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Stimme in der Wüste. Wie noch kein süddeutscher Hof sich entschloffen hat, die unsauberen Acten der Rheinbundszeit der Wissenschaft preiszugeben, so ist auch im Volke die Erinnerung an zwei Jahrhunderte der Bruderkriege in zwei Jahren noch nicht verwischt worden. Am Ende läuft der Zwift darauf hinaus, daß die Süddeutschen den Norden nicht kennen, ja zumeist nicht kennen wollen. Hierin, nicht in der conservati= ven Regierung zu Berlin, liegt der Grund des süddeutschen Preußzenhasses. Nur diese Unkenntniß macht jene hochkomischen Berliner Berichte einzelner süddeutscher Abgeordneten begreiflich, die von der deutschen Hauptstadt reden wie ein Perser von dem Herrschersize des Frankensultans. Gegen eine solche Welt von Vorurtheilen und alten unseligen Erinnerungen und zugleich gegen den schändlich mißbrauchten kirchlichen Sinn der katholischen Bauerschaft zu kämpfen ist eine gewaltige Aufgabe. Die tapferen Männer von der nationalen Partei in Bayern und Württemberg, die diesen ungleichen Kampf aufnehmen, mögen unsere Freunde im Norden daran erinnern, wie viel edle sittliche Kraft der Süden selbst in seiner gegenwärtigen Verwirrung noch besißt. Von greifbaren Folgen der nationalen Arbeit ist freilich noch wenig zu sehen. Nur die Neubildung der Armeen nach preußischem Muster schreitet wacker vorwärts, in der Gesinnung der Officiercorps hat sich ein hocherfreulicher Umschwung vollzogen.

In Bayern schaltet ein wohlmeinendes und ziemlich unklares System. “ Bayern ist ein eminent monarchischer Staat: nirgendwo sonst im Süden bedeutet die Person des Fürsten so viel; so erklärt sich leicht, warum heute die Münchener Politik zwischen entgegengeseßten Einflüssen hin und her schwankt. In Württemberg hat Herr von Varnbüler die verdiente Strafe gefunden für jene Politik, die den rothen Radikalismus gegen die nationale Partei in's Feld rief. Die Zuchtlosigkeit der demagogischen Freunde ist dem Minister über den Kopf gestiegen, er wird sich oft nach den alten Tagen gesehnt haben, da man unbotmäßige Kammern durch das Schreckbild des Bundestags in Schranken halten konnte. Von der Mehrheit des gegenwärtigen Landtags ist lediglich zu sagen: sie kann nur dann ersprießlich wirken, wenn sie beschließt, nichts zu beschließzen. Das hat sie auch nach Kräften gethan und ist dann heimgekehrt. Herr von Varnbüler mag sich nun wieder dem Genusse der europäischen Stellung Württembergs hingeben, den geraden Weg zu finden suchen mitten hindurch zwischen den königlichen Prinzen, die im norddeutschen Heere dienen, und - jenen geheimnißvollen Mächten, welche gelegentlich wichtige Actenstücke über die bayrisch-württembergischen Militärverhandlungen dem französischen Gesandten in die Hände spielen.

In Baden hat ein Theil der nationalen Partei für gut gefunden

sich loszusagen von dem Ministerium Jolly-Beyer, das allein im Süden die nationale Sache treu und folgerecht vertritt und sich um die mühfelige Reform der süddeutschen Armeen ein bleibendes Verdienst erworben hat. Wir verschmähen das persönliche Gezänk, das in den Kleinstaaten immer dem Kampfe der Parteien folgt; wir nehmen gern an, daß die Führer der Offenburger Versammlung durch falsche Motive bestimmt wurden. Aber sie haben von allen ihren guten Absichten das Gegentheil erreicht. Sie wähnten die nationale Partei zu stärken und sie haben den Zwiespalt in das eigene Lager getragen, alle Feinde unserer Sache schauen schadenfroh dem Hader zu. Sie wähnten die Verbindung mit den Freunden außerhalb Badens fester zu schließen, und die Genossen in München, Stuttgart, Darmstadt zucken die Achseln. Den Freunden im Norden aber, die bisher von den politischen Kräften des badischen Liberalismus eine sehr glänzende Vorstellung hegten, empfehlen wir die Schrift des Herrn Lamey: Woher die Opposition?" Sie wird ihnen Anlaß bieten das Ideal mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Da stehen sie aufgezählt, alle die Verbrechen des Ministeriums Jolly, die den Streit im eigenen Hause rechtfertigen sollen: da hat ein liberaler Theolog eine Ehrenprofeffur in Heidelberg nicht erhalten, da ist ein erschrecklicher preußischer Cavallerieoberst nach Carlsruhe berufen worden, da ist —— doch wir wollen kein Attentat gegen die Ernsthaftigkeit unserer Leser begehen. Der gesunde Sinn der Badener hat sehr bald die Verkehrtheit einer so ganz grundlosen Opposition erkannt. Eine zweite Versammlung in Offenburg hat sich der Regierung wieder genähert und sich geeinigt über ein ziemlich unbedenkliches, aber auch nußloses Programm; die Zeit der langen liberalen Wunschzettel sollte doch endlich überwunden sein. Wir wünschen aufrichtig, daß diese versöhnliche Stimmung anhalten möge; aber nach den gereizten Worten, die gefallen find, bleibt es wohl möglich, daß irgend ein Zufall den unseligen Hader von Neuem aufflammen läßt. Will man denn gewissenlos verfahren und die von Herrn Lamey bereits angeschla= genen verführerischen Klänge: „badisches Volksgefühl und preußische Offiziere, strammes Regiment und Steuerdruck" lauter ertönen lassen, so wird es ein Leichtes sein, die Massen der Wählerschaft gegen das Ministerium in die Schranken zu führen und eine büreaukratische oder auch eine ultramontane Regierung einzusetzen. Einmal doch muß sich am Hofe die Frage regen: ob man regieren könne mit diesen Liberalen, die in den sieben Jahren ihrer Herrschaft sich unablässig unter einander streiten? Ob man sich stützen könne auf eine Partei, die einst dem Nationalvereine und seiner „preußischen Spize" huldigte, dann den Krieg gegen Preußen beschloß, dann den Eintritt in den norddeutschen Bund verlangte und jeßt wieder

einer nationalen Regierung Verlegenheiten bereitet? Nur durch feste Eintracht, durch beharrliche Treue kann das nach so vielen Schwankungen schwer erschütterte Ansehen des badischen Liberalismus wieder hergestellt werden.

Nach Alledem bleibt uns allerdings der Trost, daß das Phantom des Südbundes abgethan und begraben ist, desgleichen die gegründete Hoffnung, daß der Süden beim Ausbruche eines Krieges seine Pflicht gegen Deutschland zunächst erfüllen wird. Doch Niemand vermag zu sagen, ob diese Verträgstreue die Probe halten würde, sobald das Glück den Waffen des Nordens nicht hold ist. Die gerühmte süddeutsche Freiheit läuft zuleht darauf hinaus, daß die Cabinette in ernster Zeit nach eigenem Gutdünken sich entscheiden. Fallen sie ab von der Sache Deutschlands, so wird manchem wackeren Manne im Süden das Herz brechen ob der Schande; aber die unerschütterliche Macht eines festen und klaren Volkswillens, stark genug die Höfe zurückzuhalten, ist nicht vorhanden. Was das bedeutet, sagt sich Jeder selbst. Die unentschiedene Lage der süddeutschen Verhältnisse ist der letzte Grund des Mißtrauens, das den Verkehr des Welttheils lähmt. Ueber die Absichten der Kriegspartei am Tuilerienhofe, über die Rachegedanken der Wiener Hofburg täuscht sich Niemand mehr. Möge man in Preußen die Tage des Friedens, die uns noch vergönnt find, gewissenhaft benußen für die Arbeit der inneren Reform, damit unser Staat den Erschütterungen, die eine nahe Zukunft bringen kann, in fester Eintracht mit gelassener Zuversicht entgegengehe.

1870.

Badens Eintritt in den Bund.

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Heidelberg, 5. März 1870.

Nichts ist schwieriger als im Voraus zu berechnen, wie lange die schöpferischen Kräfte einer Revolution nachwirken werden. Im Herbst 1866 ward zuweilen selbst unter den leitenden Staatsmännern Preußens die Erwartung ausgesprochen, die überzeugende Macht der jüngsten Ereignisse werde in einer nahen Zukunft den Süden zum freiwilligen Anschluß an den norddeutschen Staat bewegen. Noch im folgenden Jahre schien diese Hoffnung nicht ganz bodenlos, denn da die deutsche Presse nur ein unvollständiges Bild von der öffentlichen Meinung giebt, so ließen sich nur Vermuthungen aufstellen über die Gesinnung der Mehrheit im Süden des Mains. Erst die Zollparlamentswahlen brachten Klarheit in die Lage; abermals, wie noch in allen Krisen der jüngsten zwanzig Jahre, machte Süddeutschland auch die bescheidensten Hoffnungen zu Schanden. Das ungünstige Ergebniß jener Wahlen fiel um so schwerer in's Gewicht, da die Entscheidung durch die Maffen des Volks gegeben wurde. Es ward offenbar, welche zweischneidige Waffe der norddeutsche Bund sich in dem allgemeinen Stimmrechte geschliffen hat. Die feindselige Gesinnung gegen den Norden, die aus der großen Mehrzahl der süddeutschen Wahlen sprach, entsprang nicht aus einem Gegensaße der Interessen, noch aus Verstandesbedenken, sondern aus dem Stammesdünkel, der blinden dynastischen Anhänglichkeit und vor Allem aus dem confessionellen Hasse trüben, unklaren Gemüthsstimmungen, welche der Ueberzeugung und Belehrung einen sehr bescheidenen Spielraum bieten. Dem Politiker blieb vorderhand nur übrig, Act zu nehmen von der traurigen Thatsache, daß die Mehrheit des Volfes im Süden die Mainlinie aufrecht halten will.

In diesen Jahrbüchern ist seitdem das Verlangen nach schleuniger Aufnahme des Südens nicht mehr laut geworden; wir meinten, der norddeutsche Bund müsse sich zunächst auf den Ausbau des eigenen Hauses

beschränken. Sehr zur Unzeit werden wir heute durch die jüngsten Verhandlungen des Reichstags gezwungen, auf die füddeutsche Frage einzugehen, bevor sie noch reif ist für die Discussion der Tagespolitik. Der Schreiber dieser Zeilen wird auch durch einen persönlichen Grund genöthigt sich dieser Betrachtung nicht zu entziehen. In der neuen Folge meiner historischen und politischen Auffäße" finden sich die Worte: „Das kleine Land (Baden) kann nur dann mit Sicherheit in die ruhige Entwickelung der norddeutschen Kleinstaaten hinübergeleitet werden, wenn ihm gelänge bald in den norddeutschen Bund einzutreten. Nach den Er= fahrungen des Mainfeldzugs und der Zollparlamentswahlen hat Preußen guten Grund, die chaotischen Zustände des Südens sich selber zu überlassen, bis im Jahre 1877 die Zollverträge ablaufen und die Stunde der Abrechnung kommt. Auch dann noch wird die Aufnahme des Südens in den Bund unausführbar bleiben, wenn nicht vorher die Bundesgewalt wesentlich verstärkt wurde." Ich habe geglaubt, daß diese Worte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, und ich meine noch jetzt, daß ein Leser von einigem Nationalstolze sie gar nicht mißverstehen kann. Da man jene Säße dennoch unklar gefunden hat, so erlaube ich mir hier ihren Sinn nochmals zu umschreiben. Ich wollte sagen: der badische Staat wird durch die richtige Erkenntniß, daß er sich nicht selbst genügen kann, durch den Selbsterhaltungstrieb seiner Dynastie, durch die Wünsche der augenblicklich herrschenden Partei, durch jedes erdenkliche politische Intereffe genöthigt, den baldigen Eintritt in den norddeutschen Bund zu wünschen; aber für die Berechnungen der preußisch-deutschen Politik darf das Interesse, ja selbst das Dasein irgend eines deutschen Einzelstaats selbst= verständlich nur einen Factor unter vielen anderen bilden. Badens Vortheil kann für die deutsche Politik nimmermehr den Ausschlag geben; das Carlsruher Cabinet ist auch weit entfernt eine so unpatriotische Anmaßung zu behaupten.

Da diese Blätter so glücklich sind von Ultramontanen und Demokraten nicht gelesen zu werden, so brauchen wir nicht erst des Breiteren zu erweisen, daß die sogenannte badische Frage für uns keine Principienfrage sein darf. Preußen hat, indem es den alten Bund sprengte, die heilige Verpflichtung übernommen, dem ganzen Deutschland eine neue dauerhafte Verfassung zu geben. Auf diesen Gedanken jemals verzichten hieße für uns und unsere politischen Freunde den besten Inhalt unseres Lebens aufgeben. Niemand unter uns ist so vermessen, der einmal_entfesselten nationalen Bewegung nach Willkür Halt zu gebieten, Niemand wünscht, daß das Bewußtsein der Trennung auf die Dauer festwurzle in dem Gefühle des süddeutschen Volks, Niemand will den Zustand der Un

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