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schen wackeren Männern, die einander nahe stehen sollten, und zu den vielen Widersprüchen deutscher Politik noch den allergrößten hinzugefügt: die seltsame Verbindung persönlichen Eigenfinns und blinder Unterwerfung unter den Terrorismus der Fraction. Es wird noch mancher eindringlichen Erfahrung bedürfen, bis die Deutschen lernen, den Schwerpunkt der parlamentarischen Geschäfte in die Verhandlungen des Plenums und der Commissionen zu verlegen, das Fractionsunwesen gänzlich aufzugeben und große, im Innern freiere, nach Außen mächtigere Parteien zu bilden. Doch sehe ich in diesem unreifen Parteiwesen keinen Grund zur Entmuthigung: wir leben nicht unter englischer Parlamentsherrschaft, sondern unter dem deutschen Königthum.

Noch einen Pfingstgruß zum Schluß. Die Sonne des lieblichen Festes wird bei Ihnen an der Leine oder an der Fuse wohl nicht trauriger scheinen als bei uns in der fröhlichen Pfalz. Sehen Sie Sich einmal an eine blühende Hecke und lesen Sie nochmals die leßte Thronrede; vielleicht überkommt Sie dann doch die frohe Ahnung, daß dies alte Deutschland heute tapfer aufwärts steigt trotz Ihren Welfentheologen, troß der Rescripte über portopflichtige Dienstsachen und trotz der Kazbalgerei unserer Fractionen und Fractiönchen.

Nochmals die Briefe der Weser-Zeitung.

Geehrter Herr!

Heidelberg, 30. Juni 1870.

Zu meinem lebhaften Bedauern ersehe ich aus Ihrer Antwort, daß Sie Sich durch mein Schreiben vom 5. Juni gekränkt fühlen. Mir ist meine eigene Nichtswürdigkeit sehr oft und sehr nachdrücklich von der Preffe vorgehalten worden; ich bin vielleicht allzu geneigt, den Gleichmuth, den ich mir unter solchen Erfahrungen erworben habe, auch bei Anderen vorauszusetzen. Sollte wirklich in dem Tone meines Briefes etwas Verlegendes liegen, so kann ich nur versichern, daß ich lediglich an die Sache dachte, und die Absicht, einen mir völlig unbekannten Mann zu beleidigen, mir gar nicht in den Sinn kam. Ich habe über Ihre Anonymität kein Wort verloren; der patriotische Sinn Ihrer Briefe, sowie der Name des Blattes, das sie mit seiner Flagge deckt, bürgte mir dafür, daß Sie guten Grund haben Ihren Namen nicht zu nennen. Wenn Sie aber jezt behaupten, ich sei, weil ich meinen Namen nenne, in einer „doppelt begünstigten Lage" und ich hätte diesen Vorzug mißbraucht, so muß ich Sie bitten, bei ruhigem Blute zu überlegen, ob solche Vorwürfe haltbar find. Bisher war die Welt stets der Meinung, wer mit geschlossenem Helm in die Schranken reite, habe einen Vortheil voraus vor dem Anderen, der mit seinem Namen für seine Sache einstehe; und ich zweifle, ob die kleinen Erlebnisse unseres Briefwechsels dies allgemeine Urtheil erschüttern werden. Sie konnten, sobald Sie einen öffentlichen Meinungsaustausch mit mir begannen, von vornherein auf die Zustimmung eines großen Theiles der liberalen und radikalen Presse rechnen, und nachdem Ihnen diese Bundesgenossenschaft reichlich zutheilgeworden, haben Sie kein Recht, über die Ungleichheit des von Ihnen selbst veranlaßten Streites zu klagen.

Zur Sache habe ich nur wenig hinzuzufügen. Sie irren, wenn Sie annehmen, daß ich von den freien Höhen historischer Wissenschaft auf

diesen staubigen Erdball niederschaue. Ich habe seit dem Herbst 1866 in Schleswig-Holstein das böse Uebergangsjahr mit durchlebt; ich gehörte als Kieler Profeffor zu den privilegirten Klassen, ich mußte in meinem Hause, in allen meinen bürgerlichen Verhältnissen empfinden, wie der moderne Staat seinen Einzug hielt in jene verkommene Welt, und ich denke noch immer mit ungetrübter Freude der Tage, da die strenge und gerechte Ordnung unseres Staates jenen Wust königlich dänischer Eremtionen und Sonderrechte, den man die Freiheit Schleswig-Holsteins nannte, unbarmherzig hinausfegte und uns Privilegirte zwang, unsere Bürgerpflicht zu erfüllen. Nun weiß ich wohl, daß die alten Zustände in Hannover und Hessen nicht ganz so verrottet waren, wie in SchleswigHolstein. Ich habe auch niemals, wie Sie mir vorwerfen, das oderint dum metuant unseren Staatsmännern als Weisheit anempfohlen; ich müßte von der Lebenskraft unseres Staates ebenso niedrig denken, als ich hoch von ihr denke, wenn ich nicht jeden freimüthigen, in die Sache eingehenden Tadel gegen die Gebrechen seiner Verwaltung mit Freuden begrüßen wollte. Nur solche allgemeine düstere Schilderungen, wie die von Ihnen entworfene, scheinen mir nicht zeitgemäß - da sie doch lediglich von den Particularisten ausgebeutet werden und nicht gerecht; denn jene Reform an Haupt und Gliedern, deren die gesammte deutsche Verwaltung bedarf, kann ja nur das Werk langjähriger Arbeit sein. Sie können nicht lebhafter wünschen als ich, daß der Ausbau des deutschen Staates sich unter der freudigen Zustimmung der neuen Provinzen vollziehe; doch wage ich nicht zu hoffen, daß nach Beseitigung einzelner Verwaltungsmißbräuche die Gesinnung dieser Lande sich wesentlich bessern werde. Als ich im vorigen Sommer über den Dollart fuhr und an den Eingang jener Emdener Schleuse gelangte, die in der Geschichte der Welfenpolitik eine so bedeutsame Rolle spielte, da begrüßte mich als das erste Haus am deutschen Strande ein vom Fuß zum First schwarz und weiß angestrichenes Wirthshaus, auf dem Giebel ein mächtiger schwarzer Adler, darunter die Inschrift „Wilhelmslust"; und in allen den schönen Städten Ostfrieslands, die ich alsdann durchwanderte, überall die Bilder des alten Friß und des Königs Wilhelm, überall unverkennbare Zeichen der Zufriedenheit, selbst der Tadel klang ohne Groll und Verbitterung. Warum steht es also bei den tapferen Ostfriesen, und warum umgekehrt fühlt der Bürger der Welfenstadt das gemüthliche Bedürfniß, sich sogar den Schmutz seines Angesichts mit einer Seife abzuwaschen, worauf das Bild des urangestammten Welfen eingeprägt ist? Die preußische Verwaltung ist dem heutigen Geschlechte von Emden und Leer doch sicherlich ebenso ungewohnt, wie den Bewohnern von Hannover und Celle. Der letzte und tiefste

Gewissen, während sie das Bewußtsein wohlerfüllter Pflicht haben konnten. So ist die Politik der Nationalliberalen verlaufen, höchst dankenswerth in ihren letzten Ergebnissen, doch ebenso unglücklich in ihrer Taktik. Das Ungeschick der Liberalen gewährte der Demokratie den wohlfeilen Triumph, mit Hohn von der Nachgiebigkeit dieser elenden Gemäßigten zu reden, und doch sind wir die Entschiedenen, wir die radikalen Unitarier. In der Kunst, dem souveränen Unverstande Honig um die Lippen zu streichen, können wir, die wir dem Vaterlande nüßen wollen, ja doch niemals wetteifern mit der unfruchtbarsten aller Parteien, die auf jede praktische Politik verzichtet hat und nur noch an dem hohlen Klange ihrer eigenen Kraftworte sich ergött.

Schwerlich wäre solche Tadelsucht, die nur dem Radicalismus in die Hände arbeitet, unter den Liberalen so mächtig geworden, wenn man in diesen Kreisen die ungeheure Schwierigkeit unserer Aufgaben nach Gebühr zu würdigen wüßte. Auch Sie scheinen mir von dieser Schwäche nicht frei. Wenn Sie glauben, die Verhältnisse lägen heute für Preußen ungleich günstiger, als weiland in England unter Wilhelm III., so kann ich dies nur als einen unbegreiflichen Frrthum bezeichnen. Wie dürfen Sie einen Wechsel der Dynastie in einem seit Jahrhunderten geeinten Lande, dessen Krone wenig mehr bedeutete, auch nur vergleichen mit der Lage unseres Staates, der den Particularismus von vier neuen Provinzen, die geheime Wühlerei von vier Prätendentengeschlechtern besiegen und zugleich den Widerstand von zwanzig souveränen Staaten überwinden, das noch niemals gelöste Problem eines monarchischen Bundesstaats lösen soll? Nein, Preußens Aufgabe ist so schwer, so eigenthümlich, daß wir noch Jahre lang auf den Beifall des Auslands verzichten, den weisen Rath der fremden Presse uns verbitten müssen.

Wollen Sie dies ruhig erwägen, dann urtheilen Sie wohl milder über das bisher Erreichte, und vielleicht erscheinen Ihnen die preußischen. Dinge noch weniger trostlos, wenn Sie versuchen, die preußische conservative Partei ohne Vorurtheil zu betrachten. Den Gegner zu unterschäßen ist die Erbsünde aller Parteien, nicht am wenigsten des Liberalismus. Ganz gewiß hat unsere conservative Partei elende Tage gesehen, da fie vor dem weißen Ezaren und dem hohen Bundestage sich in Demuth beugte gleichwie der Liberalismus in nicht minder schmählichen Tagen sehnsüchtig ausschaute nach der freiheitbringenden Tricolore der Franzosen. Aber beide Theile haben Großes gelernt von der großen Zeit; alle irgend lebensfähigen Elemente der conservativen Partei stehen heute, Einige noch mit stillem Groll, auf dem Boden der Verfassung, sie haben mit ehrenhafter Selbstüberwindung geholfen den Norddeutschen

Bund zu gründen. Es scheint mir endlich an der Zeit, einige Phrasen des Parteihasses über Bord zu werfen, die ich ungern in Ihren Briefen wiederfinde. Sie finden in den Theorien heimathloser Emigranten" die Herzensgeheimnisse der preußischen Reactionäre, als ob nicht der ungeheure Unterschied zwischen dem französischen und dem preußischen Adel eben darin bestünde, daß wir keine Emigranten kennen, sondern nur patriotische Soldatengeschlechter. Betrachten Sie ihn doch, den verrufenen Junker aller Junker, den alten Marwiß. Grob und hart und knorrig, voll craffer Vorurtheile, und doch ein Held, der für sein Land gekämpft und gelitten hat, der Deutschland und Preußen leidenschaftlich liebte, ein grunddeutscher Mann von scharfem Verstande und rücksichtslosem Freimuth so war das Urbild des brandenburgischen Junkers. Der preußische Adel hat ein Vaterland, und unsere Orthodoren sind und bleiben ehrliche Protestanten trotz der katholischen Gesinnung, die der liberale Sprachgebrauch ihnen andichtet. Bei der Abstimmung über das Strafgesetzbuch haben die Conservativen bewiesen, daß ihnen das Parteiinteresse nicht das Höchste ist. Unterschätzen Sie nicht das Opfer, das gerade die Männer der äußersten Rechten brachten, als sie für die milde Bestrafung der politischen Verbrechen stimmten. So lange die Demokratie dem norddeutschen Bunde feindlich gegenübersteht, bleiben die Conservativen die einzige Partei, mit der wir in den Fragen der großen Politik uns verständigen können. Wenn wir ihnen nur Worte tiefer Geringschäßung bieten, dann wird jene starke nationale Partei, von der Sie sprechen, sich niemals bilden.

Ueber diese Frage der Parteiorganisation denke ich weit weniger hoffnungsvoll als Sie. Den Mann kenne ich wohl, der berufen wäre, die monarchische Leitung einer großen Einheitspartei zu übernehmen wenn diese Partei nur erst bestände. Es ist Graf Bismarck. Er leitet die große Politik, die der Reichstag unterstüßt, er müßte, lebten wir in England, auch die Reichstagsmehrheit führen. Doch ich brauche diesen Namen nur auszusprechen, und Sie werden sogleich bemerken, daß unsere deutschen Verhältnisse so einfach nicht stehen. Unsere Regierung ist keine Parteiregierung, was ich durchaus nicht beklage; sie besteht überdies leider aus sehr verschiedenen Elementen, wir Liberalen haben viele gerechte Beschwerden, vornehmlich gegen den Cultusminister zu erheben. Kein Liberaler kann, wie heute die Dinge noch liegen, in eine schlechtweg ministerielle Partei eintreten, wie umgekehrt mancher streng national gesinnte Conservative noch Bedenken trägt, sich mit den Liberalen zu verbinden. Also werden unsere alten Fractionen vorderhand fortbestehen. Die nationalliberale Fraction hat während des Reichstags zusammengehalten troß

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