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können? Der Oberkirchenrath würde die Grundsäge, die er seit fünf Jahren innegehalten, völlig aufgeben, wenn er aus solchem Grunde gegen einen Geistlichen einschritte, der mit seiner Gemeinde in Frieden lebt und ihr Vertrauen besitzt.

Was hier gesagt wurde, soll nur einen ungefähren Begriff geben von den Bestrebungen, welche von rechts her den Weg des Oberkirchenrathspräsidenten zu durchkreuzen suchen; von rechts, allein von rechts her kommt die Bedrängniß. Herr Herrmann darf sein Amt nicht fortführen, wenn er nicht die Sicherheit erhält, daß der bisherige feste und ruhige Gang des Kirchenregiments ungestört bleibt. Wird das Entlassungsgesuch angenommen, so kann nicht ein gemäßigter Orthodorer der Nach= folger werden denn dieser Richtung gehört Präsident Herrmann selber an sondern nur ein Gegner der evangelischen Union, ein unduldsamer Zelot. Die neue Kirchenverfassung würde dann in einem Sinne gehandhabt, der ihr selber feindlich ist; und die kaum erst mühsam beschwichtigten kirchlichen Leidenschaften brächen in hellen Flammen aus. „Den ganzen evangelischen Namen" in einträchtiger Liebe zusammenzuhalten, war der Stolz des Großen Kurfürsten. Wir haben unter Kaiser Wilhelm manchen guten Schritt vorwärts gethan auf dieser alten gesegneten Bahn der Hohenzollern; gebe Gott, daß pfäffische Herrschsucht und Unduldsamkeit uns nicht wieder davon abdrängen!

Wie diese kirchlichen Wirren in die politische Krisis eingreifen müssen, bedarf kaum der Schilderung. Der Cultusminister kann die Entlassung des Präsidenten Herrmann nicht unterzeichnen; er müßte mit ihm zugleich den Abschied nehmen, und der Triumph des Centrums wäre vollständig. Der Reichskanzler, der jenen innerkirchlichen Fragen immer fern geblieben ist, kann doch den Urheber der Maigeseze nicht fallen lassen; so müßte auch er einem Cabinet von Hochconservativen und Clericalen das Feld räumen. Welche Aussichten! Doch der Gedanke, daß eine reinkirchliche Angelegenheit den Hebel bilden sollte, der unser politisches System aus den Angeln höbe, ist zu widersinnig, als daß er sich erfüllen könnte. Es widersteht mir, von allen den persönlichen Einflüssen und Gegensäßen zu reden, welche dem Reichskanzler in den Weg treten; ich bekenne gern, daß ich mich in dem Wirrwarr widersprechender Nachrichten und Klatschereien nicht zurechtfinden kann. Klar und sicher ist in dem trüben Nebel nur dies Eine: die deutsche Nation verlangt ein Ministerium Bismarck, nicht ein Cabinet von Beurlaubten, Stellvertretern und Lückenbüßern, sondern eine einträchtige Regierung von treuen Gesinnungsgenossen des leitenden Staatsmannes. Dem Manne, der die Stürme der Conflictszeit überstanden hat, brauchen wir nicht erst zu sagen: where is a will there is a way!

1878.

Zum Jahresanfang.

Berlin, 10. Januar 1878.

Gleichzeitig mit dem Falle von Plewna hat das scheidende Jahr auch den französischen Verfassungskämpfen eine vorläufige Entscheidung gebracht. Eine friedliche Verständigung, wie wir Deutschen sie in unserem Interesse wünschen mußten, ist eingetreten, aber sie erfolgte unter Umständen, die bei uns man darf es sagen man darf es sagen — Niemand für möglich hielt. Bei dem besten Willen jedes Volk nach sich selber zu beurtheilen kommen wir doch von tief eingewurzelten nationalen Vorstellungen nicht gänzlich los: unwillkürlich übertragen wir jene Ehrbegriffe und Anstandsgewohnheiten, die wir unter unseren deutschen Officieren für selbstverständlich halten, auf fremde Verhältnisse. Wer konnte auch erwarten, daß ein Marschall von Frankreich nach so vielen feierlichen Reden vom Ausharren jusqu'au bout zuletzt ohne jeden ernsten Versuch des Widerstandes seine Sache und seine Freunde preisgeben und ein solches Maaß von Ergebung zeigen sollte? Jeder stärkere Ausdruck würde den eigenthümlichen Humor der Thatsachen nur abschwächen.

Soweit sich bis jetzt ein Urtheil bilden läßt, ist die Erklärung des erstaunlichen Ereignisses wohl zunächst in der Persönlichkeit des MarschallPräsidenten zu suchen, sodann in der Zerspaltung der Armee und dem unverkennbaren tiefen Ruhebedürfniß des Landes. Den lezten Ausschlag aber gab die Unmöglichkeit den Posten des Finanzministers zu besetzen. Bis in den December hinein hatte der Marschall das formelle Recht auf seiner Seite: allein als er endlich vor der Frage stand, ob er ein budgetloses Regiment wagen solle, da fand sich unter seinen Genossen Niemand bereit, auf die Gefahr des Vermögensverlustes hin den Versuch auf sich zu nehmen. Rechtliche Bedenken störten Keinen. Drastischer läßt sich der ideale Gehalt der heutigen französischen Parteikämpfe nicht schildern. Genug, die Republik erfreut sich nunmehr ihres zwanzigsten Ministers

des Innern, und bis die große Weltausstellung vorüber ist, die der leidenden Volkswirthschaft die wunderthätige Heilung bringen soll, steht eine Kündigung des geschlossenen Waffenstillstandes schwerlich zu befürchten.

Um dem Marschall die Demüthigung zu erleichtern hat man Herrn Dufaure wieder an die Spitze des Cabinets gestellt, und dem Anscheine nach liegen die Dinge wieder auf derselben Stelle wie zu Anfang des Decembers 1876. Doch in Wahrheit ist die Regierung nur noch ein Werkzeug in der Hand der Mehrheit der Abgeordnetenkammer; der Sieg der republikanischen Partei ist so vollständig wie die Unterwerfung des Präsidenten. Die Verfassung ist thatsächlich völlig umgestaltet, die erecutive Gewalt hat ihre gesetzmäßige Selbständigkeit gänzlich verloren, und an der Spitze des Staates steht ein Convent ein Convent von zwei Kammern freilich, ohne die wilde Energie jener alten revolutionären Versammlung, doch immerhin eine vielhundertköpfige souveräne Körperschaft, welche auf die Dauer einen centralisirten Militär- und Beamtenstaat nicht ohne terroristische Gewaltmittel zu beherrschen vermag. Was irgend geschehen konnte um das Beamtenthum den siegreichen Parteien zu unterwerfen, das ist bereits geschehen mit einer Unbefangenheit, die selbst in Frankreichs Geschichte kaum ihres Gleichen hat. Niemals wurde der Glaubenssatz aller französischen Parteien, das s'emparer du pouvoir eilfertiger zugleich und gründlicher angewendet. Von den sechsundachtzig Präfekten sind dreiundachtzig abgesetzt, desgleichen viele hunderte von Unterpräfekten und Verwaltungsbeamten aller Art, bis herab zu den Direktoren der Wohlthätigkeitsanstalten. Von dem eigentlichen Zwecke der Verwaltung ist gar nicht mehr die Rede, Niemand fragt nach Sachkenntniß und Rechtschaffenheit; es gilt nur, das Gewölk von Journalisten und Advokaten, das sich heischend an die Sieger herandrängt, schleunigst zu versorgen und die Gegner gänzlich zu Boden zu werfen. Auch für die Gemeindewahlen, die über die Zusammensetzung des Senats ent= scheiden, gab man das Losungswort aus, daß nur Mitglieder der herrschenden Partei in die Gemeinderäthe eintreten dürften, und in der That ist das Ergebniß der parlamentarischen Mehrheit günstig gewesen. Wie ungeheuerlich diese maßlose Ausbeutung des Sieges unseren germanischen Anschauungen erscheinen mag daß sie politisch nothwendig war, läßt sich nicht leugnen. Die Republik kämpft noch um das Dasein, durch mildere Mittel kann sie sich nicht behaupten. Für die nächste Zukunft gehört das gesammte pays légal fast ebenso vollständig den Republifanern, wie vor vierzig Jahren den Orleanisten; und sicherlich wird ihnen durch diesen Besizstand der Kampf gegen die monarchischen Parteien erleichtert.

Doch steht darum das republikanische Regiment sicherer oder auch nur ebenso sicher wie einst das Zulikönigthum? Man sagt oft: la France est centre gauche. Und allerdings in den Reihen der gebildeten Mittelklassen, welche den Heerd dieser liberalen Gesinnung bilden, hat die Republik starken Anhang gewonnen, weil man für jetzt nichts Besseres weiß, und weil keine der entthronten Dynastien dem Lande vorderhand das zu bieten vermag, was der natürliche Vorzug der Monarchie bleibt: Gerechtigkeit und Stetigkeit der Regierung. Aber wird die allezeit furchtsame französische Bourgeoisie etwas wagen wollen für eine so nüchterne, allein im Verstande begründete Ueberzeugung? Wird sie ihre Ansichten festhalten auch wenn es sich zeigt, daß die Republik die üblen Folgen einer allgemeinen europäischen Handelsstockung nicht abzuwenden vermag? Ihre entschlossenen, leidenschaftlichen, begeisterten Anhänger findet die republikanische Idee noch immer nur unter den Communards, den geschworenen Gegnern der heutigen Regierung.

Ob der Präsident selber noch im Stande ist die Politik des Widerstandes von Neuem zu versuchen, darüber ist in der Ferne kein Urtheil möglich. In jedem anderen Lande wäre er seit den Demüthigungen des Decembers ein unmöglicher Mann geworden; im heutigen Frankreich scheint nichts mehr undenkbar, selbst der Fluch der Lächerlichkeit wirkt hier nicht mehr vernichtend. Sicher ist nur, daß der Marschall nicht ehrlich versöhnt sein kann mit der neuen Ordnung der Dinge, die ihn, gegen Sinn und Wortlaut der Verfassung, nöthigt sich mit persönlichen Feinden zu umgeben und ihm das Recht der freien Beamtenernennung thatsächlich raubt. Und noch viel sicherer ist, daß die besiegten monarchischen Parteien sich nicht beruhigen werden bei der schrankenlosen Parteiherrschaft ihrer Gegner; übermenschliche Sanftmuth ist von keiner Partei zu verlangen, am Allerwenigsten von den Bonapartisten, deren Gefühle immer sehr menschlicher Natur waren. Warum sollten auch die Kaiserlichen, die auf den appel au peuple schwören, irgend welche Ehrfurcht hegen vor dieser Republik, die dem Plebiscit ängstlich aus dem Wege geht? Und wie sollte der mächtige herrschsüchtige Elerus sich ernstlich befreunden mit einem Cabinet von Voltairianern, das drei Protestanten unter seinen Mitgliedern zählt? Es giebt gewisse Dinge, die zu schön und aufgeklärt find, als daß sie in dieser schlechten Welt dauern könnten. Die Gegner sammeln sich und rüsten in der Stille; in einer nahen Zukunft wird der wilde Kampf der Parteien von Neuem losbrechen.

Die schwerste Gefahr droht der herrschenden Partei von der Maßlosigkeit ihrer eigenen Genossen. Bereits beginnt die Rachsucht ihre Arbeit, wie noch nach jedem Parteisiege der französischen Geschichte. Man zerrt

die Staatsstreichspläne der geschlagenen Feinde aus dem Dunkel hervor und will nicht sehen, daß auch die heutige Parteiherrschaft nichts anderes ist als die Aufhebung der Verfassungsgesetze von 1875. Man trägt den Parteihaß bis in die Reihen der Armee, die freilich schon längst von den politischen Gegensätzen ergriffen und erschüttert ist, und fordert die Absetzung der monarchischen Generale. Man verlangt die ungescheute Anwendung jenes wundersamen republikanischen Gesetzes, kraft dessen die großen Territorial-Commandos immer nur auf drei Jahre besetzt werden. Auch die Armee soll sich jenes „raschen, erfrischenden Wechsels" der leitenden Männer erfreuen, worin die orthodoren Bekenner der parlamentarischen Doctrin das Wesen der Freiheit suchen. Wohin eine solche Zerstörung der militärischen Mannszucht noch führen kann, das erscheint um so räthselhafter, da kein einziger unter den Generalen hoch genug steht um durch sein persönliches Anschen die Armee zusammenzuhalten. Wohl liegt das Glück der Völker nicht in den Staatsformen allein. Denkbar ist es immerhin, daß das widersinnige und noch niemals in aller Geschichte durchgeführte Experiment einer bureaukratisch-centralisirten Republik gleichwohl gelänge, wenn etwa ein bedeutender Mann wie Gambetta an's Ruder käme. Aber solche Wagnisse glücken nur den Völkern, welche durch Mäßigung, Einmuth, Versöhnlichkeit die Gebrechen der Verfassung auszugleichen wissen; und von diesen Tugenden entdecken wir im heutigen Frankreich überall das Gegentheil. Die Zukunft des Landes erscheint sehr ernst. Uns Deutschen muß es genügen, daß von clericalen Kriegsplänen für die nächsten Monate nichts mehr zu besorgen steht, und die Republikaner mit der Knebelung ihrer einheimischen Gegner vorläufig noch vollauf beschäftigt sind.

Die Romfahrt des Herrn Gambetta zeigt übrigens, daß die Republikaner keineswegs gemeint sind sich der europäischen Politik so fern zu halten, wie ihre Organe behaupten. Ohne unbilliges Mißtrauen dürfen wir wohl annehmen, daß der französische Parteiführer in Rom nicht blos über die gemeinsamen mediterranischen Interessen der beiden Mächte gesprochen, sondern auch behutsam versucht hat die Verbindung Italiens mit dem Dreikaiserbunde zu lockern. Der plötzliche Thronwechsel in Rom kommt solchen Bestrebungen nicht zu statten. Nirgendwo wird die gerechte Trauer der Italiener um ihren ersten König aufrichtiger, lebhafter mitempfunden als in Deutschland. Die That bleibt im Leben der Völker doch immer die entscheidende Macht; ohne den Vorgang jenes tapferen Fürsten, der seinem Volke zurief: „es reifen die Geschicke Italiens“, hätten auch wir Deutschen schwerlich unsere Einheit errungen. König Victor Emanuel bedurfte vieler Jahre bis er an die deutsche Bundesge

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