Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Unversöhnliche Feinde des verjüngten Deutschland blieben nur die Welfen und der Kurfürst von Hessen. Der ehemalige König von Hannover hatte zu seiner großen Betrübnis im Frühjahre seine Legion entlassen müssen, die unglücklichen Opfer einer wahrhaft idealen Anhänglichkeit an eine in Größenwahn versunkene Dynastie lungerten hungernd in Paris und in der Schweiz umher. Bismarck, der ihre Not kannte, ließ ihnen durch Oskar Meding am 28. Juli freie Rückkehr in die Heimat und reichliche Pensionen anbieten, wenn sie sich ehrenwörtlich verpflichteten, nichts gegen Preußen zu unternehmen. Der Kanzler erzählte Meding bei einer Unterredung am 30. Juli in Berlin: „Er habe bereits einige Herren in Hannover, die er kenne und achte, arretieren lassen, um sie vor sich selbst zu retten, denn jeder, der sich in diesem Augenblick feindseliger Handlungen schuldig oder verdächtig mache, werde und müsse rettungslos der unerbittlichen Strenge des Kriegsgeseßes verfallen!" Damit war der lezte, etwa noch glimmende Funke einer revolutionären Bewegung ausgetilgt, Hannover blieb nicht nur ruhig, es hat seine Pflicht wie jede andere preußische Provinz gethan. Die „Höfe“ von Hießing und Gmunden hatten keine Söldlinge mehr gegen die verhaßten Preußen zu senden, als die französischen, englischen und österreichischen Journalisten, die sie bezahlten, und die Diplomaten beiderlei Geschlechts, mit denen sie den Revanchegedanken in die innersten Gemächer der f. E. Hofburg zu verpflanzen trachteten.

Die Gefahr, daß Desterreich offen auf Frankreichs Seite trete und mit seiner ganzen Armee in die deutschen Länder einfalle, während deren Armeen am Rhein und in Frankreich standen, hat wahrscheinlich niemals bestanden, nachdem einmal die Haltung der süddeutschen Staaten entschieden war. „In der ersten, Napoleonischen Periode des Krieges," meint Walter Rogge, „solange Tschechen, Polen, Magyaren noch den Sieg der französischen Waffen erhofften, waren eigentlich alle Stämme der Monarchie für Neutralität: die DeutschDesterreicher aus bewußter Teilnahme für ihre Landsleute; die anderen aus Furcht, Desterreich für seine Beihülfe von Napoleon durch die Zerreißung des Prager Friedens und die Restaurierung seiner alten Stellung in Deutschland belohnt zu sehen." Kriegslustig war nur Herr v. Beust und die politisch kaum zurechnungsfähige Gesellschaft wilder Preußenhaffer mit und ohne Uniform, zu der auch der Kriegsminister v. Kuhn gehört zu haben scheint.1) Beuft hat zwar alles aufgeboten, um sein Verhalten nach der Kriegserklärung zu beschönigen; er hat die Behauptung Gramonts von den in der Korrespondenz der Souveräne niedergelegten Verpflichtungen und von erneuten Allianzzusagen durch Metternich und Vigthum „Schwindel" genannt; aber sein Schriftenwechsel mit dem Fürsten Metternich in Paris und die Aufträge an seinen Gesinnungsgenossen Vißthum, der die Agitation gegen Preußen im Gegensaße zu seinen sächsischen Landsleuten und zum sächsischen Königshause als Sport betrieb, zeugen gegen ihn und ge= statten es nicht, ihn von der Anklage freizusprechen, daß er bei der französischen.

1) Man erzählte sich später von ihm, er sei der Erfinder des Bourbakischen Operationsplanes für den Einfall in Süddeutschland gewesen. Sein Urteil über die Schlachten von Meg und bei Sedan faßte er in das geniale Dictum zusammen: „Keine Strategie! Purer Manipelkrieg!"

Regierung Hoffnungen erweckt hat, von denen er wußte, daß er sie nicht werde erfüllen können.

Es fehlt an österreichischen Quellen über die Geschichte des Jahres 1870; wir sind noch nicht unterrichtet über die zahlreichen Minister- und Kronräte, die im Juli dieses Jahres abgehalten wurden, wir können uns über die Haltung, die dabei Kaiser Franz Joseph und Erzherzog Albrecht eingenommen, kein Urteil erlauben, aber wir können es in dem Charakter des Kaisers begründet finden, daß er einerseits an den Ansichten, die er im Juni dem General Lebrun geäußert hatte, nichts geändert haben wird, und daß er auf keinen Fall für einen heimtückischen Ueberfall auf den im Kampfe mit einem Dritten begriffenen Gegner zu gewinnen gewesen wäre. Ohne Zweifel hat auch die Auffassung der süddeutschen Regierungen und der seinem Hause so nahe stehenden Wittelsbacher ihn für die Beustschen Ideen zurückhaltend gemacht. Eines scheint festzustehen, daß der ungarische Ministerpräsident Graf Andrassy im vollen Einklange mit der Majorität der liberalen Vertreter Ungarns der österreichischen Kriegspartei den kräftigsten Widerstand entgegengesetzt hat. Andrassy hat Gramont schon 1869 davor gewarnt, sich durch die Vorspiegelungen des österreichischen Kanzlers täuschen zu lassen.1) Er hat in dem großen Kronrate vom 18. Juli 1870 die Proklamierung der offenen und entschiedenen Neutralität verlangt. Damit Desterreich-Ungarn gegen Ueberraschungen an der unteren Donau gesichert sei, die von Rußland und Frankreich vorbereitet werden könnten, müsse es die dringendsten Vorbereitungen zur Mobilmachung treffen und darauf 20 Millionen Gulden verwenden. Auf die Bemerkung Beusts, daß die Neutralitätserklärung nur Preußen Nußen bringe, erwiderte er: „Um so inniger wird sich das Verhältnis der Monarchie zu Preußen gestalten, wenn es im Kampfe Sieger bleibt.“

Andrassys Meinung griff durch; Beust mußte am 20. Juli den Entschluß der österreichischen Regierung, neutral zu bleiben, an alle Kabinette mitteilen. An demselben Tage verfaßte er mit Hülfe des ehrenwerten Vißthum jenes mit Recht berüchtigt gewordene Schreiben an Metternich, mit dem die Wirkung der offiziellen Note nicht nur abgeschwächt, sondern ins Gegenteil verkehrt werden sollte. Die Neutralität," erklärte der österreichische Minister seinem lieben Freunde", dem Botschafter in Paris, „ist nur das Mittel, uns dem wirklichen Ziele unserer Politik zu nähern, das einzige Mittel, unsere Rüstung zu vollenden, ohne uns einem vorzeitigen Angriffe Preußens oder Rußlands auszuseßen. Andrassy dagegen beantwortete am 28. Juli eine von Tisza im ungarischen Reichstage gestellte Interpellation mit der nicht zu mißdeutenden Erklärung: „Ich halte es für meine Pflicht zu antworten, daß im Schoße der Regierung und der entscheidenden Faktoren jedwede Absicht fehlt, die im Jahre 1866 aufgegebene Stellung in Deutschland wieder zu erringen." Wozu hätte dann ein Krieg gegen Deutschland geführt werden müssen? Auch die Unter handlungen in Florenz, die von Vißthum geführt wurden, die Bemühungen um eine neue Tripelallianz, deren Grundzüge zwischen Metternich, Vißthum und Gramont vereinbart worden sein sollen, würden im Falle einer ernstlichen

1) Em. Kónyi, Beust und Andrassy 1870-1871 (Deutsche Revue, 1890).

Erwägung an dem Widerstande Ungarns und an dem Unwillen der DeutschDesterreicher, der in den meisten Wiener Blättern energischen Ausdruck fand, gescheitert sein. Viktor Emanuel hat sich nach der französischen Kriegserklärung für die Teilnahme an dem Kriege begeistert, von dem er die Gelegenheit zu militärischen Erfolgen, vor allem aber die Ueberlassung Roms als Belohnung erwartete. Die ultramontane Gesinnung der Kaiserin Eugenie und Gramonts verhinderte aber die Preisgebung Roms, wodurch der Eifer Viktor Emanuels abgekühlt und die vorsichtige Haltung seines Ministeriums, in dem der Finanzminister Sella dominierte, gerechtfertigt wurde. Die ersten Ereignisse auf dem Kriegsschauplaze nahmen in Italien ebenso wie in Desterreich den Preußenfeinden den Mut, die heimliche Heße zum Kriege fortzuseßen.

Indessen waren die Feldtruppen der beiden Gegner einander entgegen= gerückt; die Entfernungen, die sie dabei zurückzulegen hatten, waren annähernd gleich. Mainz liegt nahezu auf halbem Wege zwischen Paris und Berlin, München 60 Kilometer näher an Straßburg als Paris, von Berlin aber ist Königsberg, die entfernteste Corpsstation, nicht weiter entfernt als Bordeaux oder Montpellier von der französischen Hauptstadt. Die Aufgabe der Mobilmachung war daher für Deutschland nicht schwieriger als für Frankreich; aber sie wurde in sehr verschiedener Weise gelöst. Die französische Kriegsverwaltung wagte es nicht, ihre Truppenkörper in den Garnisonen auf Kriegsfuß zu sehen, da sie dann die Grenze voraussichtlich zu lange entblößt haben würde; sie glaubte vielmehr, einen großen Vorsprung zu erreichen, indem sie alle Abteilungen sofort in ihre Aufmarschstationen beförderte und sie dort die Reservisten an sich ziehen ließ. Die französische Linienarmee bestand aus 8 Armeecorps, 3 ReserveKavalleriedivisionen und 1 Armee-Hauptreserve, die insgesamt auf 400000 Mann veranschlagt wurden. Thatsächlich hatte die Rheinarmee" am 6. August folgenden Stand:

1. Armeecorps (Marschall Mac Mahon, Herzog von Magenta):1)

28000 Mann Jnf., 3335 Reiter, 120 Geschüße und Mitrailleusen; 2. Armeecorps (Divisionsgeneral Frossard):

24180 Mann Jnf., 2080 Reiter, 90 Geschüße und Mitrailleusen; 3. Armeecorps (Marschall Bazaine):

33800 Mann Jnf., 3565 Reiter, 120 Geschüße und Mitrailleusen; 4. Armeecorps (Divisionsgeneral L'Admirault):

23350 Mann Jnf., 2070 Reiter, 90 Geschüße und Mitrailleusen ; 5. Armeecorps (Divisionsgeneral Failly):

22800 Mann Jnf., 2070 Reiter, 90 Geschüße und Mitrailleusen; 6. Armeecorps (Marschall Canrobert):

31800 Mann Jnf., 2990 Reiter, 120 Geschüße und Mitrailleusen;

1) Sämtliche Angaben über Truppenstärke nach der Abhandlung in den „Kriegsgeschichtlichen Einzelschriften", Heft 9, 11, 12. Die Stärkeverhältnisse im deutsch-französischen Kriege 1870/71 bis zum Sturze des Kaiserreichs.“

7. Armeecorps (Divisionsgeneral Felix Douay):

20000 Mann Inf., 2420 Reiter, 90 Geschüße und Mitrailleusen; Die Kaiserliche Garde (Divisionsgeneral Bourbaki):

13440 Mann Jnf., 3625 Reiter, 120 Geschüße und Mitrailleusen; Artillerie-Hauptreserve

1. Reserve-Kavalleriedivision (de Barail):

[blocks in formation]

Marine-Infanterie (für die Landung an der deutschen Küste bestimmt, aber
nicht eingeschifft):
11400 Mann,

18 Geschüße und Mitrailleusen.

Zusammen: 224 070 Mann Jnf., 27 685 Reiter, 942 Geschüße u. Mitrailleusen. Dazu an der

span. Grenze: 7800 Mann Jnf., 700 Reiter, 18 Geschüße u. Mitrailleusen.

Das Oberkommando befand sich bei Beginn des Feldzugs in den Händen des Kaisers Napoleon selbst, dem der Kriegsminister Marschall Leboeuf und als Souschefs die Divisionsgenerale Lebrun und Jarras zur Seite standen. Kommandant der Geniewaffe war General Soleille, der Artillerie General Coffinières de Nordeck. Es war sehr ungeschickt gewesen, den Marschall Bazaine, der in der Armee als der zum Heerführer geeignete Mann angesehen wurde, als Corpskommandanten mit Protektionskindern, wie Frossard, der lange Zeit militärischer Erzieher des kaiserlichen Prinzen gewesen war, und mit den anderen Divisionsgeneralen gleichzustellen. Bazaine hielt sich beleidigt zurück, nahm an den Organisationsarbeiten und an der Aufstellung der Armee nicht mehr teil, als es ihm in seiner Eigenschaft als Corpskommandant zukam, obwohl er schon 1868 dazu bestimmt gewesen war, die Armee von Lothringen zu kommandieren, während Mac Mahon die Armee des Elsaß zugedacht gewesen war. Einen Operationsplan gab es nach der Versicherung des Generals Jarras nicht, da der mit dem Erzherzog Albrecht besprochene Plan wegen der Haltung der Südstaaten und Desterreichs nicht anwendbar war. Man wollte nur den Gegner überraschen, weil man sehr gut wußte, daß die Schnelligkeit in der Initiative vielleicht der einzige Vorteil sei, den man Preußen gegenüber anwenden könne. Die Mobilmachung ging jedoch so langsam und in so großer Verwirrung vor sich, daß dieser theoretisch erhoffte Vorteil in der praktischen Durchführung nicht vorhanden war. Es gab Divisionen, bei denen die ersten Reservisten am 9. und 10. Tage nach der Kriegserklärung eintrafen. Das 7. Corps hatte am 4. August noch gar keinen Train; in Meg fehlte es noch am 27. Juli an Geschüßmunition. Der Intendant des 3. Corps meldete am 24. Juli aus Meß:

„Das 3. Corps verläßt morgen Mez; ich habe keinen Lazaretgehülfen, Verwaltungsarbeiter, Lazaretwagen, Feldbackofen, keinen Train, und bei der 4. Division und der Kavalleriedivision habe ich nicht einmal einen Beamten." Der Intendant des 1. Corps teilte dem Generalintendanten am 27. Juli mit, daß er noch immer weder Unterintendanten, noch Trainsoldaten, noch Verwaltungsarbeiter habe und daß er aus Mangel an Personal weder einen Wagen bespannen, noch irgend etwas fertig bringen könne. Die Organisation der mobilen Nationalgarde war noch so weit zurück, daß überhaupt nur in 29 Departements die Mobilen einberufen werden konnten. Der Kriegsminister Leboeuf, der im gefeßgebenden Körper sein Ehrenwort dafür gegeben hatte, daß Frankreich vollkommen kriegsbereit, „archiprêt“, sei, besaß keine Kenntnisse der Verhältnisse und täuschte sich über die Wirklichkeit ebenso mit bramarbasierenden Worten hinweg, wie es damals die meisten Franzosen gethan haben. Die auf Sachkenntnis beruhenden ernsten Warnungen, wie die ehrlichen und wahrhaften Berichte des Militärattachés in Berlin, Oberst Stoffel, waren entweder nicht beachtet oder sogar bezweifelt worden, weil es den Franzosen einfach unbegreiflich war, daß sie von irgendwem übertroffen werden könnten. Oskar Meding war am 24. Juli nach Paris gereist, um den dort lebenden ehemals hannoverischen Offizieren die Vermeidung jeder Beziehung zur französischen Regierung und Armee zu empfehlen; er schreibt über seine Beobachtungen: „Ich fuhr von Basel aus durch die ganze im Aufmarsch begriffene französische Armee und sah mit Erstaunen die grenzenlose Verwirrung, in welcher die Truppenmassen sich der Grenze zuwälzten. Ueberall herrschte die vollkommenste Unordnung, ich begegnete Mannschaften ohne Offiziere, Kavallerie ohne Pferde und Artillerie ohne Kanonen, überall schalt man über mangelnde Befehle, überall fehlte die Leitung und die Direktion, und damals schon wurde es mir zweifellos klar, daß diese innerlich haltlose, jeder einheitlichen Leitung entbehrende Armee niemals im stande sein werde, auch nur irgendwie Erfolg zu erringen. ... Ich sah während meines Aufenthalts den verhängnisvollen Wahnsinn, welcher ganz Paris von den höchsten Regionen bis in die untersten Schichten des Volkes erfaßt hatte. Man hatte keine Ahnung von dem Ernst des Kampfes, in den man sich stürzte, und man glaubte mit der Zauberformel der Marseillaise wiederum den Sieg über die Grenze tragen zu können, ohne sich darüber klar zu werden, daß ein unter dieser Formel erfochtener Sieg für das ohnehin schon bröckelnde Kaiserreich verhängnisvoll hätte werden müssen.“

Die Einteilung der deutschen Heere bei ihrem Aufmarsch an der Grenze war dreigliedrig.

Erste Armee: Gen. d. Inf. v. Steinmez;

Chef des Generalstabs: Gen. Maj. v. Sperling;

VII. Armeecorps (Westfalen und Niederrhein): Gen. d. Inf.

VIII.

"

I.

v. Zastrow;

(Rheinland): Gen. d. Jnf. v. Goeben;
(Ost- und Westpreußen): Gen. d. Kav.
Frhr. v. Manteuffel;

« ZurückWeiter »