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Reinhold Pauli und Minister Golther.

Kiel, 28. Nov. 1866.

Die beharrliche Freundschaft, welche die kleinen deutschen Königskronen den Preußischen Jahrbüchern widmen, hat früher oftmals erheiternde Zwischenfälle, neulich aber ein ernsthaftes Ereigniß hervorgerufen, das uns zu eingehender Besprechung zwingt.

Unsere Leser entsinnen sich des Aufsatzes Würtemberg und die Bundes-Katastrophe" aus unserem Augusthefte. Wenn man der Redaktion gestatten will, in einem ungewöhnlichen Falle ihr eigenes Urtheil über einen Artikel in den Jahrbüchern auszusprechen, so bekennen wir, daß wir uns der Zusendung jener Arbeit aus guten Gründen freuten. Die Correspondenz zeigte nichts von jenem landläufigen politischen Dilettantismus, welcher den Mangel eindringender Kenntniß durch weitschweifige Betrachtungen zu verdecken liebt. Sie gab eine wohlgefügte Zusammenstellung charakteristischer Thatsachen; man merkte die Hand eines Historikers, der gewohnt ist, das Gesammtbild einer politischen Sachlage in starken Zügen zu zeichnen. Der Artikel kam uns auf weiten Umwegen zu inmitten der bewegten Zeit des Krieges und des gestörten Verkehrs; er war geschrieben bevor die Mainarmee ihren glorreichen Zug vollendet hatte, bevor man im Süden die volle Bedeutung der Schlacht von Königgrät würdigen konnte, und er trug durchaus das Gepräge jener stürmischen Tage. Aus jedem Worte sprach der Widerwille eines monarchisch gesinnten Mannes gegen die Zuchtlosigkeit des schwäbischen Radicalismus, die Entrüstung eines sittlichen Mannes über jene beispiellosen Lügenkünste, wodurch Desterreich und seine Verbündeten die öffentliche Meinung zu be= thören trachteten, der Zorn eines Patrioten, der eine deutsche Regierung mit frivolem Jubel und vorzeitigen Siegesliedern in den Krieg gegen Preußen ziehen sah. Der Verfasser hätte vielleicht einige scharfe persönliche Angriffe unterdrücken sollen, deren Berechtigung die Redaktion aus der Ferne nicht controliren konnte. Im Großen und Ganzen erschien

seine Sprache nicht nur bescheiden und maßvoll neben den rohen und gehässigen Schmähungen, welche damals die schwäbische Regierungspresse gegen Preußen schleuderte, er durfte sogar ohne Ungerechtigkeit noch weit härter sprechen; denn jene Zeit, da man in Schwaben den Meuchelmörder Blind verherrlichte und das Wort „lieber französisch als preußisch“ im Munde führte, bildet einen Schandfleck in der Geschichte unseres sittlichen Volkes, und wir würden sie heute gern der Vergessenheit übergeben, wenn man uns nicht zwänge, daran zu erinnern. Der Erfolg hat gelehrt, daß unser Correspondent in der That als ein besorgter Freund Würtembergs, als ein politischer Kopf gesprochen hatte. Alle jene bösen Folgen, die er dem Gebahren des Ministers Varnbüler voraussagte, sind eingetroffen: die schwäbische Armee hat wirklich, troß des Muthes der Soldaten, einen so kläglichen Feldzug geführt, wie weiland die e(i)lende Reichsarmee von Roßbach: die Regierung hat wirklich einen demüthigenden Frieden schließen müssen, der nur durch die Mäßigung des Siegers erträglich ward.

Der Erlaß einer Amnestie nach einem Bürgerkriege ist gemeinhin ein Gebot nicht nur der Klugheit, sondern der Gerechtigkeit; in den Tagen der Abspannung besitzt Niemand mehr ein Verständniß für die Stimmungen der Zeit des Sturmes. Preußen hat leider übersehen, im Friedensschlusse der würtembergischen Regierung, wie später der sächsischen, die unumgängliche Pflicht des Vergessens aufzulegen. Nun machten, während die Welt von Grund aus sich verwandelt hatte, die Worte unseres Correspondenten, geschrieben in der heißen Leidenschaft einer ungeheuren Zeit, langsam, langsam ihren Weg durch die Stuttgarter Lesezirkel. Auf dem Lande lastete jene widerwärtige Verstimmung, welche geschlagenen und bloßgestellten Parteien natürlich ist. Beschuldigungen des Verraths, der Treulosigkeit regneten von allen Seiten. In der Enge dieses provinziellen Sonderdaseins war den Menschen das Gefühl für die Größe der Ereignisse ganz abhanden gekommen. Die Regierung hatte einige bange Tage verlebt, da sie für ihre Hauptstadt zitterte; als diese Gefahr beseitigt war und der Friede nur den getreuen Steuerzahlern eine Last brachte, stand das alte System alsbald wieder fest auf den Füßen. Wie der schwäbische Radicale noch heute unbelehrt mit vornehmer Verachtung auf jene Männer herabschaut, welche das Heil des neuen Deutschlands nicht mehr in den „Freiheitskämpfen“ der schwäbischen Landtagsoligarchie erblicken, so regte sich auch in der Regierung kein Nachdenken, keine Scham über ihre schimpfliche Niederlage. Sie lebte weiter als sei nichts geschehen. Kein Wunder, daß jener Jahrbücheraufsatz ihren besonderen Zorn erregte; er sagte die Wahrheit mit ungewöhnlicher Kraft, und die Herren in Stuttgart glaubten den Verfasser in ihrer Gewalt zu haben.

Die Regierung hütete sich weislich, den einzigen ehrenhaften Weg, der ihr offen stand, den Weg der gerichtlichen Verfolgung gegen jenen Aufsatz, zu betreten; denn allerdings würde in solchem Falle die Redaction der Jahrbücher die Verantwortung auf sich genommen haben, und jeder halbwegs geschickte Anwalt konnte aus den Reden und officiösen Artikeln der Regierung Beweise im Ueberfluß für die Wahrheit der Behauptungen unseres Correspondenten beibringen. Da in Schwaben die Zahl der Männer von preußischer Gesinnung und gewandter Feder nicht groß ist, so bot sich der Regierung ein bequemeres Verfahren. Herr Cultusminister v. Golther schickte einen Beamten an unseren alten Mitarbeiter Professor Reinhold Pauli in Tübingen, um zu fragen, ob er der Verfasser sei. Unseres Erachtens war der Befragte befugt eine Antwort zu verweigern. Es giebt einzelne Männer, deren Namen in dem Kampfe der Parteien so sehr hin- und hergezerrt worden, daß sie unrecht handeln würden, wenn sie anonym schrieben. Als Regel ist die Anonymität der Correspondenzen ein nothwendiges Bollwerk der Preßfreiheit, wie das abschreckende Beispiel der französischen Presse zeigt, und wir halten für Pflicht dies Recht zu wahren. Professor Pauli aber hatte allein seine persönliche Ehre im Auge; er bekannte sich sofort als Verfasser und gab sodann auf Verlangen dem Rectoramte eine schriftliche Erklärung, welche bereits durch die Zeitungen veröffentlicht ist. Wir unterschätzen keineswegs die Pflichten des Staatsdieners. Allerdings pflegen unsere namhaften Professoren sich vornehmlich als deutsche Gelehrte, erst in zweiter Linie als badische, würtembergische, bayrische Staatsdiener zu betrachten. Aber solche Gesinnung, in Zeiten des Friedens wohlberechtigt, ward unhaltbar, als der Uebermuth der Mittelstaaten das rechtliche Band zwischen den deutschen Staaten zerrissen hatte. Sobald Würtemberg gegen Preußen Krieg führte, konnten einem preußisch-gesinnten würtembergischen Staatsdiener Pflichtencollisionen nicht erspart bleiben. Ernstlich bedenklich in dem Pauli'schen Auffaße ist übrigens nur die eine Stelle, welche den König Karl einen gutmüthigen, wohlmeinenden, aber schwachen und abhängigen Fürsten" nennt. Dies gerechte und durch den Verlauf des Pauli'schen Handels abermals bestätigte Urtheil durfte ein würtembergischer Staatsdiener nicht öffentlich aussprechen. Durchaus berechtigt und auch für einen Staatsdiener zulässig war dagegen die Polemik gegen eine constitutionelle Regierung, welche den Staat in Unglück und Schande stürzte. Und auch der strengste würtembergische Provinzialpatriotismus mußte befriedigt werden durch die Erklärung Pauli's. Der Angeschuldigte geht darin bis an die Grenze der einem tapferen Manne gestatteten Nachgiebigkeit, er erkennt das „Ungehörige" seines Verfahrens an, er erbietet

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sich zu jeder mit seiner Ehre und seiner politischen Ueberzeugung vertråglichen Erklärung und beruft sich auf jene offenkundigen Thatsachen, die sein Verhalten vor jedem Unverblendeten entschuldigen mußten: auf die Lage eines geborenen Preußen, eines alten Landwehrmannes, der tagtäglich seinen Staat, seine Landsleute, seine Fahnen beschimpft sah, der, selber geschmäht und persönlich bedroht, endlich einmal dem Zorne des deutschen Patrioten Luft machen wollte. Nach dieser Erklärung mußte die Regierung, nachdem sie einmal thöricht genug den Handel angeregt hatte, sich mit einer Rüge gegen den Professor begnügen. Aber Pauli's Eingabe ward stillschweigend zu den Acten gelegt; man war in Stuttgart entschlossen, sich des unbequemen Mannes zu entledigen womöglich auf verfassungsmäßigem Wege.

Die würtembergische Verfassung bestimmt: „Art. 46. Kein Staatsdiener, der ein Richteramt bekleidet, kann aus irgend einer Ursache ohne richterliches Erkenntniß seiner Stelle entseßt, entlassen oder auf eine geringere versetzt werden. Art. 47. Ein Gleiches hat bei den übrigen Staatsdienern Statt, wenn die Entfernung aus der bisherigen Stelle wegen Verbrechen oder gemeiner Vergehen geschehen soll. Es kann aber gegen dieselben, wegen Unbrauchbarkeit und Dienstverfehlungen, auch auf Collegialanträge der ihnen vorgesetzten Behörden und des Geheimenrathes, die Entlassung oder Versetzung auf ein geringeres Amt durch den König verfügt werden; jedoch hat in einem solchen Falle der Geheimerath zuvor die oberste Justizstelle gutachtlich zu vernehmen, ob in rechtlicher Hinsicht bei dem Antrage der Collegialstelle nichts zu erinnern sei." Man bedurfte also eines Antrages von Seiten des Tübinger Senats. In einer Geheimenrathssitzung unter Vorsitz des Königs ward beschlossen, dem Senate die Frage zu stellen, ob ein akademischer Lehrer, welcher derartige Angriffe gegen das Staatsoberhaupt, die Regierung und das Volk von Würtemberg sich erlaubt habe, noch als geeignet betrachtet werden könne, sein Lehramt an der Landesuniversität zu bekleiden". Es war unmöglich die Frage plumper zu fassen, Niemand konnte zweifeln, welche Antwort der Geheimerath erwartete. Trotzdem bewährte der Tübinger Senat eine rühmliche Unabhängigkeit. Hugo v. Mohl, der Naturforscher, ein politischer Gegner Pauli's, erstattete Bericht und mißbilligte zwar die persönlichen Angriffe und den aufgeregten Ton jener Correspondenz, erklärte jedoch, daß der Verfasser weder die sittliche noch die wissenschaftliche Befähigung zum Lehramte verloren habe. Daran schloß sich die verständige Mahnung, daß Verfolgungen solcher Art auf den Urheber zurückfallen, und daß es endlich an der Zeit sei, in Würtemberg wie überall sonst den Haß des Bürgerkrieges zu begraben. Dieser Bericht ward mit starker

Mehrheit ( der Stimmen) angenommen; die Majorität bestand zum größeren Theil aus geborenen Würtembergern. Und wie die schwäbischen Professoren, so dachten die schwäbischen Studenten. Pauli's Zuhörer, sämmtlich soviel wir wissen geborene Würtemberger, blieben ihrem Lehrer treu; der Versuch einer kleinen Partei, dem Preußen ein Mißtrauensvotum zu geben, blieb erfolglos.

Somit war Pauli's Entlassung verfassungsmäßig unmöglich. Doch man kennt in Bayern und Würtemberg ein alterprobtes Mittel, die Verfassungsartikel, welche den Staatsdiener vor willkürlichen Eingriffen sichern, zu umgehen. Am Abend des 20. November lasen die Tübinger Professoren im Staatsanzeiger, daß Herr Pauli an das niedere evangelische Seminar zu Schönthal verseßt sei. Am folgenden Tage erhielt Pauli den Befehl, sich augenblicklich an seinen neuen Bestimmungsort zu begeben, und der Senat eine Rüge von classischer Grobheit, gleich als gälte es, alle Behauptungen unserer Correspondenz über die Unfitten der schwäbischen Bureaukratie urkundlich zu bekräftigen. Freunde in Schwaben schildern uns die Cistercienserhallen des schwäbischen Gumbinnen, welche Mühe der Schönthaler Denker aufbieten müsse, um sich aus einem zwei Meilen entlegenen Orte den Hochgenuß eines Kalbscoteletts zu verschaffen u. s. w. Wir aber wollen diese Misere übergehen und einfach constatiren, daß nach dem Urtheile des unverdorbenen Menschenverstandes ein Lehramt an einem niederen Seminare allerdings ein an Einkommen und Würde geringeres Amt" ist als eine Professur an einer vielbesuchten Universität. Pauli's Versetzung war rechtlich unstatthaft. Herr v. Golther bezeichnet in seinem Verweise an den Senat Pauli's Verfahren als ein Vergehen gegen die beschworenen Pflichten des Staatsdienstes und des Lehramtes. Wohlan, betrachtet der Cultusminister wirklich seine Seminarien als die geeigneten Aufenthaltsorte für Männer, welche ihre be-. schworenen Pflichten verlezen? Das armselige Manöver erreichte seinen Zweck. Pauli verlangte alsbald seinen Abschied. Durch ein ähnliches Verfahren hat die Tübinger Hochschule bereits mehrere tüchtige Lehrkräfte verloren, so Reyscher und Robert v. Mohl. Der vielgerühmten schwäbischen Freiheit sind diese kleinen Künste der Bureaukratie bereits so geläufig, daß man im Lande solche Verfassungsumgehungen kaum noch bemerkt.

Dies der Hergang, wie er uns von wohlunterrichteten Männern in übereinstimmenden Berichten geschildert wird. Eines Urtheils bedarf es für preußische Leser nicht. In unserem Staate, den die Schwaben gern als ein Land der Knechtschaft schildern, führen Professoren unbehelligt die Opposition in- und außerhalb des Landtags. Das ganze Verfahren gegen

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