Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

italienischen Krone herabzuwürdigen; wir begreifen, daß ein katholischer Hof Bedenken trägt sich diesem Vorwurfe auszusetzen. Der Gegensatz der politischen Interessen wie der religiösen Anschauungen ist noch allzu schroff; wo bliebe Raum für die einfache Erkenntniß, daß alle Staatsgewalten gegenüber den Weltherrschaftsplänen des Papstes eine gemeinsame Sache zu vertreten haben?

Darum wird die seltsame Doppelherrschaft in Rom voraussichtlich noch lange fortwähren. Nicht blos aus Rücksicht auf die europäischen Mächte sucht die italienische Krone den Papst in Rom zurückzuhalten, sondern auch aus Rücksicht auf ihr eigenes Volk. Das Papstthum ist schon seit Jahrhunderten eine italienische Institution geworden, und so lange die große Mehrheit des Volks an der Ansicht festhält, daß der Papst nur in der ewigen Stadt leben dürfe, kann die Regierung sich dieser nationalen Anschauung nicht entziehen. Das deutsche Reich hat, wie ich schon in dem Briefe an Herrn Vera sagte, vorderhand keinen Anlaß eine Aenderung des Garantiegefeßes zu wünschen. Wir sehen mit einiger Zuversicht dem Ausgange unseres kirchenpolitischen Kampfes entgegen; die Kraft unserer Gegner beginnt sichtlich zu erschlaffen, wir dürfen hoffen unsere katholische Kirche allein durch unsere Geseze vor den Eingriffen des unfehlbaren Papstes einigermaßen zu sichern. Aber wir können leider die Hoffnung nicht theilen, daß auch alle anderen Völker desselben Weges gehen und den Untergang des Kirchenstaates zur Befestigung ihrer nationalen Unabhängigkeit benutzen würden.

In so einfach logischer Folge pflegen die großen Wandlungen des Völkerlebens sich nicht abzuspielen. In Frankreich herrscht heute die papistische Gesinnung. Gewiß nicht für immer. Gewiß werden die freien geistigen Kräfte dieses Volkes dereinst wieder erwachen, sobald die auf den kirchlichen Hochschulen gebildete Jugend heranwächst und die verheerenden Folgen der geistlichen Erziehung sich offenbaren. Doch die alten ruhmvollen gallikanischen Ueberlieferungen sind nahezu vergessen, die Nation zerfällt in Voltairianer und Clericale. Tritt einst der unvermeidliche Rückschlag ein, so wird schwerlich eine maßzvoll besonnene Kirchenpolitik, sondern der freche und wüste Unglaube die Erbschaft der Jesuiten antreten; wie ihrem Staate, so scheint auch dem geistigen Leben der Franzosen ein unheilvoller Kreislauf vom Despotismus zur Anarchie bevorzustehen. Auch in Spanien und Frland, in Belgien und Polen herrscht der römische Stuhl heute mächtiger als je zuvor. Undenkbar ist es nicht, daß unser Jahrhundert noch einmal ein wildes Aufflammen kirchlichen Hasses erlebt, und der Papst einige der katholischen Völker wider das paritätische Deutschland in's Feld führt. Dann würde an den Tag

kommen, daß die Gesetze des freien Italiens in der That nicht einer geistlichen Macht Schuß und Obdach gewähren, sondern einer weltlichen Gewalt, die mit politischen Mitteln politische Herrschaftsgedanken verfolgt; die Krone von Italien wäre troß des Garantiegeseßes genöthigt, für oder wider diese weltliche Gewalt mit den Waffen Partei zu ergreifen.

Die Pläne des Vaticans, die wohl vertagt, doch niemals aufgegeben werden, bedrohen keinen Staat so unmittelbar wie den Eroberer des Kirchenstaates. Italien sieht sich gezwungen den Feind an seinem Busen zu wärmen; ein so unnatürliches Verhältniß kann auf die Dauer nicht bestehen, wenn der Staat nicht mindestens die Gesittung seines eigenen Volkes von der Herrschaft jener feindseligen Macht befreit. Diese richtige Erkenntniß beginnt in der That jenseits der Alpen überhandzunehmen; auch der Brief unseres römischen Correspondenten giebt dafür ein Zeugniß. Die deutsche Presse hat während der lezten Jahre über die gegen= wärtige italienische Regierung zuweilen allzu bitter geurtheilt. Sie würdigte nicht genugsam, welche unerhörten Schwierigkeiten in Rom zu überwinden sind; sie vergaß auch, wie fest das französische Bündniß mit den größten Erinnerungen des Königreichs verwachsen war und wie schwer es den alten Freunden Cavours fallen mußte sich von ihren theueren Ueberlieferungen loszusagen. Seit den unvergeßlichen Tagen von Mailand ist dies Mißtrauen verschwunden. So jubelt nicht die weltkluge Berechnung, sondern nur das tiefe, aufrichtige Gefühl eines freien Volkes. Wir wissen jetzt, daß die Mehrheit der Italiener in dem deutschen Reiche ihren natürlichen Bundesgenossen sieht, und wir bemerken mit Genugthuung, wie die gemäßigten Parteien beider Völker auch in ihren kirchenpolitischen Ansichten sich einander zu nähern beginnen.

Die Radikalen Italiens stellen der Kirche nur einen unfruchtbaren Pessimismus entgegen. Garibaldi redet geringschäßig von jenen wackeren Gemeinden in Friaul und um Mantua, die sich unterstanden haben ihre Pfarrer selbst zu wählen, er will die Kirche hilflos dem Untergange preisgeben. Dagegen in den liberalen, dem Ministerium nahe stehenden Kreisen mehren sich die Stimmen, welche den Staat auffordern sich des verwahrlosten kirchlichen Lebens anzunehmen. Die Abhandlung von Padeletti über Cavour's Kirchenpolitik, das Buch von Piola über die Kirchenfreiheit sowie eine ganze Reihe von Schriften und Reden verdienter Parlamentsmitglieder beweisen, daß die italienischen Liberalen dem deutschen Kirchenstreite mit lebendigem Verständniß gefolgt sind. Die abstrakten Schlagworte der alt= liberalen Schule verlieren ihr Ansehen, die Begriffe vom Wesen des Staates und der Kirche vertiefen und bereichern sich; man sieht in der Kirchenhoheit der Staatsgewalt nicht mehr eine willkürliche polizeiliche Be

vormundung, sondern erkennt die Pflicht des Staates für die höchsten fittlichen Güter der Nation zu sorgen. Noch stehen solche Ansichten in der Minderheit, indeß ihr Einfluß ist sichtlich im Wachsen, und wenn diese geistige Bewegung anhält, so dürfen wir dem gesunden praktischen Verstande der Italiener sicher zutrauen, daß er die Mittel und Wege finden wird die neugewonnene Erkenntniß in das Leben einzuführen.

Die clericale Partei ist bisher, auf Befehl des Papstes, den parlamentarischen Kämpfen des Königreichs fern geblieben. Ueber lang oder kurz wird sie diese Zurückhaltung aufgeben, viele Anzeichen deuten bereits darauf hin; ein starker Anhang unter den Wählern ist ihr sicher, mindestens in Unteritalien. Wenn sie dann auf der Rednerbühne ihr wahres Angesicht zeigt, so wird mancher Liberale, der jetzt noch über die preti verächtlich die Achseln zuckt, mit Schrecken einsehen, was es bedeutet die breiten Massen des Volkes einer schlechthin staatsfeindlichen, antinationalen Macht preiszugeben. Das heutige clericale Wesen ist spanischen Ursprungs, dem hellen freien Weltsinne der Italiener kaum weniger fremd als dem Gewissensernst der Deutschen. Die Natur der Dinge wird den italienischen Staat zwingen seine Souveränität gegenüber der Kirche nachdrücklicher als bisher zu wahren. Er hat von sechs katholischen Staaten ein reiches Rüstzeug kirchen-politischer Rechte überkommen und leider schon viele werthvolle Stücke aus dieser Erbschaft preisgegeben. Aber noch bleibt ihm manches wirksame Recht. Der siebzehnte Artikel des Garantiegesetzes, der alle den Geseßen und der öffentlichen Ordnung widerstreitenden Acte der geistlichen Gewalt für wirkungslos erklärt, kann in der Hand einer kräftigen Regierung zu einer scharfen Waffe werden. Vor Allem bleibt dem Staate jenes Recht, das heute mehr und mehr als das köstlichste aller Regierungsrechte erkannt wird: die Leitung des Unterrichtswesens. Wird das heranwachsende Geschlecht der pfäffischen Erziehung entrissen, dann mag Italien den bedenklichen Zwitterzustand in der ewigen Stadt zur Noth ertragen - bis die Gesittung des Welttheils reif wird für eine endgiltige Lösung der römischen Frage.

Eine wunderbare Schicksalsgemeinschaft waltet über den beiden großen. Völkern Mitteleuropas. Das eine rühmt sich der Reformation, das andere hat jenen Priesterstaat zerstört, der allzulange den Namen der Christenheit schändete; es wäre wider die Vernunft der Geschichte, wenn die zur selben Zeit in ehrlichem Kampfe errungene politische Einheit der beiden Nationen nicht der Freiheit des Gedankens zum Segen gereichte. Wir sagen mit unserem römischen Freunde: die Wege Deutschlands und Italiens können nicht immer die gleichen sein, doch sie führen zu dem nämlichen Ziele.

Libera chiesa in libero stato.

III. An Herrn A. Vera.

Schluß-Erwiderung.

Berlin, 25. März 1876.

Geehrter Herr! Meine Antwort auf Ihren freundlichen Brief kann nur kurz sein; denn wir gehen nicht blos in den politischen, sondern auch in den philosophischen Grundgedanken zu weit auseinander, und ich muß zu meinem lebhaften Bedauern die Hoffnung auf eine Verständigung aufgeben. Um Alles mit Einem Wort zu sagen: ich bin kein Hegelianer, obschon ich den Werken Hegels einen guten Theil meiner Bildung verdanke.

Ich halte den Saß für falsch, daß es in einem organischen und rationalen Ganzen nur eine Hierarchie giebt, nur Sphären, die sich über einander erheben". Mit solchen dialektischen Formeln werden die Probleme der sittlichen Welt nicht gelöst. Der Einzelne steht nicht blos in und unter dem Staate, sondern auch neben ihm. Das ist der große Gewinn der christlichen Gesittung, daß sie den Einzelnen nicht mehr, wie das Alterthum, lediglich als einen Theil des Staates betrachtet. Der ganze Reichthum der modernen Geschichte, die ganze tiefsinnige Wechselwirkung zwischen Staat und Gesellschaft fiele dahin, wenn nicht die Bürger in Kunst und Wirthschaft, in Wissen und Glauben sittliche Lebenszwecke verfolgten, welche über den Staat hinausreichen, seinem Gebote nicht unbedingt unterliegen. Nur auf seinem eigenen Gebiete, auf dem Gebiete des Rechts ist der Staat souverän. Daraus folgt, daß die Kirche, soweit sie selber dem Gebiete des Rechtes angehört, der Souveränität des Staates unterworfen ist und von ihm die rechtlichen Schranken ihres äußeren Wirkens angewiesen erhält. Doch es folgt nicht, wie Sie aus meinem Vordersaße schließen, daß der gesammte Inhalt des kirchlichen Lebens im Staate aufgehen müßte. Ich leugne Ihnen rundweg ab, daß der Staat, wenn er die Volkserziehung in seine Hand nimmt, die Religion beseitigen, überflüssig machen könnte. Sobald die Völker sich über das

Gattungsleben ursprünglicher Menschheit erhoben haben, hängt die religiöse Entwicklung jedes Einzelnen ab von unberechenbaren inneren Erlebnissen, und der Staat, der nur die Ordnung des äußeren Zusammenlebens der Menschen ist, besißt nicht die Macht, diese Welt der höchstpersönlichen Gemüthswahrheiten zu beherrschen.

Auf dem Gebiete des Rechtes aber scheint mir die Souveränität des Staates so nothwendig und auch wissenschaftlich seit den Tagen des Bodinus so unzweifelhaft erwiesen zu sein, daß ich mir schlechterdings nicht vorstellen kann, welchen juristischen Begriff Sie mit dem freien Staate in der freien Kirche" verbinden. Denke ich mir irgend eine menschliche Genossenschaft, welche dem Staate rechtlich übergeordnet wäre, so würde diese selber zum Staate werden, denn das Wesen des Staates liegt in seiner rechtlichen Unabhängigkeit. Juristisch klar und folgerichtig ist die Lehre vom „freien Staate in der freien Kirche" neuerdings meines Wissens nur einmal entwickelt worden: in jenem einflußreichen kleinen Buche, woraus schon Tausende von Clericalen ihre politischen Anschauungen geschöpft haben - in Luigi Taparelli's Natural Diritto. Hier wird erwiesen, wie alle weltlichen Staaten eine kirchlich-politische Ethnarchie bilden unter der Oberhoheit und dem Schiedsrichteramte des Papstes. Das Buch versucht die Gedanken des Thomas von Aquino wieder in die moderne Welt einzuführen. Gegen die Bündigkeit seiner Beweisführung weiß ich nichts einzuwenden. Nur bin ich als Keßer der Ansicht, daß unter einem solchen Systeme „des freien Staats in der freien Kirche“ sowohl der Staat als die Kirche den lezten Schatten der Freiheit verlieren müßten; und als Politiker meine ich, daß in einer solchen Ethnarchie die Staaten nicht mehr Staaten wären, sondern herabsinken würden zu Provinzen eines theokratischen Weltstaates. Sie aber, geehrter Herr, sind ein warmer Bewunderer der Reformation und wollen die Grundsätze des Staatslehrers der neuen Gesellschaft Jesu sicherlich nicht anerkennen. Es bleibt mir also räthselhaft, wie Sie den der Kirche untergeordneten Staat Sich denken; ich weiß nicht, ob Ihr Gedankengang in dunkler Tiefe oder in tiefer Dunkelheit endigt, und da ich nicht mit dem Unbegreiflichen zu kämpfen vermag, so muß ich mich begnügen, einige Stellen meines Briefes, die Ihnen anstößig scheinen, kurz zu erläutern.

Ich sagte, der Gegensatz und die Verwandtschaft deutscher und italienischer Gesittung sei mir einmal recht grell vor die Augen getreten, als ich in der Gallerie der Uffizien mitten unter den Werken Rafael's und Andrea del Sarto's ein Bildniß Friedrichs von Sachsen, von Lucas Cranach, mit einigen derben deutschen Versen darunter, erblickte. Wahrlich, nichts hat mir bei diesen Worten ferner gelegen, als die Absicht,

« ZurückWeiter »