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Die Lösung der Elsasser Frage entscheidet über die nächste Zukunft des deutschen Staates. Denn Baiern, durch das Elsaß verstärkt und die süddeutschen Nachbarn rings umklammernd, wäre die Großmacht des deutschen Südens. Wer aber diese große Zeit versteht, der darf nicht wollen, daß an die Stelle des unglücklichen preußisch-österreichischen Dualismus ein preußisch-bairischer trete, daß Baden und Würtemberg haltlos zwischen Preußen und Baiern einherschwanken. Die Zeit ist für immer vorüber, da deutsche Mittelstaaten noch wachsen konnten. Napoleon der Erste hat die Königreiche unsres Südens geschaffen, auf daß ihr Scheinkönigthum das Emporsteigen einer wirklichen deutschen Königsmacht verhindere, auf daß ihre Scheinmacht die Macht Deutschlands untergrabe. Diese Kronen haben sich heute durch deutsche Treue den Dank der Nation und Verzeihung für den Makel ihres Ursprungs verdient; das Blut, das strömen mußte um den Norden und den Süden zu vereinigen, ist Gottlob geflossen im Kampfe wider den Erbfeind, nicht im Bürgerkriege. Auch wir radikalen Unitarier freuen uns dessen und sind nimmermehr gewillt, die Souveränität der bairischen Krone wider den Willen der Baiern selber zu schmälern. Aber man fordere nicht, daß wir die Macht der Mittelstaaten, die ohnehin zu groß ist für einen festen nationalen Staat, noch erhöhen. Sollen wir heute, da der helle Tag des deutschen Königthums glorreich aubricht, die Zahl der Zaunkönige noch um einen vermehren? Sollen wir den Sieg über den dritten Napoleon dadurch feiern, daß wir die Schöpfung des ersten Bonaparte verstärken? Nein, wir wollen Deutschlands Einheit, nicht ein trügerisches deutsches Gleichgewicht.

Schlaue Köpfe rathen wohl, man solle Baiern durch eine Vergröße rung seines Gebietes dem Eintritt in den deutschen Bund günstig stimmen. Wer also redet, ahnt wenig von der Naturgewalt des nationalen Gedankens. Baierns Eintritt ist lediglich eine Frage der Zeit, er wird so sicher erfolgen wie die Knospe zur Frucht wird. Ist das Elsaß preußisch und, sammt Baden, in den deutschen Bund aufgenommen, so können wir getrost Nachsicht üben gegen den Münchener Souveränitätsdünkel und geduldig harren, bis Baiern durch die Erkenntniß des eigenen Vortheils in den Bund gedrängt wird. Fällt das Elsaß an Baiern, so kommt unsere europäische Politik aus der ewigen Unsicherheit, unsere deutsche Politik aus einem schwächlichen Schaukelsysteme nicht heraus. Der Scheelsucht

der fremden Mächte bietet sich nur ein Mittel um einen gerechten deutschen Frieden zu verhindern: sie muß versuchen Baiern von Preußen hinwegzuziehen. Soll dies verhindert werden, so muß die öffentliche Meinung in Nord und Süd einmüthig erklären: wir wollen, daß Elsaß und Lothringen preußisch werden, nur so werden sie deutsch! Der Geist der

Nation hat in diesen gesegneten Wochen schon eine wunderbare Kraft bewährt; er wird auch, wenn er sich einträchtig für einen klaren politischen Gedanken erhebt, den Münchener Hof heilen können von krankhaft ehrgeizigen Träumen, die eine verständige bairische Staatskunst nicht hegen darf.

Die Elsasser lernten das zersplitterte Deutschland verachten, sie werden uns lieben lernen, wenn Preußens starke Hand sie erzogen hat. Wir träumen heute nicht mehr, wie Arndt vor Jahren, von einem neuen deutschen Orden, der das Grenzland behüten müsse. Die nüchternen, gerech= ten Grundsäße, die wir in allen neuerworbenen Provinzen erprobten, reichen auch hier im Westen völlig aus. Nach einer kurzen Uebergangszeit strenger Dictatur können die Lande ohne Gefahr in den Vollgenuß preuBisch-deutscher Verfassungsrechte eintreten. Ist das Beamtenthum erst durch massenhafte Pensionirungen gesäubert, verfolgt unbarmherzige Strenge jeden Versuch des Verraths, so werden eingeborene landeskundige Beamte hier, wie überall in den neuen Provinzen, gern verwendet werden. Selbst das gute altpreußische Herkommen, wonach die Truppen in der Regel in ihrer heimischen Provinz garnisoniren, kann hier nach und nach eine vorfichtige Anwendung finden. Wir Deutschen verachten jenen bubenhaften Krieg gegen Stein und Erz, darin die Franzosen Meister sind; wir haben am Niederrhein die Denkmäler Hoche's und Marceau's in Ehren gehalten und denken uns auch an keinem, den Elsassern und Lothringern ehrwürdigen Erinnerungszeichen zu versündigen. Noch weniger an ihrer Sprache. Der deutsche Staat kann nur deutsch sprechen, aber er wird in den ge= mischten Bezirken dieselben milden Regeln befolgen, die in Posen und Schleswig-Holstein gelten; in die Gewohnheiten des häuslichen Lebens meisternd einzugreifen kam dem preußischen Staate nie in den Sinn. Unsere ganze Hoffnung ruht auf dem Wiedererwachen des freien deutschen Geistes. Wenn in den Schulen die Muttersprache wieder ernst und rein gelehrt wird, wenn die evangelische Kirche wieder in ungeschmälerter Freiheit sich bewegen darf, wenn eine verständige deutsche Provincialpresse das Land wieder einführt in die Kenntniß deutschen Lebens, so hat die Heilung des erkrankten Landes begonnen. Und ist es müßige Spielerei, einen Gedanken auszusprechen, der einem Gelehrten sich unwillkürlich aufdrängt? Warum sollte Straßburgs chrwürdige Hochschule, wiederhergestellt nach schimpflicher Verstümmelung, für die deutsche Gesittung am Oberrhein nicht ebenso segensreich wirken wie Bonn gewirkt hat für den.Niederrhein? Eine andere Rhenana im Oberlande wahrlich, ein würdiger Abschluß dieses deutschen Krieges, dieses Kampfes der Ideen wider sinnliche Selbstsucht!

Die Arbeit der Befreiung wird hart und mühsam; die ersten deut

schen Beamten und Lehrer in dem entfremdeten Lande sind nicht zu beneiden. Der monarchische Sinn des deutschen Volkes ist hier durch gräßliche Parteikämpfe gründlich zerstört; die Ultramontanen am rechten Ufer werden nicht säumen mit den Freunden am linken ein festes Bündniß zu schließen, und auch unter den deutschen Liberalen werden sich der guten Seelen viele finden, welche jeden Schmerzensschrei der Elsasser wider die Borussificirungswuth gläubig aufnehmen. Dennoch kann die Provinz nicht auf die Dauer ein deutsches Venetien bleiben. Einzelne Familien der höheren Stände mögen entrüstet auswandern, wie einst die Patricier Danzigs vor dem preußischen Adler flohen; die anderen werden sich wieder einleben in das deutsche Wesen, gleichwie der polonisirte deutsche Adel Westpreußens unter preußischer Herrschaft seine alten deutschen Nameu wieder angenommen hat. Schon die materiellen Vortheile, die der deutsche Staat bringt, find werthvoll: leichtere, besser veranlagte Steuerlasten, geordnete Finanzen; für das Saar- und Moselland die Eröffnung der natürlichen Verkehrswege; Zerstörung jener nutzlofen Vauban'schen Festungswerke, welche, aufrechterhalten durch die veraltete Kriegskunst der Franzosen, den Aufschwung so vieler elsassischer Städte bisher lähmten. Selbst die Industrie des Landes wird nach einer freilich sehr harten Uebergangszeit im deutschen Osten einen neuen weiten Markt finden. Doch das Alles tritt zurück vor den idealen Gütern des deutschen Staatslebens. Wie? diese deutschen Knaben sollten grollen, weil sie nicht mehr gezwungen werden wälsch zu lernen? Die Bürger sollten uns auf die Dauer zürnen, weil sie fortan ihre Bürgermeister frei wählen dürfen? weil sie mit höhergebildeten, pflichtgetreuen, deutschredenden Beamten verhandeln sollen? weil wir ihnen statt der nichtigen Generalräthe einen selbstthätigen Provinciallandtag, statt des corps législatif ein mächtiges Parlament bieten? weil ihre Söhne alle gleichberechtigt eine kurze Dienstzeit in der Nähe der Heimath verbringen sollen, statt während langer Jahre als heimathlose Lanzknechte in nomadischen Regimentern umherzuziehen? weil sie jetzt unbehelligt an den zahllosen Vereinen und Versammlungen unseres freien und heiteren geselligen Lebens theilnehmen können? Erfreuliche Folgen für die Zukunft verspricht auch der tödtliche Haß, den der ultramontane Clerus dem preußischen Staate entgegenbringt; solche Feindschaft muß nach und nach alle Protestanten, alle frei denkenden Katholiken der Provinz für Preußen gewinnen.

Gedemüthigt, von wüthenden Parteien zerfleischt, kann Frankreich in den nächsten Jahren schwerlich an einen Rachekrieg denken. Gewinnen wir diese Frist, so steht zu hoffen, daß Straßburg dann schon aus seinem Schutte neu erstanden ist, und die Elsasser sich schon mit ihrem Schicksal

versöhnt haben. Die Enkel aber werden dereinst die zweihundertjährige französische Episode in der Geschichte ihrer deutschen Landschaft ebenso befremdet und ebenso kalt betrachten, wie die Pommern heute die anderthalb Jahrhunderte des schwedischen Regiments. Noch nie und nirgends hat ein deutscher Gau bereut, daß er unter Preußens Schuß sich erholen durfte von der Herrschaft der Fremden, die immer nur ein glänzendes Elend ist.

Wer kennt nicht Uhland's Münstersage, das schöne Gedicht, das die Liebe der Deutschen für das Jugendland Goethe's so fein und tiefsinnig ausspricht? Der alte Dom erdröhnt, da der junge Dichter seinen Thurm besteigt:

im großen Bau ein Gähren,

als wollt er wunderbar

aus seinem Stamm gebären

was unvollendet war.

Ludwig Uhland, und Ihr Alle, die Ihr einst in öden Tagen den Traum vom großen und freien Deutschland träumtet! Wie viel gewaltiger als Eure Träume sind doch die Zeiten, die wir schauen! Wie vieles Andere noch, das unvollendet war, soll jezt neu geboren werden in dem uns wieder geschenkten deutschen Lande! Schier dreihundert Jahre sind's, da führte ein Hohenzoller, Markgraf Johann Georg, als erwählter Coadjutor von Straßburg, den Titel Landgraf im Elsaß; doch sein junger Staat wagte nicht den Anspruch zu behaupten. Der mächtige Strom deutscher Volkskraft, der einst im Mittelalter ausbrechend über die Clawenlande des Nordostens seine breiten Wogen wälzte, fluthet heute zurück gen Westen, um sein verschüttetes altes Bette, die schönen Heimathlande deutscher Gesittung, von Neuem zu befruchten. In denselben Marken des Westens, wo unser altes Reich die tiefste Schmach erduldete, wird heute durch deutsche Siege das neue Reich vollendet; und dies so oft, so schändlich von deutschen Lippen geschmähte Preußen baut uns den Staat, der waffengewaltig und gedankenschwer, stolz von Jahrhundert zu Jahrhundert schreiten soll.

Friedenshoffnungen.

Heidelberg, 25. Sept. 1870.

Kaum zwei Monate sind verflossen, seit das deutsche Schwert aus der Scheide fuhr, und schon regt sich in Millionen Herzen die tiefe Sehnsucht nach einem gerechten Frieden. Zwar unser Geldmarkt hat diesmal die Krisis leichter überstanden als vor vier Jahren; doch wer die unermeßliche zerstörende Kraft des Krieges erkennen will, der braucht nur jene feiernden Massen zu betrachten, welche in geschäftigem Müßiggang durch die Straßen unserer Städte sich umhertreiben. Wir empfinden Jeder am eigenen Leibe, wie der Krieg alle Gedanken, alle Gewohnheiten dieses arbeitenden Geschlechts auf den Kopf stellt, und wie thöricht darum der Argwohn ist, als könne unser Volk in Waffen jemals einer Politik der Eroberung fröhnen. Wir werden uns vermuthlich noch eine gute Weile in Geduld fassen müssen. Seit jenem Gottesgerichte von Sedan hat unser Heer einen gefährlichen militärischen Widerstand nicht mehr zu überwinden, aber die gräßliche Zerrüttung des Staats- und Volkslebens unserer Feinde erschwert den Abschluß des Friedens. Was wir in den jüngsten Wochen an den Franzosen erlebten, überbietet die finstersten Erwartungen; wir blicken entsetzt in einen Abgrund der Verderbniß, wir sehen die Macht der Lüge so riesengroß angewachsen in dem unseligen Volke, daß wir kaum noch auf Genesung hoffen können. Unter allen Franzosen, die bisher ihre Stimme erhoben von Guizot und Thiers bis zu Gambetta und Favre, von Renan und dem Herzog von Joinville bis zu Ollivier und Palikao ist auch nicht Einer, der nicht angefressen wäre von dem Wahne der nationalen Selbstvergötterung, nicht Einer, der sich entschlösse den Thatsachen ehrlich in's Gesicht zu sehen. Die Phrasen des Bonapartismus haben wir immer gleichmüthig hingenommen, denn die Lüge ist sein Wesen; doch jener gemachte radicale Phrasenschwall, den die Republikaner von heute in die Welt hinausschreien, erfüllt jeden freien Mann mit grenzenlosem Ekel. Hannibal steht vor den Thoren, und diese Helden

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