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eine Ansicht, die in der österreichischen Armee vielfachen Wiederhall gefunden hat. Sie geht jedoch von der unbewiesenen Annahme aus, daß die Hauptarmee in Mähren vor dem 17. Juni ohne Gefahr für die Schlagfertigkeit der einzelnen Teile und den festen Zusammenhang des Ganzen marschfähig gewesen sei. Von anderer Seite ist bemerkt worden, daß kein Grund vorhanden gewesen sei, den einmal vom höchsten Kriegsherrn und vom Oberkommandanten angenommenen Operationsplan Neuber-Krismanitsch aufzugeben. Feldzeugmeister Benedek wird dafür nicht verantwortlich gemacht werden können. Die Sendung Becks läßt vermuten, daß der Abmarsch nach Böhmen von diesem verlangt worden ist. Er begann am 18. und war so eingerichtet, daß am 25. ein Corps, das X. (Gablenz), bei Josefstadt angelangt sein konnte. Das I. Corps, die Sachsen und die Kavalleriedivision Edelsheim, 61 400 Mann Infanterie, 6800 Reiter, 162 Geschüße, unter den Oberbefehl des Kronprinzen von Sachsen gestellt, hatten bis 20. mittelst Eisenbahn in Chlumeß (zwischen Kolin und Königgräß) einzutreffen, sie waren bestimmt, den linken Flügel der gesamten Nordarmee zu bilden. An dem genannten Tage erhielt Kronprinz Albert jedoch aus dem noch in Olmüş befindlichen Hauptquartier die Weisung, in Jungbunzlau Stellung zu nehmen. Damit hing eine Beschleunigung des Marsches der Hauptarmee zusammen, die man infolge von Nachrichten aus Oberschlesien für notwendig hielt. Die Nachrichten entstammten Depeschen über die Bewegung der Zweiten preußischen Armee, die, wie Friedjung glaubt, durch Anlegen eines Handapparates an die preußische Telegraphenleitung in Desterreich mitgelesen werden konnten. Am 24. richtete Benedek aus Böhmisch-Trübau den Befehl an Clam, selbständig einem ,,etwa aus der Richtung von Reichenberg oder Gabel kommenden feindlichen Angriffe entgegenzutreten“; dem sächsischen Armcecorps war eine Reservestellung Jungbunzlau-Münchengräß angewiesen. Der Oberbefehl des Kronprinzen hatte erst nach der Vereinigung der beiden Corps einzutreten.

Die Thätigkeit des preußischen Generalstabs war durch die politischen Rücksichten des Königs, der den Beginn der Feindseligkeiten von der Bundestagssitung am 14. Juni abhängig machte, einigermaßen gehemmt worden. Der Zusammenschluß der beiden großen Heerkörper war durch konzentrisches Einrücken in Böhmen beabsichtigt; da dies aber vor dem 20. Juni nicht stattfinden konnte, erstreckte sich die preußische Aufstellung auch nach der Linksschiebung der ersten Armee noch immer auf ca. 250 km, was die Gefahr einer Zerreißung durch einen wuchtigen Zentralstoß des Gegners in sich schloß. Sie schwand durch das Verharren Benedeks auf der Basis Olmüß, das jedoch andererseits rasche Entschließungen auf preußischer Seite gerade nicht begünstigte. Moltke konnte nur Vorsichtsmaßregeln für verschiedene Fälle vorbereiten, deren Eintritt ausschließlich vom Gegner abhing. Noch am 18. Juni rechnete er damit, daß Benedek „die entscheidende Richtung auf Berlin einschlage", und überdachte die Wege, auf denen die Erste oder Zweite Armee am schnellsten vor einer „Ueberrennung“ durch die österreichische Hauptmacht bewahrt werden könnte. Verläßliche Nachrichten liesen im preußischen Hauptquartier nicht häufig ein, um so mehr Lügen und Uebertreibungen. Die Desterreicher waren darin viel besser bestellt. Das II. österreichische Corps z. B. vermutete der preußische Generalstab in Verbindung

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v. Zwiedined-Südenhorst, Deutsche Geschichte 1806-1871. III.
1) Im Hauptquartier der Zweiten Armee 1866" (Berlin 1900).

geführt werden. Er erzählt, daß die weißen Hemden von Landarbeitern, die Beteiligten, sowohl militärischer als freiwilliger bürgerlicher Beobachter, herbeiim Beginne eines Feldzuges durch die Erregtheit, die Nervenüberspannung aller Verdy du Vernois1) hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, welche Täuschungen mit dem I. in Böhmen, als es noch an der mährischen Grenze stand. General

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ihre Jacken ausgezogen hatten, und das Blinken ihrer Sensen die Meldung vom Anmarsche der Desterreicher veranlaßt hatte, als diese noch meilenweit entfernt sein mußten. Aehnliches wiederholt sich. „Da fällt der Blick bei Veränderungen in der Beleuchtung plößlich auf einen in weiter Entfernung erst jezt bemerkbar werdenden dunklen Strich, der sich in der Phantasie zu einer marschierenden Kolonne gestaltet, während es sich in Wirklichkeit hier nur um eine Hecke handelt, und jedes Gepolter, wenn es auch nur von Hufschlägen eines Pferdes gegen die Thüre einer Scheune herrührt, wird für einen Kanonenschuß gehalten.“

Dagegen bewährten sich nach der Versicherung desselben Augen- und Thatzeugen die Vorkehrungen des Großen Generalstabs für die Ausstattung der Truppen mit den notwendigen Hülfsmitteln für das Terrainstudium in glänzender Weise. „Ein äußerst reiches und vortreffliches Kartenmaterial, nicht nur von unseren Provinzen, sondern auch von den anstoßenden österreichischen Kronländern, stand uns in vielen Tausenden von Exemplaren zur Verfügung. Dasselbe wurde ergänzt durch genaue Beschreibungen sowie geographische und statistische Notizen, welche sich sogar eingehend über jeden Weg durch die vor uns liegenden Gebirge ausließen. Als besonderer Kenner dieses Berglandes trat zu uns der Präsident Graf v. Schweidniß aus Posen, welcher das Hauptquartier begleitete, bis die Armee das Gebirge durchschritten hatte und an der Elbe in Böhmen angelangt war. Ferner waren übersichtliche Zusammenstellungen über alles, was zur Kenntnis der österreichischen Armee beitragen konnte, ausgearbeitet worden und gedruckt in kleinen Heften uns zugegangen, selbst eine Charakteristik ihrer Generale, welche sich in den höheren Stellungen befanden, fehlte nicht."

Am 19. Juni war das preußische Oberkommando in Kenntnis vom Abmarsche der österreichischen Hauptarmee nach Böhmen gekommen, es konnte nunmehr seinen Plan feststellen und den drei Armeen Anordnungen erteilen. Wenige Säße genügten dazu: „Die eingehenden Nachrichten deuten auf eine Konzentration der österreichischen Hauptkräfte in Nordböhmen. - Die Erste Armee ergreift die Offensive dorthin. Die Zweite Armee hat sich derselben zu nähern, um die Vereinigung durch Offensive in Böhmen zu bewirken. In Sachsen verbleibt eine Division des Generals v. d. Mülbe. - General Herwarth marschiert am 20. nach Stolpen (Lausiß); am 25. Vereinigung bei Gitschin von 150000 Mann. Die II. Armee hält durch Offensive bei Neiße und Grulich mindestens zwei österreichische Corps fest und debouchiert mit zwei Corps." Hiermit brachte Moltke sein „von der herrschenden Theorie" abweichendes strategisches Gesez zur Anwendung, das von dem Toll-Radeßkyschen Trachenberger Plane von 1813 abgeleitet ist. Seine Anwendung schien ihm durch das Anwachsen der Heere geboten und durch die Notwendigkeit, Reibungen der Heeresteile bei engem Zusammenschluß, Stauungen der Trainkolonnen und Verpflegsschwierigkeiten so lange als möglich zu vermeiden. Es verlangt die Anordnung getrennter Märsche unter Berücksichtigung rechtzeitiger Versammlung. „Mit diesem Geseß sichert sich der Feldherr eine größtmögliche Zahl von Straßen für die Fortbewegung und damit gekürzte Aufmarschzeiten. Die Schnelligkeit in der Handlung wächst, indem sie gleichzeitig den Truppen alle unnüßen Umwege erspart. Zwecklose Zusammen und zeitraubende Auseinanderziehungen auf der Grundlinie kommen

in Fortfall, ebenso unnüße und beschwerliche Aufmärsche mit Rückkehr in die tiefen Marschkolonnen. Alle Bewegungen vollziehen sich geradeaus direkt zu dem gesteckten Marschziele, und in der Mehrzahl der Fälle werden Aufmarsch und Kampf verbundene Akte." 1)

Bei der Befolgung des Moltkeschen Gesezes wird sich für den von zwei oder mehreren Seiten Anmarschierenden immer eine kritische Zeit ergeben, in der er unter der Gefahr steht, von dem in Zentralstellung befindlichen Gegner an einer Stelle angefallen zu werden, wo die eine der getrennt marschierenden Armeen sich in auffallender Minderzahl befindet. Diese muß, wie es 1813 sowohl die Nord-, wie die Schlesische Armee vor Leipzig gethan hat, den Stoß auf sich nehmen und seine Folgen so lange auszuhalten trachten, bis die zweite Armee dem Vorstoßenden in die Flanke oder in den Rücken fallen kann. Im vorliegenden Falle befand sich die Zweite Armee des Kronprinzen in der bedenklichen Situation, als sie mit drei Corps von Schlesien über Liebau und Schömberg (1. Corps), Braunau (Garde), Nachod (5. Corps) nach Böhmen vorging und das 6. Corps über Glaß und Landeck nachrücken ließ. In ihrem Hauptquartier wurde die Gefahr nicht übersehen; Blumenthal, Stosch und Verdy haben sie in ihren Briefen und Tagebüchern eingestanden. Die Ansicht Friedjungs, daß man preußischerseits die Marschtüchtigkeit der österreichischen Truppen und die Leistungsfähigkeit der österreichischen Eisenbahnen nicht richtig veranschlagt habe und deshalb durch das Vorhandensein bedeutender gegnerischer Truppenmassen an der Mettau und oberen Elbe am 26. und 27. überrascht worden sei, *) läßt sich gegenüber diesen Aeußerungen der Generalstabsoffiziere des Kronprinzen nicht aufrechthalten. „Es war nicht ausgeschlossen,“ schreibt Verdy, „daß wir in das Gebirge zurückgeworfen wurden und somit unsere Operation gleich beim Betreten des feindlichen Gebietes scheiterte. Hierauf mußten wir es ankommen lassen. Jedenfalls war man in unserem Oberkommando durchdrungen von der Notwendigkeit, wo wir auf den Feind stoßen würden, denselben auch ohne Rücksicht auf eine etwaige Ueberlegenheit mit aller Kraft zu bekämpfen. Man sagte sich: Je mehr feindliche Kräfte wir auf uns ziehen, desto leichter und schneller wird das Vorgehen der beiden anderen Armeen erfolgen. Die Richtung ihres Anmarsches mußte diese aber nach Ueberwältigung des Widerstandes untergeordneter Kräfte in Flanke und Rücken der mit uns ringenden feindlichen Corps führen, so daß dadurch sogar der Rückzug der österreichischen Hauptarmee in Frage gestellt werden konnte." Dem ist zuzustimmen. Man vergegenwärtige sich die Situation, die aller Wahrscheinlichkeit nach entstehen konnte, wenn etwa vier österreichische Corps (X., IV., VI., II.) zur Bekämpfung und Verfolgung der Zweiten deutschen Armee, die ja auch aus vier gewiß nicht minderwertigen Corps bestand, bis auf die Pässe und über diese hinaus vorgegangen wären, während Friedrich Karl mit der Ersten und der Elbarmee das I. Corps und die Sachsen zurückdrängte, vielleicht zum Rückzug in südwestlicher Richtung zwang und dann bei Josefstadt

1) v. Schlichting, Moltke und Benedek (Berlin 1900).

2) v. Schlichting glaubt zwar auch, daß die großartige Marschleistung der Desterreicher ,,gegnerischerseits zweifellos niedriger in Ansah gebracht worden ist"; aber er findet nicht, daß die mindere Veranschlagung die preußischen Anordnungen ungünstig beeinflußt habe.

erschien. 1) Blumenthals am 24. ausgegebenen Befehle erhärten ebenfalls, daß die Zweite Armee durch eine Offensive Benedeks nicht überrascht werden konnte, daß das Armeekommando vielmehr darauf gerechnet hat, überlegenen Streitkräften sich gegenüber zu finden. Er schrieb an General Steinmeß: „Die Erste Armee ist mit 130000 Mann im Vormarsche auf Reichenberg. Eine Unterstüßung durch das 1. Armeecorps über Hirschberg wäre zu spät gekommen. Se. Königl. Hoheit entschloß sich daher, die Unterstüßung auf andere und noch wirksamere Weise eintreten zu lassen und mit der ganzen Armee . . . in Böhmen einzudringen. Die Möglichkeit ist dabei dem Feinde allerdings geboten, über unsere getrennten beiden Armeen einzeln herzufallen, allein es ist doch nun einmal nicht anders zu machen, und wenn es Prinz Friedrich Karl gelingt, den Feind zu schlagen, so werden wir den Sieg glänzend ausbeuten können; muß er zurück, so können ihn die Desterreicher schon unsertwegen nicht verfolgen.“

Als Feldzeugmeister v. Benedek am 26. vormittags in Josefstadt anlangte, waren die am weitesten vorgeschobenen Teile seiner Streitkräfte bereits in unmittelbarer Berührung mit dem Feinde, der Kampf hatte an mehreren Stellen begonnen. Wir dürfen annehmen, daß Benedek der Meinung war, den Prinzen Friedrich Karl vereinzelt angreifen und schlagen zu können. Darauf deutet der an den Kronprinzen von Sachsen erlassene Befehl, Turnau (a. d. Jser) und Münchengräß um jeden Preis zu halten. In Josefstadt trafen den Feldzeugmeister aber auch die Meldungen über das Erscheinen feindlicher Kolonnen bei Trautenau und Nachod. 2) Er hatte die Wahl, nach einer der beiden Seiten ein Uebergewicht zu werfen, wenn er angriffsweise vorgehen wollte, von beiden gegnerischen Armeen stand er zwei Tagemärsche ab. Benedek glaubte, den Vorteil der „inneren Linie“, dem durch Napoleon und den Theoretiker seiner Kriegskunst, Jomini, die allergrößte Bedeutung beigelegt worden war, noch ausnüßen zu können, indem er der Zweiten preußischen Armee zwei Corps entgegensandte, um ihr den Austritt aus den Pässen zu verwehren, und mit seiner übrigen Macht dem Prinzen Friedrich Karl entgegenzugehen beschloß. Die österreichischen Strategen, die nach dem Ausgange des Feldzuges gegen Preußen die Kriegführung Benedeks kritisierten, haben den Entschluß vom 26. getadelt. Kuhn hat ihm zugerufen: „Freund, das war dein Fehler, daß du den preußischen Kronprinzen nicht am 28. Juni angegriffen hast!" Neuere Beurteiler, vor allem General v. Schlich= ting, dessen Darstellung wohl allgemein als die unbefangenste, reifste und durch Sachkenntnis überlegenste anerkannt wurde, hat den gegen Benedek erhobenen Vorwurf völlig entkräftet. Benedek konnte nicht vorhersehen, daß Friedrich Karl am 27. und 28. stehen bleiben und ihm Zeit lassen werde, seine sechs Corps

1) Dieser Fall war nach Lettow-Vorbed II, 203 auch am 27. Juni noch gegeben. Man vergleiche auch die Aeußerungen Schlichtings S. 44.

2) Der von Friedjung in dem Exkurs XXII (II. Bd. Beil.) angeregte, außerordentlich fesselnde Vergleich zwischen dem Verhalten Friedrichs II. und Josephs II. 1788 auf demselben Terrain und den Ereignissen der Kriegswoche 27. Juni bis 3. Juli 1866, der auch von Schlichting selbständig behandelt worden ist, kann hier leider nicht in Betracht gezogen werden, da er ohne eingehende Erörterung der örtlichen Verhältnisse und der kriegstheoretischen Entwicklung unverständlich bleiben müßte.

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