigkeit nehmen würde, den Beschlüssen des souveränen deutschen Volkes in den Weg zu treten. Die deutschen Politiker der Gagernschen Richtung sahen die Teilnahme der Abgeordneten aus Deutsch-Desterreich am Frankfurter Parlamente nur so lange als berechtigt an, als sie weder durch Verfassungsgeseße in ihren Entschlüssen beschränkt waren, noch durch eine kräftige Regierung gehindert werden. fonnten, nationale Forderungen auf Kosten der Staatsinteressen geltend zu machen. Die Annahme, daß es mit der österreichischen Großmacht zu Ende gehe, daß selbst die Aufrechterhaltung der pragmatischen Sanktion Karls VI. bezweifelt werden müsse, war während der Regierung der Ministerien Pillersdorf und Batthyany, nach dem Rückzuge Radeßkys über den Mincio und nach der Erhebung der Südslaven in den augenblicklichen Erscheinungen vollauf begründet, sie war bei den Mitgliedern der Dynastie noch mehr verbreitet wie unter den jugendlichen Kalabreser- und Kalpakträgern. Der Ausruf einer schmerzlichen Resignation in dem Schreiben der Erzherzogin Sophie an den vertriebenen Fürsten Metternich vom 23. März: „Sur quoi peut-on encore compter de nos jours!" kehrt in der Korrespondenz der Mitglieder des kaiserlichen Hauses immer wieder; die Hoffnungslosigkeit ergriff selbst die stärkeren Naturen, man beschäftigte sich nicht mehr mit der Zukunft des Hauses, sondern mit den Eristenzbedingungen der Einzelnen.

Wenn man die Frage aufwirft, ob die in dem Staate der Habsburger vereinigten Völker und Völkerbruchstücke damals die völlige Auflösung des bestehenden Verbandes angestrebt haben, wird man sie weder schlankweg bejahen noch verneinen können. Auch in Ungarn, das seine nationale Verfassung und eigenartige Verwaltung ganz unberührt erhalten und sich dadurch den Charakter eines Sonderstaates bewahrt hatte, war im Beginne der Revolution das Verlangen nach völliger Trennung von den übrigen Gliedern des komplizierten politischen Organismus nicht vorherrschend, nur darüber war man einig, daß die Art des Zusammenlebens völlig verändert, daß dieses auf die Grundlage einer freien Vereinbarung gestellt, von den Völkern selbst eingerichtet werden müsse. Von den Deutschen wissen wir, daß die meisten ihrer Vertreter die „deutsche Einheit“ und das „große, freie Desterreich" gleichzeitig erringen zu können hofften, bei den Tschechen und Südslaven sollte zwar die Freiheit durch die Zerreißung der Ketten und Bande begründet werden, mit denen sich jene von den Deutschen, diese von den Magyaren gefesselt erachteten, beide glaubten an die bevorstehende Befestigung einer Herrschaft der Slaven, aber doch immer innerhalb der Grenzen eines von den Habsburgern regierten Großstaates. Nur die Wünsche und Hoffnungen der Polen und Italiener mußten außerhalb dieser Grenzen ihre Erfüllung suchen. Im allgemeinen war die Meinung wohl am meisten verbreitet, man könne den Staat bekämpfen, ohne die Interessen der Völker zu gefährden, ja diese schienen geradezu die Abschaffung aller gemeinsamen Einrichtungen, die Vernichtung der staatlichen Autoritäten zu verlangen. Je freier der Volkswille schalten könne, desto gesicherter sollte die Zukunft aller sein. Daß die vermeinte Freiheit jedes einzelnen dieser Völker immer nur durch die Unterdrückung anderer freier Willen" zu erreichen sei und daß nur Gewaltanwendung über die sich entgegenstehenden Bestrebungen entscheiden könne, wurde von den Demokraten aller Zungen außer acht gelassen. Die öffentlichen Gewalten waren übrigens im Bereiche der deutschen und deutsch-slavischen Provinzen nur in der Reichshauptstadt selbst dauernd erschüttert, in den Landeshauptstädten der Alpenländer haben die Behörden ihre Macht nicht verloren, in Prag wurde sie nach kurzer Unterbrechung wiederhergestellt, in Mähren hat sie nie ernstlich in Frage gestanden; die galizischen Bauern aber, die damals und niemals

wieder ihre adelichen Herren eingeschüchtert und mundtot gemacht hatten, waren eifrig bemüht, sich dem Reiche, von dem sie Schuß gegen Vergewaltigung erwarteten, nüßlich zu erweisen.

In den Landtagen traten die Bauern mit ihrem Verlangen nach Ablösung der Grundlasten in den Vordergrund der Verhandlungen, ihre Ungeduld nach der lange ersehnten „Befreiung“ führte an manchen Orten zu ungebärdigen Auftritten und Unruhen, aber die Schwierigkeiten, die sich der Lösung der wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Fragen in dem engen Raume des Kronlandes entgegenstellten, kräftigte die Hoffnung auf das Reich und den Reichstag. Und wenn auch bisweilen Klagen über die unerschwingliche Blutsteuer laut wurden, wenn man sich im steierischen Landtage daran erinnerte, daß die Verfügung über die Wehrkraft des Landes seinerzeit den im Landtage versammelten Ständen zugekommen sei, so ging die Aushebung der zur Heeresergänzung erforderlichen

Mannschaften doch im ganzen anstandslos von statten, sezte die Steuerzahlung doch nirgends gänzlich aus. Die staatlichen Organe funktionierten fort, die kaiserlichen Beamten blieben in ihren Aemtern, den kaiserlichen Fahnen strömten ununterbrochen Freiwillige zu. Das Volk nahm für den Staat gegen die nach Unabhängigkeit verlangenden italienischen Provinzen Partei und äußerte den innigften Anteil an den Schicksalen der österreichischen Armee in Italien. Es war daher unbedingt notwendig, daß der italienische Krieg geführt wurde, daß sich die Lebenskraft der Monarchie in der Zurückweisung eines ihre innere Erschütterung ausnüßenden äußeren Feindes erwies. Nicht um die Rettung von Landschaften mußte gekämpft werden, die durch Lage, Erzeugnisse, Volkskraft oder Steuerertrag der Gesamtheit unentbehrlich geworden waren, es handelte sich nur um die Erprobung der eigenen Willenskraft und der Fähigkeit, seinen Willen durchzuseßen. Die gegen einen übermächtigen Feind im Felde stehende Armee vertrat eine gemeinsame Angelegenheit, sie verkörperte den Gesamtstaat, in der Sorge um sie, in der Teilnahme an ihrem Widerstande, an ihren Erfolgen äußerte sich das Gemeingefühl jener Bevölkerungsklassen, die an den Staat gebunden waren und in seinem Dienste ihren Beruf und Unterhalt fanden. Selten ist ein Dichter so ganz und gar zum Verkünder politischer Wahrheit und Weisheit geworden, wie Grillparzer in der berühmten Ode, die er im Anfang Juni 1848 an den Feldmarschall Radeßky richtete:

Aus Thorheit und aus Eitelkeit
Sind wir in uns zerfallen;

In denen, die du führst zum Streit,
Lebt noch ein Geist in allen.

Gemeinsame Hülf' in gemeinsamer Not

Hat Reiche und Staaten gegründet;
Der Mensch ist ein Einsamer nur im Tod,
Doch Leben und Streben verbündet.

Als der große Desterreicher, von dem sein Biograph August Sauer sagen darf, daß er sich „in die Gedankenkreise und Gefühlsweise der Habsburgischen Dynastie seit Jahrhunderten wie kein Historiker vor und nach ihm eingelebt hat“, in diesen Versen „seiner flammenden Begeisterung" Ausdruck verlieh, da war die trübste Zeit für den greisen Feldherrn, dessen große militärische Begabung wir schon in den Befreiungskriegen würdigen gelernt haben, bereits vorüber, da hatten seine Truppen bereits die Feuerprobe der Treue und Festigkeit bestanden und waren im Begriffe, von einer heldenhaften Verteidigung zu einem kühnen Angriffe überzugehen. Die Streitmacht, über die Radeßky im März 1848 verfügte, betrug 61000 Mann Infanterie, 3136 Reiter, 20 Feldbatterien und 5800 Mann Bedienungsmannschaft und technische Truppen. Von 63 Bataillonen waren jedoch 20 italienischer Nationalität, der Verlust durch Desertion nach dem Ausbruch der Revolution muß daher auf 10000 Mann berechnet werden. Nur einige wenige von diesen Bataillonen, so die des Regiments Erzherzog Sigismund, waren von ihren Offizieren so gut geleitet, daß sie ihrem Fahneneide treu

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