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Erster Abschnitt.

Die Vergrößerung Preußens und der
Norddeutsche Bund.

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ei Königgräß war der Ausschluß Oesterreichs aus dem neuen Staatswesen der deutschen Nation entschieden worden, in dem fürstlich Dietrichsteinschen Schlosse zu Nikolsburg wurde der Grundriß des neuen Staatswesens entworfen und mit dessen Baue begonnen. Bis dahin hatte sich Graf Bismarck die Entwickelung der deutschen Reform anders vorgestellt, das Programm, für das Preußen den Krieg führte, hatte einen Bund in Aussicht genommen, in den alle deutschen Staaten mit Ausnahme der deutschen Bundesländer Desterreichs aufgenommen werden sollten. Seit dem großen Schlachttage vom Juli waren neue Anschauungen zur Geltung gekommen, bei denen die Vergrößerung Preußens in den Vordergrund trat. Wilhelm Thimme1) nimmt an, daß zwischen dem 8. und 9. Juli eine große Auseinanderseßung zwischen dem Könige und Bismarck erfolgt sei, die zu dem vorläufigen Verzicht auf die deutsche Einheit geführt, dagegen den Entschluß zur Reife gebracht habe, weitgehende Forderungen auf Landerwerb für Preußen zu erheben und sie mit größtem Nachdrucke zu behaupten. 2) Bismarck war seinerseits auch darüber im klaren, daß man von Desterreich nichts zu verlangen habe, sondern dessen Integrität im deutsch-nationalen Interesse zugestehen müsse, daß dagegen dem Kaiser Napoleon keine Kompensation für die Annexion norddeutscher Gebiete bewilligt werden dürfe. Am 16. Juli äußerte er zu Stosch, er werde ohne unglücklichen Krieg keine Konzession an Napoleon machen. Das neue Programm Bismarcks

1) Seine Ausführungen scheinen mir durch W. Buschs Abhandlung (Hift. Zeitschr. 92. Bd.) „Der Kampf um den Frieden in dem preußischen Hauptquartier zu Nikolsburg im Juli 1866“ icht erschüttert zu sein.

2) In dem energischen Zugreifen zum Landerwerb liegt meines Erachtens ein viel größeres Zerdienst König Wilhelms, als darin, daß er am 5. Juli unter die Friedensbedingungen die Suprematie über ganz Deutschland" aufgenommen hat, was ihm Ottokar Lorrenz (a. a. D.) hoch anrechnet. Das war ein Punkt des Bismarckschen Programmes, der dem Könige damals eniger am Herzen lag, als die Annexion.

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war noch nicht das des Königs, der den weiteren Verlauf der deutschen Staatsbildung nicht in den Kreis seiner Erwägungen gezogen, sondern ausschließlich preußische und hohenzollernsche Ansprüche zur Anerkennung bringen wollte.

Es beweist die doktrinäre Veranlagung Louis Napoleons, daß er diese Wendung der preußischen Politik selbst beförderte, weil er sie für Frankreich günstig hielt. Er meinte, die Macht Preußens durch die Mainlinie begrenzen zu können, ging aber ohne Bedenken auf den Anschluß von 3-4 Millionen Norddeutscher an Preußen ein, nicht beachtend, daß damit ein deutscher Staat von einer Ausdehnung und militärischen Kraft geschaffen wurde, wie er noch gar niemals bestanden hatte. Wenn Süddeutschland wirklich das Gegengewicht hätte abgeben sollen, mit dem Frankreich jederzeit das europäische Gleichgewicht herstellen und seinen eigenen Einfluß sichern konnte, dann hätte es sofort staatsrechtlich verbunden und an Desterreich angelehnt werden müssen. Diese oder ähnliche Konstruktionen meinte der politische Kalkulator an der Seine jedoch der Zukunft überlassen zu dürfen, wenn er vorläufig theoretisch Preußens Vorherrschaft auf Norddeutschland beschränkte. Thatsächlich ist die Einigung der Deutschen gerade dadurch am meisten gefördert worden, daß Preußen für sich allein zu einer in sich geschlossenen, militärisch und wirtschaftlich gefestigten Großmacht erhoben wurde, gegen die auch die Gesamtheit aller übrigen deutschen Staaten nicht mehr aufkommen kann. Dies hat sich nicht erst in der Zukunft so gestaltet, sondern es ist das Ergebnis der Verhandlungen von Nikoleburg, das Werk Bismarcks und des preußischen Kronprinzen Friedrich.

Schon am 22. Juli nachmittags fanden Besprechungen Bismarcks mit den österreichischen Kommissären, dem Botschafter Grafen Karolyi und Baron Brenner, statt. Die Franzosen Grammont und Benedetti erklärten mit Beginn der Verhandlungen ihre Rolle für beendet, sie hatten von Drouyn de Lhuys den Auftrag erhalten, sich an den Konferenzen nicht zu beteiligen, nur auf Wunsch freundschaftliche Ratschläge zu erteilen, die Präliminarien nicht mit zu unterfertigen und überhaupt keine Schriftstücke abzugeben. Damit sollte Frankreich das Recht fünftiger Beschwerden gewahrt werden. Am 23., noch vor Beginn der Konferenz, erhielt Bismarck eine Depesche von Golz aus Paris, in der die Zustimmung Napoleons zur Annexion von 4 Millionen Einwohnern mit der Beschränkung erteilt wurde, daß das Königreich Sachsen erhalten bleibe. Gegen die Verkleinerung durch Abgabe von Leipzig und des Kreises Baußen erhob der Kaiser keinen Einwand; er empfahl den Austausch von Oberhessen, das er für Preußen notwendig halte, mit Rheinbaiern, wobei er die Erwartung durchblicken ließ, daß man ihm eine kleine Grenzverbesserung nicht verweigern werde. Als Bismarck die Annerion von Hannover und Kurhessen geborgen wußte, da auch Desterreich sie nicht beanstandete, war ihm nichts so wichtig, als den Frieden mit Desterreich so rasch als möglich sicher zu stellen. Er war bereit, sowohl von jeder Gebietsabtretung in Böhmen oder Schlesien abzusehen, auch Sachsen in seiner bisherigen Ausdehnung bestehen zu lassen, wenn es den preußischen Oberbefehl durch den Eintritt in den Norddeutschen Bund anerkannte, da mit sich keine Schwierigkeit ergebe und Preußen vor keine neuen Komplikationen gestellt werde. Jeder Tag konnte einen Umschwung der Stimmung in Paris

bringen oder die Neigung zur Intervention bei Rußland erwecken. Desterreich verlangte die Integrität Sachsens, die Einbeziehung Baierns in den Friedensschluß und sträubte sich gegen die Zahlung von Kriegskosten. Bismarck verlangte 100 Millionen Thaler, wovon auf Desterreich die Hälfte entfiel; 15 Millionen wurden als Ersaß der Kriegskosten von 1864 abgerechnet, es verblieben somit 35 Millionen. Italiens Zustimmung zu den Präliminarien und dem Waffenstillstande wollte Preußen erwirken, sobald Venetien durch Napoleon an Italien übergeben sei.

Bismarck war mit seinen Zugeständnissen weit über das hinausgegangen, was sein königlicher Herr für zulässig hielt. Dieser sah den Verzicht auf die Fortführung des Krieges und den voraussichtlichen Einmarsch in Wien, den sein Heer sich zu erkämpfen bereit war, für ein schweres Opfer an, das der Soldat dem Staatsmann bringe, er fand keinen Grund dafür, das jedenfalls einer schönen ritterlichen Regung zuzuschreibende Eintreten Desterreichs für Sachsen zu berücksichtigen, sondern erachtete es vielmehr als eine Ungerechtigkeit, die königliche Familie von Hannover aus der Liste der Monarchen zu streichen, dagegen Sachsen, dessen Minister immer so übelwollend gegen Preußen aufgetreten war, völlig zu schonen; es schien ihm eine Schmälerung der Bedeutung seines Sieges zu sein, wenn auch Desterreich nicht durch Gebietsabtretung sich als Besiegten deklariere, und er glaubte sich sogar verpflichtet, den fränkischen Besiß der Zollernschen Seitenlinien, Bayreuth und Ansbach, der im Beginne des Jahrhunderts kurze Zeit preußisch geworden war, von Baiern zurückzufordern. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der König noch am 23. seinem Minister die Erlaubnis verweigert hat, auf der Basis, die er in der Konferenz bereits angenommen hatte, weiter zu verhandeln, daß Bismarck daher den 24. dazu verwenden mußte, um eine Umstimmung seines Herrn zu bewirken, da an diesem Tage die Verhandlungen unterbrochen wurden.

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Er versuchte es zunächst mit der Denkschrift, die uns Sybel mitgeteilt hat. Diese weist erstlich auf die „drohende Gefahr einer Parteinahme Frankreichs gegen Preußen" und auf die „Besorgnisse“ des Kaisers von Rußland vor den Bedingungen Preußens hin, erklärt hierauf das, was mit Zustimmung Defterreichs und Frankreichs in Norddeutschland erreicht werden kann, als ein so hohes Ziel, wie es bei dem Ausbruche des Krieges niemals gesteckt werden konnte". Es wäre ein politischer Fehler, „durch den Versuch, einige Quadratmeilen mehr von Gebietsabtretung oder wenige Millionen mehr zu Kriegskosten von Oesterreich zu gewinnen, das ganze Resultat wieder in Frage zu stellen". Das Auftreten der Cholera in der Armee und die Aussicht auf das Auftreten anderer Seuchen während eines Augustfeldzuges fallen gegen die Fortseßung der Operationen ins Gewicht. Alle diese Erwägungen haben den König noch nicht bestimmt, die von seinem Minister formulierten Bedingungen anzunehmen. Die Spannung im königlichen Hoflager nahm, wie uns die Augenzeugen erzählen, eine bedenkliche Höhe an. Roon schreibt am 25. an seine Frau: „An unnötigen Friktionen ist kein Mangel. Die überstandene Arbeitsthätigkeit und die Mannig= faltigkeit der Eindrücke der leßteren haben die maßgebenden Nervensysteme wie das meinige dermaßen überreizt, daß es bald hie, bald da lichterloh

zum Dachstübchen hinausbrennt, und jeder Wohlmeinende mit dem Löscheimer herzueilen muß. Das habe ich auch mit einigem Erfolg wieder gethan; Gott helfe, daß mein Löschen vorhält!" Die Wendung wurde durch den Kronprinzen herbeigeführt, der bereits am 23. aus Eisgrub, wo sich das Hauptquartier der Zweiten Armee befand, zum König beschieden worden war. Stosch, der ihn begleitet, schrieb am 24. in sein Tagebuch: „Noch kämpft der König, hat aber schon in einzelnen Punkten nachgegeben.“ Am 25. folgt die Bemerkung: „Der König hat einen Ruhranfall gehabt, der ihn schwächte und nachdenklich stimmte. Er ist jezt geneigt, dem Willen des Kronprinzen nachzugeben, und so soll nun abgeschlossen werden." Eine annalistische Darstellung der intimen Vorgänge im Schlosse zu Nikolsburg gibt es nicht; die Kritiker des betreffenden Kapitels in Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ haben nachgewiesen, daß es an Ungenauigkeiten und Erinnerungsfehlern leidet, aber sie haben nicht bezweifeln können, daß der Umschwung durch den Appell an die nationale Gesinnung des Königs vorbereitet worden ist, und daß der Kronprinz wahrscheinlich in diesem Sinne auf seinen Vater eingewirkt hat. Das Bekenntnis des Staatsmannes, der sich damals einem fast tragischen Konflikte gegenübersah, beruht auf einem tiefen Eindrucke, der durch alles Spätere nicht verwischt oder verwirrt werden konnte, und die Geschichtschreibung hat die Pflicht, es der Nachwelt immer wieder vorzuhalten. Nach einer Zusammenfassung des wesentlichen Inhaltes der Denkschrift, der noch durch Bemerkungen über die Gestaltung eines Kriegs in Ungarn erweitert wurde, hat Bismarck seiner Erzählung zufolge den Gedanken besonders betont, es müsse rasch abgeschlossen werden, ehe Frankreich Zeit zur Entwickelung weiterer diplomatischer Aktion auf Desterreich gewinne. Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung, aber die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, ohne jedoch seine Forderungen bestimmt zu formulieren. Nur so viel war klar, daß seine Ansprüche seit dem 4. Juli gewachsen waren. Der Hauptschuldige könne doch nicht ungestraft ausgehen, die Verführten könnten wir dann leichter davonkommen lassen, sagte er, und bestand auf den schon erwähnten Gebietsabtretungen von Desterreich. Ich erwiderte: Wir hätten nicht eines Richteramtes zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben; Oesterreichs Rivalitätskampf gegen uns sei nicht strafbarer, als der unserige gegen Desterreich; unsere Aufgabe sei Herstellung oder Anbahnung deutsch-nationaler Einheit unter Leitung des Königs von Preußen.“ Nachdem eine Reihe von Kombinationen verschiedener Gebietsabtretungen und Verwechslungen durchbesprochen wurden (Entschädigung Sachsens durch Würzburg oder Nürnberg, Vergrößerung Badens, Annexion der bairischen Pfalz, Entschädigung Hessen-Darmstadts durch das Aschaffenburger Gebiet u. dergl.) kamen die militärischen Bedenken in Betracht. „Den Widerstand, den ich den Absichten Sr. Majestät in betreff der Ausnüßung der militärischen Erfolge und seiner Neigung, den Siegeslauf fortzusehen, meiner Ueberzeugung gemäß leisten mußte, führte eine so lebhafte Erregung des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmöglich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffassung sei abgelehnt, das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß er mir erlauben möge, in meiner Eigenschaft als Offizier in mein Regiment einzutreten."

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